Veranstaltungen Buchpremiere in Frankfurt: Zur rechten Zeit

Am Montag Abend wurde in der Deutschen Nationalbibliothek (dnb) in Frankfurt das Buch Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus, soeben in den Ullstein Buchverlagen erschienen, präsentiert. Veranstalter waren neben der dnb das Fritz Bauer Institut, das Exzellenzcluster Die Herausbildung normativer Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt und die Karl-Marx-Buchhandlung.

Sybille Steinbacher, Direktorin des Fritz Bauer Instituts, begrüßte die Zuhörer: „Das Buch heißt nicht nur so, es kommt auch zur rechten Zeit. Der Einzug der AfD 2017 in den Bundestag markiert eine Zäsur. Zur zeithistorischen Einordnung von Rechtsradikalismus nach 1945 gibt es kaum Forschungen. Das vorliegende Buch ändert das.“

Der Co-Sprecher des Exzellenzclusters, Klaus Günther, erinnerte an den Wandel in Politik und Gesellschaft: „Wir haben 2006 den Antrag zur Einrichtung des Exzellenzclusters gestellt. Damals vermutete man den Rückgang der Bedeutung von Nationalstaaten. Heute sieht man das ganz anders.“

Maik Tändler, Franka Maubach, Rebecca Caroline Schmidt, Christina Marina und Norbert Frei

Die Autoren Norbert Frei, Franka Maubach, Maik Tändler – alle von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sowie Christina Morina, Universiteit van Amsterdam, diskutierten, Rebecca Caroline Schmidt, Exzellenzcluster, leitete das Podiumsgespräch.

Schmidt stellte die Autoren kurz vor. Beispielsweise hatte sich die Historikerin Christina Morina 2018 in einem offenen Brief gegen die Auflösung der Historischen Kommission der SPD gewandt.

Kommt also das Buch zur rechten Zeit?

„Mit dem Buch wird Position bezogen. Aber es ist keine Streitschrift“, erklärte Frei. Die Zeit nach 1945 sei unter diesem Blickwinkel bislang nicht gründlich untersucht worden. „Wir als Zeithistoriker waren auch auf die nationalistische Welle in Zusammenhang mit der sogenannten Flüchtlingskrise nicht wirklich vorbereitet gewesen“, bekannte Frei. „Das Geschehen 2015 schürte die Fremdenfeindlichkeit“, fügte Maubach hinzu. Man habe sich in historischer Betrachtung rechter Tendenzen eher auf die Jahre vor 1945 konzentriert, bemerkte Morina. Natürlich gebe es Unterschiede zwischen den Nationalkonservativen und Rechtsradikalen in Ost und West. „Aber wir wollten aus dem gängigen Schema gegenseitiger Schuldzuweisungen ausbrechen“, fügte Tändler hinzu.

„War der Nationalismus überhaupt je weg?“, fragte Schmidt. Die „Schluss-Strich-Debatte“ habe die Aufarbeitung erschwert. Und schließlich sei die NPD 1969 kurz davor gewesen, in den Bundestag einzuziehen, entgegnete Morina.

„Das rechte Denken hat in unserer Geschichte mit dem Nationalsozialismus ein vollkommenes Desaster erlebt. Die Alliierten brachten ihr Demokratieverständnis von außen ein. Das führte dazu, dass die Rechte in eine Außenseiterposition gedrängt wurde“, stellte Frei fest. „Trotzdem leistete die Rechte Widerstand. Nur funktionierte das eher nicht im anerkannten Wirtschaftswunderland. Demzufolge hatten die Rechten in Ost und West lange Zeit schlechte Karten.“

Rechte Bewegungen seien aufgekommen, als sich das Wirtschaftswunder abgeschwächt habe, fügte Maubach hinzu. So gesehen gebe es einen Zusammenhang zwischen ökonomischen Verhältnissen und rechten Tendenzen.

In Betrachtung der 68er gerate oft das massive rechte Voranschreiten außer Acht, stellte Frei fest. „Die Rechten brachten sich in Stellung gegen den linken Zeitgeist und lernten gleichzeitig von den linken Strukturen.“

Auch die Geschichte der Gastarbeiter spiele eine Rolle, setzte Maubach hinzu. Gastarbeiter wurden seit Mitte der 1950er Jahre bis zum Stopp 1973 angeworben. Als sie ihre Familien nachholten, verstärkte sich die Ausländerfeindlichkeit. Steigende Arbeitslosigkeit schürte die Vorurteile zusätzlich. Davon seien vor allem Türken betroffen, etwa zwei Millionen lebten zu jener Zeit in der Bundesrepublik.

Als nach 1968 von einem ‚roten Jahrzehnt’ gesprochen worden sei, gerieten rechte Ausprägungen, die es in dieser Dekade ebenfalls verstärkt gegeben habe, aus dem Blickfeld.

„1979 sprengten NPD-Mitglieder Fernsehmasten, um die Ausstrahlung der TV-Serie Holocaust zu verhindern. Seit Jahren werden Übergriffe auf Asylbewerber verübt, am 26. September 1980 sterben 13 Menschen beim Oktoberfest-Attentat von Rechtsradikalen. Völlig aufgearbeitet wurde der Terroranschlag nicht“, sagte Tändler. „Die Opferzahlen auf der rechten Seite sind eklatanter und schwierig erklärbar. Auch im Osten gab es rechte Gewalt. Die allerdings wurde nach dem Motto ‚nicht sein kann, was nicht sein darf’ unter den Teppich gekehrt“, äußerte Morina. Ähnliches gelte auch für den Westen, man denke nur an die Wehrsportgruppe Hoffmann, die verharmlost wurde, fügten Tändler und Frei hinzu.

„Vielleicht ist unsere Sensibilität für Fremdenfeindlichkeit nach dem Mauerfall gestiegen“, gab Maubach zu bedenken. Es habe vieles gegeben, was man 1989 nicht auf dem Schirm hatte. Die DDR-Gesellschaft war vom Antifaschismus durchdrungen. In der DDR lebten etwa 100.000 Vietnamesen und Mocambiquaner, allerdings segregiert.

Pegida und AfD greifen heute ineinander, Heimatfreunde treffen auf Konservative, plötzlich fühlten sich die Leute im Osten gehört.

Frei stellte fest: „Die DDR-Parole des Widerstands ‚Wir sind das Volk’ wird übernommen und mit einem neuen Sinn versehen. Die Ost-Rechten wollen nicht die Fehler des Westens übernehmen.“

Zwar habe der Westen längere Erfahrungen im Umgang mit Ausländern, das dürfe jedoch nicht zu einer Stigmatisierung des Ostens führen. Nicht zu vergessen ist, dass sich viele gegen Rechts gerichtete Initiativen mit guten Strukturen gebildet haben. Dieser Widerstand gegen rechtes Gedankengut komme oft zu kurz. „Es gibt nicht nur Pogromstimmung, sondern Gegenkräfte. Deshalb kann man heute nicht von Weimarer Verhältnissen sprechen“, fasste Frei zusammen.

Gibt es nun einen Rechtsruck oder nicht?, fragte Schmidt nach. „Rechte Argumente und Tendenzen waren nie völlig verschwunden. Neu allerdings ist eine geschlossene Mobilisierungsfähigkeit. Das beunruhigt“, sagte Tändler. Kritische Tendenzen dagegen zeigten Ermüdungserscheinungen, deshalb müssten neue Formen gefunden werden, forderte Frei.

Morina zitierte Navid Kermani, der sagte: „Selbstkritik ist ein Zeichen der Stärke.“ Zudem müsse man sich Begriffe, die von den Rechten okkupiert worden sind, zurückholen – Heimat beispielsweise. Es gehe um Verfassungspatriotismus, von Jürgen Habermas als „Loyalität der Staatbürger gegenüber der gemeinsamen politischen Kultur, die in den Verfassungsprinzipien wurzelt“, beschrieben.

In der anschließenden Diskussion wollten die Zuhörer noch etwas über Deutschland im Umfeld der EU wissen. Das jedoch sei ein anderes Thema. Und ein zweites Buch, antworteten die Autoren.

JF

Kommentare (1)
  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    in Ihrem oben stehenden Beitrag haben sich leider einige Fehler eingeschlichen. Zum einen nennen Sie Maik Tändler in einer Bildunterschrift fälschlicherweise „Maik Händler“.
    Außerdem zitieren Sie den genannten Maik Tändler wie folgt (Zitat):
    (…) „Seit 1980 werden Übergriffe auf Asylbewerber verübt, am 23. September 1980 sterben 13 Menschen beim Oktoberfest-Attentat von Rechtsradikalen. Völlig aufgearbeitet wurde der Terroranschlag nicht“, sagte Tändler. (…)
    Das ist doppelt falsch. Zum einen griffen Neonazis in Deutschland bereits vor 1980 Ausländer an.
    Zum anderen verübten Neonazis den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest am 26.September 1980 – und nicht wie im Tändler-Zitat behauptet bereits am 23.September 1980.
    Ich denke, dass Sie die Fehler im Interesse Ihrer Leserschaft korrigieren sollten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Tobias von Heymann

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