Einstimmung auf die Buchmesse Das Blaue Sofa Berlin zum Ehrengast Frankreich

Ein gelungener Abend gestern in Berlin: Bereits zum dritten Mal machte Das Blaue Sofa in der Bertelsmann Repräsentanz Station um das Publikum im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse auf den aktuellen Ehrengast einzustimmen. Im Mittelpunkt stand diesmal das Motto „Frankfurt auf Französisch“.

Helen Müller

Gastgeberin Helen Müller begrüßte rund 150 Gäste aus Politik, Kultur und Medien zu der literarischen Soirée, darunter auch die französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes. Helen Müller erinnerte an die Weimarer Klassik und Autoren wie Wieland, Goethe und Schiller. Den existenziellen Erfahrungen von Kriegen, Umbrüchen und Unsicherheiten hätten sie neue Formen des Zusammenlebens entgegengesetzt und mit neuen Kommunikations­formen eine literarische Öffentlichkeit geschaffen. „Mit ihren Werken, der Kenntnis anderer Sprachen und Lektüren und ihrem Verständnis von Poesie waren sie über die engen politischen Grenzen hinaus wirksam“, sagte sie. „Ich bin mir sicher: je mehr wir uns mit unseren Autoren und mit Büchern beschäftigen, desto besser begreifen auch wir unsere komplexe Welt und finden uns in politisch wirren Zeiten besser darin zurecht“.

Juergen Boos, Paul de Sinety

Paul de Sinety, der Vorsitzende des Gastlandauftritts und Messedirektor Juergen Boos machten denn auch klar, dass die Frankfurter Buchmesse ein kulturelles und zugleich politisches Ereignis ist, das für ganz Europa steht. Das Interesse ist groß: Alle Autoren, die man eingeladen hatte, hätten zugesagt, sagte Paul de Sinety und er betonte einmal mehr, dass die französische Sprache im Zentrum des Ehrengastauftritts stehen wird. Das verlange, gewohnte Pfade über die Grenzen Frankreichs hinaus zu verlassen. „Es zeichnet das diesjährige Gastland aus, dass es mit rund 200 Autoren kommt“, so Boos. „Wir wollen zeigen, dass wir nicht in Nationen, sondern in Stimmen denken.“ Durch gegenseitiges Zuhören lasse sich ein starkes Europa schaffen.

Botschafterin Anne-Marie Descôtes erwähnte in ihrem Grußwort, dass in der über hundertjährigen Geschichte des Prix Goncourt nur 12 Frauen unter den Preisträgern waren. Mit Marie Ndiaye und Leïla Slimani nahmen zwei von ihnen gestern auf dem Blauen Sofa Platz. Gaël Faye, der dritte Gast des Abends, wurde 2016 mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet.

Im Gespräch mit Barbara Wahlster und Dirk Fuhrig (beide Deutschlandfunk Kultur) stellten die drei Autoren ihre Romane vor, die in diesem Herbst auf Deutsch erschienen sind. In ihrem von Amelie Thoma übersetzten Roman Dann schlaf auch du (Luchterhand) macht Leïla Slimani ihre Leser mit Myriam und Paul, einem Ehepaar aus der Pariser Mittelschicht bekannt, das alles richtig machen will Sie stellen eine Kinderfrau ein, die sie für ideal halten, doch sie wissen nichts über die Lebensverhältnisse dieser Frau aus der Banlieue. Es kommt zur Tragödie. Leïla Slimani erweist sich als sehr genaue Beobachterin dieses Familiendra­mas. Sie sei tatsächlich oft in der Stadt unterwegs, in Parks und öffentlichen Verkehrsmitteln, und belausche ihre Mitmenschen, erzählte Leïla Slimani. „Da hört man viel, was man so gar nicht erfinden kann.“

Stehend: Paul de Sinety, Juergen Boos, Anne-Marie Descôtes, Dirk Fuhrig, Gaël Faye. Vordere Reihe: Marie Ndiaye, Leïla Slimani, Barbara Wahlster, Helen Müller

In Marie NDayes Roman Die Chefin: Roman einer Köchin“ (Suhrkamp, Übersetzung: Claudia Kalscheuer) erzählt ein junger Mann und langjähriger Mitarbeiter, wie seine Chefin, eine Frau aus bescheidenen Verhältnissen zur Sterneköchin aufsteigt. Marie NDaye, die mit ihrer Familie zwölf Jahre in Berlin lebte, fragt: wie wurde ihre Heldin zur berühmten Chefköchin, was hat sie Köchin in der Küche gelernt und wie interpretiert sie ihr Handwerk immer wieder neu?

Gaël Faye, der wie sein Protagonist in Burundi aufwuchs und 1995 als Dreizehnjähriger vor dem Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi nach Frankreich fliehen musste, stellte seinen Roman Kleines Land (Piper, übersetzt von Brigitte Große und Andrea Alvermann) vor. Der Autor, der als Banker gearbeitet hatte, bevor er Musiker und Schriftseller wurde, erzählte, dass seine Eltern über die Katastrophe und ihre Flucht niemals geredet hätten. Deshalb habe er sehr viel recherchieren und lesen müssen.

Während der Buchmesse werden Marie NDaye und Leïla Slimani – ebenso wie weitere Autoren der französischen Delegation – wieder auf dem Blauen Sofa Platz (Übergang Halle 5.1 zu 6.1.) auftreten. Mit dabei sind Emmanuel Carrère (Brief an eine Zoowärterin aus Calais, Matthes & Seitz Berlin), Édouard Louis (Im Herzen der Gewalt, S. Fischer), Alain Mabanckou (Die Lichter von Pointe-Noire, Liebeskind), Aya Cissoko (Aya, Das Wunderhorn), Didier Eribon (Gesellschaft als Urteil, Suhrkamp) und Achille Mbembe (Politik der Feindschaft, Suhrkamp). Außerdem ist eine „Blaue Stunde“ mit Frankreich-Korrespondenten geplant, die Einblicke in Politik, Gesellschaft und Kultur unseres Nachbarlandes gibt. Mit Daniel Cohn-Bendit, der das Vorwort zu Micheline Boods Die doppelten Jahre (Weissbooks) schrieb, Julia Amalia Heyer (Frankreich zwischen Le Pen und Macron, dtv), Joseph Hanimann (Allez la France!, Orell Füssli und Nils Minkmar (Das geheime Frankreich, S. Fischer).

Insgesamt werden in diesem Jahr 70 Autoren im Gespräch mit Literatur-Redakteuren von ZDF und Deutschlandfunk Kultur ihre neuen Bücher auf dem Blauen Sofa präsentieren. Auch, wer nicht zur Messe kommt, kann das Möbelstück kennen lernen. Zur Eröffnung des Lesefestes „Open Books“ steht es in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, wo Eva Demski (Den Koffer trag ich selber, Insel), Jürgen Becker (Graugänse über Toronto, Suhrkamp), Didier Eribon und der frischgekürte Träger des Deutschen Buchpreises ihre Neuerscheinungen vorstellen.

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