Verlegerin Else Laudan über die Bedeutung der Leipziger Buchmesse und ihren Ärger über die Berichterstattung „Die Leipziger Buchmesse mit ihrem echten Lesepublikum und ihren unzähligen Veranstaltungen und einer ganzen Region im Literaturfieber ist kulturell unglaublich wichtig“

Heute kam die offizielle Pressemitteilung, dass die Leipziger Buchmesse auch im dritten Jahr in Folge nicht stattfinden wird. Bereits am Montag hatte das Börsenblatt unter der Überschrift „Leipzig erneut vor dem Aus“ vermutet, dass eine erneute Absage aufgrund mangelnder Zusagen von Ausstellerseite („Große, mittlere, kleine Aussteller – zahlreich ergreifen sie die Flucht.“) wahrscheinlich sei. Argument/Ariadne-Verlegerin Else Laudan empörte sich daraufhin in den Kommentaren über das aus ihrer Sicht „verfrühte Totsagen“ der Messe und das „Schaffen von Fakten durch Behauptung“. Im Gespräch erläutert sie, was sie an dem Beitrag so stört – und warum die Leipziger Messe für die Buchbranche so wichtig ist und bleibt.

Else Laudan: „In Leipzig spielen die engagierten ‚Trüffelschweine‘ und wagemutigen Unabhängigen eine gewichtige Rolle, ihre Präsenz ist willkommen, prägend und leuchtend.“ (Foto: Miguel Ferraz)

Warum war ihr Ärger über den Börsenblatt-Bericht vom 7.2. so groß?
Weil er mitten in dieser schwierigen Lage durch den Alles-gelaufen-Gestus weitere Absagen provoziert hat, und das ziemlich willkürlich. Meine Fassungslosigkeit gilt der Art von Journalismus, die gezielt Stimmung erzeugt, durch Behauptungen „Fakten schafft“. Das kennen wir alle unangenehm von gewissen Massenmedien, die begeistert Öl ins Feuer gießen, Konflikte ausschlachten. Mit dieser Kritik stehe ich nicht allein. Viele Kolleginnen und Kollegen haben Anstoß genommen. Zumal Torsten Casimir in der Pandemiefrage Frankfurt und Leipzig mit zweierlei Maß misst (sorgsam verglichen in der Leipziger Internetzeitung). Und er hat der LBM geschadet, indem er sie quasi für tot erklärt hat – das steht ihm nicht zu, nicht bevor es klare Signale aus Leipzig gibt, und nicht von diesem unangemessen hohen Ross herab.

Aber ist Messe nicht Wahnsinn in der aktuellen Pandemielage?
War es das im Oktober nicht? Und ist es an Herrn Casimir, das zu entscheiden? Die Leipziger Buchmesse war vor zwei Jahren als Erste von der Pandemie betroffen. Sie hat 2020 und 2021 so früh wie möglich abgesagt (man verhielt sich da deutlich beweglicher, fairer und besonnener als Frankfurt, das nur nebenbei) und auf alle Corona-Entwicklungen stets mit maximaler Vernunft reagiert. Jetzt ist der Wille spürbar gewesen, endlich wieder stattfinden zu können, den ich teile – den sehr viele Verlage teilen, wie Umfragen überdeutlich zeigen –, weil wir kulturell und sozial nicht länger auf Leipzig verzichten können. Die Messeleitung bemüht sich unablässig um situationsgerechtes Handling, z.B. wurde der Plan, an der Messe selbst kein Testzentrum zu haben, weil es genug städtische gibt, mittlerweile nachgebessert – es hätte nun auch vor Ort getestet werden sollen.

Soeben kommt die Pressemeldung aus Leipzig: Die Buchmesse ist abgesagt. Ihre Reaktion?
Bei mir überwiegen Unbehagen und Trauer die Erleichterung. Die es natürlich auch gibt. Ich glaube tatsächlich (und empfinde es als typisch dafür, wie ich die Leipziger erlebe), dass hier bis zum letzten Moment, wie Oliver Zille es ausdrückt, „um eine Durchführung gerungen“, aber jetzt klein beigegeben wurde, es geht nicht. An meiner Kritik gegenüber T. Casimirs Artikel ändert das gar nichts. Er mag sich unterm Strich bestätigt fühlen, aber diese Verlautbarung stand ihm nicht zu, und seine brachial wirtschaftsaffine Haltung, die sich u.a. im Mantra von der „Strahlkraft der Konzerne“ widerspiegelt, betrachte ich als kulturell und sozial unverantwortlich – für mich verkennt so ein Standpunkt alle Zeichen der Zeit.

Was ist denn an Leipzig so einzigartig?
Die Leipziger Buchmesse mit ihrem echten Lesepublikum und ihren unzähligen Veranstaltungen und einer ganzen Region im Literaturfieber ist kulturell unglaublich wichtig. Sie ermöglicht weit mehr als nur Marketingpräsentationen wirtschaftlicher „Player“ unserer Branche. Hier blüht gesellschaftliche Kultur rund um Literatur und Sachbuch! Hier ist der Ort des Zusammenkommens und des direkten Kontakts mit Lesepublikum voller Neugier auf gute Publikationen. In Leipzig spielen die engagierten „Trüffelschweine“ und wagemutigen Unabhängigen eine gewichtige Rolle, ihre Präsenz ist willkommen, prägend und leuchtend. Neben den generationsübergreifenden, staunenswert bunten Kulturangeboten sind auf der Leipziger Buchmesse auch Inhalte und wichtige Debatten vertreten, und die Messeleitung unterstützt das. Für mich ist das genau richtig so: Wir Büchermacher/innen sind zuständig für die kulturellen Felder Erzählung, Bildung, Wissen, Sprache, Weltwahrnehmung, Geschichte/n. Ohne idealistische Hingabe, wenn sie nur der Profitmaxime überlassen bleiben, veröden diese Felder. Den aktuellen Krisen wird man mit Marketing nicht gerecht, da braucht es kulturelles Verantwortungsgefühl und Mut, über den Tellerrand zu schauen.

Ist die LBM unverzichtbar für die Buchbranche?
Ja, absolut. Wir vom Argument Verlag mit Ariadne fühlen uns auf der LBM nützlich, wahrgenommen, respektiert und programmatisch sehr viel besser repräsentiert als auf der großen Frankfurter Herbstmesse, wo wirtschaftliche Aspekte ganz unverhohlen dominieren – was letzten Herbst zu bitteren kulturellen Verlusten geführt hat. Auch darüber übrigens gehört dringend diskutiert – und nur in Leipzig wird das so konstruktiv und sorgsam ermöglicht. Das große plurale Bündnis #verlagegegenrechts, zu dem neben rund 180 Verlagen und Kulturschaffenden auch wir gehören, hat für Leipzig neun Podien vorbereitet, um gesellschaftlich brennende Themen engagiert zu besprechen. Wir müssen Gesellschaft gemeinsam machen – dafür hilft die LBM einen Rahmen schaffen. Das gehört nämlich zum Kulturauftrag unserer Branche. Leipzig ist hier wieder einmal vorbildlich mit dem neu gegründeten „Forum offene Gesellschaft“.

Worauf kommt es jetzt vor allem an?
Auf gemeinsame Verantwortung statt Egomanie. Die angebliche „Gretchenfrage: Kommen die Großen im Großformat zurück?“ aus dem Börsenblattartikel zeigt nicht etwa Sorge um unsere Gesundheit, sondern eine einseitige, rein wirtschaftliche Denkweise. Dass die Welt der Bücher darauf nicht reduziert werden darf, liegt doch auf der Hand – das ist in den letzten Jahren bis in die Kulturpolitik vorgedrungen, die den unabhängigen stationären Handel als relevanten gesellschaftlichen Ort ebenso wertschätzt wie die Arbeit der unabhängigen Verlage. Da sind wir endlich wieder auf dem Weg zu einem aufgeklärteren Kulturbegriff, der erkennt, dass es nicht bloß um Marktmacht geht, sondern um den Stoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Wir brauchen demokratischen Austausch, kulturelle Vielfalt und solidarische Haltung im Kulturellen, um Aggressoren und gegenwärtigen wie drohenden Krisen etwas entgegenzusetzen.

 

Kommentare (5)
  1. Sehe ich genauso. Der Artikel im Börsenblatt hat etliche Zauderer und Unentschlossene zum sofortigen Abspringen bewogen und damit das Schicksal der Buchmesse beeinflusst. Unzulässig. Besagter Herr schreibt für das Börsenblatt, zugehörig zum Börsenverein, der wiederum in Frankfurt die Buchmesse ausrichtet.
    Dazu kann sich jeder ein paar Kleinigkeiten denken.
    Für mich als Kleinstverlegerin ist die einzige Buchmesse, die ich als wirklich wichtig sehe und die ich liebe, Leipzig.
    Frankfurt – ich verhandle weder internationale Lizenzen, noch kann ich mir die dort doppelt so teuren Standgebühren leisten. Und nach diesem Artikel will ich es auch nicht mehr.

  2. Liebe Frau Laudan,
    ich kann Ihre Wut und Enttäuschung gut verstehen, und es wurde mehr als deutlich, dass es Ihnen um Gesundheit u n d Kultur, um das Überleben des Kulturguts BUCH geht. Gerade die kleinen, unabhängigen Verlage sind es, die die wichtigen Fische, der Kryll im Ozean der Buchwale sind.
    Hoffen wir, dass es die LBM 2023 gibt. Und vielleicht werde ich mich dann aus dem fernen Bayern aufmachen, um ihr einen längst überfälligen Besuch abzustatten.
    Halten Sie durch, und bleiben Sie vor allem gesund!
    Dieter Klug, Wolfratshausen

    • Lieber Dieter Klug,
      gerne las ich ihren Kommentar. Die beiden großen Buchmessen erlebe ich schon lange. Frankfurt seit über 45 Jahren als Illustratorin 1. Bilderbuch 1974, seit 2006 mit eigenem Stand des eigenen übersichtlichen Verlages (spezielle Geschichte). Messe-Erleben vom 1./2./3. Tag (Aufbau) 1./2./3/4./5. (Messetage), einen Abbau-Tag. Natürlich gibt es zufiel Bücher? Natürlich gibt ist unsere Welt verrückter geworden? Aber ich kann aus meiner langen Erfahrung sagen: in Frankfurt gibt es schon seit vielen Jahren Veränderungen, die leider verborgen blieben. Der Bedeutungsverdacht hält sich – leider – immer noch? Dank der Grütters-Millionen?
      Auch Leipzig musste und muss sich verändern. Doch das Bemühen, den Menschen im Mittelpunkt zu behalten ist – aus meiner Sicht unverändert da. Die Hoffnung Mancher „Leipzig sei überflüssig“ darf sich nicht erfüllen.
      „Denkt auch an die Kinder!“ Von 2003 – 2014 am eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse dürfte ich die Kultur „die Kinder betreffend“ erleben: Schulklassen in großer Zahl als regelmäßige Messebesucher.Mit Voranmeldung für Bilder-Geschichten-Begegnungen an meinem kleinen Stand. Gestapelte Kinder – hinreißend lebendig und interessiert! Nachhaltig!
      In Frankfurt eher als störend empfunden? Ebenso wie „das Volk“ am Wochenende.
      Dann sind in Halle 3.0 in den hinteren Reihen viele Aussteller schon nicht mehr da …
      Ich bin in echter Sorge. Nicht nur der Leipziger Absage wegen. Da half mir nun, Ihnen zu antworten – „ins Off“. Obwohl, Wolfratshausen hat bei mir einen guten Klang: Gangolf Rost war mein Lektor bei Thienemans, meinem Stuttgarter Verlag. Ihm verdanke ich viel!
      Ich grüße Sie!
      Gisela Kalow, Oberursel

  3. Liebe Frau Laudan,
    ich habe Torsten Casimirs „Beobachtungen und Mutmaßungen“ durchaus als ausgewogen verstanden. Ich habe seine Kritik an der Diskrepanz zwischen einerseits den uns Verlagsleuten zugestandenen Vorsichtsmaßnahmen vor möglichen Ansteckungen im Getümmel von Buchmessen und andererseits den in dieser Frage allein gelassenen SortimenterInnen, die seit zwei Jahren ganz selbstverständlich ihre Läden morgens auf- und abends absperren, gelesen.
    Ich habe darin auch über das Dilemma gelesen, in dem eine Messe steckt, die ihre größten Kunden verliert, nämlich die Konzernverlage mit ihren vielen Quadratmetern bezahlter Ausstellungsfläche. Wir kleine Aussteller profitieren von subventionierten Preisen, die die tatsächlichen Kosten eines solchen Bücherfests mit all seinen wunderbaren Podien und Foren kaum jemals decken können. Was würden wir tun, wenn uns die wichtigsten Kunden wegbrächen? Dies habe ich in dem Artikel gelesen.
    Aber keine Frage, es ist ein großer Jammer und tut uns allen in der Seele leid, dass Leipzig zum dritten Mal ausfällt. Wir brauchen und wir wollen diese Messe. Im Gegensatz zu anderen, die sich von ihr „vor allem zeitgemäße digitale oder hybride Begegnungsmöglichkeiten“ wünschen und damit aufdecken, wie wenig sie von dem verstehen, was unsere Branche ausmacht.

  4. Für mich ist die Leipziger Buchmesse tot! Wir haben nun drei Jahre auf diese Messe hin produziert – und stehen nun zum dritten Mal vor dem Aus! Gerade im „Osten“ liegen viele unserer Kunden und der Schaden dieser Absage ist für uns fundamental. Es geht mal wieder nur um die „Großen“ – denen ist eine zweite Messe im Jahr zu viel und somit kommt ihnen diese Möglichkeit gerade recht. Zurück bleiben alle die Mittelständischen und kleinen Verlage – oder Autoren und Selfpublisher. Es lebe der Einheitsbrei, der zukünftig in jeder Buchhandlung dieser Republik anzutreffen sein wird! Schade um die Vielfallt! Kerstin Groeper vom TraumFänger Verlag!

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