Aus der Werkstatt der Verlage (XLII) „Die meisten der zitierten Momente der Hoffnung waren als Jahresbegleiter für eine Zukunft mit dem Virus zu leichtgewichtig“

Die Verleger-Blicke in den Editorials der Herbstvorschauen, auf ihre jeweiligen neuen Programme und auf die Branche wollen wir derzeit in loser Folge mit Ihnen teilen. Heute Elisabeth Raabe und Regina Vitali mit ihrem Schreiben zur Vorschau ihres Verlages edition momente:

Elisabeth Raabe und Regina Vitali: „Es war eine never ending story, unsere Kalenderproduktion in diesem Jahr. Nun wartet nur noch ein Manuskript auf unserem  Schreibtisch: Das des neuen Buchs von Sybil Gräfin Schönfeldt, das sie in den Monaten des Lockdowns geschrieben hat – Kochbuch für meine liebste Freundin, ein kleines, feines Weihnachtsgeschenk, das Ende Oktober erscheint“

Momente der Hoffnung und Sehnsuchtssorte – noch nie haben sich die Themen des Literatur und Musik Kalenders so auf die Produktion ausgewirkt wie in diesem Jahr.

Die Idee zu beiden Mottos war im letzten Jahr zwischen Messe und Vertreterkonferenz entstanden, die Textauswahl Anfang März abgeschlossen – da kam Corona, und die Welt war eine andere. Auf der Straße vor dem Verlag war es still wie an Sonntagen, und wir dachten in unserem home office, in dem wir nun seit über zehn Jahren arbeiten, nach:

Die Drucktermine standen fest, der erste für den Kinder Kalender Anfang April, das Papier war eingekauft, und die Biofolien für die klimafreundliche Verpackung waren produziert. Sollten wir die Auflage reduzieren? Sollten wir überhaupt drucken? Hatten Kalender eher eine Chance, gekauft zu werden, als ein Roman? Aber wann öffneten die Buchhandlungen wieder? Hatte die Arbeit, das Leben überhaupt noch einen Sinn für uns, die wir nun zur sog. Risikogruppe gehörten? Nachts und in den Träumen kamen die Ängste, ich schrieb lange Mails, telefonierte mit unserem früheren Vertreter Wolfgang Willmann auf Mallorca, hörte meinen Neffen auf der Webseite des Gürzenich Orchesters in Beethovens Fünfter Cello spielen – und irgendwann nahm ich das Manuskript der Literatur Kalender-Texte zur Hand und stellte fest:

Die meisten der darin zitierten Momente der Hoffnung waren als Jahresbegleiter für eine Zukunft, in der wir mit dem Virus werden leben müssen, zu leichtgewichtig, oberflächlich. Ich tauschte AutorInnen aus, begann zu suchen und fand zum Beispiel in den Erinnerungen Eine Kindheit in Warschau des Literaturnobelpreisträgers Isaac Singer, die ich 1980 als Otto Maier-Lektorin herausgegeben habe (heute bei dtv), folgendes Zitat: »1917 wurde unsere Lage so schlimm, dass wir nicht länger in Warschau bleiben konnten. Eine Typhus-Epidemie war ausgebrochen. Es gab noch eine Hoffnung für uns: Bilgoraj, wo der Vater meiner Mutter Rabbi war. Man wusste, dass es in den von Österreich besetzten Dörfern mehr zu essen gab als im von den Deutschen besetzten Gebiet …« Ein Blick zurück tut gut: Damals gab es weder ein staatliches Hilfspaket noch ein funktionierendes Gesundheitssystem. Oder wenn die Afroamerikanerin Zora Neale Hurston, von der gerade bei Penguin Barracoon, der Bericht über den letzten amerikanischen Sklaven, erschienen ist, in ihrer Autobiografie schreibt: »Entschlossen ergriff ich die einzige Waffe, die ich besaß – Hoffnung –, und nahm die Beine in die Hand. Und so zog ich denn meine Schuhe an und machte mich auf den Weg.«

Ähnlich fassten auch wir wieder Hoffnung. Wir arbeiteten weiter. Viele halfen dabei. Das Gespräch mit Sinje Hansen von der Buchhandlung Lüders über ihren und der KollegInnen unermüdlichen Einsatz von morgens acht bis abends acht und ihre treuen KundInnen. Das Telefonat mit Benedikt Geulen, unserem Vertreter in NRW, über seine Vorbereitungen für eine Sommerreise. Das Engagement unserer Hamburger Druckerei Ernst Kabel, sodass neben Kinder und Küche auch der Literatur Kalender 2021 Ende Juni ausgeliefert werden konnte. Vor allem aber war es die tatkräftige und innovative Unterstützung von Max Bartholl, unserem langjährigen Grafiker in Frankfurt, der auch auf die Idee eines Give-away für den Buchhandel kam, sechs Hoffnungs-Postkarten mit Zitaten aus dem Literatur Kalender.

Es war eine never ending story, unsere Kalenderproduktion in diesem Jahr. Auch der Musik Kalender wurde mithilfe der Wiener Musikwissenschaftlerinnen Melanie Unseld und Susanne Hofinger trotz des dortigen strengen Shutdowns »umgekrempelt«, denn Sehnsuchtsorte sind inzwischen für manche, manchen ähnlich unerreichbar wie zum Beispiel für den Komponisten Antonín Dvořák, der am 15. Januar 1895 in New York über sein böhmisches Refugium Vysoká schrieb: »Wäre ich doch wieder dort!« Glücklicherweise wird der Musik Kalender 2021 in diesen Tagen ausgeliefert.

„Was kann es Schöneres geben, als in diesen Zeiten gemeinsam zu kochen, zu essen, zu reden?“ (Durch Klick auf Cover mehr über das aktuelle Programm der edition momente)

Und Der Klima Kalender 2021. Unser blauer Planet – Schönheit und Gefahren? Auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem Herausgeber Hermann Vinke, mit dem ich in meiner Zeit als Dressler- und Otto Maier-Lektorin sowie Arche-Verlegerin viele gemeinsame Bücher auf den Weg gebracht habe (u. a. Das kurze Leben der Sophie Scholl), und Max Bartholl hier im Verlag war der inhaltliche und zeitliche Rahmen festgelegt worden, ebenso war ein zweites Treffen über die Auswahl von Text und Bild und deren Reihenfolge geplant. Hermann Vinke begann zu schreiben, Max Bartholl suchte Bilder und gestaltete die ersten Seiten – dann kam Corona.

Wir stoppten das Projekt. Der Klimawandel und seine zwar nicht aufzuhaltende Krise traten hinter der Corona-Krise zurück – eine Krise reichte. Aber auch hier war die Papiermenge (aus klimaneutraler Produktion) geordert, die Biofolien ebenso. Mit dem Hochfahren der Wirtschaft, den ersten Flügen war das Thema wieder da, denn letztlich wissen wir: Klimawandel und Pandemie sind Synonyme für die Bedrohung der Menschheit, haben ein und dieselbe Ursache. So begann die gemeinsame Arbeit, auch hier mit verändertem Schwerpunkt, neben der Gefährdung auch unsere Chancen auf ein Umdenken aufzuzeigen und an die zu bewahrende Schönheit unseres Planeten zu erinnern. In wenigen Tagen wird der Kalender gedruckt, Ende September ausgeliefert.

Nun wartet nur noch ein Manuskript auf unserem Schreibtisch: Das des neuen Buchs von Sybil Gräfin Schönfeldt, das sie in den Monaten des Lockdowns geschrieben hat – Kochbuch für meine liebste Freundin, ein kleines, feines Weihnachtsgeschenk, das Ende Oktober erscheint. Was kann es Schöneres geben, als in diesen Zeiten gemeinsam zu kochen, zu essen, zu reden?

Und so »ergreifen« wir wie Zora Neale Hurston entschlossen »die Hoffnung« auf Ihr Interesse, danken im Voraus und grüßen herzlich

Ihre edition momente-Verlegerinnen

Elisabeth Raabe und Regina Vitali

Bisher brachten wir die Editorials von

Christoph Links

Lucien Leitess,

Daniel Kampa, 

Lothar Schirmer,

Christian Strasser

Sebastian Guggolz

Gerhard Steidl,

Joachim von Zepelin und Christian Ruzicska,

Constanze Neumann,

Gregory C. Zäch,

Dr. Stephanie Mair-Huydts und Steffen Rübke

Heike Schmidtke und Kilian Kissling,

Katharina Eleonore Meyer,

Peter Haag

Jochen Jung

Klaus Kehrer,

Jörg Sundermeier

Julia Eisele,

Armin Gmeiner

Christian Rotta

Ulrich Hopp,

Hejo Emons,

André Gstettenhofer,

Simone und Julia Graff

Monika Osberghaus

Susanne Schüssler

Günther Butkus

Alfred Klemm 

Voland & Quist

Laura Jacobi

Jan Weitendorf von Hacht

Monika Koch

Antonia Bürger

Andreas Rötzer

Wolfgang Hörner

Wolfgang Hölker und Lambert Scheer

Hermann Gummerer und Ludwig Paulmichl

Karin Schmidt-Friderichs

Georg Glöckler

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