Dirk Beenken und Tom Erben im Sonntagsgespräch über ... … die Neuausrichtung der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

Wissen verbindet 85.000 kluge Köpfe mit dem Buchhandel“ – das ist nicht nur ein neuer Slogan, sondern auch Konzept für die  Neuausrichtung der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg). Und war Anlass für unser heutiges  Sonntagsgespräch: Mit Fragen an  Dirk Beenken (Geschäftsführender Direktor) und Tom Erben (Leiter Community Relations)

Was sind die Hauptgründe für die Neupositionierung der wbg?

Dirk Beenken: Wir sind die größte organisierte Leserschaft Deutschlands! Darüber hinaus sind wir der einzige Verlag, der von seinen Autoren geführt und im Eigentum seiner Leser ist. Wir sind deshalb im doppelten Sinne vom Leser besessen

Dirk Beenken: Wir glauben, dass wir eine gute Antwort auf eine dramatische Frage liefern: Der Buchhandel hat 18% seiner Leser innerhalb von 3 Jahren verloren, wie der Börsenverein vermeldet.

Sie haben eine Antwort darauf? 

Ja, wir glauben: Das Buch entsteht in seiner Wirkung erst durch den Leser, und es wirkt durch die Gemeinschaft der Lesenden. Eine solche Gemeinschaft ist die wbg: Wir sind die größte organisierte Leserschaft Deutschlands! Darüber hinaus sind wir der einzige Verlag, der von seinen Autoren geführt und im Eigentum seiner Leser ist. Wir sind deshalb im doppelten Sinne vom Leser besessen. Wir sind keinem Investor verpflichtet sondern nur dem Auftrag unserer Vereins: Wir geben den Geisteswissenschaften Stimme.

Was erhoffen Sie sich dadurch?

Wir verstehen die wbg heute als Wertegemeinschaft für eine Klientel, die sich nicht mit einem Zeitungsartikel als Hintergrund zu einem Thema zufrieden gibt, sondern tiefer einsteigen möchte. Für diese akademisch geprägte Zielgruppe haben wir viel mehr zu bieten als Bücher: Wir laden unsere Mitglieder zu exklusiven Events ein, wir schaffen Netzwerke zwischen Autoren, Dozenten und Studenten, wir vergeben Preise und unterstützen gemeinnützige Initiativen wie „Arbeiterkind e.V.“ und die Stiftung Lesen. Diese Form der Community-Bildung bietet ein riesiges Potenzial, denn wir verfügen über mehr als 85.000 Mitglieder, mit denen wir direkt kommunizieren. Damit sind wir im Markt einzigartig, das hat kein anderer Verlag in Deutschland zu bieten.

Wir berichten darüber auch im kommenden BuchMarkt-Aprilheft –  Sie wollen den Buchhandel in diese Strategie einbinden?

Tom Erben: Die wbg ist als Verein in der Lage, seine 85.000 Mitglieder zu mobilisieren. Das möchten wir auch dem Buchhandel zugutekommen lassen.

Und das wie?

Tom Erben: „Wir wissen, dass unsere Mitglieder viel Geld für Bücher ausgeben, nämlich rund 400 € pro Jahr! Sind das nicht hochattraktive Buchhandels-kunden? Nichts liegt also näher als eine Kooperation“

Wir wissen, dass unsere Mitglieder viel Geld für Bücher ausgeben, einfach weil es ihnen das wert ist. Und wir wissen auch, dass wbg-Mitglieder das Vierfache dieses Budgets bei anderen Verlagen und anderen Buchhandlungen ausgeben, nämlich rund 400 € pro Jahr! Sind diese Menschen nicht hochattraktive Buchhandelskunden? Nichts liegt also näher als eine Kooperation.

Und wie kann ein solches Kooperationsmodell aussehen?

Wir sehen drei Ansatzpunkte: Zunächst möchten wir dem Buchhändler Frequenz und Kaufkraft vermitteln, indem wir dem wbg-Mitglied Buchhandlungen empfehlen, in denen er zum Ladenpreis einkaufen kann und von der wbg eine Gutschrift erhält. Der Händler kann mit diesem kaufkräftigen Kunden seinen Umsatz und seinen durchschnittlichen Bonwert erhöhen, denn das wbg-Mitglied kauft zusätzlich auch hochpreisige Bücher anderer Verlage. Zweitens: Um Orientierung zu bieten, können wir uns auch wbg-Regale im Handel vorstellen. Und Drittens: Händler könnten vor Ort für die Unterstützung der wbg werben und bei Vermittlung von Mitgliedern von uns verprovisioniert werden.

Sie sprechen im Konjunktiv…

Diese drei Modelle erarbeiten wir gerade. Unser Vertriebsleiter Wolfgang Hornstein freut sich über weitere Partner im Handel, die das mit uns gemeinsam umsetzen möchten.
Was heißt das programmatisch für die Verlagsprogramme, die nun unter wbg Theiss, wbg Academics, wbg Phillip von Zabern und wbg Edition firmieren?

Dirk Beenken: Entdeckungsreisen in die Welt des Wissens – dafür steht die wbg seit 70 Jahren. Gegründet 1949, um die Kriegsfolgeschäden auszugleichen, sehen wir es heute als unsere Aufgabe, Fragen zu beantworten, die die Globalisierung und Digitalisierung aufwerfen. Diese Antworten liefern populäre Sachbücher bei wbg Theiss gleichermaßen wie Fach-, Studien- und Forschungsliteratur bei wbg Academics. Hinzu kommt das Label wbg Philipp von Zabern mit dem Fokus auf die antike Welt. In dem neuen Label wbg Edition bieten wir Reprints, bibliophile Übersetzungseditionen und hochwertige Gesamtausgaben.

Sie wollen damit einen  Spagat zwischen Mitglieder- und Lesermarkt auflösen?

Ja, die wbg tritt zukünftig als Dachmarke auch im Buchhandel auf. Insgesamt erscheinen weiterhin jährlich rund 120 Publikationen, die von wbg-Mitgliedern als Wertegemeinschaft ermöglicht werden. Die Themen reichen von Geschichte und Archäologie bis zu Philosophie und Theologie sowie Geo- und Naturwissenschaften.
Wie sieht denn die Mitgliedersstruktur der wbg heute aus?

Unsere Mitglieder sind Akademiker, aber nicht zwingend fachspezifisch motiviert. Da gibt es Germanisten, die wissen möchten, was sich in der Philosophie tut, oder Juristen, die als Ausgleich zu Ihrem Beruf Bücher zur Zeitgeschichte lesen. Wir sind in allen Altersstufen ab 30 aufwärts fast paritätisch vertreten. Studenten stellen 10% unserer Mitglieder. Wir verlieren zwar langjährige Mitglieder, die nicht mehr lesen können oder wollen. Oft verschenken sie ihre Mitgliedschaft dann an ihre Enkel. Aber wir gewinnen jährlich rund 5.000 neue Mitglieder hinzu.
Wen wollen Sie mit der neuen wbg ansprechen?

Tom Erben: Wir sehen ein großes Potenzial für unsere Themen und damit auch für das anspruchsvolle Sachbuch bis weit in den Mainstream hinein. Erfolge wie „Die Schlafwandler“ oder „Der Dreißigjährige Krieg“ zeigen ein allgemein großes Interesse an geschichtlichen Themen. Da kommt uns auch die derzeitige Repolitisierung zugute. In unseren Marktuntersuchungen konstatieren wir ein großes Bedürfnis nach „Abenteuern im Kopf“, die das Sachbuch liefern kann. Unseres Erachtens wird da eine (überwiegend, aber nicht nur männliche) Zielgruppe vernachlässigt bzw. unterschätzt. In diesem Sinne verstehen wir uns als Partner für das Thema Sachbuch, insbesondere im Buchhandel. Und wir verstehen den Buchhandel als Teil unserer Community.
Sie sehen die wbg also nicht als Buchgemeinschaft?
Dirk Beenken: Nein, wir verstehen uns als Lesergemeinschaft! In dieser Gemeinschaft vertreiben wir neben den eigenen Titeln die für unsere Zielgruppe wichtigsten Bücher anderer Verlage. Dieser Programmbereich macht einen erklecklichen Anteil unseres Umsatzes. Aber auch die Verlage der wbg konnten sich im vergangenen Geschäftsjahr gegen den Branchentrend behaupten und deutlich wachsen, dank der engen Bindung an unsere Leser. Hiervon können auch andere Verlage profitieren. Denn die Hauptmotivation unserer Mitglieder war immer schon der Wunsch, zu einer Wertegemeinschaft zu gehören. Diesem Motiv möchten wir nachgehen, um die wbg als Verein von Gleichgesinnten zu positionieren. Denn die wbg hat mehr zu bieten als „nur“ Bücher: Wir sind 85.000 kluge Köpfe! Das ermöglicht uns auch, ganz neue Produkte anzubieten wie Reisen, Weiterbildung oder Kongresse.
Und wie sieht die Community der wbg aus?

Tom Erben: Die wbg ist ein Verein – jedes Mitglied kann Impulse geben, inhaltlich oder als Förderer. Neue Veranstaltungsformate wie „Mitglieder im Gespräch“ nutzen wir gezielt zum Dialog und zur Mitgliederbindung, indem wir z.B. Kuratoren-Führungen nur für Mitglieder anbieten. Das wird wirklich  aufgenommen, denn es entsteht Exklusivität. Auch die „wbg Freundeskreise“, bei denen Mitglieder als regionale Botschafter agieren und privat nach Hause einladen, sind aus der Mitgliedschaft heraus entstanden. Und online werden wir ebenfalls neue Formate für die Teilhabe und den Austausch der Mitglieder untereinander auf den Weg bringen. Als Plattform für Geisteswissenschaften wollen wir Debatten ermöglichen. Das alles hat das Ziel, den Verein inhaltlich attraktiv zu machen und dadurch neue Mitglieder zu gewinnen.

Der neue Claim ist geschickt gewählt …

Dirk Beenken:…. er lautete bisher „Wissen verbindet“ – daran hat sich nichts geändert. Wissen verbindet Dinge, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang haben mögen, aber wir schaffen einen neuen Kontext. Diesem Credo folgt unsere Marketingkampagne, mit der wir den neuen Auftritt begleiten. Mit dem Zusatz „Wissen verbindet uns“ betonen wir den Aspekt der Community. Aber auch an den Kern der Sache wagen wir uns heran: Die wbg übersetzen wir künftig mit „Wissen, Bildung, Gemeinschaft“. Das ist zeitgemäßer als „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“ und öffnet uns gegenüber neuen Zielgruppen, denn wir bieten ja längst mehr als Bücher.
Wird man die neue wbg denn auch den Büchern ansehen?

Tom Erben: Die Agentur Edenspiekermann aus Berlin, die unter anderem die Neupositionierung der „Welt“ verantwortet, hat eine hervorragende Lösung dafür gefunden, wie die wbg in Zukunft auftreten wird. Die Bücher der wbg erhalten mit dem Herbst-Programm 2018 ein neues Gestaltungsraster, das die Wiedererkennbarkeit über alle Labels hinweg gewährleistet. Wir freuen uns sehr auf die Reaktionen zu unseren Herbstkatalogen 2018, die demnächst verschickt werden.

Die Fragen stellte Franziska Altepost

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