Veranstaltungen Frankfurt liest: Nachlese mit Apfelkuchen

Fast drei Monate nach Ende des Festivals Frankfurt liest ein Buch fand gestern eine „Nachlese“ statt – an einem im Roman Das siebte Kreuz von Anna Seghers genannten Ort. Beinahe zumindest, denn der Ortsteil Mammolshain, seit 1972 zu Königstein gehörend, taucht im Buch als Schmiedtheim auf.

Nicht wie zunächst geplant am City-Blick, einem Hang mit Fernsicht auf die Frankfurter Skyline, sondern im Dorfgemeinschaftshaus traf man sich. Das Interesse war erstaunlich groß, es mussten sogar noch Stühle herbeigeschafft werden, damit alle sitzen konnten.

„Am City-Blick ist die Hitze bei 37 Grad Celsius unerträglich, deshalb haben wir beschlossen, ins Gemeinschaftshaus zu gehen“, erklärte der Mammolshainer Ortsvorsteher Hans-Dieter Hartwich. Er gehörte zum sechsköpfigen Veranstaltungs- und Organisationsteam.

Olaf Velte, Beate Großmann-Hofmann und Hadwiga Fertsch-Röver

Der Autor Olaf Velte las zum Einstieg aus dem ersten Kapitel, in dem Franz Marnet mit dem Fahrrad vom Vordertaunus zur Arbeit nach Höchst fährt zu einer Zeit im Jahr, in der die Goldparmänen erntereif sind. Der Rhein ist noch eine Eisenbahnstunde entfernt, aber das Land ringsum bedeutet schon Rhein, schrieb Anna Seghers.

Nach dieser ersten Lesung erklärte Velte: „Die Autorin schlägt im ersten Kapitel von der Vergangenheit mit den Sonnenaltären der Kelten eine Brücke bis in die Gegenwart.“ Auch Veltes Familie in Wehrheim beschäftigte sich wie Ernst, der Schäfer, mit Schafzucht. „Mein 1932 geborener Vater geht noch alle Tage raus und sieht nach den etwa 40 Tieren“, sagte Velte. In Königstein habe es bis in die 1970er Jahre große Schafherden gegeben. „Leider ist die Schäferei jedoch rückläufig“, bemerkte Velte. Allerdings hätten die Schäfer von alters her immer ein bisschen außerhalb der Gesellschaft gestanden, das werde auch in der Figur von Ernst deutlich.

Beate Großmann-Hofmann, Fachdienstleitung Kultur in Königstein, informierte über Romanhintergründe und berichtete Biografisches der 1900 als Netty Reiling geborenen Autorin: „Im damaligen Grand Hotel Königstein logierten die Reilings mit Tochter mehrfach. Später kam die verheiratete Netty Radvanyi mit ihrer Familie ebenfalls nach Königstein und wohnte in der Villa Marnet.“ Schon war man wieder bei Franz Marnet, der zweiten Hauptperson des Buches. Velte las eine Passage, Marnet war mit dem Rad in Höchst in der Fabrik angekommen. „Viele, auch mein Großvater, haben in Höchst gearbeitet“, sagte anschließend Angelika Fuchs, die ausgesucht hatte, welche Auszüge aus dem Siebten Kreuz an diesem Tag vorgetragen wurden.

Anna Seghers, aus einer keineswegs armen Familie stammend, schildert in dem Roman Szenen aus dem Arbeiterleben. „Seghers lernte Lore Wolf aus Frankfurt auf dem Schriftstellerkongress 1935 in Paris kennen, sie freundeten sich an. Wolf berichtete der Autorin viel aus der Arbeiterschaft“, erklärte Großmann-Hofmann. Lore Wolf, wie Anna Seghers 1900 geboren, starb 1996 in Frankfurt – 13 Jahre vor ihr war Anna Seghers in Berlin gestorben.

Die letzte Passage auf der Veranstaltung las Katharina Fertsch-Röver: Bei Familie Marnet stand frisch gebackener Apfelkuchen auf dem Tisch. Es wurde allerlei geredet, denn Schwester Anastasia von den Ursulinen war ebenfalls eingeladen und berichtete von der Verabschiedung von Dora Katzenstein, die „wegging“.

„Es hat in Mammolshain tatsächlich ein Kurzwarengeschäft Katzenstein gegeben“, erläuterte Großmann-Hofmann. Die Dora im Roman hieß eigentlich Henny, sie hatte die Ursulinenschule besucht und durfte 1938 mit ihrer Tochter in die USA ausreisen. Erst 1962 erhielt sie eine Entschädigung und bis zu ihrem Tod 1964 eine kleine Rente aus Deutschland. Stolpersteine verweisen seit 2013 auf Henny Katzenstein und ihre Tochter Miriam.

1879 entschieden sich fünf junge katholische Lehrerinnen für einen Neuanfang; die „Höhere Mädchenschule“ in Frankfurt war aufgrund eines preußischen Erlasses 1875 geschlossen worden. Also begannen die Damen in Königstein auf einem Grundstück neu und schufen damit den Grundstock des heutigen Ursulinenklosters, das wechselvolle Zeiten überstand. 1940 schlossen die Nazis Lyzeum, Haushaltungs- und Frauenschule. 1945 wurde die heutige staatlich anerkannte katholische private St. Angela-Schule der Ursulinen wiedereröffnet.

Hans-Dieter Hartwich, Beate Großmann-Hofmann, Katharina Fertsch-Röver, Olaf Velte, Hadwiga Fertsch-Röver und Angelika Fuchs

Das Publikum bedankte sich mit viel Beifall für die abwechslungsreiche Nachlese, die von Hadwiga Fertsch-Röver moderiert wurde, Thilo Maier sorgte für die Technik im Saal.

Der Apfelkuchen stand bereit, die Besucher ließen sich nicht lange bitten und griffen zu: lecker. Wie auch im Buch Das siebte Kreuz.

JF

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