Veranstaltungen Gerettete Kinder: Zeugnisse in der Exil-Ausstellung und in einem Buch

Am Dienstag Abend fand in der Deutschen Nationalbibliothek im ausgebuchten Saal eine besondere Veranstaltung unter dem Titel Rettet wenigstens die Kinder statt. Organisiert wurde sie vom Deutschen Exilarchiv 1933 bis 1945 und vom Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt.

Vorher hatten die Besucher die Möglichkeit, in der im März dieses Jahres eröffneten Dauerausstellung Exil. Erfahrung und Zeugnis einen besonderen Blick auf Exponate von Kindern zu werfen. Theresia Biehl erläuterte dazu: „Etwa 500.000 Menschen flohen zwischen 1933 und 1945 vor dem Naziregime, unter ihnen befanden sich auch rund 30.000 Kinder, die zwischen 1933 und 1939 Deutschland verließen, oft ohne ihre Familien.“

Darunter war beispielsweise der 1938 zehnjährige Thomas Häfner, dessen Brief in Kinderhandschrift aus Marseille an seine Eltern in einer Vitrine unter dem Kapitel Trennung aufbewahrt wird.

Im Bereich Kommunikation ist ein Brief mit Skizzen des damals sechzehnjährigen Ernst Loewy zu finden, der 1936 mit der Jugend-Aliyah nach Palästina auswanderte. „ … so dass wir hier Radio hören können. Ist das nicht fabelhaft?“, schreibt Ernst Loewy. Den Eltern gelang 1938 die Flucht nach Palästina, der Sohn wurde für Mutter und Vater zum Ansprechpartner im neuen Land, in dem er sich schon gut auskannte.

Das zunächst ungewohnte Afrika schildert Stefanie Zweig in ihren Romanen, ihre Familie fand 1938 Zuflucht in Kenia, die gerade Sechsjährige lebte sich dort ein. 1947 kehrten die Zweigs nach Deutschland zurück.

Im Kapitel Rückkehr begegnet man noch einmal Thomas Häfner, der 1948 im Alter von 20 Jahren zurück nach Deutschland kam, um nach seiner Mutter, die das Lager überlebte, zu sehen: In einer Vitrine wird seine Einreisekarte aufbewahrt.

Außerdem gibt es im Bereich der Exposition noch die Sonderausstellung Mon Oncle. Klaus und Heinrich Mann, eine Kooperation mit der Monacensia im Hildebrandhaus München, die bis zum 15. Dezember zu sehen ist.

Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933 bis 1945, begrüßte die knapp 400 Zuhörer im Saal: „Der 70. Jahrestag der November-Pogrome ist auch der 70. Jahrestag der Kindertransporte und der dritten Fluchtwelle. Die meisten, etwa 10.000 Kinder, wurden nach Großbritannien geschickt. Außerdem nahmen die USA, die Niederlande, Belgien, Frankreich, die Schweiz und Schweden Kinder auf.“ Viele dieser Kinder litten später an einer „Überlebensschuld“, weil sie ihre ermordeten Eltern nie wiedersahen.

Das Buch Rettet wenigstens die Kinder, herausgegeben von Angelika Rieber und Till Lieberz-Groß, gerade im Fachhochschulverlag veröffentlicht, schildert Schicksale von 20 Kindern und drei Helfern.

Frankfurts Bildungsdezernentin Sylvia Weber erinnerte an die gesenkten Blicke und verschlossenen Fenster am 9. November 1938. „Aber es gab auch Mutige, die jüdischen Menschen geholfen haben“, ergänzte sie. Das jetzt vorliegende Buch sei Ergebnis einer langjährigen Arbeit. Es soll nun an Frankfurter Schulen gelesen werden, „damit der Holocaust nicht einfach eine Seite im Geschichtsbuch ist“.

Es gehe auch um die Frage, wie jüdische Geschichte in einer Einwanderungsgesellschaft zu vermitteln ist. Weber verwies auf die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Aleida Assmann, die eine „multiperspektivische Erinnerungskultur“ fordert.

Weber informierte auch darüber, dass die Errichtung des Denkmals zur Erinnerung an die Kindertransporte in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs im März 2018 vom Ortsbeirat beschlossen worden ist. Das Denkmal soll durch Spenden finanziert und 2020 aufgestellt werden.

Doris Stein, Angelika Rieber, Waltraud Gieses, Hanna Eckhardt und Till Lieberz-Groß

Angelika Rieber, Herausgeberin und Mitglied des siebenköpfigen Autorenkollektivs, begrüßte die Zeitzeugen Renata Harris und Oswald Stein, auch ihre Schicksale werden im Buch geschildert. Der vorliegende Band sei ein Zwischenschritt, es gäbe noch viel über die Kindertransporte zu erforschen. Neben Angelika Rieber lasen die Autorinnen Doris Stein, Waltraud Giesen, Hanna Eckhardt und Till Lieberz-Groß Passagen aus dem Buch.

Nikolaus Reinhuber, Emily Calvelli-Adorno, Sylvia Asmus, Franziska und Joachim Reinhuber

In einem von Sylvia Asmus moderierten Podiumsgespräch unterhielten sich die Nachkommen von Elisabeth und Ludwig Calvelli-Adorno – die Geschwister waren 1939 nach Großbritannien verschickt worden. „Wir hatten insgesamt ein großes Glück“, sagte Nikolaus Reinhuber, Sohn von Elisabeth Reinhuber, geborene Calvelli-Adorno. Die Eltern von Elisabeth und Ludwig überlebten ebenfalls, nach acht Jahren Trennung fuhren sie das erste Mal zu Besuch nach England. Die Zeit hatte viel verändert, die Kinder hatten sich in Großbritannien eingelebt. „All diese Erfahrungen hatten sicher auch Auswirkungen auf uns, die Kinder der Transportkinder. Ich denke, wir sind tolerant, haben keine übertriebene Beziehung zur Heimat und sind weltoffen. Mein Onkel Ludwig hatte eine Münzsammlung und sagte einmal, dass man die überallhin mitnehmen könne. Das fand ich sehr bezeichnend.“

Joachim Reinhuber, ebenfalls Sohn von Elisabeth Reinhuber, umrahmte mit seinem Sohn Noah den Abend musikalisch.

JF

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