Gerhard Beckmanns Meinung – Der berühmte Dichter und Literaturtheoretiker T.S. Eliot hat als Cheflektor bzw. Verleger von Faber & Faber in London die Klappentexte von Novitäten selbst geschrieben. Könnten moderne Verleger, Lektoren und Buchwerber von ihm lernen?

Dass T.S. Eliot, einer der bedeutendsten wie einflussreichsten Dichter des 20. Jahrhunderts, ein Verlagsdirektor von Faber & Faber war, ist wohlbekannt; auch, dass er dort ein legendäres, wegweisendes Lyrikprogramm aufbaute. Ansonsten ist seine Verlagsstellung meist eher als Sinekure betrachtet worden – ein Irrtum, wie John Mullan jüngst bei seinen Recherchen für eine Geschichte zum 75jährigen Jubiläum des Hauses Faber entdeckte.

Nicht nur, dass T.S. Eliot seinen Verlagsberuf von 1925 bis zu seinem Tode 1965 generell ernst nahm. Er war sogar über vierzig Jahre fast täglich in seinem Büro und hat an allen Programmsitzungen teilgenommen, in denen über die Aufnahme neuer Titel entschieden wurde. (Sie fanden an jedem Mittwoch statt, open end, beginnend mit einem gemeinsamen Mittagessen.) Mehr noch: Er kümmerte sich intensiv um die Werbung und schrieb eine Fülle von Katalog- und Klappentexten selbst – „tausende“, wie ein Kollege festhielt: T. S. Eliot verfasste „so viele Waschzettel, dass es nahezu unmöglich scheint, wie er da noch die Kraft und die Energie fand, noch anderes zu schreiben“.

Auf den ersten Blick scheint, wie John Mullan bemerkt, T.S. Eliots Art des Werbetextens in unserer Zeit unvorstellbar.

So stellte er beispielsweise in seiner Verlagsankündigung das klassische Werk Nachtgewächsvon Djuna Barnes so vor: „Es handelt vom Elenden im Herzen des Elends. Lesern, die auf Grund ihres Naturells zu einem bequemen oder einem verängstigten Optimismus neigen, hat es nichts zu bieten.“

Abschreckend? So mag es auf das inzwischen auch in Verlagskreisen gängige Werbedenken wirken, das – zugespitzt formuliert – noch dem Seichtesten Substanz, selbst Gehaltvollstem Gängigkeit, auch tiefländisch Stereotypischem herausragende Aktualität und Hochrangigem Flachmännertum anzudichten neigt; das Niveaus einebnet, Massenware als Qualität stilisiert und Qualität als massenkonsumfähig niederpreist. Mit der Folge, dass immer weniger Bücher ihre Käufer und noch weniger Bücher ihre Leser zu finden vermögen: ein Aspekt der „Krise“ des Buches als Konsequenz einer Krise von Verlagen und Buchhandel, die – um des höheren Absatzes willen – den Eindruck zu erwecken suchen, als ob – nochmals zugespitzt – jedes Buch etwas für alle sein könnte, die lesen können. Ganz so, wie wenn es eigentlich nicht fast immer darum ginge, Käufern und Lesern zu vermitteln, was sie lesen wollen.

„Der Kunde ist König“ – eine These, die meines Wissens erst nach Lebzeiten T.S. Eliots von Produzenten wie Händlern zur Grundmaxime erhoben wurde. Sie bildet ein Kernthema der Bücher, die Verlage verlegen und Buchhändler vertreiben. Welche Publikumsverleger und Sortimenter aber beherzigen sie für ihr eigenes Geschäft?

Alle reden von „Zielgruppen“? Doch wer kennt die vielen unterschiedlichen „Zielgruppen“, deren Beachtung, mit einer entsprechenden Information und Ansprache, den jeweils höchstmöglichen Absatz eines bestimmten Titels sichert?

T.S. Eliot verantwortete auch den Faber-Prospekt für Geschenkbücher zu Weihnachten 1931. Er war nach Leserzielgruppen geordnet. Er enthielt auch eine besondere Vorschlagsliste mit Titeln für „Menschen, die Literatur ernst nehmen“.
Übrigens: T.S. Eliot, der in dem Rufe stand, wirklich elitär, wenn nicht gar kultursnobistisch zu sein, hat Faber & Faber auch eine Reihe von Bestsellern gebracht.

Er hat sogar, man könnte behaupten, als „Nebenprodukt“ der eigenen dichterischen Arbeit, seinem Verlag einen Band hinterlassen, der Faber & Faber als einem der ganz wenigen britischen Traditionshäuser, bis heute die Unabhängigkeit sichert.

Als die vor wenigen Jahren verstorbene Queen Mum – die Mutter der heutigen britischen Königin – T.S. Eliot kennenlernte, soll sie gekichert haben: „Ein Dichter der sogenannten Avantgarde, und er sieht aus wie ein aus dem Ei gepellter Banker der Londoner City.“

Für alle hier zu Lande, die es noch nicht wissen oder vergessen haben sollten: Bevor T.S. Eliot, der in Harvard studiert und sogar Sanskrit gelernt hatte, war, bevor er Direktor bei Faber & Faber wurde, acht Jahre lang als Banker bei Lloyd’s Bank in London gewesen. Und Geoffrey Faber, der Verlagsgründer, welcher T.S. Eliot 1925 an Bord holte, hatte nach dem Studium zunächst bei der Oxford University Press gearbeitet, danach die Familienbrauerei geführt und anschließend (bis 1950) als Fellow die Finanzen von All Souls, einem der ältesten,. reichsten und renommiertesten Oxforder Colleges verwaltet. Er hatte anfänglich selbst Gedichte und Romane veröffentlicht und seinen literarischen Verlag über die ersten Jahrzehnte mit medizinischen Titeln und Periodika finanziert.

Über die alte Verlagsgarde wird seit spätestens den 1970ern, als das Gerede von einer notwendigen „Professionalisierung“ des Buchgewerbes aufkam, gewöhnlich meist gelächelt. Solche „Professionalisierung“ war das Credo einer neuen Generation von angestellten Managern – so wie gerade damals auch die „Berufspolitiker“ aufkamen. Sie alle haben, keine Frage, Dinge bewirkt, die Altvordere wie etwa Geoffrey Faber und T.S. Eliot nicht in die Wege zu leiten geschafft hätten. Sie haben freilich auch – seit Mitte der 1970er Jahre – all jene Entwicklungen verursacht, die auch Verlagen, Buchhändlern wie Lesern – in Ermangelung des alten geschäftlichen Common Sense – eine Krise nach der andern bescheren.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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