Gerhard Beckmanns Meinung: Klagenfurt – die Jury gehört an den Pranger

Die Literatur ist in Gefahr, weil die Verlage zunehmend auf leicht lesbare und verkäufliche Unterhaltung setzen und der Buchhandel ebenfalls immer mehr die Tendenz zeigt, nur mehr Romane einzukaufen und zu präsentieren, die dem breiten Publikumsgeschmack entsprechen. So klagen unsere meinungsbildenden Feuilletons – zu Recht.

Heute kritisieren sie – einstimmig und offen – die gestern zu Ende gegangenen 27. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt: die Lesungen rund um den Ingeborg Bachmann-Preis. Man kann der „Jury wohl den Vorwurf nicht ersparen, dass sie zu viele schlechte Texte nach Klagenfurt geholt hat“, tadelt beispielsweise Roman Bucheli in der NZZ. Und Felicitas von Lovenberg moniert in der FAZ: „Von 18 Texten – jeder Juror hatte zwei ausgewählt – passierten zu Recht nur zwei die Auseinandersetzung relativ unangefochten.“ Sie tadelt, dass die Jury-Mitglieder entweder bei der Auswahl aus den Manuskript-Stapeln keine glückliche Hand hatten oder aber sich nicht genug Mühe gemacht hatten, mit den Autoren an ihrem Text zu arbeiten. Mit einem geradezu peinlichen Nebeneffekt: Mancher Juror war nicht einmal dazu imstande oder willens, „die von ihm vorgeschlagenen Texte gegen Kritik in Schutz zu nehmen“.

Die Vorwürfe sind korrekt, doch viel zu mild ausgedrückt. Man muss das Desaster in seinen wahren Dimensionen sehen:

Erstens
– Klagenfurt ist eines der wichtigsten Literaturereignisse im deutschsprachigen Raum. Es ist in Gefahr – was als einziger Elmar Krekeler zumindest am Rande bemerkt. Denn der Rechtspopulist Haider „will den Wettbewerb nicht erst abschaffen, seit er Landeshauptmann von Kärnten ist, weil er ‚totgelaufen’ sei“. Er ist umso mehr in Gefahr, „weil der Preis selbst im ORF anscheinend nur mit Mühe gerettet werden konnte“.
Wirklich gefährdet werden die Literaturtage allerdings nur durch eins: durch eine fahrlässig schlechte Vorarbeit der Jury. Wären die Lesungen in Klagenfurt gut, die Kritikerdebatten um die Texte dort lohnend und eine Aufregung wert – Haider würde es nicht wagen, die Sache ernsthaft in Frage zu stellen und der ORF gar nicht erst auf die Idee kommen, diesen Preis abzuschaffen.
Hier kann die Schuld einmal nicht auf die Verlage und den Buchhandel abgewälzt werden. Hier betätigen Literaturkritiker sich als die Totengräber einer grenzüberschreitend wichtigen kulturellen Einrichtung. Wie können sie nur so blind, dumm und weltfremd sein? Die Jury gehört an den Pranger.

Zweitens
– Klagenfurt ist eine eminent wichtige Möglichkeit, „Literatur an die Öffentlichkeit zu bringen. Wo kriegt sie denn im Fernsehen heute noch einen Sendeplatz vor Mitternacht mit mehr als 30 Minuten?“ gibt Elmar Krekeler, wiederum als einziger, in der WELT zu bedenken. ORF, SRG, die Kulturzeit des ZDF und 3Sat bieten eine einzigartige, ideale Chance, Literatur publik zu machen. Was sie in diesem Jahr zeigen konnten, war jedoch über weite Strecken stinklangweilig. Die Frage kann gar nicht laut genug gestellt werden: Warum vertun die Literaturkritiker, denen die öffentliche Vermittlung von Literatur doch am Herzen liegen müsste, so eine Chance? Werden sie damit nicht wiederum zu Totengräbern? Killen gerade sie damit nicht das Interesse der Öffentlichkeit an Literatur?
Natürlich haben sie mit dem Buch-Geschäft nichts am Hut. Aber warum unterminieren sie, wie in Klagenfurt, ausgerechnet die Arbeit der Verlage und Buchhändler, die sich noch immer für Literatur einsetzen?

Gerhard Beckmann wird hier regelmäßig seine Meinung sagen…. und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

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