Gerhard Beckmanns Meinung – Schlechte Zeiten für Zeitschriften und Zeitungen, oder: Für wen schreiben Journalisten eigentlich? Sind ihnen die Interessen der Leser egal?

Große deutsche Zeitungen bringen, wie übrigens auch die Neue Zürcher, immer wieder mal Berichte und Hinweise auf wichtige oder interessante Bücher – meist über im weitesten Sinne politische Themen -, die noch nicht in Übersetzung erschienen sind (oder, leider, auch kein so seltener Fall, nie erscheinen werden.) So etwas ist ein hervorragender Informationsservice.

Von Zeit zu Zeit – es scheint sich zu häufen – rezensieren sie solche Titel allerdings auch, obwohl die deutsche Übersetzung bereits angekündigt ist und kurz bevorsteht oder gar seit etlichen Wochen, wenn nicht Monaten lieferbar ist, ohne diese Tatsache zu erwähnen: also nur mit der Bibliographie des (meist) englischen oder amerikanischen Originals.

So auch wieder in der vergangenen Woche die NZZ zu einem aktuellen Sachbuch, das Ende Februar auf Deutsch herauskommen wird, und die Süddeutsche Zeitung in einer ausgezeichneten, lobenden Besprechung Madeleine Albrights Madame Secretary – Die Autobiographie, welche im September 2003 bei C. Bertelsmann verlegt worden ist.

Nun kann man sehr wohl verstehen, dass eine Rezensentin wie Viola Schenz, die bei der SZ als Auslandsredakteurin mit Schwerpunkt USA tätig ist, dieses Buch im Original gelesen hat. Vielleicht hat sie deshalb auch, quasi automatisch, zum Schluss die amerikanische Edition angegeben – obwohl die deutsche Übersetzung fast gleichzeitig erschien; obwohl die Redakteurin von deren Publikation mit Sicherheit gewusst hat (oder hätte wissen können); denn mir ist erinnerlich, dass der Amerika-Korrespondent derselben Zeitung, Wolfgang Koydl, zur Zeit der deutschen Veröffentlichung ein ganzseitiges Interview mit Madeleine Albright brachte, in dem (nur) der deutsche Titel erwähnt wurde.

Nun gut, jeder hat Erinnerungslücken; jeder macht Fehler. Dann hätte hier jedoch der Ressortleiter, der Chefredakteur, der Chef vom Dienst oder irgendeine Kontrollinstanz der Redaktion den Fehler bemerken und heben müssen (zumal dergleichen Beiträge ja nicht tutto presto ins Blatt gehoben werden). Oder sind die Sparmaßnahmen bei Zeitungen inzwischen so weit gediehen, dass sie sich solche einst üblichen Checks nicht mehr leisten (können)? Es wäre arg. Denn gerade bei einer positiven, die Lektüre empfehlenden Darstellung wäre der Hinweis auf die deutsche Ausgabe im Dienste des Lesers eigentlich doch selbstverständlich.

Eine Lappalie? Mag sein. Ich hätte die Sache wahrscheinlich auch nicht aufgegriffen, wenn mir nicht im Laufe des vergangenen Jahres noch etwas anderes aufgefallen wäre, nämlich eine eklatant zunehmende Angewohnheit deutscher Journalisten, Gazetten und Magazine – in der Schweiz oder in Österreich scheint sie jedenfalls noch nicht eingerissen zu sein.

Sie betrifft Autoren-Interviews. Und je prominenter ein Autor, insbesondere wenn er ein Sachbuch oder gar eine Autobiographie verfasst hat, desto häufiger ist sie zu beobachten: Das Buch, anlässlich dessen Publikation das Interview überhaupt gegeben wird; das die Grundlage für das Interview bildet, welches der Verlag arrangiert hat und für dessen Kosten, die Anreise des Autors betreffend, der Verlag außerdem meist aufkommt – dieses Buch wird im „Abspann“ oft gar nicht mehr genannt.

Über die Gründe von Journalisten und Printmedien für solches Verhalten zu spekulieren, ist müßig. (Schmeichelhaft wäre es für sie allerdings kaum.) Das Argument, welches einer anführte – „wir sind doch keine Verkaufsgehilfen von Verlagen und Buchhandlungen“ – ist, als Ausdruck einer reinen, prinzipiellen journalistischen Ausrichtung betrachtet, absolut richtig (in Anbetracht der extremen Abhängigkeit von Werbe-Einkünften vor allem so mancher Zeitschrift samt möglichen und unmöglichen Konsequenzen auf deren redaktionelle Gestaltung freilich wohl kaum ganz astrein). Lassen wir hier auch mal beiseite, dass ein solches Verhalten eine Unhöflichkeit gegenüber den interviewten Autoren darstellt; denn „journalists aren’t gentlemen“, wie ein englischer Schriftsteller, der noch einer ist, bemerkte.

Aber: Der Siegeszug des Internet hat viel damit zu tun, dass seine Benutzer die Informationen über „links“ erweitern, vertiefen können. Wer durch ein Interview auf das Anliegen, die Geschichte, die Person eines Autors neugierig geworden ist, mag sein Buch lesen wollen – von dem er vielleicht nichts erfährt, wenn der „link“ zum Buch fehlt. Im übrigen ist der schnelle, mühelose Zugang zu weiterführenden Informationen seit Einführung der Neuen Medien Standard geworden. Journalisten haben immer in Netzwerken gearbeitet; in Netzwerken orientieren sich heute auch (viele) Leser.

Das Weglassen der bibliographischen Angaben widerspricht nicht nur dem Sinn und Verständnis eines modernen Journalismus (auch) als Dienstleistung für den Leser. Es verrät einen medial vorsintflutlichen Journalismus. Eine Unprofessionalität, die den Printmedien nur schaden kann.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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