Hier zum Ausdrucken: Die Oktober-Krimibestenliste – auf Platz 1 Simone Buchholz

An der Spitze der Krimibestenliste September 2017 von FAS und Deutschlandradio Kultur finden Sie weiterhin auf Platz 1: Beton Rouge von Simone Buchholz 

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Mit der tollkühnen Anspielung auf die nördlich von New Orleans gelegene Hauptstadt Louisianas Baton Rouge im Titel verabschiedet sich Simone Buchholz (*1972, jüngst mit dem Radio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnet) in ihrem siebten Kriminalroman um Staatsanwältin Chastity Riley ein wenig aus dem heimischen Kiez Sankt Pauli.Zwar liegt ein Mädchen überfahren auf einer namenlosen Straße im Einzugsbereich der Davidswache, doch schon das Verlagshaus „Mohn & Wolf“, hinter dem man wohl Gruner & Jahr vermuten kann, liegt nicht mehr in Hamburgs bekanntestem Stadtteil. Vor diesem Verlag liegt geschunden und beengt in einem kleinen Raubtierkäfig ein nackter Mohn&Wolf-Manager. Es ist der Personalchef, der – realitätsnah – verantwortlich für üble Stellenstreichungen zeichnet. Doch die Ermittlungen der eingerichteten SoKo führen raus aus Hamburg, in die Vergangenheit dreier Männer, die die Schule, ihre Opfer, den Vorstandssessel im Verlag und eben auch den Käfig teilen.Der gewohnt brillanten Schreibe (Tolle Sprüche! Poetische Sprache) von Simone Buchholz ist diesmal deutliche Melancholie untermischt, trotz einer gewissen persönlichen Aufbruchsstimmung der Heldin am Ende.

„Mit Simone Buchholz haben wir eine frische, eigenwillige sprachbegabte Serienautorin auf der deutschen Krimiszene.“ (Jochen Vogt, WAZ, NRZ)

„Hier gibt es keine großen Effekte oder Schlachten gegen das Böse, sondern Unglücke des Alltags, die Chastity Riley zunehmend erschüttern. Diese Melancholie und nebelverhangene Stimmung ergeben mit dem eigenwilligen und besonderen Erzählstil von Simone Buchholz eine bestechende Mischung. Sie hat eine klar zu erkennende Erzählstimme, sie traut sich einen eigenen Stil zu und schafft dabei hinreißend eigenwillige Sprachbilder.“ (Sonja Hartl, Deutschlandfunk Kultur)

„Man möchte nicht Realität sein in den Romanen von Simone Buchholz. Sie wird ganz trocken auf den Kopf genagelt, die wirkliche Wirklichkeit.Chastity Rileys Blick ist so scharf und so böse wie liebevoll und bilderverliebt. Immer genau dann, wenn einem dieser Blick auf die Nerven zu gehen droht, nüchtert Buchholz ihre Staatsanwältin aus.“  (Elmar Krekeler, DIE WELT)

Neu auf der Krimibestenliste Oktober sind insgesamt vier Titel. Diesmal sind es je 1 deutscher, 1 amerikanisch-vietnamesischer, 1 australischer und 1  chinesischer. Vier Autoren. Mit zusammen 1569 Seiten. Bemerkenswert: Die beiden ost-asiatischen Titel behandeln historische Stoffe in Form eines  Agentenromans.

NEU sind:

Auf Platz 2: Ermordung des Glücks von Friedrich Ani

Friedrich Anis zweiter Roman mit dem pensionierten Kommissar und ehemaligen Leiter der Mordkommission Jakob Franckh verfolgt ein Thema, das in der Kriminalliteratur selten ist und fast immer nur im Klischee behandelt wird. Wem und wozu nützen eigentlich die Ermittlungen?
Die Standardantwort ist einfach: Sie nützen der Unterhaltung des Lesers. Egal, ob der Fall geklärt wird, egal, ob eventuelle Täter geschnappt werden – meist ist danach Schluss. Für die überlebenden Angehörigen, die Opfer eines Mordes, und auch für die Arbeit der Kriminalisten bleiben oft nur Phrasen. Die Angehörigen verlangen je nach Kulturkreis Aufklärung, Genugtuung oder Rache; die Ermittler wenden sich, nachdem sie den Opfern, damit sind die  Getöten gmeint, „ihre Stimme gegeben haben“, neuen Fällen zu.
Das Großartige und Gewagte an Ermordung des Glücks (was auch das Pathos des Titels rechtfertigt) ist, dass Ani die Frage radikal stellt. Nachdem Jakob Franckh nach 34 Tagen Suche den Eltern des elfjährigen Lennard die Nachricht überbracht hat, dass der fröhliche, musikalische Schüler und talentierte Mittelstümer mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden wurde, beginnt ein Wettlauf: Wer gibt eher auf? Die von Schuldgefühlen, Kummer und Erinnerungen an frühere Schuld aufgefressenen Eltern und Verwandten oder die Polizisten und ihr Helfer Franckh, die keine Spuren, keine Verdächtigen und kaum verwertbare Hinweise finden können? Die Polizei unterstellt, das Wissen um den Hergang würde die Angehörigen entlasten, und sie glauben das auch ein wenig. Aber – und das löst Ani großartig – diese Hoffnung erweist sich als vergeblich. In mehrfacher Hinsicht.
Friedrich Anis Ermittler kennen stets und nur allzu gut die Mühen der Ebene. Ihnen fliegt nichts zu, sie müssen schon Steinchen auf Steinchen legen, Arbeitsschippe auf Arbeitsschippe häufeln, ehe sie den Menschen finden, den sie als Täter suchen. Keineswegs aber ist das, was eine „Lösung“ genannt wird, eine ausgemachte Sache. Und immer bleiben Schatten, die einfach nicht aufzuhellen sind. Auch in Ermordung des Glücks plagen Franck die Fälle, die er nicht klären konnte. Und auch hier sind am Ende nicht alle Fäden entwirrt, nicht alle Fragen beantwortet.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Auf Platz 5: Der Sympathisant von Viet Thanh Nguyen

In den USA, jedenfalls im liberalen Teil, wurde Der Sympathisant wie eine lange erwartete Korrektur aufgenommen. Und tatsächlich will der 1971 in Buôn Ma Thuột, Südvietnam, geborene Viet Thanh Nguyen, der seit seinem vierten Lebensjahr in den USA lebt und heute als Professor englische und amerikanische Studien in Los Angeles lehrt, nicht nur das Bild der eingewanderten Vietnamesen zurechtrücken. Er hat der amerikanischen Unterhaltungsindustrie den Krieg erklärt. Denn mit Filmen wie Apokalypse Now oder The Platoon sei es den Kriegsverlierern, den USA gelungen, die Geschichte zu schreiben. Ein Job, der bisher den Siegern zukam.
Der Sympathisant ist Nguyens erste Schlacht im Krieg um kriegsgeschichtliche Fiktion-Hegemonie. Zweifellos muss einer jüngeren Generation, die den Vietnamkrieg nur aus diesen Filmen kennt, die Geschichte neu erzählt werden. Er erzählt sie witzig, ironisch, böse. Aber dass dies ein verbohrter imperialistischer Krieg mit all seinen wahnwitzigen Kollateralschäden zur Stabilisierung korrupter, sadistischer Regimes war, die angeblich westlichen Werten verbunden waren, ist wirklich nicht neu. Auch die These, dass weder Francis Coppola noch  Oliver Stone sich je aus der imperialistischen Denksperre lösen konnten, die die Vietnamesen nicht als Akteure ihrer Geschichte begreifen konnte, sondern nur als Opfer, Dienstboten oder Deppen, wird zwar in einer sehr schönen Passage über die Beraterrolle des Sympathisanten bei der Filmproduktion auf den Philippinen beschrieben. Aber auch sie ist nicht überraschend. Nguyens Versuch, die Amerikaner auf dem heimischen Terrain des Spionagethrillers zu schlagen, kann deshalb nicht völlig aufgehen, weil er klugerweise seinen namenlosen Helden nicht nur als französisch-vietnamesischen „Bastard“ zwischen allen Stühlen ins Leben schickt, sondern weil ein Doppelagent vielleicht tapfer, aber niemals heldenhaft im Sinne eines vorbildlichen Handelns sein kann. Und ein tragischer Held wie der Imperialist und Kannibale Kurtz ist er auch nicht, bloß ein tapferer mann zischen den Fronten, der aus Zuneigung zu einem Freund eine taktisch falsche Entscheidung trifft. Deshalb ist ihm ein „vietnamesischer Standpunkt“, den etliche Rezensenten, Absicht wie Text missverstehend, in Nguyens Buch entdecken wollten, verwehrt. Sein Lebensbericht ist eine Beichte, die er in einem Umerziehungslager ablegt, nachdem er bei einem Versuch von ihm unterwanderter Exilvietnamesen, Vietnam zurückzuerobern gefangen genommen wurde. Klugerweise hat Nguyen nur Gegengeschichte geschrieben, manchmal spannend, manchmal bösartig, oft auch etwas superbesserwisserisch. Dafür hat er den Pulitzerpreis für Literatur erhalten. Ich bin auf den Folgeroman gespannt.

Auf Platz 9: Die Ratten von Perth von David Whish-Wilson 

Die Situation, in die der australische Autor David Whish-Wilson (*1966 in Newcastle, new South Wales), Superintendent Frank Swann klemmt, ist verfahren: Er wurde strafversetzt, seine Tochter ist entführt, sein Ruf wurde systematisch ruiniert und erselbst weiß nicht, wann sie ihn um legen werden. Sie, das sind die im Purple Circle von Perth organisierten Bullen, denen er Korruption nachweisen will. Er hat eine königliche Untersuchungskommission angestrengt, was ihm, trotz der Ehrbarkeit des vorsitzenden Richters, auch kaum etwas zu nützen scheint: die Gegenmacht ist übergroß. Gangster, Politiker, Polizei und Unternehmer – alle sehen in ihm das Hindernis, das es zu beseitigen gilt.  Dass, und vor allem, wie es Swann gelingt, zu überleben, ist einfach Klasse geschrieben und macht schwer Lust auf die kommenden Bände der Trilogie.

 „Whish-Wilson schafft es, einen durchaus nicht übertrieben heldenhaften, aber aufrechten Polizisten zu zeichnen, dem man bald die Daumen drückt.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Auf Platz 10: Die Verschwörung von Shanghai von Xiao Bai

Xiao Bai (*1968) ist der zweite zeitgenössische chinesische Krimiautor aus Shanghai, den man auf Deutsch lesen kann. Der ältere Qiu Xiaolong war der erste, er lebt aber schon lange in den USA. Xiao Bai hingegen lebt in Shanghai. Vielleicht deshalb hat er in seinem Romandebüt einen historischen Stoff gewählt. Die verwickelte Geschichte spielt 1931, als die macht der ausländischen Konzessionen in Shanghai am größten war, aber die nationale Regierung der Kuomintang unter dem Druck der KP bereits nach der macht durchgriff. In dieser Situation beobachtet der französisch-chinesische Fotograf Hsueh Weiss, liiert mit der Waffenhändlerin Therese Irxmayer, eine Chinesin beim Verlassen eines Schiffes. Kurz darauf ist sie Witwe, ihr Mann, Chef der Militärjustiz, wurde erschossen. Wie sich herausstellt, mit ihrem Wissen. Sie ist Mitglied der von Altkader Ku geleiteten KP-Zelle. Hsueh, Mischling und überhaupt ein Mann zwischen den Fronten wie Nguyens Sympathisant, versucht, beide Frauen zu retten, indem er sich der französischen Polizei als Doppelagent andient.An der Oberfläche ein spannender Abenteuer- und Agentenroman, stellt er auf einer tieferen Ebene die heute noch brisante Frage nach dem Sinn von politischer und persönlicher Loyalität in einer Umbruchszeit.

Xiao Bai lässt Schatten und ihre Ungewissheiten und Vieldeutigkeiten zu. Er zeichnet nicht schwarz und weiß. Seine Figuren erscheinen manchmal herzlich unmoralisch, manchmal opportunistisch, bisweilen als Überzeugungstäter, sind womöglich auch nur diskret bei ihrer Sache und darum schwer einzuschätzen.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Die Dauerchampions: Zum dritten Mal stehen Simone Buchholz mit Beton Rouge und Robert Hültner mit Lazare und der tote Mann am Strand auf der Krimibestenliste.

Die Krimibestenliste Oktober wird am Sonntag, den 1.10.2017 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gedruckt veröffentlicht, und ist online wiederzufinden unter  www.faz.net/krimibestenliste
und www.deutschlandfunkkultur.de/krimibestenliste (ab Montag).
Unter diesen Webadressen finden Sie immer die aktuelle Krimibestenliste.

 

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