Dr. Hans-Robert Cram über 175 Jahre Verlagsgeschichte Reimer Verlag „In 175 Jahren hat ein Betrieb schon viel durchgemacht, Krisen erlebt, auch deutlich größere als jetzt“

Der Berliner Reimer Verlag hatte sich sein Jubiläumsjahr und den Rückblick auf 175 Jahre Verlagsgeschichte anders vorgestellt. Die Jubelfeier fand digital und völlig anders als geplant statt, wir hatten darüber berichtet. Aber 175 Jahre Verlagsgeschichte, machen die nachdenklich? Das war Anlass für Fragen an Reimer-Verleger Dr. Hans-Robert Cram:

Das Reimer Team im Jubeljahr von links: Anna Felmy (Lektorat), Ben Bauer (Herstellung), Katharina Karbstein (Vertrieb), Ingrid Schule (Pressearbeit), Marie-Christin Selig (Herstellung), Dr. Hans-Ulrich Cram mit Verlagshund, Merle Ziegler (Lektorat), Beate Behrens (mit Palme, Verlagsleitung Reimer und Reimers „Urgestein“)

 

Werden Sie wenigstens das 200. Jubeljahr feiern? Ein Jahr wie dieses – denken Sie gelegentlich darüber nach, ob ein Verlag Ihres Zuschnitts weitere 25 Jahre übersteht?

Hans-Robert Cram: Ihre Frage kann ich schon verstehen. Aber habe ich das Gefühl, dass uns in den nächsten 25 Jahren das Wasser abgegraben wird? Nein, nicht wirklich. In 175 Jahren hat ein Betrieb schon viel durchgemacht, Krisen erlebt, auch deutlich größere als jetzt.

Ich habe nicht auf Corona angespielt, sondern etwa auf Umwälzungen durch die Digitalisierung oder der Nutzer Gewohnheit – und vor allem die Forcierung von Open Access derzeit gegen Wissenschaftsverlage wieder Ihren.

Klar, die Politik ist mit ihren immer höher gehängten Schranken des Urheberrechts und der Forcierung von Open Access derzeit gegen Wissenschaftsverlage eingestellt. Aber worum geht es der Politik dabei eigentlich? Ursprünglich war das eine Politik gegen die Oligarchie der großen stm-Konzerne, die durch massive Monopolisierung und exzessive Preispolitik die wissenschaftlichen Bibliotheken in die Enge getrieben haben. Auf die Fragen, was die Verlage eigentlich für die Wissenschaft tun und warum die stm-Zeitschriften so teuer sein müssen und werden Jahr für Jahr sogar noch teurer werden, war die vermeintlich einfache Antwort: wir brauchen diese teuren Verlage gar nicht. Es geht auch ohne. Ganz umsonst in Internet.

Ja, danach frage ich ja, wenn es das alle im Internet gratis gibt …?

Ja, was vor allem gegen die Oligarchisierung der stm-Konzerne gerichtet war, wurde in erster Linie zum Schaden der kleinen und mittleren Wissenschaftsverlage. Die Großen fanden schon ihre Mittel und Wege, mit dieser Politik klarzukommen, weil sie auf viel mehr Ressourcen zurückgreifen; die kleinen und mittleren Verlage hingegen sind inzwischen weitgehend verschwunden, sei es insolvent, aufgekauft oder stillgelegt, und die Reste, soweit wirtschaftlich noch interessant, haben wiederum die Großen sich einverleibt. Das eigentliche Ziel, die Marktmacht der Großen einzuschränken, ging somit nach hinten los: Jetzt sind die Großen im Gegenteil noch stärker, die Kleinen kaum mehr existent.

Warum sind Sie dann so entspannt? Weil Sie groß genug sind? 

Wir sind nicht groß, aber als Wissenschaftsverlag etwas anders aufgestellt. Unser Programmschwerpunkt liegt neben der Ethnologie auf den Gebieten der Architektur, Kunstgeschichte und Archäologie, das sind Gebiete, bei denen Abbildungen eine wichtige Rolle spielen; Computer und Lesegeräte sind dafür nicht das ideale Medium. Aber der Versuch, die Marktmacht der Großen einzuschränken, ging auch deswegen nach hinten los, weil die zugrundeliegende Vorstellung, alles kostenlos im Internet selbst machen zu können, eine massive Fehleinschätzung war.

In wie fern?

Immerhin, heute ist auch die Politik schon einen Schritt weiter. Niemand spricht mehr davon, dass das, was die Wissenschaftsverlage tun, auch ganz „umsonst“ und open access im Internet zu haben sein könnte. Inzwischen hat jeder erkannt, dass auch Open Access immens teuer ist. Server müssen betrieben, Inhalte gehostet, Systeme programmiert werden. Und es geht nicht nur um einmalige Entwicklungs- und Aufbaukosten, sondern um regelmäßige Ausgaben: Die Systeme müssen gepflegt werden, man benötigt eine ständige Hotline mit flexiblem technischen Service, die Systeme brauchen regelmäßig Updates, und vor allem: eine Dauer-Archivierung ist im elektronischen Bereich um ein Vielfaches teuer und aufwändiger als bei Drucksachen. Open Access ist ein Geschäftsmodell, jetzt sogar anerkanntermaßen, sogar Wissenschaft und Politik haben das inzwischen erfasst und handeln entsprechend.

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie es in Ihrem Markt aussieht …

… das größte Geschäft machen wieder einmal die großen stm-Konzerne mit ihrer enormen Finanzkraft, denn zum Aufbau solcher Open Access Plattformen sind riesige Kapitalmengen erforderlich. Aber durchaus nicht ausschließlich die Großen: denn es wird eine gewaltige Menge an Steuermitteln in die Entwicklung öffentlicher Plattformen gepumpt, die es auch den kleinen und mittleren Wissenschaftsverlagen erlaubt, Open Access Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wie gesagt: es geht um Geschäftsmodelle. Open Access muss – das ist mittlerweile allgemein anerkannt – bezahlt werden, sei es durch die von den Autoren zu tragenden Processing Charges, oder durch Wissenschaftseinrichtungen oder Forschungsinstitute.

Garantiert das die Zukunft?

Ja, denn auf diese Weise können auch kleine und mittlere Verlage von den neuen Entwicklungen profitieren, indem auf öffentlich geförderte Strukturen zurückgegriffen wird. Aber ist das die Zukunft? Vielleicht. Möglich ist aber auch, dass bald Ernüchterung und eine Gegenbewegung einsetzen wird.

Welche könnte das sein?

Man wird sich fragen: sind denn die geradezu beängstigenden Massen an Steuermitteln wirklich gut angelegt? Eine Langzeit-Archivierung ist im elektronischen Bereich fast nicht möglich, oder extrem teuer. Viele der durch eine Anschubfinanzierung ins Leben gerufenen Projekte sind nach Auslaufen dieser Finanzierung wieder im digitalen Nirwana verschwunden. Nicht wenige Bibliotheken, die enorme Summen in die Entwicklung digitaler Plattformen gesteckt haben, erkennen jetzt, dass der Dauerbetrieb dieser Plattformen schmerzhaft teuer ist. Da können schon üble Gedanken aufkommen: hätte man diese riesigen Geldsummen nicht vielleicht besser in die Anschaffung von Büchern gesteckt?

Das Digital-Paradies ist also nicht wirklich so paradiesisch, wie deren Verfechter uns glauben machen wollen?

Was wir im Reimer-Verlag erleben, ist jedenfalls schon durchaus zwiespältig. Neben den Verfechtern der „digital-only“-Strategie gibt es auch eine deutliche Gruppe derer, die auf das gedruckte Buch setzen. Die allermeisten wollen beides: Open Access ja, aber um Himmels willen nicht auf das Buch verzichten! Und schön soll das Buch werden, gut ausgestattet, wertiges Papier, perfekt gedruckte Abbildungen. Dafür wird dann auch Geld aufgebracht. Na klar, ein Buch ist schließlich ein Produkt fürs Leben. Aber kann sich noch jemand an die Software-Programme aus den 1990er Jahren erinnern?

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

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