Bilder, Notizen und Gedanken von Ulrich Störiko-Blume zur Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch „Irgendwann zünden wir die lit Branche an und bauen alles neu auf“

Das Schwerpunkt-Thema des diesjährigen Treffens der IG BellSa (erstmals wieder seit 2020) war das Themenfeld „Sensibilität/kulturelle Aneignung/Shitstorms“. Manche Vorkommnisse erhalten viel Publizität, wie der Rückzug des Ravensburger Verlags von seinem Winnetou-Buch, vieles aber spielt sich hinter verschlossenen Lektoratstüren bzw. in manchen Köpfen ab. Eine gute Initiative also des BellSa-Sprecherkreises mit Dr. Constanze Neumann (Aufbau), Dr. Andreas Rötzer (Matthes & Seitz) und Dr. Jonathan Beck (C.H. Beck), diese Thematik in den Mittelpunkt zu stellen.

Die diesjährige Versammlung der IG Belletristik am 26. Januar in München war gut besucht

Doch natürlich müssen auch die üblichen Regularien stattfinden, wie das aufmunternde Grußwort der Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs, die ihr Thema „Resilienz in herausfordernden Zeiten“ in klare Bilder zu fassen wusste. Sie beschrieb viele Leistungen der Branche, die sie immer mit einem selbstbewussten „Wegen uns“ einleitete, z.B. „wegen uns gehen die Lichter auf den Nachttischen später aus“. Und das ist schließlich das Gegenteil von fehlender Erleuchtung der Gehirne.

Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs im Gespräch mit Torsten Casimir (Frankfurter Buchmesse) und Felicitas von Lovenberg (Piper)

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins bekannte in seiner Begrüßung: „Vielfalt ist unsere Zukunft“ – und machte das auch konkret. 70 Prozent der BöV-Mitglieder schrieben Umsätze von weniger als 600.000 Euro. Gemeinsam können wir Aufgaben lösen und neuen Herausforderungen begegnen – wie etwa der Meinungsbildungsprozess zum Thema Mindestpreis gezeigt hat, „über Silos und Schrebergärten hinweg“.

Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff bei seinem kompakten Bericht über das Jahr 2022 mit dem Motto „Vielfalt ist unsere Zukunft“

Marie Schmidt (Süddeutsche Zeitung) ließ mit ihrem Impulsvortrag „Braucht Sensibilität Nachhilfe?“ den Puls höher schlagen, gerade weil sie es sich zum Ziel gesetzt hatte, von der gegenseitigen Aufgeregtheit abzulassen. Im Kern gehe es um „gesellschaftliche Aufmerksamkeit für gesellschaftlich relevante Unterschiede“. Dabei müsse man wegkommen einerseits von der „anekdotischen Evidenz“, also der Absolutsetzung von Einzelfällen, zum anderen von melodramatischen Beschwörungen wie „Das ist das Ende der Literatur“. Sie kritisierte die zunehmende Zahl von Triggerwarnungen in neuen Büchern, und erinnerte daran, dass es eine gute Tradition von Vor- und Nachworten gibt, die eine Geschichte viel besser kontextualisieren können als solche auf Etiketten verkürzte Alarmierungen. Sie bezweifelte, dass die Herkunft zum entscheidenden Qualfikationsmerkmal für den Lektoraten übergestülpte Manuskriptbearbeitungskräfte werden könne, entscheidend sei schließlich die literarische Qualität. Die Kennzeichnung von Büchern als „sensitivity-lektoriert“ könne sich als Feigenblatt erweisen, das eher zur weiteren Partikularisierung der Gesellschaft beitrage, denn nur „vom Wissen über andere kommt Sensibilität“. Im übrigen sei es wohl auch eine finanzielle Frage, wie viele Einzel-Lektorate die Kalkulation eines Buches überhaupt erlaube.

Podiumsrunde zum Sensivity Reading

In der anschließenden Gesprächsrunde, moderiert von Dr. Torsten Casimir in seiner neuen Funktion als Sprecher der Frankfurter Buchmesse, ging Marie Schmidt mit je zwei Verlagsvertreterinnen und Sensitivity Readerinnen auf die Verlagspraxis ein. Auf dem Podium saßen Dr. Susanne Krones (Programmleiterin Deutschsprachige Literatur, Penguin, München), Jade S. Kye (freie Lektorin und Sensitivity Readerin), Victoria Linnea (freie Lektorin und Sensitivity Readerin, Greven), Ulrike von Stenglin (Verlagsleiterin hanserblau, Berlin).

Die beiden Sensitivity Readerinnen Jade S. Kye und Victoria Linnea in der Debatte mit Marie Schmidt (Süddeutsche Zeitung) in der Debatte „Braucht Sensibilität Nachhilfe?“

Kye bevorzugte den Ansatz vieler Self-Publisher, die sich bereits mit ihr beraten, bevor ein Buch geschrieben wird gegenüber den Vorgehensweise von Verlagen, die meist mit einem fertigen Manuskript kämen, das dann auf offene oder versteckte diskriminierende Aspekte hin abgeklopft wird. Krones wies darauf hin, dass man in der Literatur „immer Figuren haben wird, deren Perspektive man nicht teilt“. Linnea verglich ihre Dienstleistung als Ergänzung des Lektorats mit der Kombination von Wissenschaften, also etwa der Bio-Informatiker. Die von ihr verkündete Bereitschaft, Kompromisse zu finden, erschütterte sie allerdings selbst, indem sie dem aus der Buchhandelspraxis berichtenden Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl, München) beharrlich das Wort abschnitt und ihn – offenbar selbst ahnungslos, was seine Rolle in der IG Meinungsfreiheit betrifft – der Ahnungslosigkeit zieh.

In der Diskussion darüber, was Sensitivity Reading kann oder nicht, meldet sich Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl und IG Meinungsfreiheit) zu Wort

Die Spannung im Saal begann zu knistern, als sich die Verlegerin Antje Kunstmann zu Wort meldete, sich gegen eine Auslagerung von Verantwortung aussprach und bei vielen im Saal ein Nicken auslöste, als sie sagte „Es ist nicht erstrebenswert, politisch korrekte Literatur zu haben“. Als dann auch die Sensitivity Readerin Kye explodierte, weil sie ein rassistisches Wort vernommen hatte (es ging um die sorgfältig edierte Neuübersetzung von Margret Mitchells Vom Wind verweht durch Andreas Nohl), konnte kaum jemand den emotionalen Druck gutheißen, mit dem die bloße Erwähnung solcher Wörter in historischen Zusammenhängen als untragbar empfunden wurde. Ihre unverhohlene Missbilligung, dass unter den versammelten Verlegerinnen und Verlegern keine „Person of Color“ (doch: eine!) zu finden sei, wurde nicht gerade als eine vertrauensbildende Maßnahme eingeschätzt. Casimir brachte die Stimmung so auf den Punkt: „Wir sind einander eine ziemliche Zumutung.“

Am Nachmittag übrigens – nach dem Ende der Veranstaltung – fasst Jade S. Kye auf Twitter ihre Gefühlslage folgendermaßen zusammen: „Irgendwann zünden wir die lit Branche an und bauen alles neu auf. Der Tag wird aber nicht heute sein.Undenkbar ist eine Verlegertagung ohne den Punkt „Aktuelle rechtliche Entwicklungen für die Buchbranche“ mit Prof. Dr. Christian Sprang, dem Justiziar des Börsenvereins. Thema Nr. 1 in der Lobby-Politik des Vereins ist das Thema „E-Lending“. In Berlin wird ein neuer runder Tisch eingerichtet, um die Interessen des Bibliotheksverbands mit denen der Urheber und Verlage abzustimmen. Um Grundlagen für weitere Entscheidungen zu erhalten, soll zunächst ein Gutachten erstellt werden, das die Nutzerzahlen ermittelt.

VG WORT: Nachdem der bisherige kaufmännische Geschäftsführer Rainer Just (der durch seine berufliche Biographie Verlagserfahrung in die Arbeit einbringen konnte) in den Ruhestand verabschiedet wurde, konnte bisher kein Nachfolger engagiert werden, da alle sechs Berufsgruppen zustimmen müssen. Die Berufsgruppe der Journalisten konnten die Neubesetzung verhindern, da ihnen Kandidaten mit Verlagserfahrung nicht recht waren. Sprang appellierte an die Verleger, unbedingt auch Mitglied der VG WORT zu werden. Wenn man nur Wahrnehmungsberechtigter ist, funktioniert zwar die ganze Abwicklung der Beteiligung an den Ausschüttungen, aber die Geschicke des Vereins können nur Mitglieder bestimmen. Da bei den Mitgliederversammlungen oft viele freie Journalisten anwesend sind, können die durch ihre bloße Zahl Abstimmungen gewinnen, die aus Verlagssicht unsinnig und mitunter rechtlich fraglich sind. Die Aufnahmegebühr ist gering, der jährliche Mitgliedsbeitrag erst recht.

Insolvenzen bei den Verlagsauslieferungen: Beispiel SOVA. Die Rechtsabteilung des Börsenvereins konnte helfen, bei kleineren Verlagen Anschluss-Insolvenzen zu verhindern.

„Schrottbücher“ bei Amazon-Marketplace: Im Ratgeber-/Sachbuch-Bereich kommt es immer öfter zu nachgemachten Buchtiteln, die sich an den Erfolg von Trend-Themen wie „Makramee“ dranhängen. Leider kommt man gegen solche „Me-too-Produkte“ in der Regel juristisch mit einer Plagiats-Klage nicht durch. Interessant die Auskunft, dass auch Amazon selbst das nicht haben will, wie deren Justiziarin kürzlich dem BöV-Justiziar bestätigt hat. Solche schlecht gemachten Bücher widersprechen dem Amazon-Credo, dass man den Kunden nur gute Bücher anbieten will. Wenn ein Verlag, mitunter ein Self-Publisher, dergleichen systematisch macht, wird er von Amazon bei Wiederholung ausgelistet. Irrwitzigerweise gelingt es solchen Verlag mitunter, Amazon gerichtlich dazu zu zwingen, solche Bücher wieder in den Vertrieb zu nehmen. Ja, auch für das große A. läuft nicht alles so, wie es will.

Wäre ein Gütesiegel eine gute Idee? Im Prinzip ja, aber praktisch nein, da sehr aufwändig, denn jedes einzelne Buch müsste von einer neutralen Instanz wie dem TÜV geprüft werden.

Rote Preisaufkleber bei preisgebundenen Büchern: Für viele Buchhändler ein Ärgernis, weil es Preisgünstigkeit suggeriert, die de facto nicht gegeben ist. Die Wettbewerbszentrale hat sich dazu leider nicht eindeutig entschieden. Sprangs Tipp: Je weiter die Farbe eines Preisaufklebers von flammendem Rot entfernt ist, desto unproblematischer.

Dauerthema Konditionenspreizung / Preisbindung § 6 Abs. 2: Eindringlicher Appell an die Verlage,  unbedingt bis zum 31.01. den Fragebogen zu den Konditionen auszufüllen. Nur dann kann ermittelt werden, wie sich die Konditionen tatsächlich entwickelt haben. Dabei geht es nicht darum, konkrete Angaben pro Unternehmen zu ermitteln oder gar zu veröffentlichen.

Rechtsstreit mit Ebay: Adventsrabatt von 10 Prozent bei preisgebundenen Büchern. Dieses gefährliche Unterlaufen der Buchpreisbindung sieht noch einer mündlichen Verhandlung beim Oberlandesgericht entgegen; bisher lassen die Richter nur unzureichendes Verständnis der Problematik erkennen. O-Ton Sprang: Möglicherweise muss hier „last exit Gesetzgeber“ angesteuert werden.

Zum Abschluss noch ein Bonmot des Juristen: „Wer mich anruft, geht oft nicht mit einem rechtlichen, sondern einem lebenskundlichen Rat davon.“

Dr. Ilas Körner-Wellershaus (Verlagsleiter Ernst Klett Verlag, Stuttgart) – mit dem selbstironischen Humor eines gestandenen Schulbuch-Experten begann er seinen Ausblick auf die Zukunft des Schulbuchs mit der Bemerkung „Eigentlich haben Sie Hunger, aber jetzt müssen Sie erst noch ein bisschen lernen.“ An wenigen einleuchtenden Beispielen aktueller Schulbücher zeigte er auf, dass aus dem Buch eine Medienplattform geworden ist. Sein Thema: „Wenn das Buch kein ‚Buch‘ mehr ist und wie sich das auf das Urheberrecht auswirkt – Ein Blick aus der Bildungsmedienwelt in Richtung Sach- und Fachbuch“.

Bildungsverlage nennen sie sich heute viel lieber als Schulbuchverlage, zumal viele Bildungspolitiker meinen, „die Digitalisierung löse die pädagogischen Probleme der letzten 2000 Jahre“. Moderne Schulbücher erscheinen zugleich als E-Book, das wiederum ein pdf des gedruckten Buches ist. Man kann allerdings reinschreiben, markieren, eigenes Material einfügen etc. Für Lehrpersonen gibt es eCourse: Scrollen statt Blättern, mit Lehr-Videos, Audios, Spielen, Text to Speech mit direktem Feedback, individuellen Lernstrecken. So ist der Content Buch in eine Website eingebaut, er besteht aus einer Sammlung von Textelementen verschiedener Urheber zu einem Themengebiet, erstellt aus einer Datenbank. Die Redaktion gibt das Konzept für ein solches Lehrwerk vor und sucht dann dafür Autoren.

Jetzt kommt der entscheidende Punkt, an dem Körner-Wellershaus schon länger arbeitet: Für solche Werke reicht das Urheberrecht nicht aus, eine verlässliche rechtliche Grundlage könnte ein Leistungsschutzrecht der Verlage bieten, das wir heute nicht haben. Die Gespräche mit dem BöV dazu werden geführt, zumal diese Frage auch für Sach- und Fachbuchverlage interessant sein kann.

Um den Umgang mit Shitstorms ging es beim Impulsvortrag von Jens Balzer (Autor und Journalist)

„Können wir noch die Friedenspfeife rauchen? – Warum die Kritik an kultureller Aneignung gerechtfertigt ist – und wie wir den Eigensinn der Kunst dagegen verteidigen“. Die Debatte hält er für relevant, erinnert aber daran, dass die Aneignungs-Debatte im deutschen Sprachraum selbst angeeignet ist, sie kommt aus den USA, schon in den 90er Jahren wurde das diskutiert. Balzer sinngemäß: Keine kulturelle Entwicklung würde es geben, wenn man Aneignung komplett untersagen würde. Eigne es dir an, aber tue es richtig. Wie das geht, findet man im Gespräch heraus.

Gesprächsrunde zu Shitstorms

In der anschließenden Gesprächsrunde (leider ohne die erkrankte Klett Kinderbuch-Verlegerin Monika Osberghaus, die erfahren und souverän im Umgang mit Shitstorms ist), ebenfalls moderiert von Dr. Torsten Casimir, trafen sich Jens Balzer, Tobias Graser (Konzepter und Texter, Turn Storytelling, München) und Frank Menden (Buchhändler stories!, Hamburg). Menden war in der Jury zum Deutschen Buchpreis, die 2022 Kim L´Horizon ausgezeichnet hat, und bekam dafür eine Welle von Hass-Mails und auch persönliche Angriffe in der Buchhandlung, z.B. indem ihm von ansonsten vornehm-hanseatischen Kunden das Buch vor die Füße geknallt wurde. Mendens Fazit: „Man muss versuchen, obwohl es persönlich ist, es nicht persönlich zu nehmen.“

Im Fall des Ravensburger Winnetou-Buches hat der Verlag „die Silberbüchse möglicherweise zu früh ins Korn geworfen“, wie Balzer bemerkte. Denn der Shitstorm kam erst in zweiter Instanz, und zwar durch Titelseiten der BILD-Zeitung. Sensationen zu schüren ist eben das Geschäftsmodell dieses Blatts. Einig waren sich die Podiums-Teilnehmer wohl darüber: „Mit Shitstorms geht man besten um, indem man Verantwortung übernimmt.“

Ganz zum Schluss versuchte Kye noch, mit einer versöhnlichen Note die mögliche Akzeptanz ihres Wirkens zu retten. Wenn ein Verlag als Reaktion auf eine berechtigte Kritik Umbenennungen vornehme, sei das eine richtige Reaktion. Sie freue sich über jeden Verlag, der nicht-rassistische Bücher macht: „Endlich noch ein Buch, das ich lesen kann, ohne in Tränen auszubrechen“.

Wenn das keine guten Aussichten sind …

Ulrich Störiko-Blume

 

Kommentare (30)
  1. Was für ein tendenziöser Beitrag. Er zeigt einmal mehr, dass derzeit leider noch die ewiggestrigen die Deutungshoheit inne haben. Ohne selbst betroffen zu sein, kann ich den zitierten Tweet von Jade S. Kye gerade absolut nachvollziehen.

  2. Es ist sehr traurig, dass beim Thema Sensitivity Reading nicht einmal der Versuch einer neutralen Berichterstattung unternommen wird, sondern bar jeder tieferen Sachkenntnis munter die fachlich fehlerhaften (!) Aussagen des Impulsvortrags wiederholt werden. Wie zudem die beiden Expert*innen Kye und Linnea in diesem Artikel als angry women of colour dargestellt werden, ohne die berechtigte Wut in den Kontext der mehr als unglücklich organisierten Veranstaltung zu stellen, bei der mehrere vorab getroffene Absprachen von Veranstaltungsseite gebrochen wurden, ist ebenfalls unter aller Kanone.
    Jade S. Kyes Tweets haben eingeordnet, wie die Veranstaltung aus Betroffenenperspektive war – denn wer sonst soll diese Einordnung vornehmen? Die Berichterstattung über die Veranstaltung hat bislang vor allem die Expert*innen als überempflindliche und überemotionale Personen dargestellt und fachlich fehlerhafte Darstellungen von Sensitivity Reading reproduziert.
    Ich kann die Threads und Tweets von Victoria Linnea und Jade S. Kye vollumpfänglich nachvollziehen. Die krasse Tendenzösität dieses Artikels dagegen kann ich nicht ernstnehmen, fürchte aber, dass viele Lesende genau das tun werden.

  3. Alter Schwede, was für ein widerlicher Beitrag. Fragen Sie sich mal, warum Sie das Gefühl haben, der Buchmarkt würde sich ‚Partikularisieren‘. Weil die herkömmlichen Verlage und die totale Ignoranz gegenüber marginalisierten Gruppen mehr und mehr Leser*innen schlicht vertreibt. Artikel wie Ihrer beweisen doch, dass marginalisierte Menschen nicht willkommen sind, wenn sie nicht ständig beleidigt werden wollen. Nicht von Welten lesen wollen, wo sie nicht vorkommen. Oder wegen Retraumatisierung viel Geld verlieren wollen, nur, weil Verlage ernsthaft glauben, Vor- und Nachworte würden vernünftige Triggerwarnungen ersetzen.

    Fragen Sie sich doch mal, warum ein Großteil der jüngeren Generation lieber auf Archive of our own liest, KOSTENLOS, anstatt Verlagen Geld in den Rachen zu werfen, die noch in den 1990ern festsitzen und mit Beleidigungen und Ablehnung um sich werfen, wenn man ihnen auch nur vorsichtig aufzeigt, wie es besser geht. Wie sie uns als Zielgruppe zurückgewinnen können.

    Aber ganz ehrlich, letztlich: Wer nicht hören will, wird irgendwann fühlen. Der Strom hin zu AO3, englischsprachigen Autor*innen, die all das schon seit über einem Jahrzehnt gewissenhaft umsetzen, und Kleinverlagen, die trotz deutlich geringerem Budget als Vorreiter vorangehen, wird sicherlich nicht abreißen. Und irgendwann stehen die Großverlage (und ihre immer noch reinen Präsenzveranstaltungen, die nebenbei die UN-Behindertenrechtskonventionen mit Füßen treten) dann halt vor dem Problem, dass ihre Lesenden langsam dem Alter anheimfallen, aussterben, und sie meine Generation und die, die nach uns kommen, so sehr gegen den Kopf gestoßen hat, dass wir selbst dann nicht mehr zurückkommen, wenn sie endlich mal dazulernen.

    Mit Leuten, die ernsthaft rassistische Beleidigungen verteidigen und die Opfer auch noch so verspotten, will ein Großteil der neuen Generationen nichts zu tun haben.

  4. Die Kritik an der Äußerung von Frau Kunstmann bezog sich nicht auf rassistische Slurs in historischen Kontexten, sondern auf die ausgesprochen unsensibl Reproduktion von Slurs in einem Gegenwartskontext. In diesem Falle wäre es angemessen und respektvoll gewesen, vom N-Wort im Roman zu sprechen, um die rassistischen Begriffe eben nicht unkritisch zu reproduzieren. Der Text stellt hier die Kritik völlig verfälschend dar und ist auch ansonsten ausgesprochen unangenehm in seiner dumpfen und tendenziösen Polemik, besonders im allerletzten Abschnitt.

  5. Absolut peinlicher Auftritt der Verlagslandschaft.

    Aus Kleinverlagsperspektive kann ich nur hoffen, dass sich Menschen jenseits der Großverlage nach Lesestoff umschauen, der durch Expert*innenhände gehen durfte. (Ja, solche Dinge gibt es.)

    Wer die kompletten Threads der betroffenen Expert*innen liest, bemerkt schnell, dass es hier kaum um einen perfektionistischen Anspruch geht, als mehr um den Beginn einer dringend notwendigen Reflexion innerhalb der Branche.

    Wenn mit Lektoraten und anderen redaktionellen Überarbeitungen so umgegangen wird wie mit diesem sehr eng verwandten Thema, erklärt das die Enttäuschung zahlreicher Autor*innen, die ich beinahe täglich erleben darf.

    Gerade in der privilegierten Position, Bücher machen zu dürfen, findet sich die Freiheit, über den Tellerrand zu schauen, Erfahrungen einzubinden, die nicht die eigenen sind und Stimmen Gehör zu verschaffen, die sonst leise bleiben.

  6. Ziemlich schlechter Artikel. Wie kann man denn so heftig von seinen eigenen Gefühlen beeinflusst sein, wenn man sie anderen Menschen abspricht? Sie dürfen hier also ihre Abneigung in den Artikel einfließen lassen, förmlich explodieren (im Gegensatz zu den Personen, denen Sie das unterstellen), aber wehe andere Menschen haben Gefühle zu so extrem wichtigen Themen wie Gleichberechtigung…

  7. Ich kann gar nicht in Worte fassen wie viel Wut dieser Artikel in mir auslöst. Eure tendenziöse Berichterstattung, die die marginalisierten Teilnehmer als die Bösen darstellt, illustriert 1A wie sehr Sensitivity Reading notwendig ist.

  8. Sehr ‚geehrter‘ Herr Störiko-Blume, ‚liebes‘ BuchMarkt Team,

    wie viel ein sensitives Lektorat hilfreich sein könnte, zeigt alleine dieser Text … in der Frage, wie übergriffig weiße Personen sein können, wurden gerade 2 Beispiele in die jetzt schon viel zu lange Liste hinzugefügt – das beschriebene Treffen und dieser Beitrag selber.

    Als Person der IT frage ich mich, warum ‚meine Branche‘ so viel weiter zu sein scheint. Sicher gibt es auch hier die ewig-gestrigen, die meinen, mit dem Fuß aufstampfen zu müssen, weil jemand eine Kirsche von der 5-stöckigen Torte nehmen will, auch wenn diese zu viel ist … wenn der Konditor ein Fehler gemacht hat, soll doch bitter der Kunde weiter davon profitieren.

    Mir sind beide Personen (Jade S. Kye und Victoria Linnea) über die sozialen Netzwerke und Literatur-Camps bekannt und trotz der ein oder anderen hitzigen Diskussion kann ich mir im Entferntesten nicht vorstellen, dass die beiden Damen zu so einer Reaktion als Mittel der Wahl greifen würden. Hier stellt sich mir also die Frage, ob der Autor dieses Artikels überhaupt anwesend war, oder ob er böswillig die Gäste in einem schlechten Licht darstellen würde … beides würde aber auch wieder ein Beispiel auf einer (dieses Mal andere) Liste des rassistischen Verhaltens (wohl gemerkt, ich unterstelle damit keinen Rassismus) darstellen.

    Ein weiterer Punkt kommt mir beim Lesen dieses Beitrages in den Sinn – und das kann durchaus am Inhalt und Verlauf des Panels gelegen haben; ich selbst gehörte nicht zu den anwesenden Gästen. Es wird hier auf Triggerwarnungen eingegangen, die sicher ein wichtiges Thema sind. Wie sehr alleine diese nicht verstanden werden zeigt sich sehr gut, was durchaus daran liegen kann, dass hier die Gespräche noch nicht in ausreichendem Maße gesucht werden. Mir fehlt hier aber vollkommen der Aspekt, dass ein Lektorat im Sinne von ’sensitive reading‘ weitaus mehr darstellt und schon vor dem Schreiben des ersten Satzes (je nach Beitrag/Text natürlich; ein Blog-Beitrag in der IT braucht dieses wahrscheinlich nur in der Post-Produktion) Sinn gebend ist und nicht nur sein kann.

    Das Fazit, welches sich hier für mich ergibt, ist eine dreifache Enttäsuchung … von den veranstaltenden Personen inklusive der Moderation, dem Autor dieses Beitrages und der Redaktion dieser Seite.

    Hoffen wir, dass der Bereich der Literatur sich nicht nur als Elite sieht, die von oben herab versucht jede Veränderung zu verhindern, sondern sich endlich wieder als Avantgarde versteht, die Strukturen hinterfragt, Barrieren einreißt und offene Arme für jeden hat – vor allem die Gruppe der BIPoc, die viel zu selten vertreten sind.

  9. Einig waren sich die Podiums-Teilnehmer wohl darüber: „Mit Shitstorms geht man besten um, indem man Verantwortung übernimmt.“ – außer der Autor des Artikels.

  10. „Weil die herkömmlichen Verlage und die totale Ignoranz gegenüber marginalisierten Gruppen mehr und mehr Leser schlicht vertreibt.“

    Man ist doch immer wieder erstaunt, wieviel Unfug Leute, die keine Ahnung haben, in einem Satz unterbringen. Und: Sind jetzt nicht die Schweden beleidigt? Herr, wirf Hirn ab und triff!

    • Wie billig, keine Argumente auf Lager zu haben und auf Flüchtigkeitsfehler hinweisen zu müssen in der Hoffnung, die*den Verfasser*in zu treffen.

      • Es ist irgendwie langweilig, aller 30 Jahre ein irgendwie begründetes Zensurbegehren zu kommentieren. Was hier vorgebracht wird, hat genau die SED-ZK-Politbüro-Qualitäten, die sich in Begriffslisten niederschlugen, die zum Wohle der DDR-Bürger und Weltrevolution verboten bzw. extra eingeführt wurden (z.B. statt „Boulevard“ Fußgängerzone – ratet mal, warum. Und so jede Woche seitenlang auf billigen Xeroxkopien). Bis hin in wörtliche Übereinstimmungen beim Geifer über den „Klassenfeind“.
        Man hat’s irgendwann einfach über.

  11. Die instinktive Reaktion auf Kritik ist Abwehr, und wenn die Kritik beinhaltet, dass man Diskriminierung und rassistisches Verhalten zugelassen hat, umso mehr.
    Rassistisch handeln, das tun doch nur Leute mit Glatzen und Springerstiefeln, die körperliche Gewalt ausüben.

    Dass Worte aber ebenso gewaltvoll sein können, sollte einem Verein des Buchhandels klar sein.
    Niemals werden Sie müde, die Macht des Wortes zu betonen – mit Ausnahme dieser Veranstaltung, bei der klare Absprachen zur Diskussion verletzt wurden, traumatisierende Diskussionen nicht unterbunden wurden und die „Moderation“ ihrer Aufgabe nicht nachkam.

    Das Panel passt so schön ins Programm, aber warum überhaupt Expertinnen einladen, wenn man ihnen nicht zuhören will und sie nicht schützt?

    Jeder, der auch nur ansatzweise sich mit sensibler Sprachwahl beschäftigt hat, kennt den Grund …

    Schade, dass den Mitgliedern auf dieser Versammlung die Chance auf neue Perspektiven und Diskussionen genommen wurde.

    Wer so präzise mit Sprache umgeht, sollte doch ein Interesse an diesem interessanten und wichtigen Gebiet haben.
    Die ‚freien Lektorinnen‘ sind nebenbei bemerkt Germanistinnen, aber schön, wie Sie mit jedem Wort des Artikels ihren „angegriffenen“ Vereinskameraden zur Seite stehen.

    Statt Polemik wäre eher Reflektion angebracht, anstatt die Social Media Accounts der Expertinnen nach waffenfähigen Ausdrücken zu durchsuchen, könnte man bei den Facebook-Accounts der eigenen Mitgliedern schauen, die auf Tupoka Ogettes Werke und die Schwierigkeit, dies wirklich zu verinnerlichen und umzusetzen, verweisen… und vielleicht inne halten und reflektieren…

    Abwehr und Polemik sind aber soviel einfacher!
    Jetzt im Moment.

    Falls der Börsenverein irgendwann mal seinen Mitgliedern diese wertvolle Möglichkeit, sich weiterbilden, doch bieten möchte, wird es bestimmt schwer, noch eine*n marginalusierte*n Expert*in zu finden, die einer solchen Zusammenkunft zustimmen.

    Mit jedem polemischen Artikel, Tweet und Social Media Beitrag, mit dem Sie versuchen, das Image Ihres Vereines zu bewahren und Linnea und Kye herab zu würdigen, hinterlassen Sie nur mehr verbrannte Erde – und wie möchten in (vielleicht doch fernerer) Zukunft es fertig bringen, dass marginalisierte Menschen darüber hinweg auf Sie zugehen?

  12. Ich zweifle das Konzept, mit dem Sensitivity-Reading in Deutschland eingeführt wurde oder werden soll an.
    Es wird zwar gerne von sich selbst als „Expert*in“ gesprochen, aber nachgewiesen wird diese Expertise nur durch behauptete Betroffenheit.
    Man gewinnt den Eindruck, dass es hier vor allem den Sensitivity-Readern selbst darum geht, die eigene Betroffenheit validiert zu bekommen, indem sie Rechnungen dafür schreiben, ihren eigenen Frust auszukotzen.
    Ich leugne gar nicht, dass dieser Frust real oder gerechtfertigt ist – das steht mir nicht zu – der Punkt ist, dass Frustabbau keine Dienstleistung ist, die man verkaufen kann.
    Sensitivity Reading lebt nicht davon, dass veröffentlichte Bücher gut und sicher sind, sondern davon, alles und jeden mit Krawall zu überziehen, bis jeder und jede an die Schlechtigkeit der ganzen Branche, sowie einzelner Personen oder Werke glaubt, bis… jetzt sag ich’s halt… ein Klima der Angst entsteht, überhaupt noch heikle Themen anzusprechen, ohne sich vorher das Okay einer Person abgeholt zu haben, die von sich selbst behauptet, eine Instanz zu sein.

    Sieht man sich auf der Sensitivity-Reading-Seite um, findet man dort jede Menge Kontaktpersonen für unterschiedliche – oft äußerst sensible – Themenfelder ohne jeden Nachweis von Expertise oder Erfahrung. Ist jemand, der behauptet, ein Sensitivity Reading zum Thema selbstverletzendes Verhalten anbieten zu können, nun eine Person, die therapeutisch tätig ist oder eine Therapie hinter sich hat oder einfach nur jemand, der oder die sich ritzt oder geritzt hat? Wir erfahren es nicht und ich behaupte, die Initiator*innen der Seite haben es selber nicht geprüft.
    Hat jemand, der Senstivity Reading für Essstörungen anbietet, Magersucht? Gehabt? Oder Bulimie? Oder Binge-Eating? Oder in dem Bereich gearbeitet? Oder wie oder was?
    Ich habe Leute gesehen, die bieten Sensitivity Reading zum Thema Klassismus an. Sind das Expert*innen für die ökonomischen Analysen von Karl Marx oder hatten die in ihrem Leben einfach nur mal Geldsorgen?
    Die Bereiche sind so weit und so schwammig gefasst, dass man keine Chance hat, gezielt nach einer Expert*in für eine spezielle Frage, die man als Autor*in vielleicht hat, zu suchen. Es ist ein Glücksspiel, bei dem man eigentlich nur verlieren kann.

    Ich glaube nicht, dass es gewaltvoll ist, bei solch fischigen und dabei aggressiv beworbenen Dienstleistungen, die ein oder andere kritische Frage zum Konzept des Ganzen zu stellen.

    Wenn gesagt wird, man bevorzuge es, Autor*innen bereits zu beraten, bevor diese auch nur ein Wort niedergeschrieben haben, ja bevor überhaupt das Erzählgerüst steht, finde ich, ist eine Grenze überschritten. Ein Roman ist keine Gruppenarbeit, wo einer den Kopf hinhält und ein Arbeitskreis im Hintergrund die Ideen abklopft und die eigene Rechtschaffenheit gegen die Kunstfreiheit des Autors/der Autorin setzt.
    Denn anders läuft es nicht. Ein Sensitivity Reader, der nichts zu bemängeln hat, offenbart seine Überflüssigkeit. Es muss also immer und überall etwas gefunden werden, das den Preis (gerne im vierstelligen Bereich) rechtfertigt.

    Man kann durchaus Bücher ohne Sensitivity Reading schreiben. Offensichtlich haben all diese Menschen, die diese Dienstleistung anbieten ja durchaus eine gewisse Liebe zum geschriebenen Wort, die sie nicht haben könnten, wenn es absolut unmöglich wäre, einen Roman ohne Beraterstab zu schreiben.

    • Hier offenbart sich wieder ebenfalls ein riesiges Fass an Fehlinformationen.
      Mir fehlt die Zeit und Energie, um auf alle einzelnen Punkte einzugehen, aber:

      – nein, eigene Betroffenheit reicht nicht aus, um ein Sensitivity Reading anzubieten. Was in den Artikeln wie dem obigen gern unterschlagen wird, ist, seit wie vielen Jahren sich die beiden Expert*innen forschend und akademisch mit (anti-)rassistischen Diskursen auseinandergesetzt haben und die literarischen & medialen Historien der Darstellung ihrer Marginalisierungen sehr gut kennen und einordnen können. Bei den SR, die ich bisher mitbekommen habe, wurde ein umfangreiches Wissen um problematische Tropes und Stereotypen vermittelt (neben der eigentlichen Arbeit am Text), die für die zukünftige Textarbeit der Autor*innen zuträglich war, sodass beim nächsten Text auch ohne SR zumindest kein gefährliches Halbwissen, -istische Reproduktionen und schlichte Fehlinformationen mehr ins Manuskript eingezogen sind. Viele der auf der Website gelisteten Sensitivity Reader geben übrigens Websites und Social Media-Seiten an, auf denen näheres zu Erfahrung und Hintergrund zu lesen ist; dass man dies auf der SR-Seite ergänzen könnte, ist ein valider Punkt, bei dem aber durchaus bedacht werden darf, dass viele Sensitivity Reader für ihre Arbeit extrem schwach entlohnt werden und das ganze Thema (noch) eher irgendwie mitgeschleift wird, neben den eigentlichen Lohnjobs.

      – „ein Sensitivity Reader, der nichts zu bemängeln hat, offenbart seine Überflüssigkeit, also wird immer etwas zum Bemängeln gefunden, um den Preis zu rechtfertigen“. Wie kommen Sie auf die Behauptung? Passenderweise habe ich letztes Jahr für meinen Debütroman ein SR in Anspruch genommen, bei dem die Sensitivtiy Readerin nichts zu beanstanden hatte und entsprechend nichts berechnen wollte (allein die Aufwandsentschädigung hätte ich ihr gern bezahlt). Kritik ist eine Sache, die ganze Dienstleistung komplett haltlos als unseriöse Phishing-Dienstleistung hinzustellen, ist allerdings sehr unseriös.

      – natürlich kann man Bücher ohne SR schreiben. Wie die beiden Expert*innen in den letzten Tagen an zahllosen Stellen x mal gesagt haben: SR ist ein Angebot. Deswegen ist der Zensur-Vorwurf ja so unsinnig: Es geht um ein Angebot, Wissenslücken zu stopfen, da diese Wissenslücken strukturell negative Auswirkungen auf Marginalisierungen haben; aber niemand ist gezwungen, dieses Angebot anzunehmen. Wenn man aber beschließt, über Marginalisierungen zu schreiben, die einen selbst nicht betreffen, dabei problematische und für die betroffenen Gruppen verletzende bis retraumatisierende Punkte reproduziert, darf man sich dann auch die Kritik gefallen lassen, warum man entweder nicht gründlich genug recherchiert hat oder das nun wirklich nicht mehr unsichtbare oder unbekannte Angebot in Anspruch genommen hat. (Exkurs: Self-Publisher, die sich schlicht kein SR leisten können, sind noch mal eine andere Sache, aber bei größeren Verlagen ist das Geld nun wirklich keine Entschuldigung).

      Zuletzt: Dass man SR v.a. als externe Dienstleistung wahrnimmt, liegt ja primär an der fehlenden Diversität in den Verlagshäusern selbst. Würde man die Verlagsteams diverser aufstellen, könnte z.B. das Wissen marginalisierter Gruppen bereits ins Lektorat einfließen, denn – Überraschung – viele der auf der SR-Website gelisteten Menschen arbeiten haupt- oder nebenberuflich im Lektorat.

      • Es geht schon im ersten Satz los: ein „sich offenbarendes riesiges Fass“. Jeder Lektor, der halbwegs auf sich hält, kriegt bei so einer Stilblüte Pickel. Ich wiederhole mich ungern, aber: Ihr wißt schon.

      • Okay, okay, Sie haben ein Profil im Sensitivity Reading-Portal, ich erwarte also nicht, dass das eigene Nest beschmutzt wird.

        Das Problem ist, dass hier eine Dienstleistung etabliert werden soll, für die kein verbindlicher Nachweis für eine Qualifikation erbracht werden muss.
        Wir kennen derartige Berufsbilder: Unternehmensberater, Coach, Mediator, Projektmanager etc.pp.
        Jeder kann sich so nennen, niemand kontrolliert, was und wie mit welchem Ergebnis und zu welchem Preis gearbeitet wird. Niemand ist zuständig, wenn Kund*innen unzufrieden sind. Es gibt keine Standards.
        So wie Ärzte Heilpraktiker und Steuerberater Unternehmensberater unseriös finden, empfindet die etablierte Buchbranche Sensitivity Reader als nicht ganz greifbare Konkurrenz ohne zwingende Qualifikation. Ich gebe allerdings zu, dass sich auch jeder ohne Qualifikationsnachweis „Lektor“ nennen darf, weshalb auch da Wildwuchs (und Lohndumping) herrscht…

        Was ich wahrnehme – und das will ich auch niemandem vorwerfen, der Literaturwissenschaften studiert und nicht Betriebswirtschaft – ist, dass die Dienstleistung sehr schlecht beworben wird – nämlich mit Vorwürfen, statt mit dem Aufzeigen der Möglichkeiten.
        Am Ende sind Sensitivity Reader Unternehmer, die verkaufen wollen. Und das – das Verkaufsgespräch – lief hier richtig derbe schief. Der Buchbranche ist das relativ egal, dem Sensitivity Reading als neuem Berufbild schadet sowas.
        Jeder Internet-Blender-Abzock-Coach weiß besser, wie man potentielle Kunden anspricht.
        „Es ist nur ein Angebot…“ ja, genau. Und wenn es nicht angenommen wird, wird der Beruf aussterben. Und das ist Ihnen ja auch bewusst, deshalb gibt es ja aktuell dieses SocialMedia-Rauschen, um auf diese Krawall-Veranstaltung aufmerksam zu machen.
        Ihr müsst es nicht gut finden, wie der Literaturbetrieb auf das SR-Angebot reagiert, aber ihr müsst analysieren, warum die Reaktionen so ausfallen. Und mit „Ach, die sind einfach alle -istisch und wir müssen das alles anzünden!“ kommt man keinen Schritt weiter mit der eigenen Vision.
        Und ich gewinne langsam wirklich den Eindruck, dass es nicht darum geht, einen Fuß als SR in die etablierte Buchbranche zu bekommen, sondern darum, das eigene Profil zu schärfen, für später, wenn man selber Autor*in werden will und einen Namen und ein Image und eine Fanbase braucht. Denn DAS ist meiner Meinung nach das größere Problem der Branche: Einen Verlagsvertrag bekommt nämlich nur noch, wer auf SocialMedia bereits vor der ersten Veröffentlichung eine besonders hohe Zahl an Followern aufweist.
        Es geht also um das Getöse und darum den eigenen Namen in Stellung zu bringen, nicht um tatsächliche Veränderung.

        Man kann mir unterstellen, uninformiert zu sein (ich bin es nicht), aber Uninformiertheit sollte kein Vorwurf sein, sondern ein Alarmsignal dafür, dass man dabei versagt haben könnte, die eigenen Anliegen verständlich zu kommunizieren. Nicht verstanden worden zu sein, muss nicht bedeuten, dass *die anderen* nicht verstehen wollten.
        Auf der SR-Seite findet man, wie gesagt, nicht unbedingt nachweisliche Experten, sondern vor allem Twitter-Nasen mit einem Aktivismus-Hintergrund.

        Und natürlich gibt es immer Konservative, die gegen jede neue Idee sind – auch mit denen muss man rechnen – und damit, die nicht überzeugen zu können. Muss man aber auch nicht.
        Auch Verlage haben unterschiedliche Profile und Zielgruppen.

        Was wollen Sie eigentlich für Bücher? Was ist das Ziel? Wenn man sich vermeintlich progressive Romane anschaut, allesamt immer wieder als besonders vorbildliche Beispiele vorgetragen, und vergleicht, stellt man sehr schnell fest, dass bestimmte Buzzwords immer wieder auftauchen. Diversity ist aber mehr als Buzzwords, und Checklisten für mögliche Trigger oder Repräsentationen.
        Es ist auch mehr als sensible Sprache (und wer erklärt bekommen muss, dass man keine Slurs verwendet, der hat es vielleicht auch nicht verdient, dass ein SR ihn vor einem Shitstorm bewahrt…) und nicht problematisierende Darstellung sogenannter heikler Themen.

        Meine Kritik richtet nicht nicht gegen Autor*innen, die sich beratende Hilfe im Rahmen der Recherche holen. Meine Kritik richtet sich dagegen, dass mit Diversity Marketing gemacht wird, dass Sensitivity Reading eine nicht greifbare Dienstleistung ist, die dennoch für sich in Anspruch nimmt, die Literatur bereinigen zu müssen, dass Autor*innen und Verlage unter einen moralischen Druck gesetzt werden.

        Es gibt durchaus Autor*innen, die öffentlich niemals darüber reden würden, wie unzufrieden sie mit ihrem Sensitivity Reading waren, die unter Druck gesetzt – nicht bloß beraten – wurden, Änderungen genauso und nicht anders umzusetzen.
        Natürlich Einzelfälle, ganz klar. Aber es zeigt doch, dass niemand so perfekt ist, dass er oder sie die alleinige Deutungshoheit über einen Sachverhalt haben sollte.

    • Ja, es geht um Krawall und sich selbst seiner eigenen Bedeutung zu versichern. Weil es ja sonst – berechtigterweise – keiner tut. Nehmen wir mal die Basics: Ich hab mich auf Twitter ein wenig umgetan, und was da angehende Germanistinnen wenig sensitiv in etwas, das sie für Deutsch halten, von sich geben, spricht für sich. Ich hoffe, es lesen viele Verlagskollegen. Damit sie nicht Zeit und Geld in so eine Möchtegerndienstleistung verschwenden. Dieses Land hat exzellente Lektoren. Da brauchts keine Amateurbeimischung.

      • Auch heute etablierte LektorInnen haben mal jung und unerfahren angefangen. Das mache ich niemandem zum Vorwurf.

        Der Vorwurf ist der Absolutheitsanspruch, mit dem sich selbstdefinierte Betroffene über Menschen erheben, die unterstellt nur Informationen aus zweiter Hand bearbeiten.
        Worauf läuft denn so eine Kultur hinaus? Bevor man etwas von sich geben kann, muss man erst einmal Bekenntnis ablegen, um zu belegen, dass man das Recht hat, ein Thema zu bearbeiten.
        Es gibt aber erstaunlicherweise auch Menschen, die nicht permanent ein Seelenstriptease hinlegen wollen, um das eigene Recht-haben zu bekräftigen, weil die Argumente an sich anscheinend als zu schwach eingeschätzt werden.

        Betroffenheit=Expertise, das ist der Fehlschluss.

    • Danke für diesen wertschätzenden und sachlichen Kommentar, und ich hoffe, dass wir Autoren und Autorinnen uns nicht (noch mehr) einem ängstlichem inneren Lektorat unterwerfen und uns dann vielleicht sogar vorauseilender Gehorsam beim Schreiben im Nacken sitzt. Warum wird so schnell verurteilt und einem Gegenüber unterstellt, dass es feindlich gesinnt ist ist, das bekämpft werden muss, nur weil es aus anderer Perspektive auf ein Thema schaut, das in der Tat sehr viele Facetten und Schichten hat? Das ist für mich das Wesen von Demokratie – dass es so viele unterschiedliche Perspektiven und Wahrheiten gibt, wie Menschen in einer Menscheit. Und dazu gehört auch das Bewusstsein, dass es niemals echte Fairness geben wird in einer Welt, die aus unzähligen Perspektiven und Erfahrungen wahrgenommen wird und deshlab auch zwangsläufig aus Widersprüchen besteht. Aber sind es nicht gerade diese Widerspüche, durch die wir lernen können, was wirkliches Miteinander sein kann trotz großer Differenzen? Ist es nicht sinnvoll, sich bewusst zu werden, dass Fairness und Gerechtigkeit immer nur ein angestrebtes Ideal sein können, weil Leben in seiner grundlegend widersprüchlichen Natur niemals perfekt fair und perfekt gerecht sein kann? Ist es nicht immer so, dass wir auch bereit sein müssen, unser Herz offen zu halten, auch wenn es verletzt werden kann? Wer Recht haben will und sogar daruf pocht, der verschließt sein Herz und das dient automatisch Qualitäten wie Spaltung, Unzufriedenheit, Intoleranz, Hass, etc..

      • Ich hoffe, du bist ein sarkastischer Troll, denn wenn sowas aus meinem Text herausgelesen werden sollte, dann habe ich mich wohl wirklich nicht deutlich genug ausgedrückt.

        Fairness und Gerechtigkeit als nicht zu erreichende Ideale abzuqualifizieren, auf die hinzuarbeiten Zeitverschwendung ist, ist das absolute Gegenteil von dem, was ich sagen wollte.

        Mein Problem ist nicht das Ziel, sondern die Methode.
        Ich halte Sensitivity Reading und die dahinter stehende Ideologie für unfair und ungerecht, da sie einer Gruppe ungeprüfte Expertise und der anderen Gruppe generell internalisierte Feindseligkeiten unterstellt.
        Zugleich ist das Label „Sensitivity Reading“ ein Marketing-Gag für Verlage einerseits und Freelancer, die auf sich aufmerksam machen müssen, andererseits.

        Mir geht es nicht darum, einen Status Quo zu erhalten, weil ich Leute unterstütze, die damit gut fahren, weil das die beste aller möglichen Welten ist…
        Es ist absolut korrekt, anzumerken, dass die Buchbranche elitär ist und sich was auf ihre Bildungsbürgerlichkeit einbildet. Darauf aber seinerseits mit arroganter Weinerlichkeit zu reagieren, ist halt auch eher nicht überzeugend.
        Und deshalb glaube ich nicht, dass die Twitter-Moral hier irgendetwas verbessert.

        Es gibt auch nicht „unendlich viele Wahrheiten“, nur weil es unendlich viele Stimmen und Perspektiven gibt. Die Frage ist auch nicht die nach der Wahrheit, sondern die nach den Prioritäten.
        Dass es hier zu Konflikten kommt, ist kein Beleg dafür, dass die Welt für immer unfair und Wahrheiten nicht existent sind, sondern dafür, dass wir einander ernst genug nehmen, um uns miteinander zu beschäftigen.
        Ich hätte hier nie gegen Sensitivity Reading angeschrieben, wenn ich denken würde, die Sache wäre lächerlich und irrelevant. Dass ich sie für eine falsche Herangehensweise halte (und das Portal und die Personen darauf für unprofessionell), heißt nicht, dass die Probleme, denen sie begegnen will, nicht real und lösenswert sind.

        Jeder, der den Rassismus, Sexismus und die Queerfeindlichkeit im Kultursektor leugnet, muss blind sein. Und dennoch werden Buzzwords, sensible Sprache, Triggerwarnungen und repräsentative Einzelkarrieren dies nicht beheben, sondern führen nur wieder zu einer andersartigen Normierung.
        Und AutorInnen sind in jeder der beiden Sphären diejenigen, deren Arbeit zurechtgestutzt wird.

  13. Was für ein katastrophaler Artikel mit Blick auf das Sensitivity-Reading. Eine unsägliche Wahrnehmung und Interpretation der Situation durch den Autor dieses „Artikels“.

    BIPoC sind leider dazu gezwungen, Menschen im professionellen Kontext zu unterbrechen, weil sie 1. sonst gar nicht zu Wort kommen und sie sich 2. auch nicht zum hundertsten Mal die gleichen ignoranten „Argumente“ gegen reflektiertere sprich bessere Texte anhören müssen.

    Was hier im Text für Rassismen reproduziert werden, ist leider nicht unfassbar, sondern passt zu allem und unterstreicht alles, was die beiden Expertinnen Jade S. Kye und Victoria Linnea zu erklären versucht haben und sie nicht zu hören bereit sind. Immerhin sind sie in diesem Artikel dazu bereit gewesen, die Postitionen der Expertinnen zu unterstreichen, indem Sie sich hier selbst bloßgestellt haben. Wie dringend Sensitivity Reading benötigt wird, veranschaulicht Ihr Text ungemein.

  14. Wäre wünschenswert, der Autor würde sich auch nur halb so gut mit der Arbeitsqualität und Reputation von Jade S. Kye und Victoria Linnea und auch mit dem Thema Sensitivity Reading auskennen, wie mit den „Verdiensten in der IG Meinungsfreiheit“ von Leuten im Publikum. Auch keine kritische Distanz und kompetente Einordnung des Beitrags zu oder besser gegen Inhaltshinweise. Der Begriff Triggerwarnung verleitet regelmäßig Leute ohne Erfahrung im Umgang mit dieser Variante zu wilden Abgrenzungshandlungen gegen Menschen, die das als unaufgeregten Alltag und Stressmanagement im Rahmen der Gesundheits-Selbstsorge nutzen. Absurd der (auch von Autor nicht weiter kommentierte und bewertete) Verweis auf Vor- und Nachsorge, so als wüssten diejenigen, die dieses Tool als Buchmacher*innen oder Lesende nutzen, nicht, dass es sowas gibt. Und als wäre es nicht abgewogen worden im Nutzen und Zweck.

    Schade, schade, dieser Artikel schließt in diesen so wichtigen Abschnitten der Veranstaltung letztlich nahtlos an die Selbstgerechtigkeit cis-weiß-bürgerlicher Menschen in Verantwortungspositionen an. Einander Wertschätzung und Legitimität zu geben und dem Sein und Handeln ~der Anderen~ (die just durch diese Haltung und Umgangsweise zu Anderen gemacht werden) verständnislos eine Abfuhr zu erteilen, ist… Unüberraschend. Bedauerlich. In a way auch peinlich. Problematisch. Unreflektiert. Machterhaltend. Teil des Problems. Keine Lösung. Verdrängung.

  15. @Rebecca:
    Ich habe Ihren Worten nichts hinzuzufügen. Sie haben’s so treffend zusammengefaßt. Die Branche ist nicht, wie gewissen Beiträge hier und auf Twitter vermuten lassen, vom Ku-Klux-Clan unterwandert, was auch kein vernünftiger Mensch angenommen hat; lassen wir also Geflatter und Gegacker Geflatter und Gegacker sein, beugen wir uns wieder über vernünftige Arbeit. Einen schönen Abend wünsch ich!

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