Börsenverein „Live“ dabei: Bilder von der IG BellSa Tagung – jetzt aktualisiert mit „Beobachtungen – Sätzen – Gedanken – Notizen“

In ihrer Begrüßung im Namen des IG BellSa-Sprecherkreises kündigte Annette Beetz für die Jahrestagung drei Dinge an:

  • Eine Premiere: den ersten Auftritt von Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs vor diesem Gremium.
  • Einen Zufall: dass die Tagung am „Tag der Handschrift“ stattfindet; die Handschrift gehört wie das Lesen und das Zuhören zu jenen zentralen menschlichen Kulturtechniken, die es zu bewahren gilt.
  • Ein Finale: den letzten Auftritt des alten Sprecherkreises.

Da Dr. Andreas Rötzer auch für die nächste Amtszeit kandidiert, könne man sich sowohl über die mit neuen Personen verbundenen Chancen als auch über Kontinuität freuen.

Für Felicitas von Lovenberg fiel die Amtszeit zusammen mit ihrem Quer-Einstieg in die Verlegertätigkeit, und sie bedankte sich nochmals für die freundliche Aufnahme. Wahrscheinlich sei es ein Vorteil gewesen, dass sie sich gar nicht am verbreiteten Seufzen über die angeblich besseren früheren Zeiten beteiligen konnte. Sie hob hervor, dass man sich geöffnet habe für Teilnehmer auch aus dem Handel und vor allem den Fokus gerichtet habe auf die Personen, um die sich alles dreht: die Leser.

Karin Schmidt-Friderichs bediente sich in ihrem Grußwort als Vorsteherin einer Was-wäre-wenn-Geschichte: Wenn wir jedes Jahr neu beginnen würden … Es ist sehr zu empfehlen, diese Rede im Wortlaut nachzulesen (boersenblatt.net), weshalb wir uns hier nur den Kommentaren anschließen möchten: Danke. Buchbegeisterung können wir täglich leben. 

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, gab einen kurzen Rückblick sowie einen Ausblick auf die Themen der Branche 2020. Er erinnerte an den Erfolg, den reduzierten Mehrwertsteuersatz auch für E-Books nach langem Bohren dicker Bretter erreicht zu haben. Seine politische Expertise bewährt sich immer wieder, angefangen bei harten Gesprächspartnern wie dem damaligen Bundesfinanzminister Schäuble, dem Skipis auf seinen Einwand, die Verleger würden doch wohl nach einer Mehrwertsteuersenkung die Preise nicht senken, entgegnete: Das nicht, aber sie werden in die Produkte investieren.

Weitere dicke Bretter liegen vor uns, und das sollte man nicht anekdotisch sehen, wenn ein ebenso erfahrener wie analytisch vorgehender Mann wie Skipis von „Schicksalsfragen der deutschen Buchbranche“ spricht.

Die Abschaffung der Büchersendung durch die Post mag für manche langweilig klingen, aber auch gegen solche „kleinen“ Belastungen wird vorgegangen in einer Branche, deren Rentabilität meist am Rande des Erträglichen liegt. Börsenvereins-GF Dr. Kyra Dreher arbeitet daran, dass demnächst im Postgesetz wieder so etwas ähnliches wie die Büchersendung steht.

Es liegt jetzt ein Diskussionsentwurf zu Neuregelung der Verlegerbeteiligung an den VG Wort-Erlösen vor. Das ist noch kein Gesetzentwurf, sondern ein Weg, um die Debatte in Gang zu setzen. Zwar herrsche unisono die Meinung, dass es grundsätzlich eine Verlegerbeteiligung geben solle, aber der rote Faden des Misstrauens gegenüber den Verlagen, der sich auch durch alle Urheberrechtsdiskussionen zieht, ist auch hier zu sehen: etwa indem man festlegen will, dass die Autoren grundsätzlich mindestens 2/3 der Erlöse erhalten sollen. 

Eine große Initiative namens Literaturpolitik soll ergriffen werden, weit mehr als einzelne Maßnahmen, und das ressortübergreifend, sowie Bund und Länder einbeziehend. Buchhandlungen sind Orte, in denen der gesellschaftliche Diskurs geführt wird. Das schätzt auch die Politik.

Der in diesem Jahr erstmals zu vergebende Deutsche Sachbuchpreis hat damit zu tun, auch der Einsatz für die Meinungsfreiheit. Noch in diesem Jahr wird es einen Auftakt zur Woche der Meinungsfreiheit geben, die dann ab 2021 zwischen dem 3. und dem 10. Mai stattfindet, dem Tag der Bücherverbrennung.

Fast unabhängig von den Parteien haben wir es mit einer neuen Politikergeneration zu tun, denen gesellschaftliche Anspruchshaltungen wie Verfügbarkeit und Kostenfreiheit näherstehen als der Schutz der Urheber. Es stehen weitere Abwehrschlachten bevor und Einschränkungen drohen.

Eine Taskforce arbeitet an der schon länger schwärenden Frage: Brauchen die Verleger ein eigenes Recht?, und nicht nur das vom Autorenrecht abgeleitete. Während Börsenvereins-Justitiar Christian Sprang weiter von diesem Weg abrät, ist Skipis immerhin der Meinung, noch in diesem Jahr müssen die Verleger entscheiden, ob sie das wollen oder nicht.

Inspiriert von der IKEA-Strategie („Wir verkaufen keine Küchen, wir verkaufen das Abendessen mit Freunden bei Kerzenlicht“) formulierte Skipis provokant: Wir verkaufen immer noch Bücher, praktisch in jeder Verlagswerbung steht das so. Unsere Wettbewerber verkaufen Emotion. Sollten wir das nicht auch können? Die Taskforce Image arbeitet daran, z. B. mit der Idee „Wir verkaufen Buchmomente“.

Wir konnten die Buchumsätze in den letzten 10 Jahren stabilisieren – aber reicht uns das? Erhalt ist keine Option. Wir wollen Glut entfachen, wir brauchen eine Bewegung für das Lesen. Ihr Beitrag, liebe Verleger, ist gefragt – wir (also das Börsenverein-Hauptamt) sind dabei!

Der von einigen Bildern untermalte, frei mit rheinischem Zungenschlag gehaltene Vortrag des Psychologen Stephan Grünewald, Gründer des rheingold-Institutes, sorgte für eine erfrischende Mischung aus Heiterkeit und Nachdenklichkeit. Manchmal kommen wir uns in Deutschland so vor, als lebten wir in einem der letzten Paradiese, wie im Auenland. Das gibt uns Halt. Probleme sehen wir gern abgeschoben ins Grauenland. Wir empfinden keine Zukunftsfreude, sondern möchten uns am liebsten in der Gegenwart verbunkern. Bundeskanzlerin Merkel war lange Zeit die oberste Sachwalterin dieser Mentalität. Alternativlos, die geschlossene Raute. MUT wurde durch das MUTTI-Prinzip ersetzt.

Als aber dann Angela Merkel die Raute aufgemacht hat, und aus humanitären Gründen die Flüchtlinge ins Land ließ, fand das ein Teil der Bevölkerung klasse, ein anderer, kleinerer Teil, war vollkommen perplex. Wen liebt Mutti eigentlich? Es entstand eine Art Geschwisterrivalität. Aber daran sind nicht die Flüchtlinge schuld; die Flüchtlingsfrage hat ein Wertschätzungsproblem verschärft, das vorher da war.

Nachdem die Religionen für viele ihre Bedeutung eingebüßt haben, die Ideologien nach dem Ende des Kalten Krieges niemanden mehr begeistern, entwickelte sich Gleichgültigkeit, eine entfesselte Beliebigkeit, der innere Kompass ging verloren. Das öffnet Tür und Tor für Erlösungstheorien, scheinbar einfache Heilswege.

Der Mensch von heute hat ein zusätzliches Körperteil: das Smartphone, eine Art magischen Zeigefinger. Wir entwickeln mit diesen fabelhaften Geräten einen neuen Wirklichkeitsanspruch: eigentlich müsste alles sofort funktionieren. So ist es natürlich nicht, und dann fallen wir aus der digitalen Allmacht in die analoge Ohnmacht. Das kränkt uns. 

Wir machen uns zum Büttel solcher Prothesen. Der Algorithmus ist stärker als Biorhythmus. Hier ist die Branche gefragt: als Alltags-Kompass. Wir sind nicht perfekt, und gerade das macht uns gemeinschaftsfähig. Das bedeutet nicht brave Folgsamkeit, sondern eigene Standpunkte, die man zur Debatte stellt. Wir brauchen Auseinandersetzung, wir brauchen Streitkultur, aber auch die Bereitschaft zu Kompromissen. Wir sollten uns als Trauenland verstehen – so können wir wieder das Land der Dichter und Querdenker werden.

Stephanie Lange erinnert daran, dass die Quo-vadis-Studie die Branche aufgerüttelt hat. Wir bieten den potenziellen Buchkäufern nicht genügend Orientierung – vermutlich weil wir sie nicht gut genug kennen. Daher wurde im September 2019 eine Taskforce Bedürfniskategorien beauftragt. Diese wiederum hat die Gruppe Nymphenburg gewonnen, um – auf dem Weg zu einem Orientierungssystem – mehr über unbewusste Kaufentscheidungen herauszufinden. Cirk Sören Ott, Leiter des Bereichs Marktforschung der Gruppe Nymphenburg, gab einen Zwischenbericht zu den Befragungen, die gerade durchgeführt werden.

Bei den Buchtagen im Juni sollen die Ergebnisse präsentiert werden. Die Projektzielsetzung: konsequent vom Kunden her denken; das sei nicht neu, aber notwendiger denn je. „Emotionen sind die wahren Treiber für unsere Entscheidungen – und die fallen zu 90% unbewusst“.

Die Studien sollen zu konkreten Empfehlungen für Handel und Verlage führen. Wenn allerdings Marktforscher sich mit der Frage beschäftigen: Was muss Literatur tatsächlich sein?, wird sich hoffentlich der eine Verleger und die andere Lektorin über das „muss“ die Stirn runzeln und sich bewusst machen, dass auch Autoren bei dieser Frage im wahren Sinn des Wortes ein Wörtchen mitzureden haben. 

Einen erfrischend unaufgeregten Lagebericht gab der KI-Experte Colin Lovrinovic. Offenbar ein Unternehmer- und Verkaufstalent, denn er hat mit 14 seine erste Firma gegründet. Er unterschied zwischen schwacher und starker KI. Die schwache KI kann eine bestimmte Aufgabe erledigen; schneller, günstiger, besser, verlässlicher, unermüdlicher – als Menschen es können. Neu ist die Fähigkeit von Maschinen, zu lernen – dank ungeheuer viel stärkerer Rechnerkraft zu günstigen Kosten. Was eine starke KI eines Tages kann, ist ungewiss und noch sehr weit weg.

Was wird jetzt schon eingesetzt? Werbeanzeigen in automatisierter Form, personalisierte Vorschauen, Trend-Analysen etc. Ob Verlage sich tatschlich auf eine Nachfragevorhersage verlassen, um mit 39 Faktoren 28 Tage vor dem Erscheinungstermin die optimale Größe der Erstauflage festzulegen, erscheint doch fraglich.

Zwei Zähne zog Lovrinovic den KI-Euphorikern: „Maschinen werden in nächster Zukunft keine Bücher schreiben“ und „Ersetzen Sie nicht die kreativen Köpfe durch Maschinen – stärken Sie Ihr Kerngeschäft!“ Aber versuchen Sie´s mal in Zusammenarbeit mit Experten, wenigstens ein kleines Budget.

Zur Frage „Wie müssen AutorInnen in Zukunft auftreten?“ diskutierten Hauke Hückstädt (Leiter des Literaturhauses Frankfurt/M.), Claudia Limmer (Marketing-Gesamtleiterin der Verlagsgruppe Random House) und Lilly Ludwig (Buchhändlerin und Bloggerin, Buchhandlung Jakob, Nürnberg) unter der Moderation von Dr. Torsten Casimir (Chefredakteur Börsenblatt). 

Hückstädt brachte den Gegensatz auf den Punkt: Zum Schreiben zieht der Autor sich zurück, und wenn dann das Buch erscheint, soll er auf einmal öffentlich auftreten. Man kann das hinkriegen, doch dabei sind Details zu beachten. Nachlässigkeiten marschieren getrennt, aber sie treffen sich an einem Ort: dem Mittelmaß – und genau da darf man nicht landen. 

Für gute Veranstaltungen muss man den Autor kennen; auch wenn der Kontakt über den Verlag läuft, sollte man ihm nicht erst eine Viertelstunde vor der Veranstaltung zum ersten Mal begegnen. Instagram ist z.B. ein Tool, um sich präsent zu machen. 

Noch 8 Tage bis zum Brexit – was bedeutet er für den deutsch-britischen Buchmarkt? Darüber sprach Dan Conway, Director of External Affairs beim britischen Verlegerverband. In guter englischer Tradition nahm er eine unparteiische Sicht der Lage vor. Er hatte die Lacher auf seiner Seite, als er kurz überlegte, lieber über die Royal Family zu sprechen („that would be more fun“).

60% des UK-Buchumsatzes sind Exporte, 35% davon nach Europa. Die ins Deutsche verkauften Auslandslizenzen stellen den höchsten Anteil und liegen mit 12% noch vor den chinesischen Rechten. Wegen der Übergangsfristen drohen allerdings für die nächsten 11 Monate noch keine unmittelbaren Gefahren. Die London Book Fair und die Frankfurter Buchmesse 2020 sind nicht bedroht. Für die Situation nach dem Brexit beschrieb er 3 Szenarios: 

  1. Es kommt zu einem vollen Handelsvertrag UK/EU. Bei der britischen Regierung herrscht große Skepsis, ob das funktioniert. 
  2. Es gibt kein Freihandelsabkommen, also einen ungeregelten Brexit. Niemand will das, aber es kann passieren. Auch wenn die Brexit-Befürworter einen ökonomischen Schaden leugnen, befürchten die meisten Experten erhebliche Negativwirkungen. Buchversenden würde teuer und kompliziert. Die Aufenthaltsrechte von 2,7 Millionen EU-Bürgern wären unklar. Wer länger als 90 Tage in UK bleibt, bräuchte ein Visum. Für Bücher würden zwar vermutlich keine Zölle erhoben, aber Mehrwertsteuer und Zollformalitäten. Der Datentransfer könnte schwierig werden. 
  3. Die Übergangsfrist bis Ende 2020 wird verlängert. Premier Johnson will das nicht.

Zum Schluss sprach er die tröstlichen Worte: Wie immer der Brexit verlaufen wird, die Beziehungen zwischen den britischen und deutschen Verlagen und Lesern werden eng bleiben.

Was wäre eine Verlegertagung ohne den Punkt „Aktuelle rechtliche Entwicklungen“ mit Prof. Dr. Christian Sprang. Angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit entschied er sich, nur über den Punkt Verlegerbeteiligung zu sprechen. 

Die europäische DSM-Richtlinie müsste bis 7. Juni 2021 umgesetzt werden in nationales Recht; sie hätte eine Rückwirkung auf eigenes Verlegerrecht. Die Diskussion dazu hat jetzt begonnen

Mit dem Passus im kürzlich vorgelegten Diskussionsvorschlag, mindestens 2/3 der Erlöse den Urhebern zuzuweisen, sei ein Geist aus der Flasche der Urheber gezischt (der vor allem in der SPD „mit ihrem dogmatischen Hintergrund“ gehegt werde). Ein solcher paternalistischer Eingriff des Staates in die Verhandlungsfreiheit könne schnell zu einer generellen Verunsicherung der VG Wort führen. Die Verantwortlichen dort raufen sich ohnehin schon die Haare, wenn sie den gigantischen administrativen Aufwand kommen sehen, wenn sie die jetzigen und die neuen Vorschriften mit zahllosen Einzelregelungen in die Praxis umsetzen müssen.

Ulrich Störiko-Blume

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