Auszeichnungen Margaret Atwood nimmt Friedenspreis entgegen

Heute Vormittag wurde die kanadische Autorin Margaret Atwood in der Frankfurter Paulskirche mit dem 68. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann begrüßte die rund 1000 geladenen Gäste: „Dieses Jahr geht der Preis an eine bei Kritikern und Lesern gleichermaßen beliebte kanadische Weltautorin. Sie lebt in einer Stadt, die wir als Frankfurter gut kennen, weil sie seit 1989 unsere Partnerstadt ist: Toronto. Eng verbunden mit unserer Rhein-Main-Region ist auch ihr Hauptwerk, Der Report der Magd. Verfilmt wurde es als Die Geschichte der Dienerin von einem Regisseur aus unserer Nachbarstadt Wiesbaden, Volker Schlöndorff.“

Vor einigen Tagen hatte Peter Feldmann mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesprochen: „Ich bin nicht mit allem, was der Präsident sagt, einverstanden, aber in der Frage Europa stehen wir geeint“, äußerte der Oberbürgermeister und erhielt dafür Beifall.

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, begrüßte die Ehrengäste, darunter auch Aslı Erdoğan, die im Rahmen des Programms Städte der Zuflucht nun in Frankfurt eine zweite Heimat gefunden habe.

Riethmüller stellte seiner Rede ein Gedicht von Liu Xiaobo voran und erinnerte damit an den Friedenspreisträger 2010, der am 13. Juli 2017 nach elf Jahren Gefängnis und Isolationshaft gestorben war. Margaret Atwood habe sich mit vielen Intellektuellen für seine Freilassung eingesetzt.

1984, in der Zeit des Kalten Krieges, hat Atwood den Roman Der Report der Magd geschrieben – eine dystopische und düstere Geschichte und ein Plädoyer für Demokratie und Frauenrechte, gegen Rassismus und Entmündigung. Das Buch habe nichts an Aktualität eingebüßt.

„Wenn wir spüren, dass die Welt aus dem Lot zu geraten scheint, dass Vertrautes bedroht wird, greifen wir zu Büchern und hoffen, hier Bestätigung, neue Erkenntnisse, vielleicht auch Trost zu finden. Bücher sind Fluchtpunkte, Bojen in Zeiten der Verunsicherung“, unterstrich Riethmüller.

Friedenspreisträger und -preisträgerinnen prangern seit 1950 Unrecht und Unterdrückung, Hass und Krieg an. „Sie rufen uns immer wieder in Erinnerung, dass uns allen, die wir das Privileg haben, in sicheren Verhältnissen zu leben, auch die Verpflichtung zukommt, uns für eine friedliche und gerechte Welt einzusetzen“, unterstrich der Redner.

Die Laudatio hielt die österreichische Autorin Eva Menasse. Sie lobte „die Präzision der Messerwerferin, mit der sie ihre Figuren mit drei, vier Sätzen nicht nur umreißt, sondern unvergesslich macht“, aber auch die politische Stimme Margaret Atwoods.

Über Der Report der Magd sagte Menasse: „Man schlägt das Buch auf und steckt sofort in einer archaischen Welt voller Unterdrückung und Überwachung. Und mit einem Mal hält man für möglich, selbst eines Tages aufzuwachen, und die Welt wäre anders geworden, aber eben nicht ganz fremd und unbekannt, sondern bloß radikalisiert in einer Richtung, die auch in unserer Gegenwart verborgen möglich scheint. So wie Demokratie leider kein unumkehrbarer Zustand ist, ist es auch die Gleichberechtigung nicht.“

Deshalb dränge sich die Frage auf – heute mehr denn je – wie eine Gesellschaft die Weichen stellen kann, um eine fundamentalistische Revolution zu verhindern.

„Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für diese großartige Schriftstellerin, für diese boshaft kichernde weise Frau – das war eine Möglichkeit. Nun ist es hochverdiente Wirklichkeit“, schloss Menasse.

Peter Feldmann, Margaret Atwood, Heinrich Riethmüller

Die Geehrte begann ihre Dankesrede auf Deutsch: „In den 1950ern habe ich im Gymnasium in Toronto Deutsch gelernt. Heute ist das eine schöne Gelegenheit, Sie in Ihrer Sprache zu begrüßen.“ Der Preis sei eine große Ehre – auch deshalb, „weil Buchhändler von Natur aus aufmerksame Leser sind – und damit zu den lieben Lesern zählen, für die jeder Schriftsteller schreibt“.

Margaret Atwood erzählte, dass sie im Alter von sieben Jahren mit ihrem zweiten Roman gestrandet sei. Die Heldin sei eine Ameise gewesen, der Anfang des Buches sei vielversprechend, der Mittelteil frustrierend, vielleicht sogar langweilig gewesen, aber mit einem Insekt als Heldin? Kafka habe dieses Problem allerdings recht gut in den Griff bekommen.

Auf die Weltlage eingehend nannte sie die problematischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten. „Großbritannien macht ebenfalls gerade schwierige Zeiten durch, mit viel Heulen und Zähneklappern. Und dasselbe gilt, wenn auch auf weniger drastische Weise, aber doch – im Anbetracht der jüngsten Wahlergebnisse – auch für Deutschland.“ An vielen Fronten bestünde also Anlass zur Sorge.

Sie erzählte eine Fabel von Kaninchen und Wölfen, eine Geschichte, in der es um Macht und Herrschaft über andere geht. Alles eigentlich bekannt – und doch wiederholen sich diese Muster in der menschlichen Gesellschaft.

Die Bürger jedes Landes müssten sich fragen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. „Wenn wir Abstand nehmen von unserem Menschenbild – soweit Abstand nehmen, bis die Grenzen zwischen den Ländern verschwinden und die Erde zu einer blauen Murmel im Weltall wird, mit viel mehr Wasser darauf als Land –, liegt es auf der Hand, dass unser Schicksal als Spezies daran geknüpft ist, ob wir die Meere zerstören oder nicht. Sterben die Meere, dann sterben auch wir – mindestens sechzig Prozent unseres Sauerstoffs stammt von Meeresalgen.“

Doch es gäbe Hoffnung – und während geniale Köpfe solche Probleme zu lösen versuchen, bleibt es der Kunst überlassen, Botschaften auszusenden.

Atwoods Gabe des Schreibens verdanke sie den Lehrern, den Schriftstellern, ihrer Mutter, „einer wunderbaren Vorleserin“. „Eine Gabe sollte erwidert oder weitergegeben werden – sie sollte von Hand zu Hand wandern wie ein Buch. Lassen Sie uns hoffen auf eine Welt, in der solche Gaben noch immer möglich sind“, sagte die Autorin zum Schluss und erhielt langen Beifall, das Publikum applaudierte stehend.

JF

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