Heute im Sonntagssgespräch mit Philipp Ortmaier: Warum readfy mit eigenen Inhalten startet „Wir wissen genau, was Leser wollen“

readfy, der Anbieter von kostenloser E-Book-Lektüre, hat am Freitag die erste eigene E-Book-Serie gestartet. Sie wurde auf Grundlage von Daten entwickelt, die aus der Auswertung des Leseverhaltens von fast einer halben Millionen readfy Lesern gewonnen wurden. readfy-Geschäftsführer Philipp Ortmaier erzählt heute  im Sonntagsgespräch, wie es dazu kam – und warum.

Philipp Ortmaier

Wieso machen Sie jetzt eine eigene Serie?

Philipp Ortmaier: Wir bauen unser Angebot für unsere User stetig aus. Natürlich dienen da erfolgreich etablierte Modelle aus anderen Branchen, wie zum Beispiel aus dem Musik- oder Video-Streaming, als Vorlage. Neben unserem kostenlosen Modell haben wir daher schon 2016 ein Pay-per-rent-Modell eingeführt, um unseren User die Möglichkeit zu geben, eBooks auch offline und ohne Werbeeinblendung zu lesen. Die Entwicklung einer eigenen eBook-Serie war ein logischer Schritt zur Erweiterung unseres Angebots.

Aber Sie verlassen damit die eigentliche Grundidee – warum?

Philipp Ortmaier: Die Grundidee von readfy, nämlich unseren Lesern ein kostenloses, werbefinanziertes Lesevergnügen zu ermöglichen, behalten wir weiter. Mit der Erweiterung unseres Angebots um eigene Inhalte bauen wir unsere Position als die führende Plattform für digitales Lesen aus. Außerdem nutzen wir die Möglichkeiten, welche die Digitalisierung bietet, konsequent aus: Wir generieren einzigartige Daten aus dem Leseverhalten unserer User. Wir gewinnen dadurch fundierte Kenntnisse über die Lesebedürfnisse unserer Leser. Diese Daten zu nutzen und Inhalte zu konzipieren, die genau auf die Bedürfnisse unserer Leser zugeschnitten sind, liegt für uns auf der Hand. Es wäre für uns nahezu fahrlässig, diese Daten nicht zu nutzen.

Was genau ist Reader Analytics?

Philipp Ortmaier: Bei readfy wurden mittlerweile über 100 Millionen Seiten von rund 400.000 Lesern gelesen. Reader Analytics bedeutet, dass wir diese Daten anhand bestimmter Fragestellungen untersuchen. Auf welche Genres, auf welche Titel entfallen die meisten gelesenen Seiten? An welchen Stellen brechen die meisten User ab? Werden bestimmte Stellen mehrmals gelesen? Was haben vielgelesene Titel gemeinsam? Auch haben wir erfolgreiche Titel und weniger erfolgreiche Titel verglichen und analysiert, welche Wörter in den „guten“ Titeln häufiger vorkommen und welche in den „weniger guten“. Die Daten werden dabei selbstverständlich anonymisiert und unter Berücksichtigung aller datenschutzrechtlichen Vorgaben ausgewertet. Auch bei der Auswahl der Autorinnen für unsere erste Serienproduktion haben wir uns auf die Daten verlassen: Pea Jung und Sina Müller gehören zu den Top-Autorinnen bei readfy. Tanja Neise hat sich auf einer anderen großen Plattform einen Namen gemacht.

Wie genau kann man sich die Entstehung einer readfy originals-Serie vorstellen?

Philipp Ortmaier: Das Autorinnen-Team hat von uns ein Briefing erhalten, welches die Erkenntnisse aus der Datenanalyse enthielt. Natürlich haben wir den Autorinnen nicht bis aufs Wort vorgegeben, was sie schreiben sollen. Das Briefing enthielt Vorgaben zum Genre, Setting, Erzähl-Perspektive, Figuren, Stimmung und Textlänge. Daraus ist die Story entstanden. Die nachfolgenden Steps wie Lektorat, Covergestaltung, Marketing usw. wurden von uns inhouse gestemmt.

Welche Erkenntnisse haben sie gewonnen bisher?

Philipp Ortmaier: Die erste Erkenntnis: Es macht extrem viel Spaß, eine eigene Serie zu entwickeln! Bei readfy haben alle langjährige Erfahrungen in der Buchbranche und sind zudem begeistert von digitalen Themen. Wir hatten das gesamte Know How also schon an Bord und konnten professionell und durchdacht unsere erste Serie entwickeln. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Reader Analytics funktioniert. Die Serie ist bei unseren Lesern extrem gut angekommen. Das Potential davon ist aber noch lange nicht erschöpft, hier lohnt es sich, weiter zu experimentieren und Neues zu wagen. Die Vorteile, auch für klassische Verlage, liegen auf der Hand: Wer ganz genau weiß, was seine Leser wollen, erspart sich Fehlinvestitionen und Ladenhüter.

Welche Wünsche haben Sie jetzt (noch?)

Philipp Ortmaier: Wie gesagt, die Möglichkeiten, die sich mit Reader Analytics bieten, sind lange noch nicht erschöpft. Auch andere Potentiale, die die Digitalisierung für das Lesen hervorbringt, gilt es weiter auszuschöpfen. Die Verknüpfung der Story mit Social-Media-Kanälen, die den Leser selbst zu einer Figur in der Serie werden lässt, ist ein ganz wesentlicher Teil des Konzepts. Mit unserer ersten Serie haben wir quasi die Tür aufgestoßen. Hier wünsche ich mir mehr Mut von allen Beteiligten, durch diese Tür zu gehen und mit uns zusammen an einer Form des Lesens zu arbeiten, die dem digitalen Leser gerecht wird.

Wie geht’s weiter?

readfy originals ist am 11. August gestartet. 3Hearts2gether – Der Pakt ist dabei der erste Teil von insgesamt 10 Episoden der Serie. Wir möchten anschließend weitere exklusive Serien unter readfy originals auch in anderen Genres bei uns veröffentlichen und das Modell fest in unserem Angebot verankern.

Wie sehen Sie den Markt?

Philipp Ortmaier: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir im Buchmarkt kurz vor einer nächsten Digitalisierungswelle stehen – trotz eher zurückhaltender aktueller eBook-Zahlen aus den USA etc. Aber die Digitalisierung wird nicht Halt vor dem Buchmarkt machen. Wir sind ja weiterhin eine der wenigen Branchen, welche sich lange Zeit, drücken wir es vorsichtig aus, verhalten im Umgang mit dem Internet verhält. Aber wir müssen an die Leser, an unsere Kunden, von morgen denken. Wenn ich Kinder und Jugendliche in der U-Bahn auf dem Weg zur Schule sehe, haben da die Wenigsten ein richtiges Buch in der Hand sondern eben das Smartphone. Hier müssen wir Angebote schaffen, diese neue Kundschaft abzuholen und ihnen auch den Einstieg oder Umstieg zum herkömmlichen Medium Buch zu erleichtern. Wir dürfen diesen Kundennachwuchs nicht stillschweigend an die Games-, Video- und Musikbranche abtreten, sondern müssen eine echte Alternative sein – und sei es eben dadurch, dass wir das sogenannte „casual reading“ stärken. Ich bin selber gelernter Sortiments-Buchhändler und finde den Erhalt unserer Buchkultur wichtig. Aber wir dürfen uns dem digitalen Wandel nicht verschließen und keine Ängste vor Konkurrenz im Internet haben. Wir müssen innovativ, schnell und mutig sein – das kann die Branche von Startups lernen. Für readfy wünsche ich mir, dass es uns in der Branche weiterhin gelingt, Vorurteile und Ängste abzubauen.

Gibst es Botschaften an die Branche? 

Philipp Ortmaier: Ich hoffe, dass die Buchbranche weiter die Angst vor der Digitalisierung abbaut und hier die vielzähligen Chancen sowie Möglichkeiten erkennt. Mit readfy originals haben wir eine neue Möglichkeit für den Bereich der Story-Entwicklung aufgezeigt: Nämlich mit dem Einsatz von Reader Analytics eine auf das Lesebedürfnis unserer Leser zugeschnittene Story zu entwickeln. Ich hoffe, dass die Kollegen hier die Möglichkeiten der Digitalisierung vor allem auch in der Verlagsprogrammplanung erkennen und dies nicht als Gefahr, sondern als Erweiterung für die Vielfalt des Buchmarktes sehen.

Deutschland hat weltweit eine Vorreiterrolle im internationalen Buchmarkt. Ich wünsche mir, dass die Branche zusammen noch stärker zum weltweiten Ideengeber wird – eine Art Silicon Valley . Dass wir uns eben nicht auf 7 Prozent Mehrwertsteuer ausruhen, dass wir mutige Projekte sehen – von denen auch einige sicherlich scheitern werden, aber das gehört zu einer lebendigen Branche dazu – und dass es uns so gelingt, den digitalen Wandel im Buchmarkt zu stemmen. Dazu brauchen wir eine mutige Branche, die Startups und Gründer mehr unterstützt und fördert. Wir bei readfy wollen digitaler Vorreiter und Impulsgeber sein. Wir freuen uns daher auf aktiven Austausch mit Kollegen, Verlagen und Autoren.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

 

 

Kommentare (2)
  1. Die Mentalität, dass Literatur ein Produkt ist, das den Bedürfnissen des Konsumenten ideal zugeschnitten werden sollte, scheint mir recht irrig und verachtend. Es verachtet den Autor, der sich Gedanken über die Welt macht und der Welt einen Spiegel (ein Spiegelkabinett) vorhalten will, und es verachtet den Leser, der die Welt in einem Spiegel(kabinett) erfahren möchte.
    Auch die Trennung, die der interviewte Herr zwischen „casual reading“ und allem anderen Lesen macht, finde ich fragwürdig. „Casual reading“ soll wohl eine Anlehnung an „casual gaming“ sein, also Spielen als Hobby ohne professionelle Ambitionen. Und wie passt das zur Literatur? Haben alle Leser, die literarische Texte lesen, professionelle Ambitionen? Und wer nicht selbst Schriftsteller werden will, liest nur „casually“, das heißt am liebsten einen statistisch generierten Brei aus den größten gemeinsamen Nennern erfolgreichen Romane, um während der Bahnfahrten und vor dem Einschlafen das Hirn auszuknipsen? Das ist ein recht zynisches Menschenbild, das vielen Lesern nicht gerecht wird. Es ist bedauerlich, dass das hier als Fortschritt propagiert wird.

    • Liebe Frau Nguyen,
      herzlichen Dank für Ihr Feedback. Austausch, Kritik und Anregungen finde ich gut und wichtig. Lassen Sie mich kurz antworten:
      Den Fortschritt, den ich propagiere, bezieht sich auf den Einsatz von Reader Analytics. Wie ich gesagt habe, hoffe ich, dass Verlage (oder auch bspw. Sie) nicht irgendwelche Gefahren sehen durch unser Modell. Wir wollten sicherlich keinen Literaturnobelpreis gewinnen mit unserer Serie, sondern eben unterhalten. Es ist eben ein neuer Ansatz, den Digitalisierung ermöglicht. Wenn sich unsere Branche der Digitalisierung verschließt, Trends hier nicht mitgeht oder Sachen ausprobiert, wird es der heutige vielfältige Buchmarkt meiner Meinung nach in Zukunft sehr schwer haben haben.
      Und uns vorzuwerfen, wir verachten den Leser, finde ich falsch. Grade wir setzten dem Leser doch nicht einfach etwas vor, was wir als „gut“ ansehen sondern gehen eben auf das Lesebedürfnis unserer Leser ein – das muss ja nicht Ihr Geschmack sein, sondern soll eben erstmal den Geschmack unserer Leser bedienen. Ihren Vorwurf kann ich also so nicht stehen lassen.
      Gerne können wir uns hierzu jederzeit persönlich weiter austauschen.

      Viele Grüße
      Philipp Ortmaier

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