Das Sonntagsgespräch Dr. Andreas Rötzer: Warum stiften Sie einen Preis für „Nature Writing“?

Der Verlag Matthes & Seitz vergibt in diesem Jahr – in Kooperation mit dem Bundesamt für Naturschutz – erstmalig den mit 10.000 Euro dotierten Preis für Nature Writing. Die erste Preisträgerin ist Marion Poschmann, die den Preis am 11. April entgegennehmen kann. Wir sprachen mit Dr. Andreas Rötzer, Verleger Matthes & Seitz, über die Gründe und Motivationen für einen solchen Preis.

BuchMarkt: Herr Rötzer, wie kam es zu den „Naturkunden“?

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Andreas Rötzer: „Nature Writing ist unterhaltend, berührend und bildend“ Foto: Julia Vietinghoff

Andreas Rötzer: Nach 8 Jahren Programmarbeit bei Matthes&Seitz wurde mir um 2011 herum klar, dass es ein Thema gibt, das als eine Art stilles Motiv das eigene Programm durchzog: Natur, Bewegung, Raum. Mit der Herausgabe der 10-bändigen Die Erinnerungen eines Insektenforschers von Jean-Henri Fabre, Tomas Espedals Gehen oder Wasili Galowanows Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens hatten wir sogar einige Aufmerksamkeit erhalten, so dass es Zeit war, dem Thema mehr Sichtbarkeit zu geben.

Und dann trafen Sie auf Judith Schalansky?

Die Begegnung mit Judith Schalansky war diesbezüglich eine Sternstunde, in kurzer Zeit  nach den ersten Gesprächen stand die Idee, Bücher über Natur zu machen, die darüber hinaus edel ausgestattet waren und dem Begriff Schönes Buch noch einmal einen ganz anderen Dreh gaben. Schon das erste Programm war sehr erfolgreich, so dass wir nun wie im Handumdrehen im vierten Jahr der Reihe angelangt sind.

Und nun vergeben Sie gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz den mit 10.000 Euro und einem Aufenthaltsstipendium auf der Insel Vilm versehenen „Deutschen Preis für Nature Writing“. Marion Poschmann ist die erste Preisträgerin, im April wird der Preis verliehen. Was genau versteht man darunter?

Der Begriff ist nicht adäquat ins Deutsche zu übersetzen, da der Begriff „Natur“ im Deutschen eine viel engere Bedeutung als im Englischen hat. Wir haben lange nach einer Entsprechung gesucht, aber selbst in Frankreich hat sich die englische Bezeichnung für dieses Genre durchgesetzt. Es geht beim Nature Writing um eine literarische Auseinandersetzung mit Natur und Umwelt, mit dem Menschen in der Natur. Diese kann sich sowohl in Lyrik, Prosa oder Essayistik ausdrücken, der Ausgangspunkt ist dabei die eigene reflektierende und reflektierte Beobachtung von Phänomenen der Natur, die ausdrücklich nicht die „heile“ Natur sein muss. Naturwissenschaftliches und Autobiografik sind ebenso Elemente wie experimentelles Schreiben ein Zugang sein kann.

Das klingt alles sehr theoretisch…

Das klingt nur so, die Texte sind ungeheuer sinnlich und berührend, und wenn Sie an die Bücher von Helen Macdonald oder Robert Macfarlane denken, sind damit auch große Leserschaften anzusprechen. Nature Writing ist unterhaltend, berührend und bildend.

Aber weshalb stiften Sie diesen Preis?

Das Thema Nature Writing halte ich für sehr wichtig. Wir leben in einer Zeit, in der nicht nur Biodiversität radikal und rasend schnell abnimmt, das Schreiben über Natur also mithin auch archivische Funktion bekommt, sondern auch in einer Zeit leben, in der die Menschen den Kontakt zur Natur verlieren oder bereits verloren haben, der Mensch erfährt Natur nur noch vermittelt über virtuelle Welten im Internet oder instrumentalisiert als Wald, durch den gejoggt wird oder Berg, den man erklettert, und nur noch die Leistung misst, den Blick auf die umgebende Welt jedoch verliert. Man verliert diesen Blick in dem Maßen, in dem uns der beschreibende Zugang zur Natur immer fehlt. Der Abnahmen der Biodiversität geht mit der Abnahme in der sprachlichen Fähigkeit einher, diese Umwelt überhaupt zu beschreiben – und damit wahrzunehmen. „Nature Writing“ setzt genau hier an – es erweitert sprachliche Möglichkeiten und damit unsere Wahrnehmungsfähigkeit.

Dabei geht es noch um einen weiteren Punkt, und hier wird Nature Writing auch philosophisch: Es geht um die Verortung des Menschen im Verhältnis zur Natur im Anthropozän, den Stand des Menschen zwischen Kultur und Natur, und der Natur, die schon mehr Kultur ist als wilde Natur.

Nature Writing erfährt in anderen Ländern schon weit größere Aufmerksamkeit…

Darum geht es! Der Preis möchte Öffentlichkeit für dieses Genre schaffen und deutsche Nature Writing anregen. Während in angloamerikanischen Ländern dieses Genre bereits breiter Mainstream ist, fristet es hierzulande fast noch ein Nischendasein, was man auch daran erkennt, dass es keine adäquate deutsche Bezeichnung dafür gibt.

Woran liegt das?

Nach der romantischen Tradition der Naturbeschreibung war das Sprechen über Natur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland im Wesentlichen politisches Sprechen, das ästhetische Sprechen über Natur ging darüber verloren –  wenn man von wenigen Autoren wie Peter Handke, Jürgen von der Wense, Wilhelm Lehmann absieht. Erst mit Autoren wie Marcel Bayer, Marion Poschmann, Esther Kinsky  bekommt es eine neue Qualität.

Können Sie noch ein paar Empfehlungen geben?

Neben den genannten wie Jean-Henri Fabre, Robert Macfarlane, Esther Kinsky oder Helen Macdonald verdienen besonders die Gründer des Genres wie John Muir, Henry David Thoreau oder Edward Abbey Beachtung.

In der vergangenen Woche sprachen wir mit Dr. Fritz Behrens „Herausbekommen, wo Independents der Schuh drückt“

 

 

 

 

 

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