Auszeichnungen Sebastião Salgado teilt den Friedenspreis mit vielen Menschen

Die Paulskirche trug am Sonntagvormittag, dem letzten Tag der Frankfurter Buchmesse, einen besonderen Schmuck: Rechts der Bühne war eine Bild aus der Goldmine Serra Pelada in Brasilien zu sehen, Hunderte schuftender Arbeiter bewegen sich wie Ameisen über den Berg der weltgrößten Freiluftmine. Links der Bühne zeigte eine große Schwarz-Weiß-Aufnahme den hohen Norden von Antarktis Alaska mit einem Wolkendom, aus dem Sonnenstrahlen auf die Erde treffen.

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann begrüßte die rund 700 geladenen Gäste am gestrigen Vormittag zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels traditionell in der Paulskirche, „dem richtigen Ort für so eine Veranstaltung“. Deutlich grenzte sich Feldmann von antidemokratischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Äußerungen ab, denen man bei aller Toleranz konsequent Haltung entgegensetzen müsse.

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, begann sein Grußwort mit dem Gedicht Andere Erde von Christoph Meckel. Die Verse seien ihm in den Sinn gekommen, als er die Fotografien von Sebastião Salgado gesehen habe. Dichter und Fotograf beschrieben beide eine fragile Welt; in verdichteter Sprache, Licht und Schatten, konzentriert auf das Wesentliche.

Zum ersten Mal zeichnet der Börsenverein einen Fotografen aus, „dessen subjektive Sichtweise eher mit der eines Literaten vergleichbar ist“, erklärte Riethmüller.

In seiner Laudatio unterstrich Wim Wenders die Arbeit Salgados als „Werk und Wirken des Friedens.“ Der sei in unserer Zeit ein höchst fragiles Gut geworden. „Frieden hatte mal einen ganz anderen Stellenwert … Millionen sind dafür früher auf die Straße gegangen, heute nicht mehr, obwohl die Anzahl der Kriege weltweit Jahr für Jahr zunimmt.“ Andere Konflikte „wie die Klimakatastrophe, die jegliche Zukunft auf dem Planeten verdunkelt, wie die gewaltigen Völkerwanderungen … wie Ungerechtigkeit, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit“ hätten sich in den Vordergrund geschoben.

Wenders konzentrierte sich auf drei Werke Salgados in der großen Fülle seiner Arbeiten. Der Fotograf beschäftigte sich ein Jahrzehnt mit dem industriellen Zeitalter. „Er dokumentiert und zeigt uns das Ende dieses Zeitalters, aber auch das Ende der Wertschätzung und der Würde vieler manueller Berufe und kündigt an, wie Arbeit und das Recht auf die Arbeit selbst devaluiert und desavouiert werden, wie mit dem Verlust von Arbeit Ungleichheit und somit Unfrieden entstehen muß.“

Ein weiteres Jahrzehnt widmete der Sozialfotograf dem Thema Migration, fotografierte die ersten Opfer der Erderwärmung, die Tuareg.

In Ruanda gerät Salgado zwischen die Fronten der Völkermorde. „Er blickt so tief in das Herz der Dunkelheit, daß er dabei den Glauben an die Menschheit verliert. Fast wäre er daran zerbrochen.“ Doch dann nimmt Salgado mit der Kamera die Schönheit der Welt auf, ihre Unversehrtheit, findet Orte und Menschen, die noch nie fotografiert worden sind.

Alle drei großen Themen zeigen: „Es kann keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit und ohne Arbeit geben, es kann keinen Frieden ohne Anerkennung der Menschenwürde geben, und ohne die Beendigung der unnötigen Zustände von Armut und Hunger, und es kann keinen Frieden geben, ohne daß wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten.“

„’Macht Euch die Erde untertan’, heißt leider immer noch die landläufige Übersetzung der Bibel, was von einem großen Hochmut zeugt, der sich in Überheblichkeit und schließlich in Rücksichtslosigkeit verwandelt hat. Eine korrekte Übersetzung des Buches Genesis hätte von Anfang an lauten müssen: ‚Ich vertraue Euch die Erde Eurer Fürsorge an, Ihr seid für sie verantwortlich.’“ Das Publikum applaudierte.

„Nur einer [wie Salgado], der so mit anderen gelitten hat … sie begleitet hat, ihnen Zeit geschenkt hat … nur so einer kann uns auch die Augen aufmachen und sagen: ‚Schaut, was es noch alles gibt, was noch so ist wie am Anfang. Schaut, was Ihr noch erhalten könnt und müßt, und was noch nicht für immer vergangen ist.’ So einem Blick kann man trauen.“ Wenders bekam an dieser Stelle erneut Beifall.

„Das Unfassbare ist: Auch wenn Du kein einziges Photo gemacht hättest, Sebastião, wärst Du trotzdem ein Held des Friedens. Dann würden die fast drei Millionen Bäume für Dich sprechen, die Du mit Hilfe von Lélia gepflanzt hast … Auch dieses Kapitel Deines Leben könnte Genesis [wie das Buch von Salgado] heißen. Eine andere Genesis, in der wir Verantwortung übernehmen. Wir danken Dir für beides.“

Anschließend verlas Heinrich Riethmüller die Urkunde des Friedenspreises und übergab sie feierlich an Sebastião Salgado, die Gäste in der Paulskirche waren aufgestanden. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.

Der Geehrte bedankte sich: „Ja, ich bin stolz darauf, dass mir der Friedenspreis verliehen wird, einem Fotografen, der viele Jahrzehnte lang langwierige investigative Projekte durchgeführt hat; einem Fotografen, der einen großen Teil seines Lebens dafür eingesetzt hat, Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben; einem Fotografen, der diese Menschen ins Zentrum eines großen fotografischen Essays stellt, den er vor fünfzig Jahren begonnen hat und bis heute weiterschreibt.“ Mit den Ärmsten der Menschheit möchte er den Preis teilen.

Als Teenager lernte er in der brasilianischen Stadt Vitória seine Frau Lélia kennen. 1969 mussten beide nach Paris ins Exil gehen. „Vielleicht erklärt dieser Weg, warum ich mich für Bevölkerungsgruppen einsetze, die ihre Heimat verlassen haben, vertrieben oder bedroht von Kriegen, Armut oder rücksichtsloser Modernisierung … Meine Sprache ist das Licht. Denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt.“

Eindringlich berichtete Salgado vom Völkermord in Ruanda, bei dem 1994 zunächst über 800.000 Menschen, meist Tutsi, abgeschlachtet wurden. „Dieser Völkermord hätte gestoppt werden können, wenn sich Europa und die Vereinten Nationen eingeschaltet hätten“, kritisierte Salgado. Die Welt habe gewusst, was vor sich ging.

Wenige Wochen später marschierte eine Tutsi-Armee in Ruanda ein. Rund 200.000 Flüchtlinge, meist Hutu, durchquerten ein etwa 500 Kilometer dichtes Dschungelgebiet, um Kisangani in der Republik Kongo zu erreichen, nur 35.000 kamen an. Salgado begleitete damals den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in das Lager bei Kisangani und blieb. Er hielt das entsetzliche Leid der Flüchtlinge mit der Kamera fest. Ein Grundschuldirektor, bei dem Salgado wohnte, warnte den Fotografen, man wolle ihn töten. „Der Lehrer hat mir das Leben gerettet“, sagte Salgado. Die überlebenden Hutu wurden später alle ermordet. „Der Anblick der Fotos, die ich gemacht habe, ist nur schwer zu ertragen, und es hat tiefe Narben in meinem Gedächtnis hinterlassen.“ So möchte der Fotograf seinen Preis mit diesen Menschen teilen, sagte er mit Tränen in den Augen.

Von diesen Erlebnissen erholte sich Salgado nur langsam. Von 2004 bis 2012 bereiste er Antarktis und Arktis, Sibirien, Neuguinea, Sumatra, Äthiopien, den Sudan und das Amazonasgebiet.

Als die Europäer um 1500 in diesem Gebiet ankamen, lebten schätzungsweise vier bis fünf Millionen Indigene dort. „Heute sind es noch 310.000, die sich auf 169 Stämme verteilen und mehr als 130 Sprachen sprechen. Die Dezimierung der indigenen Völker in Nord- und Südamerika … ist eine der größten demographischen Katastrophen der Geschichte“, erklärte Salgado. Er lebte bei verschiedenen Amazonas-Stämmen, brachte Zeit auf und Verständnis, genoss Vertrauen und Respekt. „Auch mit meinen Freunden aus dem Regenwald möchte ich diesen Preis teilen“, äußerte der Fotograf.

„Die Zukunft der Menschheit liegt in unseren eigenen Händen. Um eine andere Zukunft zu errichten, müssen wir die Gegenwart verstehen. Meine Fotos zeigen diese Gegenwart, und so schmerzhaft der Anblick ist, wir dürfen den Blick nicht abwenden“, stellte Salgado unter Beifall fest.

Der Preis gelte auch seiner Frau: „Alles, was ich heute gesagt habe, alles was ich getan habe, hat Lélia ermöglicht. Sie ist es, die unsere Bücher gestaltet, die Umschläge auswählt, das Layout macht, die Fotos und Texte zusammenstellt. Auch zurzeit arbeitet sie an einem neuen Buch über Amazonien … Dank Lélias Energie und Entschlossenheit haben wir es geschafft, in meiner Heimatstadt Airmorés ein wundervolles Aufforstungs-Projekt in die Tat umzusetzen. Das Instituto Terra, wie wir es genannt haben, ist in jeder Hinsicht unsere Genesis“, schloss Sebastião Salgado. Die Standing Ovations für den diesjährigen Friedenspreisträger und seine höchst emotionale Rede hielten sehr lange an.

JF

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