Perspektiven des heutigen Feminismus Svenja Flaßpöhler und Margarete Stokowski diskutierten im Ullstein Resonanzraum

Ein spannender Abend in den Ullstein Buchverlagen. Im Musiksaal des Verlagshauses an der Friedrichstraße trafen sich gestern die Philosophinnen und Autorinnen Svenja Flaßpöhler und Margarete Stokowski zur fünften Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Resonanzraum“. Moderiert von Juliane Rump, Chefredakteurin des Libertine Magazins, diskutierten sie über Perspektiven des heutigen Feminismus.

Margarete Stokowski, Svenja Flaßpöhler

Svenja Flaßpöhler steht netzfeministischen Diskursen wie #metoo kritisch gegenüber. Diesem „Hashtag-Feminismus“ setzt sie ihre soeben erschienene Ullstein- Streitschrift Die potente Frau entgegen, in der sie ein offensiveres Verständnis von Weiblichkeit fordert und dafür plädiert, dass Frauen ihr Begehren eigenständig und selbstbestimmt leben sollen: „Nur wenn die Frau in die Potenz findet, kann sie Autonomie nicht nur einfordern, sondern auch leben.“

In der Debatte um die #metoo-Fälle kritisierte Svenja Flaßpöhler das Festhalten am Opferdiskurs und plädierte für mehr Differenzierung. Frauen sollten aufhören, die männliche Macht zu stützen, indem sie sich schwächer machen als sie sind. Frauen hätten durchaus Handlungsmöglichkeiten. „Wir müssen auch an uns selber arbeiten“, betonte sie.

Margarete Stokowski, eine wichtige Stimme im gegenwärtigen Feminismus, verteidigte die #metoo-Debatte als notwendig, weil sie Frauen ermutigt und bestärkt. Im Herbst erscheint nach Untenrum frei mit Die letzten Tage des Patriarchats ihr zweites Buch im Rowohlt Verlag.

„Im Grundimpuls liegen wir gar nicht weit auseinander“, bilanzierte Svenja Flaßpöhler. „Es geht um den Weg“. Beim anschließenden Empfang diskutierten die zahlreichen, überwiegend weiblichen Gäste noch leidenschaftlich weiter.

Die Debatte wurde im Livestream übertragen und ist auf dem Facebook-Kanal des Ullstein Verlags abrufbar.

ml

Kommentare (14)
  1. Frau Flaßpöhler macht m.E. paar entscheidende Fehler.

    #Metoo ist nicht nur Netzfeminismus, sondern es geht in allererster Linie um Betroffene (m/w) sexueller Gewalt als eine Form von Machtmissbrauch, und findet auch offline statt. Es geht darum, dass Betroffene, die bisher ihre Erlebnisse höchstens in einem engen Rahmen (Therapie, Freundeskreis, Familie, Firma, Polizei) geschildert haben, es in einem größeren Rahmen tun und so merken, dass sie nicht alleine sind. Oft können Täter erst nach mehreren voneinander unabhängigen Anzeigen angeklagt werden.

    Frau Flaßpöhler vermischt zudem das „Ja sagen“ und das „Nein sagen“. Sie fängt damit an, dass eine Frau ihre Sexualität und ihr Begehren aktiver und eigenständiger leben sollte (dagegen ist nichts einzuwenden) – und dann gleich von den Frauen zu fordern, sich stärker zu wehren, wenn sie nicht wollen (das hat mit dem Ausleben des eigenen Begehrens nichts zu tun).

    Letztendlich fordert sie damit nicht das (wirklich befreiende) „Ja heißt Ja“ Prinzip sondern zementiert das „Nein heißt Nein“ Prinzip, gekoppelt mit Opferbeschuldigung (Du hast Dich nicht genug gewehrt).

    Was Frau Flaßpöhler übersieht ist auch, dass wenn Betroffene von sexueller Gewalt ihre Täter anprangern, sie dies nicht wegen Feminismus tun, oder um das Patriarchat zu stürzen. Es ist ein Ausdruck, dass sie die sexuelle Gewalt nicht in Ordnung finden und dass sie sich solche Gewalt nicht gefallen lassen möchten.

    • Flaßpöhler hat Leuten wie Stokowski eine wichtige Eigenschaft voraus: Sie ist keine depressive Teenagerseele ohne Selbstwertgefühl, welches aus ihrer Opferrolle nicht mehr herauskommt (und auch nicht herauskommen will, und besagte Rolle daher zur persönlichen Marke und einzig möglicher Einkommensquelle machen muß).

      Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, #metoo IST reiner Netzfeminismus. Schlimmer sogar, #metoo ist in das irrelevante Twitter Geschrei der identity politics Horde absorbiert worden, wodurch auch das letzte Bisschen Nutzen und Legitimität, welche die Bewegung zu Beginn noch hatte, abhanden gekommen ist. Im Alltag sowie politisch spielt #metoo weder in Europa noch in den USA irgendeine nennenswerte Rolle, da können Promi-Psychopathen wie Rose McGowan sich noch so oft als „brave“ deklarieren und den Fall einiger Hollywood Größen feiern. Gesellschaftlich ändert das exakt gar nichts.

      Frauen sind in der westlichen Welt nach wie vor verwirrt und verloren und wissen nicht, wo sie noch so etwas wie ihre eigene Sphäre finden sollen. Stokowskis Jammerfeminismus, der ein imaginäres Patriarchat als ewigen ideologischen Buhmann benötigt, macht dieses Problem nur noch schlimmer. Flaßpöhlers Ansätze sind zwar auch nicht alle pures Gold, gehen aber immerhin teilweise in eine Richtung, die Abhilfe schaffen könnte. (Mehr Eigenverantwortung der Frau, Schaffung von selbst definierten Lebens- und Handlungsräumen ohne permanente Unterdrückungsphantasiererei.)

      Die einzigen, die von #metoo profitieren, sind die pseudo-progressiven Klatschseiten und Meinungskolumnen diverser Printmedien. In spätestens einem Jahr wird von #metoo kein Mensch mehr reden. Genauso war es ja auch bei #Aufschrei.

      „[…] und ihr Begehren aktiver und eigenständiger leben sollte (dagegen ist nichts einzuwenden) – und dann gleich von den Frauen zu fordern, sich stärker zu wehren, wenn sie nicht wollen (das hat mit dem Ausleben des eigenen Begehrens nichts zu tun).“

      Stimmt. Aber Flaßpöhler hat ja auch nicht behauptet, daß letzteres die logische, d.h. notwendige Konsequenz des ersteren ist. Deswegen existiert die von Ihnen behauptete „Vermischung von Ja und Nein sagen“ nicht.

      „Was Frau Flaßpöhler übersieht ist auch, dass wenn Betroffene von sexueller Gewalt ihre Täter anprangern, sie dies nicht wegen Feminismus tun, oder um das Patriarchat zu stürzen.“

      Das übersieht sie nicht, schon allein deswegen, weil sie es nie behauptet hat. Wer Leuten Worte in den Mund legen muß, um sie, vermeintlich, zu widerlegen, macht sich damit nur unglaubwürdig.

      • Ich habe in den jungen Jahren sexualisierte Gewalt in einer Einrichtung erlebt, und es ist für mich persönlich hilfreich, dass jetzt mehrere ehemalige Betroffene aus der Einrichtung reden. So verstehen wir die Zusammenhänge besser. Das geschieht nicht öffentlich und schon gar nicht auf Twitter. Das Reden wurde aber erst durch #metoo ermöglicht, bisher kannten wir uns nicht, und wir hatten zuviel Angst.

        Das bedeutet nicht, dass ich seither in der weiblichen Opferrolle geblieben wäre oder dass ich mir seitdem keinen Handlungsspielraum geschaffen hätte. Ich habe mein Leben aufgebaut. Die Aufarbeitung der Gewalttaten lasse ich mir aber nicht verbieten.

        Svenja Flaßpöhler spricht vom weiblichen Begehren. Gerade wo es wirklich interessant wird in diesem Zusammenhang steigt sie aber aus:

        Ist eine Frau potent, die ihre sexuellen Reize gezielt einsetzt, gar Sex mit dem Chef macht, um einen begehrten Job zu bekommen?

        Ist eine Frau, die auf der „Besetzungscouch“ Nein sagt, weniger potent als eine Frau, die Ja sagt?

        Ist eine Chefin potent, die ihr sexuelles Begehren bei ihren Mitarbeiterin auslebt?

        Da würde sie merken, dass es nicht damit getan ist, weibliches Begehren zu stärken.

  2. „Das Reden wurde aber erst durch #metoo ermöglicht“

    In einigen Fällen kann ein Solidaritäts-Anstoß wie #metoo selbstverständlich hilfreich sein (als allererster Schritt). Dieser durchaus positive Aspekt von #metoo steht aber nicht unter Flaßpöhlers Kritik. Weiter muß man rein empirisch leider zur Kenntnis nehmen (ich spreche aus 35-jähriger Erfahrung im Bereich „social justice“ Aktivismus), daß es bei öffentlichen Solidaritätsbekundungen erstens meist exakt dabei bleibt („fühl‘ die geknuddelt, und jetzt entschuldige, ich muß los“), und zweitens sehr leicht eine Mob-Stimmung entsteht, in der hauptsächlich Schuldzuweisung und Ideologie statt Opferhilfe betrieben wird. Genau das ist bei #metoo passiert. Schreien ist immer leichter als Handeln.

    Weder ich noch Flaßpöhler sind gegen #metoo als Ganzes. Was uns stört ist die Ineffektivität und die Ineffizienz solcher „Bewegungen“, die letztlich nur die Gemüter bewegen (d.h. aufregen), aber gesamtgesellschaftlich nichts lösen, auflösen oder verbessern.

    „bisher kannten wir uns nicht, und wir hatten zuviel Angst.“

    „Ich hatte zuviel Angst“ zieht als Argument bestenfalls für sehr junge Menschen, die mangelnde Erfahrung und Unwissen für sich geltend machen können. (Was übrigens auch für Männer gilt, die Gewalterfahrungen durchmachen mussten.) Wer aber wie Stokowski über 30 ist und immer noch redet und handelt wie mit 16, sollte sich in Therapie begeben statt die Gesellschaft aufzufordern, sich ihrem Trauma anzupassen. Was a) nicht passieren wird und b) auch wenn es stattfände, ihr nicht helfen würde. Flaßpöhler dagegen versucht, Ansätze zu finden, bei denen Traumata von vornherein vermieden werden. Sie denkt vorwärts, während Stokowski pseudo-progressiv in einem ewigen Opferstatus verharrt. (Was nicht dadurch besser wird, wenn das nun ganz viele tun.)

    „Das bedeutet nicht, dass ich seither in der weiblichen Opferrolle geblieben wäre oder dass ich mir seitdem keinen Handlungsspielraum geschaffen hätte. Ich habe mein Leben aufgebaut.“

    Dann sollten Sie doch logischerweise auf Flaßpöhlers Seite stehen, denn das ist ja genau das, wovon sie schreibt und redet. Stokowski kann dagegen nur eins: Ewig und überall eine „systemische“ Benachteiligung von Frauen sehen. Und überall dort, wo die nicht mal existiert, muß sie erfunden werden, um den Opferstatus zu erhalten.

    „Die Aufarbeitung der Gewalttaten lasse ich mir aber nicht verbieten.“

    Gegen wen richtet sich diese Bemerkung? Flaßpöhler hat Ihnen das ganz bestimmt nicht versucht zu verbieten. Das zu behaupten wäre nun wirklich absurd.

    Sie haben es doch oben selbst gesagt: Erstens ist Ihnen diese Aufarbeitung offensichtlich nicht verboten worden, und zweitens ist sie nicht durch #metoo geschehen. #metoo war bestenfalls ein Anstoß und/oder eine Kontaktmöglichkeit. Die Kritik an #metoo wendet sich aber, wie schon gesagt, nicht gegen DIESE Art der Nutzung der Bewegung. Natürlich ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich Gewaltopfer finden, gegenseitig unterstützen und organisieren können.

    Das Problem, welches social media und hashtag Aktivismus haben, ist, daß sie zu 99% aus nutzlosen öffentlichen Ausdrücken von Wut (teils berechtigt, teils nicht) bestehen, die eben NICHT zu einer Verbesserung der Lage der Opfer führen, und die zusätzlich noch Schaden anrichten, indem sie vielen nicht-Gewaltopfern, die aus anderen Gründen seelisch leiden, suggerieren, sie wären von diversen imaginären Strukturen „unterdrückt“.

    Das Problem mit strukturalistischen Ansätzen ist fast immer, daß irgendwann der Unterschied zwischen Modell und Realität vergessen wird. So wird dann z.B. aus real existierendem Sexismus ein vermeintlich ebenso reales „Patriarchat“, in dem alle Männer alle Frauen unterdrücken (oder im dem alle Männer „Privilegien“ haben, wie es neuerdings genannt wird). Dieser Ansatz ist sowohl faktisch wie auch konzeptionell falsch und führt seit Jahrzehnten immer wieder nur zu neuen, sinnlosen Grabenkriegen zwischen Mann/Frau, weiss/schwarz, Einheimischer/Ausländer, religiös/Atheist, usw.

    „Svenja Flaßpöhler spricht vom weiblichen Begehren. Gerade wo es wirklich interessant wird in diesem Zusammenhang steigt sie aber aus:
    Ist eine Frau potent, die ihre sexuellen Reize gezielt einsetzt, gar Sex mit dem Chef macht, um einen begehrten Job zu bekommen?
    Ist eine Frau, die auf der “Besetzungscouch” Nein sagt, weniger potent als eine Frau, die Ja sagt?
    Ist eine Chefin potent, die ihr sexuelles Begehren bei ihren Mitarbeiterin auslebt?
    Da würde sie merken, dass es nicht damit getan ist, weibliches Begehren zu stärken.“

    Ich denke, das ist ein Strohmannargument, denn

    1) ist „Potenz“ bei Flaßpöhler nicht auf das Sexuelle beschränkt.

    2) ist Flaßpöhlers Buch nicht darauf ausgelegt, spezielle Fragen wie die von Ihnen aufgeführten zu beantworten – das müssen Sie schon selber entscheiden, und das ist (u. a.) dann auch das, was Flaßpöhler mit „Potenz“ meint. Beispiel Besetzungscouch: Flaßpöhler sagt Ihnen nicht, ob „ja“ oder „nein“ richtig/falsch oder besser/schlechter ist, sie sagt nur, daß falls sie „ja“ sagen, sie nicht 30 Jahre später mit einer Anklage wegen sexueller Gewalt kommen und sich dabei auch noch als „potent“ (oder als „brave“) deklarien können. Diese Kombination ist schon rein logisch absurd (und moralisch dann erst recht).

    3) behauptet Flaßpöhler nicht, es sei „damit GETAN“, weibliches Begehren zu stärken. Welche Dimensionen Ihr Begehren annehmen soll, müssen Sie nämlich wiederum selbst entscheiden, ebenso wie was für SIE „Potenz“ ist. Flaßpöhler gibt Denkansätze, keine Kochrezpte „wie werde ich potent(er)“. Die Frau ist Philosophin, keine Autorin für Cosmopolitan.

    Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Ihnen unrecht tue, aber so wie sie argumentieren, kommen sie immer noch herüber als jemand, der nicht eigenständig denkt und handelt, sondern hauptsächlich auf seelischen Ekel reagiert. Das ist bei Gewaltopfern absolut verständlich, ist aber leider auch genau der Zustand, aus dem Sie herauswollen. Mit Stokowskischer Attitüde schaffen Sie das nicht, denn Stokowski betreibt Ekel-Pflege, nicht Ekel-Überwindung. Flaßpöhler versucht letzteres, und ich kann nachvollziehen, daß das auf jemanden arrogant und/oder ignorant wirken kann, der besagte Überwindung noch nicht ganz vollzogen hat, oder, falls das nicht möglich ist, gelernt hat, damit zu leben (was wohl der häufigere Fall sein dürfte).

    Lange Rede, kurzer Sinn: Die wütend-euphorische Mobmentalität von #metoo, die Stokowski für sich ausschlachtet, finanziell und seelisch, ist langfristig nicht ihr Freund. Das Hochgefühl, auf dem Stokowski momentan reitet, wird in spätestens 1-2 Jahren verschwunden sein, und dann muß entweder die nächste Sau durchs Dorf getrieben werden, oder es wartet ein noch schwärzeres Loch, in das sie fallen wird. Das wünsche ich weder ihr noch Ihnen.

  3. „Das Reden wurde aber erst durch #metoo ermöglicht“

    In einigen Fällen kann ein Solidaritäts-Anstoß wie #metoo selbstverständlich hilfreich sein (als allererster Schritt). Dieser durchaus positive Aspekt von #metoo steht aber nicht unter Flaßpöhlers Kritik. Weiter muß man rein empirisch leider zur Kenntnis nehmen (ich spreche aus 35-jähriger Erfahrung im Bereich „social justice“ Aktivismus), daß es bei öffentlichen Solidaritätsbekundungen erstens meist exakt dabei bleibt („fühl‘ dich geknuddelt, und jetzt entschuldige, ich muß los“), und zweitens sehr leicht eine Mob-Stimmung entsteht, in der hauptsächlich Schuldzuweisung und Ideologie statt Opferhilfe betrieben wird. Genau das ist bei #metoo passiert.

    „bisher kannten wir uns nicht, und wir hatten zuviel Angst.“

    „Ich hatte zuviel Angst“ zieht als Argument bestenfalls für sehr junge Menschen, die mangelnde Erfahrung und Unwissen für sich geltend machen können. (Was übrigens auch für Männer gilt, die Gewalterfahrungen durchmachen mussten.) Wer aber wie Stokowski über 30 ist und immer noch redet und handelt wie mit 16, sollte nicht die Gesellschaft auffordern, sich ihrem Trauma anzupassen. (Was a) nicht passieren wird und b) auch wenn es stattfände, ihr nicht helfen würde.) Flaßpöhler dagegen versucht, Ansätze zu finden, bei denen Traumata von vornherein vermieden werden. Sie denkt vorwärts, während Stokowski pseudo-progressiv in einem ewigen Opferstatus verharrt. (Was nicht dadurch besser wird, wenn das nun ganz viele tun.)

    „Das bedeutet nicht, dass ich seither in der weiblichen Opferrolle geblieben wäre oder dass ich mir seitdem keinen Handlungsspielraum geschaffen hätte. Ich habe mein Leben aufgebaut.“

    Dann sollten Sie doch logischerweise auf Flaßpöhlers Seite stehen, denn das ist ja genau das, wovon sie schreibt und redet. Stokowski kann dagegen nur eins: Ewig und überall eine „systemische“ Benachteiligung von Frauen sehen. Und überall dort, wo die nicht mal existiert, muß sie erfunden werden, um den Opferstatus zu erhalten.

    „Die Aufarbeitung der Gewalttaten lasse ich mir aber nicht verbieten.“

    Gegen wen richtet sich diese Bemerkung? Flaßpöhler hat Ihnen das ganz bestimmt nicht versucht zu verbieten. Natürlich ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich Gewaltopfer finden, gegenseitig unterstützen und organisieren können.

    • Ich habe intensiv über Ihre Argumente nachgedacht, und finde, dass sowohl Flaßpöhler als auch Sie sich ungenügend in die Lage der Gewaltopfer hineinversetzen können.

      —————-
      „Wer aber wie Stokowski über 30 ist und immer noch redet und handelt wie mit 16, sollte nicht die Gesellschaft auffordern, sich ihrem Trauma anzupassen.
      —————-

      Ich empfinde es nicht so, dass Stokowski mit ihren Ü-30 Jahren sich selbst als wehrlos erlebt, sondern dass sie sich mit den schwächeren, jüngeren Gewaltopfern solidarisieren, und auch mit denen, die mit 16 Jahren schwer traumatisiert wurden und unter dem Trauma noch leiden.

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      “Ich hatte zuviel Angst” zieht als Argument bestenfalls für sehr junge Menschen, die mangelnde Erfahrung und Unwissen für sich geltend machen können.
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      Ich denke schon, dass man auch mit Ü-30 Angst haben kann, über das erlittene Gewalt zu reden, insbesondere wenn man mit 16 Jahren die Erfahrung gemacht hat, dass keiner von der Gewalt was wissen wollte, und dass die Leute entweder weggeschaut oder gar dem Opfer die Schuld gegeben oder Lügen unterstellt hatten.

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      „Flaßpöhler dagegen versucht, Ansätze zu finden, bei denen Traumata von vornherein vermieden werden.“
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      Präventionsansätze sind immer sinnvoll. Das sollte aber ohne Schuldzuweisung an die traumatisierten Opfer geschehen.

      Und die Präventionsansätze von Flaßpöhler sind nicht neu. Die Aufforderung, dass Frauen sich doch stärker wehren müssten, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollten, gibt es schon lange (verbunden mit der Schuldzuweisung an die Opfer, dass diese sich zuwenig gewehrt hätten). Ich wüßte jetzt nicht, was dran so revolutionär sein soll.

      • „Ich habe intensiv über Ihre Argumente nachgedacht, und finde, dass sowohl Flaßpöhler als auch Sie sich ungenügend in die Lage der Gewaltopfer hineinversetzen können.“

        Woran wollen Sie das festmachen? Erstens bin ich selbst Gewaltopfer (nur nicht von sexueller Gewalt), und zweitens steht es auch Gewaltopfern nicht zu, immer wieder die „Du kannst das nicht nachvollziehen“ Karte zu spielen. Alle Menschen, auch diejenigen von uns, die keine Gewaltopfer im strafrechtlichen Sinne sind, erfahren Leid und wissen daher, was Leid bedeutet. Leider endet das in Diskussionen über Seximus, Rassismus, etc. immer wieder in höchst unproduktiven wechselseitigen Unterdrückungs-Olympiaden. (D.h. wer ist das größere/größte Opfer?)

        Empathie ist, das zeigt die Erfahrung stets aufs neue, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme praktisch vollkommen ungeeignet. Auf dieser Ebene ist vielmehr Verantwortlichkeit und rationale Initiative gefragt. Etwas anders verhält es sich auf persönlicher Ebene, da ist Empathie jedoch auch meist weniger wert als oft im Mainstream-Feminismus behauptet, weil traumatisierte Gewaltopfer Empathie entweder überhaupt nicht wahrnehmen, oder nicht zu dauerhaft wirksamen und heilsamen Gegenmaßnahmen verarbeiten können. Neue Stärke muß letztlich immer von der leidenden Person selbst aufgebaut werden, sie kann nicht aus externen Validierungsquellen kommen. Empathiebekundungen verstärken meist nur die Opferrolle und damit die Hilflosigkeit, die ja gerade bekämpft werden soll.

        „Ich empfinde es nicht so, dass Stokowski mit ihren Ü-30 Jahren sich selbst als wehrlos erlebt, sondern dass sie sich mit den schwächeren, jüngeren Gewaltopfern solidarisieren, und auch mit denen, die mit 16 Jahren schwer traumatisiert wurden und unter dem Trauma noch leiden.“

        Und genau darin liegt Stokowskis Wehrlosigkeit, denn Solidarisierung ist eben keine Heilung (s.o.). Da muß viel mehr passieren als ein alle-machen-mit im Sinne einer gemeinsamen Opferstatus-Bekundung.

        „Ich denke schon, dass man auch mit Ü-30 Angst haben kann, über das erlittene Gewalt zu reden“

        Selbstverständlich, aber darum ging es Flaßpöhler ja nicht, sondern um die Frage, wie man gar nicht erst in die entsprechende Lage kommt, oder, falls man schon darin gefangen ist, wie man aus der Passivität herauskommt. Stokowski thematisiert diese Frage nie, sie ergeht sich immer nur in den ewig gleichen Anklagen und Forderungen gegen bzw. an die Gesellschaft. Und das ist, wie gesagt, kein Ansatz zur Überwindung von Problemen, sondern der schleichende Aufbau einer Opfer-Identität.

        „Präventionsansätze sind immer sinnvoll. Das sollte aber ohne Schuldzuweisung an die traumatisierten Opfer geschehen.“

        Zweifellos, aber wo hören Sie bei Flaßpöhler eine Schuldzuweisung? Es gibt sowohl in Flaßpöhlers Buch wie auch in der Diskussion mehrere Stellen, an denen Flaßpöhler explizit bekundet, daß es ihr nicht um Schuldzuweisungen geht, sondern um das Aufzeigen logischer und praktischer Widersprüche in bestimmten vom feministischen Opferkult a la Stokowski geprägten Argumentationslinien. Feministinnen wie Stokowski können leider nicht zwischen Schuld und Verantwortung unterscheiden. Verantwortlichkeit ist bei Stokowski immer nur die der anderen. Bezüglich Schuld ist es korrekt zu sagen, daß sie beim Täter liegt, für Verantwortung gilt das nicht.

        „Und die Präventionsansätze von Flaßpöhler sind nicht neu. Die Aufforderung, dass Frauen sich doch stärker wehren müssten, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollten, gibt es schon lange (verbunden mit der Schuldzuweisung an die Opfer, dass diese sich zuwenig gewehrt hätten).“

        Sie haben Flaßpöhlers Buch nicht gelesen, oder? Anderenfalls müssten Sie wissen, daß Sie ihre Argumente hiermit derart unzulässig verkürzen, daß auf dem resultierenden Niveau eine gewinnbringende Diskussion weder möglich noch sinnvoll ist. Die Frage (besser: eine der Fragen) bei Flaßpöhler ist nicht, ob Frauen sich stärker wehren *müssen*, sondern, wie sie sich besser wehren *können*. Es geht nicht um Schuldzuweisung an die Opfer, sondern um Anregungen, Hilfe und Wege für diejenigen, die selbst etwas für sich tun möchten, aber vielleicht (noch) nicht so genau wissen, wie das aussehen könnte.

  4. Social media und hashtag Aktivismus bestehen leider größtenteils aus nutzlosen öffentlichen Ausdrücken von Wut (teils berechtigt, teils nicht), die eben NICHT zu einer Verbesserung der Lage der Opfer führen, und die zusätzlich noch Schaden anrichten, indem sie vielen nicht-Gewaltopfern, die aus anderen Gründen seelisch leiden, suggerieren, sie wären von diversen imaginären Strukturen „unterdrückt“.

    Das Problem mit strukturalistischen Ansätzen ist fast immer, daß irgendwann der Unterschied zwischen Modell und Realität vergessen wird. So wird dann z.B. aus real existierendem Sexismus ein vermeintlich ebenso reales „Patriarchat“, in dem alle Männer alle Frauen unterdrücken (oder im dem alle Männer „Privilegien“ haben, wie es neuerdings genannt wird). Dieser Ansatz ist sowohl faktisch wie auch konzeptionell falsch und führt seit Jahrzehnten immer wieder nur zu neuen, sinnlosen Grabenkriegen zwischen Mann/Frau, weiss/schwarz, Einheimischer/Ausländer, religiös/Atheist, usw.

    Bei seelisch geschädigten Menschen kann dies weiter dazu führen, daß diese in eine Art Verfolgungswahn abdriften, ähnlich wie Verschwörungstheoretiker.

    „Svenja Flaßpöhler spricht vom weiblichen Begehren. Gerade wo es wirklich interessant wird in diesem Zusammenhang steigt sie aber aus:
    Ist eine Frau potent, die ihre sexuellen Reize gezielt einsetzt, gar Sex mit dem Chef macht, um einen begehrten Job zu bekommen?
    Ist eine Frau, die auf der “Besetzungscouch” Nein sagt, weniger potent als eine Frau, die Ja sagt?
    Ist eine Chefin potent, die ihr sexuelles Begehren bei ihren Mitarbeiterin auslebt?
    Da würde sie merken, dass es nicht damit getan ist, weibliches Begehren zu stärken.“

    Ich denke, das ist ein Strohmannargument, denn

    1) ist „Potenz“ bei Flaßpöhler nicht auf das Sexuelle beschränkt.

    2) ist Flaßpöhlers Buch nicht darauf ausgelegt, spezielle Fragen, wie die von Ihnen aufgeführten, zu beantworten – das können (und müssen) Sie alles selber entscheiden, und das ist (u. a.) dann auch das, was Flaßpöhler mit „Potenz“ meint. Beispiel Besetzungscouch: Flaßpöhler sagt Ihnen nicht, ob „ja“ oder „nein“ richtig/falsch oder besser/schlechter ist, sie sagt nur, daß falls sie „ja“ sagen, sie nicht 30 Jahre später mit einer Anklage wegen sexueller Gewalt kommen und sich dabei auch noch als „tapfer“ deklarieren können. Diese Kombination ist schon rein logisch absurd (und moralisch dann erst recht). Das heißt aber nun nicht, daß sie dann „selber schuld“ waren. Es geht bei Flaßpöhler nicht primär um Schuldzuweisungen, sondern um die Stärkung der Stellung der Frau, gegenüber anderen und vor allem auch gegenüber sich selbst.

    3) behauptet Flaßpöhler nicht, es sei „damit GETAN“, weibliches Begehren zu stärken. Welche Dimensionen Ihr Begehren annehmen soll, müssen Sie nämlich wiederum selbst entscheiden, ebenso wie was für SIE „Potenz“ ist. Flaßpöhler gibt Denkansätze, keine Kochrezpte „wie werde ich potent(er)“. Die Frau ist Philosophin, keine Autorin für Cosmopolitan.

    Die wütend-euphorische Mobmentalität von #metoo, die Stokowski für sich ausschlachtet, finanziell und seelisch, ist langfristig nicht ihr Freund. Das Hochgefühl, auf dem Stokowski momentan reitet, wird in spätestens 1-2 Jahren verschwunden sein, und dann muß entweder die nächste Sau durchs Dorf getrieben werden, oder es wartet ein noch schwärzeres Loch, in das sie fallen wird. Das wünsche ich weder ihr, noch Ihnen, noch anderen Gewaltopfern.

    • „indem sie vielen nicht-Gewaltopfern, die aus anderen Gründen seelisch leiden, suggerieren, sie wären von diversen imaginären Strukturen “unterdrückt”.“
      ————-
      Das ist mir jetzt zu akademisch-theoretisch. Wo gibt es diese Menschen?

      ————–
      Social media und hashtag Aktivismus bestehen leider größtenteils aus nutzlosen öffentlichen Ausdrücken von Wut (teils berechtigt, teils nicht)
      —————

      Sie hatten oben geschrieben: „#metoo war bestenfalls ein Anstoß und/oder eine Kontaktmöglichkeit.“

      Also geht es nicht nur um die Abladung von Wut (bei Gewaltopfern durchaus gerechtigt). Sondern darum, dass die Gewaltopfer sich zur Wut berechtigt fühlen können, und dass sie nicht mehr soviel Angst haben müssten, sich alleine gegen Feindseligkeiten und Wegschauen behaupten zu müssen.

      Vielleicht ist das, was Flaßpöhler kritisiert, und vielleicht ist das, was Flaßpöhler mit der Mobstimmung und mit dem Aufgeben der Unschuldsvermutung meint.

      Bisher hielten die Opfer sexueller Gewalt, die meistens ohne dritte Zeugen passieren, still, weil sie dachten, dass sie keine Beweise hätten und dass kein Nicht-Opfer ihnen glauben würde.

      Man weiß als Opfer nach der Tat nicht, wem man sich anvertrauen kann, weil man nicht weiß, wer Verständnis dafür hat, wer vielleicht sogar selbst betroffen ist.

      Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, dass die Opfer ihre Entscheidungen darüber, ob sie reden oder schweigen, nicht von ihren Mitmenschen abhängig machen sollten, und dass es zur Selbstermächtigung dazu gehört, auch dann über die erlittene sexuelle Gewalt zu reden, auch wenn man gedroht oder angegriffen wird. Die Opfer sollten nicht verlangen, dass die Nicht-Opfer Verständnis für ihre Situation aufbringen oder sich gar mit ihnen solidarisieren, weil sie sich mit dieser Mentalität sich zusätzlich von anderen abhängit macht. Theoretisch ist dieser Standpunkt korrekt, der Standpunkt ist aber doch arg theoretisch.

      Und gerade deshalb wirkt der Text von Flaßpöhler tatsächlich arrogant und ignorant, zumal die Gewaltopfer die Argumentation von Flaßpöhler auch schon von ihren Tätern gehört haben.

      • „Das ist mir jetzt zu akademisch-theoretisch. Wo gibt es diese Menschen?“

        Im akademischen Feminismus. Aber nicht nur dort. Stokowski ist auch ganz vorn mit dabei, abstrakte Strukturen („Patriarchat“, etc.) mit vermeintlicher Handlungsfähigkeit auszustatten, damit man sich dann allgegenwärtig bedroht fühlen kann. Vor nicht allzu langer Zeit mußte in ihrer Spiegelkolumne ja sogar eine Jahreszeit (der Frühling) als Unterdrücker herhalten.

        „Sie hatten oben geschrieben: “#metoo war bestenfalls ein Anstoß und/oder eine Kontaktmöglichkeit. Also geht es nicht nur um die Abladung von Wut“

        Sie konstruieren hier einen Widerspruch, wo keiner ist. Mit „… Anstoß …“ bezog ich mich auf den (kleinen) Anteil von #metoo, den ich für nützlich halte. Um zu sehen, daß es in der Masse aller #metoo Bekundungen zu 90% um Wut geht, muß man nur die Twitterströme und Artikel lesen, die überall im Netz kursieren. Da ist alles dabei, von unverhülltem pauschalisierendem Männerhaß bis zur Forderung des Aushebelns des Rechtsgrundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“.

        „(bei Gewaltopfern durchaus gerechtigt).“

        Ob Wut gerechtfertigt ist oder nicht interessiert mich hier gar nicht, denn das kann man ewig diskutieren und es kommt nie etwas nützliches dabei heraus. (Gefühle überkommen uns, wir entscheiden uns nicht für sie und können sie auch nicht kurzfristig durch Willensentscheidung ändern, deswegen finde ich es unsinnig, anderen ihre Gefühle zum Vorwurf zu machen.) Was mich interessiert ist die Minderung von Leid und Schmerz. Ich habe noch nie erlebt, daß Leid und Schmerz durch Wut gelindert worden wären. Und das ist das Problem aller Bewegungen wie #metoo. Sie können nicht helfen, wenn sie sich aufs Schreien beschränken.

        „Sondern darum, dass die Gewaltopfer sich zur Wut berechtigt fühlen können, und dass sie nicht mehr soviel Angst haben müssten, sich alleine gegen Feindseligkeiten und Wegschauen behaupten zu müssen.“

        Das halte ich für eine Illusion, die leider bei zu vielen der sog. „Aktivisten“ vorliegt. Wenn Sie ständig wütend sind (und dies noch verstärken, indem Sie sich ein Berechtigungs-Narrativ schaffen), werden die Feindseligkeiten und das Wegschauen eher mehr als weniger werden. Ich will und kann niemandem seine Wut verbieten, das wäre absurd und auch lächerlich. Aber zu glauben, Wut wäre mehr als ein befristeter Auslaß für aufgestaute Probleme, halte ich für naiv und gefährlich. Man tut Gewaltopfern keinen Gefallen, wenn man sie zur Kultivierung von Wut anregt, insbesondere dann, wenn dies gleichzeitig zu Lasten positiver Impulse geht.

        Das Problem von „social justice“ ist schon immer gewesen, daß es fast immer um „Gerechtigkeit“ geht (was, erschwerend, für viele #metoo Beteiligte schlicht „Rache“ bedeutet) als um Linderung und Vermeidung von Leid. Dramatisieren und Eskalieren ist eben einfacher als konkreter gesellschaftlicher Wandel, d.h. Abschied vom Traditionalistischen, das erleben wir seit den 60ern immer wieder.

        „Vielleicht ist das, was Flaßpöhler kritisiert, und vielleicht ist das, was Flaßpöhler mit der Mobstimmung und mit dem Aufgeben der Unschuldsvermutung meint.“

        Nicht vielleicht, sondern ganz bestimmt. Um das klar zu sehen, muß man aber erstmal aus seiner Wut- und Opferposition heraustreten.

        „Bisher hielten die Opfer sexueller Gewalt, die meistens ohne dritte Zeugen passieren, still, weil sie dachten, dass sie keine Beweise hätten und dass kein Nicht-Opfer ihnen glauben würde.“

        Wenn es keine Zeugen und/oder Beweise gibt, dann werden sie auch mit oder nach #metoo keine großen Chancen haben, Gehör oder Gerechtigkeit (was immer das für Sie heißt) zu finden. Denn Sie *denken* dann nicht bloß, daß Sie keine Beweise haben, sie haben tatsächlich keine. Ob Ihnen etwaige nicht-Opfer glauben oder nicht, ist rechtlich irrelevant. Deswegen fordern große Teile von #metoo ja auch die Lockerung oder sogar Umkehrung der Beweislast, d.h. Anschuldigungen sollen Schuld implizieren, bis zum Beweis des Gegenteils. Das ist natürlich Irrsinn und wird in einem demokratischen Rechtsstaat auch niemals umgesetzt werden. (Weiter würde sofort eine Pattsituation entstehen, da dann Gewalttäter, ebenso ohne Beweise erbringen zu müssen, einfach zurückbeschuldigen könnten.)

        Hier sind wir wieder bei Schuld und Verantwortung. Schuld kann man, wie wir alle wissen, nur in bestimmten Situationen nachweisen, d.h. jede und jeder muß lernen, sich möglichst von Situationen fernzuhalten, in denen Gewaltübergriffe ohne Zeugen möglich sind. Z.B. betrinke ich mich nicht bis zur Besinnungslosigkeit in einer der finstersten Ecken der Stadt und nehme zusätzlich noch 5000 Euro Bargeld mit, die mir gestohlen werden können. #metoo und diversen Feministinnen zufolge muß das aber möglich sein, denn wir sind ja sonst alle unterdrückt.

        Leute wie Stokowski werden nun angesichts solcher simplen Tatsachen des Lebens, daß es nämlich keine perfekte Sicherheit gibt, zu bockigen Kindern, und fordern, wie in der Diskussion gesehen, z.B. die Einführung einer Überwachungsgesellschaft, denn es dient ja der Reduktion der Opferzahl. (Praktische Durchführbarkeit wird dabei ebenso nicht diskutiert wie die Möglichkeit, daß sich Gewalttäter dann andere Möglichkeiten suchen werden.) Solche Milchmädchenrechnungen können nur von einer kindlichen oder stark verletzten Seele kommen, die nicht mehr in der Lage ist, anzuerkennen, daß es gesamtgesellschaftlich höhere Werte gibt als die persönlichen Wünsche. Der Staat kann sich auf solche Forderungen ebensowenig einlassen, wie er die Gesetzgebung für Mordfälle von den Angehörigen der Betroffenen schreiben lassen kann.

        „Man weiß als Opfer nach der Tat nicht, wem man sich anvertrauen kann, weil man nicht weiß, wer Verständnis dafür hat, wer vielleicht sogar selbst betroffen ist.“

        Wer für meine Probleme Verständnis hat, weiß ich auch als nicht-Opfer nicht. Solange wir nicht lernen, mit mehr gutem Willen aufeinander zuzugehen, wird sich an dieser Problematik auch nichts ändern. Das ist kein exklusives Problem von Gewaltopfern und eine viel größere Debatte als Täter gegen Opfer, Unterdrücker gegen Unterdrückte, usw.

        „Die Opfer sollten nicht verlangen, dass die Nicht-Opfer Verständnis für ihre Situation aufbringen oder sich gar mit ihnen solidarisieren, weil sie sich mit dieser Mentalität sich zusätzlich von anderen abhängit macht. Theoretisch ist dieser Standpunkt korrekt, der Standpunkt ist aber doch arg theoretisch.“

        Das kommt mir auch sehr konstruiert vor. Ich habe noch nie gehört, daß irgend jemand ausdrücklich gefordert hätte, daß sich niemand mit Gewaltopfern solidarisieren soll oder daß Gewaltopfer keine Forderungen aufstellen oder ihre Interessen nicht öffentlich vertreten sollten. Es geht in den Debatten doch eher darum, ob man sich mit Gewaltopfern solidarisieren *muß*, und in welcher Form.

        „Und gerade deshalb wirkt der Text von Flaßpöhler tatsächlich arrogant und ignorant, zumal die Gewaltopfer die Argumentation von Flaßpöhler auch schon von ihren Tätern gehört haben.“

        Komischerweise kommen diese Vorwürfe immer nur von seelisch stark gestörten Menschen. Das geht zum Teil soweit, daß Feministinnen anderen Frauen verbieten wollen, Selbstverteidigungskurse zu belegen, weil man damit angeblich Zugeständnisse an das Patriarchat macht. Spätestens da hört mein Verständnis dann vollständig auf. Wer selbst derart arrogant liest, wird auch immer nur arrogantes lesen. Flaßpöhler sagt/schreibt nicht das, was Stokowski hört/liest, da spricht nur Stokowskis eigene Verletzheit. Für #metoo gilt dasgleiche, es ist leider zu einer extrem arroganten Bewegung geworden. Ich verstehe, daß man als Gewaltopfer nicht viel Energie für guten Willen aufbringen kann, aber das ist nun mal die Situation. Letztlich läuft es wieder auf die Frage hinaus, ob ich will, daß es mir besser geht, oder ob ich mein Leid kultivieren und pflegen will, bis es schließlich komplett zu meiner (einzigen) Identität wird. Letzteres kann ich nicht empfehlen, weder aus eigener Erfahrung noch aus der Kenntnis der Erfahrungen anderer.

  5. Ich fände es schade, wenn die Diskussion nur um die Personen Flaßpöhler oder Stokowski ginge (ich kenne sie nicht persönlich, ich bekommr nur was mit, wenn sie medial öffentlich auftreten) oder um Feminismus.

    Es geht um sexuellen Machtmissbrauch, und das ist allgemeines Problem, und als solches kein rein feministisches Thema.

    Um mal von hinten anfangen:
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    „Das geht zum Teil soweit, daß Feministinnen anderen Frauen verbieten wollen, Selbstverteidigungskurse zu belegen, weil man damit angeblich Zugeständnisse an das Patriarchat macht.“
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    Ich trainiere Selbstverteidigung regelmäßig bei einer Trainerin, die sich als feministisch bezeichnet (es ist eine Frauengruppe).

    Nebenbei gemerkt wird da auch nicht nur gegen männliche Täter trainiert sondern auch Dinge wie Selbstbehauptung gegen die eigene Mutter.

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    „Das kommt mir auch sehr konstruiert vor. Ich habe noch nie gehört, daß irgend jemand ausdrücklich gefordert hätte, daß sich niemand mit Gewaltopfern solidarisieren soll oder daß Gewaltopfer keine Forderungen aufstellen oder ihre Interessen nicht öffentlich vertreten sollten. Es geht in den Debatten doch eher darum, ob man sich mit Gewaltopfern solidarisieren *muß*, und in welcher Form.“
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    Ich erlebe es so, dass die Gesellschaft mit bestimmten Arten von Gewaltopfern solidarisch ist (brutale Vergewaltigung durch Ausländer, kindliche Opfer). Wenn der Täter aus dem eigenen Bekanntenkreis kommt, tut man es schwer, den Täter als Täter zu sehen. Das Opfer wird dann gerne als ein Störenfried gesehen.

    Die Vorwürfe, dass die Frauen nicht emanzipiert wären, in der Opferrolle bleiben möchten, psychisch gestört wären, die Unschuldsvermutung aufheben wollen würden – kommen regelmäßig, wenn die weiblichen Opfer öffentlich werden. Dabei ist dies ein Schritt aus dem reinen Opfer-Dasein, wo man aus Scham geschwiegen hat, wegen der Einschüchterung und Drohung kaum was zu sagen traute, wo Redeversuche im Keim erstickt wurden, wo man in Angst lebte und einfach versuchte, zu vergessen.

    Natürlich steht jedem frei, diese Frauen als Mob zu bezeichnen und sie als böse und hysterisch zu sehen. Wer das tut, darf aber nicht „Gegenliebe“ von den Betroffenen erwarten. Wer das tut, darf auch nicht erwarten, dass seine „Vorschläge“ wohlwollend angenommen werden.

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    „Wer für meine Probleme Verständnis hat, weiß ich auch als nicht-Opfer nicht.“
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    Das ist richtig. Nicht-Opfer kämpfen deshalb auch um mehr Verständnis für ihre Situation, sei es Behinderung, Krankheiten.

    Bei einer sexualisierten Gewalt zeigt sich das Nicht-Verständnis mitunter auch in Form von Gegenbeschuldigung (Verleumdungsvorwurf). Es geht also nicht nur darum, dass man nicht versteht, wie es einem Opfer nach der Tat ergeht, sondern es wird nochmal auf das Opfer getreten.

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    „Hier sind wir wieder bei Schuld und Verantwortung. Schuld kann man, wie wir alle wissen, nur in bestimmten Situationen nachweisen, d.h. jede und jeder muß lernen, sich möglichst von Situationen fernzuhalten, in denen Gewaltübergriffe ohne Zeugen möglich sind.“
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    In einer Einrichtung müsste man dann z.B. ein Gespräch unter 4 Augen vermeiden. Das ist nicht unbedingt eine Welt, in der ich leben möchte. Dass immer eine „Anstandsdame“ dabei sein musste, wenn eine Frau und ein Mann betroffenen haben, die Zeit haben wir doch überwunden?

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    „Was mich interessiert ist die Minderung von Leid und Schmerz. Ich habe noch nie erlebt, daß Leid und Schmerz durch Wut gelindert worden wären. Und das ist das Problem aller Bewegungen wie #metoo. Sie können nicht helfen, wenn sie sich aufs Schreien beschränken.“
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    Wut ist jedenfalls ein Fortschritt im Vergleich zu Angst, Scham und Schuldgefühl, zumal die Wut mit dem Erkenntnis verbunden ist, dass ein Unrecht stattgefunden hat. Schmerz kommt meiner Meinung erst nach Wut.

    Natürlich reicht Schreien alleine nicht. Aber warum müssen eigentlich Gewaltopfer erst schreien? Warum ignoriert man Sexualgewaltopfer während sie Angst haben und sich schämen, und tut so, als gäbe es das Problem nicht?

    • „Ich trainiere Selbstverteidigung regelmäßig bei einer Trainerin, die sich als feministisch bezeichnet (es ist eine Frauengruppe).“

      Ich sagte nicht, daß alle Feministinnen gegen Selbstverteidigung sind. Ich denke auch nicht, daß es eine Pflicht dazu gibt, oder daß man sich mitschuldig an Übergriffen macht, wenn man kein Training betreibt. Mein Beispiel sollte klar machen, wie weit die Radikalisierung von Teilen des Feminismus unglücklicherweise bereits fortgeschritten ist.

      „Ich erlebe es so, dass die Gesellschaft mit bestimmten Arten von Gewaltopfern solidarisch ist (brutale Vergewaltigung durch Ausländer, kindliche Opfer).“

      Im Fall von Ausländerkriminalität gibt es häufig eine Scheinsolidarität, die mehr mit Xenophobie zu tun hat als mit dem Wunsch, Opfer zu unterstützen.

      „Wenn der Täter aus dem eigenen Bekanntenkreis kommt, tut man es schwer, den Täter als Täter zu sehen. Das Opfer wird dann gerne als ein Störenfried gesehen.“

      Das ist sicher richtig.

      „Die Vorwürfe, dass die Frauen nicht emanzipiert wären, in der Opferrolle bleiben möchten, psychisch gestört wären“

      Ich sage lieber „seelisch verletzt“, weil das nicht so sehr nach „verrückt“ klingt. Ich glaube nicht, daß irgendjemand wissend- und willentlich in der Opferrolle bleiben *will*, ich sehe nur immer wieder, daß es gerade bei #metoo viele Stimmen gibt, die aus dieser Haltung nicht mehr herauskommen, aus welchen Gründen auch immer.

      „die Unschuldsvermutung aufheben wollen würden – kommen regelmäßig, wenn die weiblichen Opfer öffentlich werden.“

      Das liegt schlicht daran, daß die Aufhebung der Unschuldsvermutung immer wieder ausdrücklich gefordert wird.

      „Natürlich steht jedem frei, diese Frauen als Mob zu bezeichnen und sie als böse und hysterisch zu sehen. Wer das tut, darf aber nicht “Gegenliebe” von den Betroffenen erwarten. Wer das tut, darf auch nicht erwarten, dass seine “Vorschläge” wohlwollend angenommen werden.“

      Ich glaube nicht, daß irgendjemand Gegenliebe der Betroffenen erwartet, und auch nicht, daß Bosheit oder Hysterie (was auch immer das sein soll) die Grundlage der entsprechenden Äußerungen und Forderungen sind. Es ist meiner Ansicht nach immer ein fundamentaler Mangel, der solche Situationen bestimmt, meist irgendeine Form des Fehlens von Selbstsicherheit.

      Das Problem mit der Öffentlichmachung einer Gewalttat ist doch, daß Anschuldigungen im öffentlichen Raum gar keine Atmosphäre erzeugen *können*, in der Gewalttaten gerecht und objektiv verhandelt werden. Der mittelalterlichen Pranger wurde aus gutem Grund abgeschafft.

      Wenn jeder Frau (und dann auch jedem Mann), die/der öffentlliche Anschuldigungen erhebt, blind geglaubt werden soll, dann ist ein Rechtsstaat trivialerweise nicht mehr möglich. Sie betrachten das ganze immer nur aus einer Perspektive, in der bereits völlig unstrittig ist, wer Täter und Opfer sind, was genau vorgefallen ist und wie das Vorgefallene zu bewerten ist. In einem solchen Fall sind dann alle Antworten klar und offensichtlich. In konkreten Fällen liegt diese Klarheit aber nun mal nur selten vor. Die Öffentlichkeit, in die man sich mit seinen Anschuldigungen begibt, kann doch überhaupt nicht beurteilen, was an den Vorwürfen dran ist. Es entsteht dann eine Lagerbildung rein nach Gefühl – das ist der Mob (der nicht nur aus Frauen bestehen muß). Man spaltet also die öffentliche Meinung und hat gleichzeitig keine Resolution. Bestenfalls landet der Fall vor Gericht, wo er von Anfang an hingehört hätte.

      „Bei einer sexualisierten Gewalt zeigt sich das Nicht-Verständnis mitunter auch in Form von Gegenbeschuldigung (Verleumdungsvorwurf). Es geht also nicht nur darum, dass man nicht versteht, wie es einem Opfer nach der Tat ergeht, sondern es wird nochmal auf das Opfer getreten.“

      Das Problem ist hier wiederum, daß Sie ausgehen von einer Situation, in der der Opfer/Täter Sachverhalt völlig klar ist. In diesem Fall haben Sie natürlich recht. Aber die Streitereien um #metoo und ähnlich gelagerte Debatten entstehen hauptsächlich aus der Forderung, vermeintlichen Opfern blind zu glauben. („Listen and believe“ im englischsprachigen Raum.) Die Forderung, Anschuldigungen und Beschwerden von Frauen ernster zu nehmen als bisher, insbesondere wenn es um Gewalt geht, ist oft berechtigt. Die Forderung nach blindem Glauben aber nicht.

      „In einer Einrichtung müsste man dann z.B. ein Gespräch unter 4 Augen vermeiden. Das ist nicht unbedingt eine Welt, in der ich leben möchte.“

      Ich auch nicht, aber das ist es, was große Teile von #metoo letztlich fordern (oder zumindest beklagen), wenn sie behaupten, daß Frauen aufgrund der körperlichen Überlegenheit der Männer grundsätzlich niemals sicher sind.

      „Dass immer eine “Anstandsdame” dabei sein musste, wenn eine Frau und ein Mann betroffenen haben, die Zeit haben wir doch überwunden?“

      Ich hoffe doch. Aber da es völlige Sicherheit eben nicht gibt, noch einen Freifahrtschein, der Beschuldigung=Schuldspruch garantiert, bleibt doch nur a) sich nicht wissend- und willentlich in offensichtlich gefährliche Situationen zu begeben und b) zu versuchen, das allgemeine Gefährdungspotential zu reduzieren. Letzteres ist eine gesamtgesellschaftliche erzieherische Aufgabe, die in den Familien beginnen muß (gute Familienverhältnisse stärken das Selbstvertrauen, produzieren größere seelische Stabilität und machen risikobereites Verhalten unwahrscheinlicher) und eventuell vom Staat unterstützt werden kann, etwa durch Verbesserung des Bildungssytems. Was nicht funktionieren wird, sind naive Vorschläge wie „bringt Männern bei, nicht zu vergewaltigen“, denn praktisch jeder kriminell Übergriffige weiß genau, daß er falsches tut.

      „Wut ist jedenfalls ein Fortschritt im Vergleich zu Angst, Scham und Schuldgefühl, zumal die Wut mit dem Erkenntnis verbunden ist, dass ein Unrecht stattgefunden hat.“

      Das ist sicher richtig für Gewaltopfer, die sich selbst die Schuld an ihrem Leid geben. Aber eben nur der erste Schritt, wie Sie ja auch selbst schreiben:

      „Natürlich reicht Schreien alleine nicht. Aber warum müssen eigentlich Gewaltopfer erst schreien?“

      Weil man sonst nicht weiß, daß überhaupt etwas passiert ist. Die Welt kann Sie nur hören, wenn Sie etwas sagen. (Es muß kein Schrei sein.) Wenn Sie aber nur noch Schreien, wird und kann man Sie nicht ernst nehmen, weil Sie dann keinen kommunikativen Anschluß mehr zulassen. Und genau das passiert bei großen Teilen von #metoo.

      „Warum ignoriert man Sexualgewaltopfer während sie Angst haben und sich schämen, und tut so, als gäbe es das Problem nicht?“

      Weil es schwer und anstrengend ist, sich damit zu beschäftigen. Viele Menschen interessieren die Probleme anderer schlicht nicht. Das wissen Sie sicher genauso gut wie ich. Ich denke halt nur nicht, daß sich daran durch social media Kampagnen viel ändern wird, weil Solidarisierung per Text auf dem Bildschirm bestenfalls immer nur eine Schmerztablette ist, die nicht lange wirkt. Ein besseres gemeinsames Leben miteinander kann ein solcher Aktionismus weder ersetzen noch herbeiführen. Gemeinsamkeit muß, wie auch die Liebe, gelebt werden, nicht bloß gesagt.

  6. „Anderenfalls müssten Sie wissen, daß Sie ihre Argumente hiermit derart unzulässig verkürzen, daß auf dem resultierenden Niveau eine gewinnbringende Diskussion weder möglich noch sinnvoll ist. Die Frage (besser: eine der Fragen) bei Flaßpöhler ist nicht, ob Frauen sich stärker wehren *müssen*, sondern, wie sie sich besser wehren *können*. Es geht nicht um Schuldzuweisung an die Opfer, sondern um Anregungen, Hilfe und Wege für diejenigen, die selbst etwas für sich tun möchten, aber vielleicht (noch) nicht so genau wissen, wie das aussehen könnte.“
    ————

    Ich bin auf das Buch gestoßen und habe von Flaßpöhler das erste Mal gehört, wegen ihrer Interviews zur Buchveröffentlichung und durch den Vorabzug auf der WELT. Das Buch habe ich dann in der Bibliothek durchlesen. Da Flaßpöhler immer die gleichen Punkte in Interviews und Diskussionen anbringt, gehe ich davon aus, dass die Punkte ihr wichtig sind.

    Ich sehe es schon so, dass Flaßpöhler ihren Weg als den goldenen Weg sieht und auffordert, dass Frauen es so machen sollten, und vor allem, dass Frauen es immer und zu jederzeit und gegen jeden es so machen können müssten. Dass eine 20-jährige Frau, die im Elternhaus Misshandlung erfahren hat und gerade in eine fremde Stadt gezogen ist, sich gegen den sexuell belästigenden Chef noch nicht so wehren kann wie eine gestandene 40-Jährige, lässt sie außer Acht.

    Statt zu sagen, dass der sexuell beästigende Chef sich falsch verhält, oder die 40-jährige Frau aufzufordern, sich gegen den belästigenden Chef zu positionieren, stellt sie nur Forderungen an die belästigte junge Frau, mit dem gleichzeitigen Appell, bei dem Chef doch die Unschuldsvermutung gelten zu lassen. Und die junge Frau solle gefällgst ihre weibliche Lust entdecken.

    ———–
    „Zweifellos, aber wo hören Sie bei Flaßpöhler eine Schuldzuweisung?“
    ———–
    Im Kontext. Siehe oben.

    ———-
    „Selbstverständlich, aber darum ging es Flaßpöhler ja nicht, sondern um die Frage, wie man gar nicht erst in die entsprechende Lage kommt,“
    ————

    Die Frage ist akademisch bei Menschen, die schon in die entsprechende Lage bekommen sind. Sie können höchstens schauen, dass sie nicht nochmal in die entsprechende Lage kommt, und dazu brauchen traumatisierte Menschen die Möglichkeit, das Trauma zu verarbeiten und sich davon zu befreien.

    ————
    „oder, falls man schon darin gefangen ist, wie man aus der Passivität herauskommt.“
    ————

    Man kommt aus der Passivität heraus, in dem man aktiv wird, auch im Nachhinein.

    ————
    „Neue Stärke muß letztlich immer von der leidenden Person selbst aufgebaut werden, sie kann nicht aus externen Validierungsquellen kommen.“
    ————

    Zustimmung. Dies ist aber kein Grund und auch keine Ausrede, den Opfern eine Validierung zu verweigern und ihnen extra Hürden in den Weg zu stellen, so dass die Opfer immer wieder neue Kräfte schöpfen müssen, um diese Hürden zu überwinden.

    Man sagt zwar, dass was einen nicht tötet, einen härter macht. Manchmal ist es aber schön, wenn man auch weich sein kann.

    Das ist meiner Meinung auch der Fehler von Flaßpöhler, falls sie Aufforderung als gute Ratschläge an gewaltbetroffen Frauen meint: in dem Falle müsste sie ihre Ideen so wertschätzend und respektvoll formulieren, und zwar so verständlich und passend, dass die betroffenen Frauen sich dafür öffnen und sie zu eigen machen wollen.

    Ihre derzeitigen Forderungen mögen für Frauen, die noch keine sexuelle Gewalt erfahren haben, passend sein, sie sind nicht für alle Frauen passend.

    ————-
    „Social media und hashtag Aktivismus bestehen leider größtenteils aus nutzlosen öffentlichen Ausdrücken von Wut (teils berechtigt, teils nicht), die eben NICHT zu einer Verbesserung der Lage der Opfer führen,“
    ————
    Ich habe #metoo auf Twitter oder Facebook nicht mitgemacht, schon alleine weil ich kein social media Typ bin. Gleichzeitig sehe ich #metoo nicht als eine reine Hashtagkampagne, schon alleine wenn ich sehe, wie #metoo mir geholfen hat, die Gewaltsituation von damals besser zu verstehen.

    • „Statt zu sagen, dass der sexuell beästigende Chef sich falsch verhält“

      Glauben Sie denn, daß Flaßpöhler das nicht weiß, leugnet oder für unwichtig hält? Das Buch geht doch offensichtlich und selbstverständlich davon aus, daß sexuelle Belästigungen falsch sind. Es ist aber auch kritisch genug, um anzuerkennen, daß nicht alles, was irgendjemand mal als Belästigung empfunden hat, auch wirklich die Bezeichnung „Belästigung“ verdient hat. Selbst der Begriff „Vergewaltigung“ ist von Teilen des Feminismus inzwischen ins praktisch Uferlose ausgedehnt worden, damit stets ein Maximum von Ungerechtigkeit („rape culture“) behauptet werden kann. Es geht da nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um eine merkwürdige Ideologie, die Frauen von jeglicher Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen freisprechen will. Dagegen richtet sich Flaßpöhlers Kritik, sowohl aus praktischen, wie auch aus moralischen Gründen.

      Die Benennung dieser Probleme nun als Angriff Flaßpöhlers auf Gewaltopfer zu deuten, halte ich für zu abenteuerlich. Da reden Sie an ihr vorbei, genauso wie Stokowski es tut.

      „oder die 40-jährige Frau aufzufordern, sich gegen den belästigenden Chef zu positionieren, stellt sie nur Forderungen an die belästigte junge Frau, mit dem gleichzeitigen Appell, bei dem Chef doch die Unschuldsvermutung gelten zu lassen“

      Sie lesen Forderungen und Appelle, wo keine sind. Es gibt auch keine Unschuldsvermutung für den Chef. Ich weiß nicht, wo Sie das hernehmen. Die ganze Passage hat mit Schuld oder Unschuld gar nicht viel am Hut. Das Buch gibt Vorschläge und Anregungen. Es ist auch nicht primär für Gewaltopfer geschrieben, deren Grenzen aufgrund ihrer negativen Erfahrungen bereits gegen Null gehen.

      „Und die junge Frau solle gefällgst ihre weibliche Lust entdecken.“

      Sowohl das „soll“ als auch das „gefälligst“ kommen nicht von Flaßpöhler, sondern von Ihnen.

      „Die Frage ist akademisch bei Menschen, die schon in die entsprechende Lage bekommen sind.“

      Das ist eine Trivialität und daher kein Einwand gegen irgend etwas. Sie machen nur wieder, absichtlich oder unabsichtlich, Ihre persönliche Perspektive zur einzigen und alleinigen und fordern dann die Welt auf, sich doch bitte nur noch um Sie zu kümmern.

      „Sie können höchstens schauen, dass sie nicht nochmal in die entsprechende Lage kommt, und dazu brauchen traumatisierte Menschen die Möglichkeit, das Trauma zu verarbeiten und sich davon zu befreien.“

      Dem widerspricht auch niemand. (Mal abgesehen davon, daß ich nicht glaube, daß man Traumata „verarbeiten“ kann, ich habe nie verstanden, was das heißen soll.)

      „Dies ist aber kein Grund und auch keine Ausrede, den Opfern eine Validierung zu verweigern und ihnen extra Hürden in den Weg zu stellen, so dass die Opfer immer wieder neue Kräfte schöpfen müssen, um diese Hürden zu überwinden.“

      Wer tut das? Flaßpöhler jedenfalls nicht.

      „Ihre derzeitigen Forderungen mögen für Frauen, die noch keine sexuelle Gewalt erfahren haben, passend sein, sie sind nicht für alle Frauen passend.“

      So habe ich das Buch verstanden. Es beschäftigt sich u.a. mit demjenigen Teil von #metoo, den Flaßpöhler in der Diskussion als „Kindfrauen“ bezeichnet. Damit sind nicht Gewaltopfer gemeint, sondern die unselbständigen und teilweise schlicht aufmerksamkeitssüchtigen Trittbrettfahrer von #metoo. Ein Grund, warum ich von #metoo nicht viel halte, sind genau diese Trittbrettfahrer, da sie inzwischen die Gewaltopfer, um die es ursprünglich mal ging, überschatten. Ein anderer Grund ist, daß persönliche Anschuldigungen keine Basis für eine politische Bewegung sind, als die sich #metoo aber gern verkauft.

      „Ich habe #metoo auf Twitter oder Facebook nicht mitgemacht, schon alleine weil ich kein social media Typ bin. Gleichzeitig sehe ich #metoo nicht als eine reine Hashtagkampagne, schon alleine wenn ich sehe, wie #metoo mir geholfen hat, die Gewaltsituation von damals besser zu verstehen.“

      Ich habe es weiter oben ja schon gesagt, #metoo hat durchaus noch einen kleinen brauchbaren Anteil. Wenn Sie den erfolgreich für sich nutzen konnten, wunderbar. Was die Kampagne als Ganzes betrifft, kann sie jedoch nicht dadurch gerechtfertigt oder validiert werden, dazu hat sie zuviel Schaden und Verwirrung angerichtet, was Sie offensichtlich nicht mitbekommen haben. (Lesen Sie das bitte nicht als Vorwurf, oder als ob ich Ihnen Ihren Fortschritt mißgönne.) Es ist dann auch klar, warum Sie Flaßpöhler nicht verstehen, denn ihr Buch ist zum großen Teil eine Reaktion auf das, was Sie von #metoo gar nicht zu Gesicht bekommen haben.

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