Torsten Casimir im Sonntagsgepräch über die neue Indie-Bestsellerliste „Es war Zeit, dass wir auch den kleinen Independents die Teilhabe am Bestsellergeschäft organisieren“

Auf diese Idee hat die Buchbranche gewartet: Der Buchhandel bekommt eine Bestsellerliste mit Titeln aus kleineren unabhängigen Verlagen. Zur Leipziger Buchmesse hat das Börsenblatt seine neuen, monatlichen „Independent-Charts“ präsentiert – aber in der ersten Begeisterung gab es auch leise Kritik. Das war Anlass für unser Sonntagsgespräch mit Börsenblatt – Chefredakteur Dr. Torsten Casimir.

Manche sagen, wir übertreiben es in unserer Branche mit der Fokussierung auf die Bestseller. Warum jetzt auch noch eine Independent-Liste für Belletristik?


Torsten Casimir: „Die Bestselleritis droht die Breite und Güte der Produktion in die Unsichtbarkeitszone zu stellen. Verlage, die im Wettbewerb mit den Marketingmaschinen der großen Häuser keine ausreichenden finanziellen Mittel haben, leiden darunter am stärksten“ (c) Werner Gabriel

Dr. Torsten Casimir: Übertreibung sehe ich nicht. Kein Buchhändler, der seinen schönen Beruf zu Erwerbszwecken ausübt, kann es sich leisten, das Geschäft mit Bestsellern links liegen zu lassen. Es macht im Übrigen vergleichsweise wenig Mühe, Bestseller zu verkaufen. Die Listen sind ein kraftvolles Marketing-Instrument für die Verlage, sie geben dem Leser Orientierung, sie helfen dem Händler beim Einkauf. Was aber meines Erachtens zu recht beklagt wird, ist eine Nebenwirkung: Die Bestselleritis droht die Breite und Güte der Produktion in die Unsichtbarkeitszone zu stellen. Verlage, die im Wettbewerb mit den Marketingmaschinen der großen Häuser keine ausreichenden finanziellen Mittel haben, leiden darunter am stärksten. Deshalb war es Zeit, dass wir auch den kleinen Independents die Teilhabe am Bestsellergeschäft organisieren.

Wie definieren Sie denn den „kleinen Independent“-Verlag?
 Daran gibt es leise Kritik.

Unser Verkaufsranking berücksichtigt deutschsprachige Werke derjenigen Verlage, deren von Media Control ermittelter Vorjahresumsatz nach Endverbraucherpreisen unterhalb von zehn Millionen Euro liegt. Diese Verlage sollen unabhängig von anderen Verlagsgesellschaften arbeiten, auch von Stiftungen oder Unternehmen mit Geschäftstätigkeit außerhalb der Buchbranche. Eingang auf die Liste finden neben Hardcovern die Formate Paperback und Taschenbuch. Die Preisuntergrenze für einen Titel liegt bei acht Euro.

Ist eine Umsatzgrenze von zehn Millionen Euro nicht willkürlich gesetzt? Emons zum Beispiel liegt drüber, ist aber auch ein Independent.

Ja, Emons ist mit Blick auf unsere Definition ein Independent-Verlag …

… der das Pech hat, zu erfolgreich zu sein?

Wenn Sie so wollen, liegt hier ein Problem. Denn es gibt noch ein paar mehr Kandidaten in der Umsatzregion zwischen zehn und 20 Millionen. Andere liegen knapp drunter und haben so gesehen Glück.

Und ohne Grenze geht es nicht?

Leider nicht, denn wir haben das klare Ziel, den Bestsellern aus kleinen Verlagen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Wenn du jetzt hingehst und nach jeder Rückmeldung eines knapp über dem Umsatzlimit liegenden Unternehmens die Grenze verschiebst, beginnt ein Prozess vermeintlicher Nachbesserung, an dessen Ende Diogenes, Suhrkamp und Hanser die Liste vollständig dominieren. In der Schule stünde dann drunter: Thema verfehlt. Deshalb glaube ich, die Grenze ist sinnvoll und funktioniert. Dass sie grenznah zu beiden Seiten Glück beziehungsweise Pech erzeugt, liegt in der Natur der Sache.

Die Szene der Independent-Verlage ist bunt und lebendig. Viele machen aber gar keine Belletristik. Warum berücksichtigen Sie keine anderen Warengruppen?

Ich glaube, eine gemischte Liste zum Beispiel aus Belletristik, Sachbuch und Ratgeber wäre dysfunktional.

Warum das?

Ein Kessel Buntes orientiert keinen Kunden.

Aber die Indies machen auch verdammt gute Sachbücher, Krimis, Ratgeber, Kinderbücher.

Das steht schon auf unserem Zettel und wollen deshalb  gemeinsam mit der Interessengemeinschaft unabhängiger Verlage im Börsenverein und mit unseren Marktforschungspartner Media Control besprechen, welche weiteren Listen wünschenswert sein könnten. Am Ende, so hoffe ich, werden wir eine Indie-Listenfamilie haben, die dem Buchhandel und seinen Kunden viel Spaß macht. Wir brauchen Buchvielfalt in den Sortimenten. Waterstones macht uns das in UK erfolgreich vor, und ich weiß zumindest von einem großen deutschen Filialisten, dass er strategisch in die gleiche Richtung denkt.

Wie waren denn überhaupt die Reaktionen auf die Premiere der Independent-Liste in Leipzig?

Die Verlage, die drauf stehen, freuen sich riesig. Die anderen wollen drauf. Die, die keine Belletristik machen, wollen weitere Listen. Einer, der  knapp zu viel Umsatz hat, reagierte ein bisschen traurig, verstand aber das Problem. Ein paar Verlagsleute kamen gleich mit nächsten Ideen auf uns zu: Macht ein Siegel! Sucht Euch einen Medienpartner! Aber keiner, wirklich keiner, kam zu mir, um an unserem Independent-Ranking grundsätzliche Kritik zu üben – das ist, wie wir wissen, in der Branche ein recht seltenes Phänomen.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

 

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