Roland Große Holtforth aus dem IG Digital-Sprecherkreis über die Bedeutung von Digital-Events für die Branche Warum im digitalen Raum niemand auf die Buchbranche wartet …

… und sie Sichtbarkeit gerade in diesem Frühjahr so dringend braucht

Trotz allem Widrigen und Schlimmen des letzten Jahres: In der Buchbranche wurden auch 2020 Erfolgsgeschichten geschrieben. Von Buchhandlungen, denen das kleine Wunder gelungen ist, ihren Kunden gerade in Zeiten erzwungener Distanz noch näher zu kommen. Von Verlagen, die Prozesse schnell und nachhaltig digitalisiert haben. Auch deshalb ist die Branche bislang passabel durch die Krise gekommen. Aber es sieht so aus, als ob das neue Jahr noch mehr Innovationskraft verlangt als das vergangene.

Das gilt in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Intensität der Diskussionen etwa um Rabattspreizung und Branchenlogistik zeigt, wie ernst die Lage für viele Branchenteilnehmer bereits ist. Und auch in einem anderen Punkt könnten sich Konzentrationsprozesse weiter verstärken: in Bezug auf die Sichtbarkeit von Büchern und Autor*innen.

Denn klar ist: Sichtbarkeit entsteht zunehmend im digitalen Raum. Das hat nur mittelbar mit den sogenannten Lockdowns zu tun. Die Pandemie hat die Digitalisierung nicht verursacht, sondern „nur“ beschleunigt – dies allerdings erheblich. Und im digitalen Raum konkurriert die Buchbranche mit den ganz Großen wie Netflix & Co. um Zeit und Budgets der Kund*innen. Sie sind immer schon da, wenn ein Verlag eine Social-Media-Kampagne startet oder eine Buchhandlung ihren neuen Webshop präsentiert.

Sichtbarkeit für Bücher entsteht im digitalen Raum – gerade mit gebündelten Kräften

Deshalb kann es sich die Branche schlicht nicht leisten, nach der Absage der Leipziger Buchmesse als Präsenzveranstaltung auf eine starke und gebündelte digitale Präsenz zu verzichten. Gerade in diesem Jahr nicht. Wer darauf setzt, der aktuelle Wunsch nach analogem Erleben werde die im letzten Jahr beschleunigte Digitalisierung wieder verzögern, beweist strategischen Mut vermutlich an der falschen Stelle. Und er könnte es mit einer besonders unangenehmen Eigenschaft abwandernder Leser*innen zu tun bekommen: Sie melden sich nicht ab. Sie sind eines Tages einfach nicht mehr da, weil sie woanders im digitalen Raum erfolgreich angesprochen wurden. Und dass ihr Weg zur medialen Konkurrenz führt, wird mit jeder Veranstaltung wahrscheinlicher, die in unserer Branche abgesagt oder gar nicht erst geplant wird, weil sie „nur“ digital umsetzbar wäre.

Es geht: Ladies Night, The Hof, future!publish …

Aber auch hier gibt es natürlich Erfolgsgeschichten. Etwa die der Düsseldorfer Buchhandlung Bolland & Böttcher, die ihr Veranstaltungsformat Ladies Night entschlossen und erfolgreich in den digitalen Raum verlegt hat – als Bezahlevent! Die Frankfurter Buchmesse hat mit „The Hof“ ein besonderes, emotionales digitales Format geschaffen. Mit der future!publish haben wir als Veranstalter gerade dankbar erlebt, wie sich auch im Digitalen ein echtes Kongressgefühl einstellen kann, das die Presse interessiert und damit auch Leser*innen erreicht. Die Plattform HeldenstückeLIVE bietet Autor*innen aus allen Verlagen die Chance, mit digitalen Auftritten Einnahmen zu erzielen. buch@handel verbindet Verlage und ihre Themen mit Buchhandlungen. Und LG-Buch-Geschäftsführer Peter Stephanus hat soeben annonciert: „Unser Jahrestag wird auf jeden Fall stattfinden, vermutlich als digitales Format im Mai.“

Kooperationen als Schlüssel zum „Leipzig-Effekt“?

Überhaupt: Kooperationen. Sie dürften sich als Schlüssel zur Sichtbarkeit überall dort erweisen, wo einzelne Unternehmen an ihre Grenzen stoßen. Etwa wenn es darum geht, einen „Leipzig-Effekt“ für die Bücher des Frühjahrs auch ohne das analoge Event und seine mediale Strahlkraft zu erzeugen. In relevantem Maßstab können ihn als einzelne Organisationen, wenn überhaupt, nur sehr große Marktteilnehmer erreichen. Und selbst für sie sollte es sich lohnen, auf Kooperationen zu setzen. Denn der koordinierte Auftritt aller Branchenteilnehmer hat sich über sehr lange Zeit sehr eindeutig als kommunikatives Erfolgsmodell erwiesen. Er ist auch der schlüssigste Weg, um zu verhindern, dass Bücher und Autor*innen das zweite Frühjahr in Folge einen massiven Verlust an Sichtbarkeit erleben.

Dass die Branchenteilnehmer sich wieder analog treffen möchten, interessiert da draußen niemanden

Denn unter möglichen Kund*innen interessiert es wirklich niemanden, wie gerne man sich in der Buchbranche wieder persönlich begegnen möchte. Ihnen geht es nämlich ganz genauso. Gerade deshalb suchen sie ja nach Geschichten, Erlebnissen, Orientierung. All das können sie in Büchern finden. Aber eben nicht nur dort. Und wenn Bücher im digitalen Raum nicht sichtbar genug sind, finden sie es ganz sicher woanders. Auch und gerade in diesem Frühjahr.

Roland Große Holtforth (Foto: Sabine Felber / Literaturtest)

Roland Große Holtforth ist Mitglied im Sprecherkreis der IG Digital und geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Literaturtest. Die IG Digital und ihre Peergroups haben im letzten Jahr zahlreiche Webinare für die Branche angeboten und planen dies auch für 2021.

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