Veranstaltungen Zweites BuchCamp: keine großen Visionen, aber viel Greifbares

Alexander Vieß und Judith Hoffmann
stellen die Sessions vor

Am Samstag und Sonntag, 7. und 8. Mai fand auf dem mediacampus frankfurt | schulen des deutschen buchhandels in Frankfurt-Seckbach das zweite BuchCamp wiederum als BarCamp unter dem Motto Visionen zulassen statt, organisiert vom Forum Zukunft im Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Kooperation mit dem Mediacampus.

Von vorher etwa 150 Angemeldeten waren 110 Teilnehmer angereist; 35 Prozent kamen von Verlagen, 10 Prozent aus dem Sortiment, 40 Prozent waren andere Branchenteilnehmer und 15 Prozent Branchenfremde. Die weitesten Wege legten Gäste aus der Schweiz und Österreich zurück.

Am gestrigen Abend wurde erstmals der Virenschleuderpreis verliehen [mehr…]

Schon vor Beginn des BuchCamps wurden per Internet18 Vorschläge für Sessions gepostet, bei der Eröffnungsveranstaltung kamen weitere dazu, so dass schließlich 25 Vorschläge zur Diskussion standen und in 22 Sessions behandelt wurden. Die Themen reichten vom Umgang mit Content und der Präsentation auf Facebook über enhanced EPUBs, E-Books und Sortiment, Crowdfunding, Communities im Buchhandel bis zu Arbeitsmodellen der Zukunft.

Parallel fanden in unterschiedlichen Räumen auf dem Campus vier Sessions statt – die Campteilnehmer hatten also die Qual der Wahl. Doch ein so umfangreiches Programm ließe sich sonst kaum in zwei Tagen bewältigen.

In diesem Jahr hatten die Organisatoren zwischen den einzelnen Veranstaltungen größere Pausen eingeplant – ein Wunsch der Teilnehmer des ersten BuchCamps im Vorjahr, die mehr Zeit für Gespräche der Teilnehmer untereinander forderten.

Einen Blick auf die Anfänge von Buchhandlungen und Verlagen warf Andrea Kamphuis und zeigte dabei erstaunliche Parallelen auf; schon im 18. Jahrhundert hatten Autoren das Bestreben, sich von Buchhandlungen und Verlagen unabhängig zu machen, Bemühungen, die meist zum Scheitern verurteilt waren. Raubdrucke waren beispielsweise damals für Gotthold Ephraim Lessing ein großes Problem, heute ist es die Piraterie im Internet. Sind Zusammenschlüsse von Autoren die Lösung? Oder ist Crowdfunding eine Möglichkeit, Projekte unabhängig zu realisieren? Beides steckt noch – oder wieder – in den Anfängen, Crowdfunding als eine Möglichkeit zur Verbindung von Finanzierung und Marketing ist in der Buchbranche äußerst schwierig.

Über E-Books im stationären Sortiment boten die Buchhändler René Kohl und Susanne Martin Denkanstöße. René Kohl witzelte zu Beginn über die Vorteile von E-Books: keine Bandscheibenvorfälle mehr, kein Staub, keine Remittenden. Laut Börsenverein befinde sich ja das E-Book im Vormarsch, doch die Realität sieht anders aus, weiß René Kohl, der bei VTO und bei den Anfängen von libreka! mitgearbeitet hat.

Susanne Martin, die die Stadtteilbuchhandlung Schiller in Stuttgart-Vaihingen betreibt, bietet Sony-Reader an und verkaufte auch einige. Über ihre Internetseite sind E-Book-Downloads möglich, die Zahlen sind jedoch marginal. „80 Prozent der an E-Books zunächst Interessierten wählen am Ende doch das gedruckte Buch“, berichtete sie. Doch vielleicht liege das an ihrer Kundenstruktur.

Im Hinblick auf die Zukunft stellen sich die Fragen: Braucht das Sortiment E-Books? und: Brauchen E-Books das Sortiment?
In der Diskussion wurde nachgefragt, ob sich der Buchhandel überhaupt ausreichend mit diesem Thema auseinandersetze. Es entstehe der Eindruck, dass dem nicht so ist. Auf die Frage nach der Zukunft der Buchhändler gibt es keine klaren Antworten – eine Situation, die nicht gerade motiviert, sich intensiver mit E-Books zu beschäftigen.

„Ich glaube, 75 Prozent der Buchhändler haben diesen Beruf gewählt, weil sie sich nicht mit Kabeln, Steckern und Daten beschäftigen wollen. Mein Eindruck: Der Buchhandel hat in den letzten zehn Jahren die Entwicklung verschlafen“, konstatierte René Kohl.

Mehrheitlich stimmten die Session-Teilnehmer zu, dass das Thema nicht mehr übergangen werden kann. Doch müssen Strukturen aufgezeigt werden, die das auch ermöglichen und in die Zukunft weisen. Die Verbände kümmerten sich darum zu wenig.
Noch steht der Aufwand beispielsweise für die Anschaffung von Readern in keinem Verhältnis zum Verkaufsergebnis, die Zahlen für die Buchhandlungen, die über libreka! verkaufen, kommen schleppend. Wozu also sollte sich der Buchhandel auf diesem Geschäftsfeld verstärkt engagieren? Machen die Verlage ihre E-Book-Geschäfte nicht schon längst am Buchhandel vorbei? „Der Verlag braucht keine Buchhändler – aber wir haben euch lieb“, brachte Ralph Möller die Diskussion auf einen nicht ganz ernst gemeinten Punkt. „E-Books brauchen auch keine Verlage“, konterte Christoph Schneider, der das gerade mit seinem Phantasie-Produkt Der Erbe der Zeit für iPhon und iPad erfolgreich demonstriert.
Das Publikum widersprach beiden: Nur im Buchhandel ist die Kopplung von Print- und E-Book erfolgreich möglich. Doch wie gelangt man dahin? Die gleichzeitige Veröffentlichung beider Produkte wäre ein überlegenswerter Schritt.

Viele Online-Shops haben sich mit ihren Produkten bereits auf Nischen spezialisiert und erzielen damit Achtungserfolge, ohne natürlich den Großen echte Konkurrenz zu machen.
Ein Hindernis für den Verkauf von E-Books sahen die Teilnehmer der Runde auch im nicht haptischen von Dateien. Cao Hung Nguyen hielt dem seine E-Book-Cards entgegen, scheckkartengroße, buchähnliche Karten mit Code und Download-Hinweisen, die auf Interesse stießen.
Fazit dieser Diskussion: Buchhändler müssen aus dem Quark kommen und sich zusammenfinden. Verlage und Börsenverein müssen erkennen, dass sie Probleme bekommen, wenn sie die Buchhändler nicht mit in die digitale Zukunft nehmen. Eine stärkere Vernetzung ist notwendig, vielleicht auch eine andere Positionierung gegenüber libreka!

Über die Bildung von Communities im Buchhandel diskutierten Markus Kampschnieder und Anett Gläsel-Maslov, beide bei Osiander. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, Buchhändler zusammen zu bringen? Und kann das so funktionieren wie in Frankreich mit der Plattform 1001 libraires? Für Deutschland sahen die Disputanten eher regionale Netzwerke, die auch Branchenfremde mit einbeziehen, als Ansatzpunkt. Das A und O sei nicht, alles Mögliche auf Facebook zu posten, sondern Leute in den Laden zu bekommen. Beim hübschen Begriff Community gehe es einfach um Wertschätzung unter Menschen, um persönliche Beziehungen. Internetplattformen sind nur dann sinnvoll, wenn darin verbreitete News zu Resultaten führen – also müssen solche Seiten gepflegt und immer wieder aktualisiert werden, um interessant zu sein.
Über die Idee „Buchgenuss nach Ladenschluss“ sprach Susanne Martin: Mindestens vier Interessenten vereinbaren einen Termin mit der Buchhändlerin, lassen sich drei Stunden im Geschäft einschließen und können nach Herzenslust stöbern. Meist werden am Ende des Abends auch Bücher gekauft.

Das Prinzip Buch stand im Mittelpunkt der von Wenke Richter und Wibke Ladwig angebotenen Session. „Wird das Thema Buch nicht allzu sehr beweihräuchert? Drehen wir und dabei nicht um uns selbst?“, fragte Holger Ehling. Festzustellen ist doch, dass 90 Prozent aller Printprodukte weder herausragend gemacht noch inhaltlich wertvoll seien.
Die Differenzierung schreite weiter voran, während jahrhunderte lang das Buch als einziges Medium Themen und Gedanken vermittelte, gibt es jetzt eine außerordentliche Breite an Informationsmedien. Das mache der Branche Angst und lasse sie gleichzeitig arrogant werden.
Wäre es demnach nicht sinnvoll, Branchen miteinander zu verbinden und gemeinsam in die Zukunft zu schauen? Doch ist das überhaupt bei konkurrierenden Unternehmen möglich? Streitigkeiten schon innerhalb der Branche machen da wenig Mut.
Trotzdem gehe es neben wirtschaftlichen Interessen auch um Kompetenz und Verantwortung – dem müssen sich die Verlage auch weiterhin stellen.

Frauke Ehlers, Saskia Heinen und Anja Lösch von den Bücherfrauen wollten eigentlich über Arbeitsmodelle in der Zukunft diskutieren, betrachteten jedoch zunächst die Arbeitsbedingungen in der Gegenwart, die gerade für Frauen nicht besonders rosig sind, wie die Studie MehrWert, erschienen 2010, zeigte. Gibt es in der Buchbranche wirklich zu viele gut Ausgebildete, die bereit sind, für wenig Geld zu arbeiten? Dieses Bild entsteht in den Gesprächen. So scheint mit zwei Währungen in der Branche bezahlt zu werden; mit Euro und mit dem Kulturgefühl, „dazu zu gehören“. Es wird sich wohl nichts ändern, solange noch mehr Menschen in die Buchbranche drängen, als sie wirklich braucht.

Eine Rolle im Disput spielten auch die Preise für Bücher, die sich in den letzten 30 Jahren nicht wesentlich verändert haben.
Es liegt an allen Branchenteilnehmern, die Wertschätzung für das Produkt Buch – in welcher Form auch immer – deutlich zu machen, das Branchenmarketing zu verbessern, die Arbeit an diesem Produkt transparenter nach außen zu tragen.

Die Abschlussrunde am heutigen Sonntag Vormittag mit Dominique Pleimling, Marion Schwehr, Andreas Artmann und René Kohl, moderiert von Christian Schrod, zog eine positive Bilanz über das zweite BuchCamp. Es war eine gewinnbringende Veranstaltung in einem guten und beeindruckenden Klima, das beibehalten werden sollte. Die Teilnehmer konnten viele neue Ideen mitnehmen. Der Nachteil des BarCamps: Man stand vor der Entscheidung, sich eine Session von vieren, die gleichzeitig stattfanden, auszuwählen.
Große Visionen gab es nicht, dafür aber viele kleine Denkanstöße, Greifbares.
Einhellig gelobt wurde die gute Organisation.

Das BuchCamp, so entschieden die Teilnehmer, die übrigens aus allen Altersgruppen kamen, sollte fortgesetzt werden. Zunächst auf den Portalen, nächstes Jahr wieder auf dem Campus.

Dann hätte man auch gerne einige „Honoratioren“ dabei – und mehr Buchhändler.

JF

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