Warum sollen wir blau lesen, Herr Rostek? Andreas Rostek: „Große Verlage können nicht alles machen“

Blaue Buchumschläge sind ihr Erkennungszeichen. In diesem Monat feiert die Berliner edition.fotoTAPETA ihr zehnjähriges Bestehen. Das war Anlass für Fragen an Verleger Andreas Rostek:

BuchMarkt: Herr Rostek, der Schwerpunkt Ihres Programms liegt auf Texten aus Osteuropa. Heben Sie damit die Schätze, die durch den Rost der großen Verlage fallen?

Andreas Rostek: „BuchhändlerInnen sind ja oft ähnlich Perlenfischer wie kleine Verlage, und wenn unsere Perlen dann in den Buchläden auch einmal sichtbar werden, ist das sehr schön.“

Andreas Rostek: Die großen Verlage mögen groß sein, und sie leisten oft Großes – aber sie können ja nicht alles machen. Und sie wollen auch nicht alles machen. Vielleicht wird bei Artur Klinau und seinem Schelmenroman Schalom zu viel gesoffen. Und vielleicht ist Tatjana Gofmans Krim-Berlin-Zürich-Roman Sewastopologia ein bisschen zu virtuos und zu vielschichtig für einen Verlag, der nicht einfach mal schnell gewonnener Überzeugung eine Entscheidung für ein Buch treffen kann. Das können wir; das können die kleineren Independent-Verlage. Der Ausgangspunkt aber ist und bleibt für mich ein persönlicher und politischer gleichzeitig: zu merken, wie groß die weißen Flecken in Osteuropa bei mir waren – daraus wurde eine Art persönlicher, europäischer Osterweiterung. Der Blick Richtung Osten bestimmt denn auch die Geschichte der edition.fotoTAPETA, die ja als deutsch-polnischer Verlag gegründet wurde.

Bei der Gründung gab es einen Verlagssitz in Warschau und einen in Berlin. Wie ist die Idee damals entstanden?

Dieser Verlag ist von Anfang an eine Idee von Freunden gewesen, Freunden in Warschau und Berlin. Die in Warschau beschäftigten sich mit Fotos, wir in Berlin – als langjährige Journalisten – mit Texten. Und dann gab es von unserem Freund, dem polnischen Fotografen Tadeusz Rolke, diese wunderbare Sammlung von Bildern zu den letzten Spuren jüdischer Traditionen in seinem Land und in der Ukraine. Das wollten wir öffentlich machen, darüber wollten wir etwas erzählen, daraus wollten wir ein Buch machen – und daraus wurde nach einem Wodka-Abend die Idee, gleich einen ganzen Verlag zu machen, der in Büchern, die in einer polnischen und in einer deutschen Version erscheinen, Texte und Fotos zusammen wirken lässt. Das haben wir gemacht.

Warum haben Sie das Konzept aufgegeben?

Das Konzept war schön, aber die Bücher waren, mit gut aufbereiteten Fotos und gut gedruckt, viel zu teuer. Auch ist der polnische Buchmarkt nicht gerade eine Einladung für Anfänger ohne allzu viel Erfahrung. Wir haben viel Lehrgeld bezahlt, und irgendwann wurde es etwas zu viel…

Wie finden Sie Ihre Autoren?

Lesen, lesen und lesen – und reden. Und fragen. Neugier hilft. Den eigenen Interessen und Fragen folgen. Den großartigen Serhij Zhadan habe ich vor Jahren in Leipzig während der Buchmesse einfach gefragt, und heraus kam ein wundersames Buch: Die Selbstmordrate bei Clowns. Auch für die Arbeit mit dem Künstler und Autor Artur Klinau stand anfangs, wieder in Leipzig, eine einfache Frage: Können Sie uns schildern, womit Sie in Belarus zu kämpfen haben? Außerdem: der Verlag existiert ja nunmehr seit 10 Jahren, und er hat offenbar keinen schlechten Ruf. Vielleicht wenden sich auch deshalb Übersetzer oder Autoren an uns, die einiges zu bieten haben. Das gilt etwa für den großen „kleinen Roman“ Montag, den die Übersetzerin Sophie Lichtenstein für uns ausgegraben hat; er ist gerade erschienen. Was für eine Entdeckung! Eine Schilderung der Russischen Revolution in einem jiddischen Roman aus dem Jahr 1926, poetisch und genau. Den preisgekrönten Geogier Abo Iaschaghaschwili mit seinem saftigen Tiflis-Roman habe ich dagegen wieder in Leipzig „entdeckt“.

Zum Jubiläum haben Sie sich selbst ein Geschenk gemacht, die Novelle Parallelen mit Hund. Sie sind nicht nur der Verleger, sie sind auch der Autor. Was hat es mit dem Buch auf sich?

Schreiben ist ja oft Selbstvergewisserung, Durchdringung einer Frage…Bei den Parallelen  mit Hund geht es um das deutsch-polnische Verhältnis anhand der Geschichte von zwei früher befreundeten Männern und natürlich um die große Geschichte, die Historie – die spielt ja immer herein. Mit der Novelle habe ich meine Annäherung an Polen und an einen sehr speziellen kleinen Ort, die Renaissance-Stadt Zamosc, verarbeitet. Es war ein großes Vergnügen, diese Novelle zu schreiben – zumal ein historisch recht bewanderter Hund eine sozusagen tragende Rolle spielt. Ich hoffe, das Vergnügen teilt sich mit…

Blaue Buchumschläge sind Ihr Markenzeichen. Wie ist es dazu gekommen?

Wir wollten uns wollen schöne Bücher machen, die erkennbar sind. Wir sind da unserem Geschmack und dem Zufall gefolgt – und der stellte sich einmal im Museum ein, vor einem Bild von Yves Klein. Das ist es, dieses Blau! Meine Frau und Co-Verlegerin, Dagmar Engel, und ich waren uns da schnell einig, unsere Grafikerin Gisela Kirschberg (die nichts ohne genauere Prüfung macht), zeigte sich angetan – das Problem war nur: Das vielschichtige Blau von Yves Klein lässt sich im Druck kaum reproduzieren. Daran arbeiten wir seither …

Ihre Leser fordern Sie auf: Lesen Sie blau! Warum sollten wir blau lesen?

Man kann sich blau ärgern, man kann saufen, bis man blau ist, man kann sich wünschen, unter dem blauen Mantel der Madonna Unterschlupf zu finden, man kann sich erinnern, dass blau einst ein minderwertiger Farbton war – und die Farbe des Himmels und des Wassers oft gold (oder grün) war-, bis das Blau eine große Karriere gemacht und die Welt sozusagen durchdrungen hat: Es ist überall zu finden, es ist nirgends wegzudenken. Und das Wasser und der Himmel sind mittlerweile auch zweifelsfrei blau (selbst über der Ruhr). Und man kann natürlich sein blaues Wunder erleben…

Und wie fühlen Sie sich nun, zehn Jahre nach Verlagsgründung?

Ich freue mich jedes Mal, wenn ich von dem „kleinen aber feinen Verlag“ lese. Wir gelten als Verlag, der interessante, eigenwillige und gut gemachte Bücher bringt. Wenn wir von denen noch mehr verkaufen würden, wäre ich glücklich.

Nimmt das Feuilleton die edition.fotoTAPETA ausreichend wahr?

Was würde da schon ausreichen? Aber nein, unsere Bücher werden immer wieder besprochen, in der FAZ wie im Spiegel oder in der NZZ, im SWR wie im WDR – und zunehmend auch von Bloggern. Wir machen aber offenbar  nicht nur erwähnenswerte Bücher, wir haben mit Stephanie Haerdle von Kirchner Kommunikation eine offenbar ebenso überzeugende Pressevertreterin.

Und die Buchhandlungen?

Das ist für kleine Verlage ein schwieriges Kapitel. Aber es gibt einige Buchhandlungen, die sich für unsere Bücher einsetzen – so wie z.B. ocelot, Anakoluth oder die Akazienbuchhandlung in Berlin oder der wahrlich nicht sehr große Buchladen Patz in Bad Bevensen und Bienenbüttel.

Was erwarten Sie von den Buchhändlern?

Wenn mir jemand verraten würde, wie wir es schaffen können, einen kleinen Berg von blauen Büchern auf einem dieser Tische im großartigen Dussmann-Buchladen in Berlin zu platzieren,wäre ich schon sehr zufrieden. Aber vielleicht gelingt das irgendwann einmal. BuchhändlerInnen sind ja oft ähnlich Perlenfischer wie kleine Verlage, und wenn unsere Perlen dann in den Buchläden auch einmal sichtbar werden, ist das sehr schön. So wie dank der Initiative des Berliner Buchladens mit dem überzeugenden Namen Fräulein Schneefeld & Herr Hund – dort gibt’s Anfang Mai eine Lesung der Parallelen mit Hund (und Schokolade gibt’s dort auch).

Wie machen Sie die Buchhändler auf Ihr Programm aufmerksam?

Wir nehmen seit Jahren regelmäßig am Vorschau-Versand unserer Auslieferung, der GVA in Göttingen, teil, wir verschicken Newsletters an ausgewählte Adressen, wir haben in Berlin und Ostdeutschland sowie im Süden und in Österreich VertreterInnen, und in Berlin besuche ich gern auch selber Buchhandlungen.

Verraten Sie, was uns im Herbst erwartet?

Wieder Deutsch-Polnisches und auch wieder Gedichte. Der bisher als Sachbuchautor mit schönen Büchern über große Flüsse bekannt gewordene Uwe Rada präsentiert bei uns seinen ersten Roman, eine Liebesgeschichte mit dem Titel 1988, bei der es in einer Art Zeitreise auch um die Liebe zu dem nahen, fernen Polen geht. Die Gedichte dagegen – aus  den zwanziger Jahren -kommen vom jiddischen Autor Moyshe Kulbak, nachdem wir gerade dessen berückenden Roman Montag gebracht haben.

Wie lautet das Erfolgsrezept für die Zukunft des Verlegens?

Neugier. Anspruchsvolle Angebote an anspruchsvolle LeserInnen. Wir wollen diese europäische Reise fortsetzen. Die Zeiten sind ja so, dass man bei dieser persönlichen Osterweiterung noch manches zu tun haben könnte.

Am Freitag, dem 28. April wird im Buchhändlerkeller gefeiert. Auf welche Autoren können sich die Gäste freuen?

Wir haben ÜbersetzerInnen, AutorInnen, Freunde und LeserInnen in den Buchhändlerkeller in Berlin eingeladen, so zum Beispiel den früheren Zeit-Redakteur Gunter Hofmann (der Co-Autor unseres ersten Buches ist), Tanja Gofman aus Zürich, Sophie Lichtenstein, die jiddische Gedichte von Moyshe Kulbak vortragen wird, Tadeusz Rolke aus Warschau, der über seine Bilder und „seinen“ Verlag reden wird und vielleicht räumt ja noch Arno Widmann blaue Bücher vom Nachttisch. Und Uwe Rada stellt sein neues Buch bei uns vor.

Die Fragen stellte Margit Lesemann

 

 

 

 

 

 

 

 

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