Das Sonntagsgespräch Bernhard Rieger über Großfilialisten und den Erhalt der Buchkultur

Im Mai hatte der Bachmann-Preisträger Norbert Niemann vor Hugendubel-Buchhändlern eine beachtenswerte Rede gehalten: „Wir Schriftsteller brauchen Euch!“ war seine Botschaft an die im Filialbuchhandel angestellten Buchhändler. Niemann sieht deren Existenz bedroht durch das Geschäftsmodell der Branchenführer, die einen „Buchhandel ohne Buchhändler“ betrieben und den mit dem Buch verknüpften Kulturauftrag verrieten.

Ihm antwortete der Gründer der Münchner Initiative ProBuch [mehr…] und bei Hugendubel angestellte Buchhändler Bernhard Rieger mit einem offenen Brief, in dem er für eine „Zukunftsallianz der Buchkultur“ plädiert. Christian von Zittwitz. hat sich mit ihm über Hintergründe, Ziele und Erfolgsaussichten eines solchen Bündnisses unterhalten.

Bernhard Rieger:
„Die Buchhändler sind
komplett abgekoppelt
vom Informationsfluss
aus den Verlagen“

Herr Rieger, Ihre Sicht auf die derzeitige „Wetterlage“ im stationären Buchhandel?

Bernd Rieger: Sie meinen sicher die Situation der Ketten. Die Erfolgskurve der Großfilialisten weist aktuell deutlich nach unten. Die beiden Marktführer – wenn man die Mayersche dazu nimmt, dann sind es drei – fahren ihre Flächen zurück, schließen Standorte, wollen Personal loswerden.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Das ist die Quittung für ein Wirtschaften, das die Besonderheit der gehandelten Ware, des Buches nämlich, nicht berücksichtigt. Thalia und DBH wollten ihre Läden mit denselben Methoden betreiben, die im übrigen Einzelhandel, bei Discountern und bei Drogeriemärkten funktionieren – aber mit Büchern klappt das nicht.

Das merkt man jetzt, nachdem über Jahre in Flächen investiert worden war?

Ein paar Jahre lang sah es zwar so aus, als bräuchte man nur genügend Software- und Controllingspezialisten in den Konzernzentralen, die höchst effizient den Warenfluss steuern. Doch jetzt zeigt sich: Die Kunden in den Läden akzeptieren das so entstandene Schmalspur-Topseller-Sortiment nicht; sie machen da nicht mit, wenn es – im Gegensatz zu Zimmerspringbrunnen, Thunfischdosen oder Kettensägen – um Bücher geht, um Literatur!

Kann das nicht eher am veränderten Einkaufsverhalten liegen?

Selbstverständlich wäre es in jedem Fall zu einer Zunahme des Internethandels gekommen, und Amazon hätte auch so zugelegt. Aber bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie jetzt! Norbert Niemann hat das in seiner Rede anlässlich der Hugendubel-Demo im Mai sehr überzeugend beschrieben: Als erstes nämlich haben die Filialisten (ohne Not!) ein bis dahin hervorragend funktionierendes Geschäftsmodell radikal verändert; darauf erst reagieren die Kunden mit verändertem Kaufverhalten – und nicht umgekehrt! Niemann spricht von „Raubbau“, „Monokultur“ und „Discounter-Mentalität“ im Buchgeschäft – und erinnert die Buchketten an ihre gesellschaftliche und kulturelle Verantwortung. Wenn Buchkäufer in den großen Läden nicht mehr die Vielfalt und Qualität vorfinden, nach der sie suchen – und die sie dort gewohnt waren vorzufinden – dann wandern sie recht schnell ab, sobald Alternativen existieren. Und eine sehr häufig gewählte Alternative heißt Amazon!

Das deckt sich teilweise mit den Ansichten von Ludwig Könemann im aktuellen BuchMarkt-Heft. Aber Sie argumentieren seit Jahren mit Ihrer Initiative Pro.Buch, dass das Folgen für die buchhändlerischen Mitarbeiter der Ketten habe…

Auch Niemanns Rede kritisiert den Umgang der Großfilialisten mit ihren angestellten Buchhändlern, passend zum Discounter-Geschäftsmodell: Die konsequente Zentralisierung von Einkauf und Sortimentsgestaltung „entkernt“ die buchhändlerische Tätigkeit in den Filialen, degradiert sie auf das Niveau von Hilfskräften, Auspackern, Regalauffüllern. Die Buchhändler sind komplett abgekoppelt vom Informationsfluss aus den Verlagen: Vertretergespräche gehören der Vergangenheit an – mit deutlich erfahrbarer Auswirkung auch auf die Kundenberatung. Hinzu kommt dann noch der fortschreitende Personalabbau der vergangenen Jahre. Ein weiterer wichtiger Grund also für die Buchkundschaft, den Marktführern im stationären Handel den Rücken zu kehren.

Sehen Sie Wege, daran etwas zu ändern?

Positive Zukunftsperspektiven sehe ich in einer Allianz von Schriftstellern und Buchhändlern – unter der Überschrift „Pro Buch. Pro Kultur. Pro Buchkultur“. Norbert Niemann hat diese Bewegung entscheidend mit angestoßen und trifft damit auf Aktionen von buchhändlerischer Seite, so auf die von mir 2007 ins Leben gerufene Münchner Initiative ProBuch. Inzwischen befassen sich auch die Schriftstellerverbände VS und PEN mit dem Thema. Wir Buchhändler und Autoren sagen gemeinsam: Wir alle wollen Buchhändler, die tatsächlich Buchhändler sind – und wir benötigen Buchhandlungen, die diesen Namen wirklich verdienen, die ihrem kulturellen Anspruch gerecht werden. Die wertvolle Tradition der Buchkultur – und, damit verbunden, der Beruf des Buchhändlers – muss erhalten und lebendig bleiben..

Das ist ein anspruchsvolles Ziel…

… das nicht erreicht wird, solange der Handel mit Büchern ausschließlich auf ökonomische Interessen reduziert wird, wenn die Controller das alleinige Regiment übernehmen, wenn Konditionenforderungen zum zentralen Inhalt der Gespräche mit den Verlagen werden, wenn die Titelauswahl (und somit schließlich auch die Buchproduktion selbst!) nur noch von Verkäuflichkeitskriterien bestimmt wird, wenn qualifiziertes Buchhandelspersonal immer mehr reduziert wird und die Zahl der Ausbildungsplätze dramatisch abnimmt, wenn die innerstädtischen Buchverkaufsflächen weiter zurückgebaut werden und zugleich der Anteil der Nonbooks ständig zunimmt …….

Sie sind trotzdem hoffnungsvoll, dass es zu Veränderungen kommt?

Für das aktuelle Engagement der Schriftsteller existiert sogar ein historisches Vorbild: Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 1968 haben fünfundsechzig Autoren und Literaturexperten – von Böll über Enzensberger, Grass, Jens, Karasek, Lenz, Reich-Ranicki bis Zuckmayer (um nur einige wenige zu nennen) eine Resolution unterzeichnet „Die Verhältnisse im Buchhandel können den Schriftstellern nicht gleichgültig sein“. Darin haben sie die angestellten Buchhändler aufgefordert, der Gewerkschaft beizutreten (das war die mittlerweile in ver.di aufgegangene HBV) und aktiv für ihre Rechte einzutreten.

Das war 1968!

Erstaunlicherweise besitzt dieses historische Dokument jetzt wieder eine aktuelle Relevanz. Die Interessenvertretung der Buchhandelsangestellten liegt inzwischen bei ver.di; und von dort kommt auch aktive Unterstützung für den aktuellen Kampf der Buchhändler um ihre berufliche Existenz, sichtbar etwa bei den Bemühungen um eine tarifvertragliche Zukunftssicherung für die Beschäftigten des gesamten Weltbild-Konzerns. Und ver.di hält eine schützende Hand über die seit einiger Zeit äußerst erfolgreich agierenden Infoblogs bei Weltbild, Hugendubel und Amazon – ganz neu hinzugekommen ist übrigens soeben ein ver.di-Blog für C.H.Beck.

Gewerkschaft und Autoren haben Sie mit im Boot – sehen Sie noch weitere Aktionspartner?

Viel versprechend sind auch weitere aktuelle Initiativen zur Stärkung eines qualitätsorientierten Buchhandels – wie etwa Michael Riethmüllers (RavensBuch) buylocal-Projekt [mehr…]. Und sehr gefreut haben mich auch die (vorhin von Ihnen schon erwähnten) deutlichen und provokanten Verleger-Worte von Ludwig Könemann im soeben veröffentlichten BuchMarkt-Interview [mehr…]. Den meisten seiner Aussagen kann ich voll und ganz zustimmen. Es ist wichtig zu sehen: auch andere in der Branche haben den Mut, ihre Meinung öffentlich zu machen. Das steckt an.

Wie geht es jetzt weiter?

Entscheidend ist, so denke ich, die Weiterentwicklung dessen, was gerade beginnt: Allianzen, die die üblichen Trennlinien überschreiten, Kooperationen zwischen den Buchhändlern (angestellten wie selbständigen) und den Autoren, den Verlegern, der an Kultur interessierten Öffentlichkeit. Dass derartiges sehr gut funktionieren kann, war ja erst vor wenigen Wochen bei der Urheberrechtsdebatte zu verfolgen. Ich bin davon überzeugt, dass ähnliches auch für den Erhalt der Buchkultur möglich ist.

Bernhard Rieger (57) ist Germanist und als Buchhändler bei Hugendubel in München tätig. Er ist Gründer der Initiative ProBuchMünchen, Mitglied der ver.di-Tarifkommission „Zukunftssicherung bei Weltbild/Hugendubel“
und Verfasser zweier „offener Briefe“:

„Sonntagsreden, Werktagsgeschäfte“(zur Situation des Weltbild-Konzerns, Dezember 2011) und

„Buchhändler und Schriftsteller – Zukunftsallianz ‚Pro.Buch.Kultur.’“ (Juni 2012) als Antwort auf die Rede Norbert Niemanns vor Hugendubel-Buchhändlern: „Wir Schriftsteller brauchen Euch!“

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