Das Sonntagsgespräch Birgit Gebhardt: Algorithmen statt Wissensarbeiter?

Am Freitag, 27. Februar, findet in München die Konferenz „Business-Macher von heute – und von morgen!“ statt. Eine der beiden Key Notes hält Birgit Gebhardt, die renommierte Trendforscherin, über die „New Work Order“ und den Wandel in vernetzten Organisationen. Wir befragten sie zu ihrer These: „Wissensarbeiter“ werden durch Algorithmen ersetzt.

buchmarkt.de: Frau Gebhart: Warum nehmen Sie bei Ihrer Studie insbesondere die Wissensarbeiter in den Blick?

Birgit Gebhardt

Birgit Gebhardt: Weil der Begriff Wissensarbeit für den Wandel der Anforderungen an Arbeit steht – in der Produktion, Dienstleistung und Büro. Und man kann damit die Abgrenzung zu der von Software und Rechnern geleisteten „Arbeit“ vornehmen.
Aber Achtung: Die cognitiven Systeme übernehmen Wissensarbeit. Der humane Wissensarbeiter hat sich dagegen kaum weiter entwickelt.

Welche Kompetenzen stehen zukünftig im Mittelpunkt?

Lassen Sie mich zwei herausgreifen, die zunächst vielleicht ungewöhnlich scheinen: Das eine ist Achtsamkeit, das andere Design-Thinking.
Achtsamkeit mag esoterisch klingen, aber eine ausgeprägte Empfindsamkeit für das Umfeld ist die Fähigkeit, die man auf unsicherem Terrain braucht – und die wir Menschen, gekoppelt mit unserm Verstand und unseren Erfahrungen, besser beherrschen als Softwareprogramme. Daher sollten wir diese Fähigkeit trainieren und nutzen.
Und beim Design-Thinking arbeiten Menschen unterschiedlicher Disziplinen zusammenarbeiten. Ergebnis ist, dass komplexe Fragestellungen besser gelöst werden können, weil dadurch das Kundenproblem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Design-Thinking-Workshops lassen interdisziplinäre Stakeholder gezielt im Sinne des Kunden denken!
Humane Wissensarbeit heißt dann die Verknüpfung von Logik, Natur- und Geisteswissenschaft mit Kreativität, Verstand und Erfahrung.
Und dann möchte ich noch auf Kompetenzen hinweisen wie schnelle Anpassungsfähigkeit, kreatives Denken und Kontextwissen! Dies werden die maßgeblichen Qualifikationen sein, mit denen sich der Wissensarbeiter neu definiert und von den intelligenten Softwares abgrenzen kann!

Wie verändern sich die Ansprüche an die Führungspersonen?

Aktuell ist die Hauptaufgabe der Führungskräfte die Befähigung der Mitarbeiter für die digitale Transformation. Diese kann nicht top down verordnet werden, sondern muss in klar abgesteckten und klar erkennbaren Freiräumen zum Experimentieren eines neuen vernetzten Arbeitend angeboten werden.
Es sind nicht mehr die betriebsspezifischen Leistungen, in denen die Menschen geschult werden müssen, sondern die individuelle Weiterentwicklung ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit für den Betrieb.
Es geht um das Lernen von den richtigen internen wie externen Projektpartnern, ergänzt um eine punktuelle Weiterbildung oder ein individuelles Coaching. Hier ist die Führungsebene gefragt, die nah am Mitarbeiter sitzt und auch inhaltlich versteht, wie sie den Einzelnen befähigen muss.
Also weniger Tätigkeit im wirtschaftlichen Prozess, sondern mehr Einbindung und Befähigung der einzelnen Mitarbeiter – auf ganz individueller Ebene.

Welche Chancen bietet eine effiziente, vernetzte Kommunikation der Wissensarbeiter?

Mit vernetzter Kommunikation gewinnt man Effizienz und Dynamik. Das bedeutet für das Unternehmen die Transformation in eine kundenorientierte, offene und lernende Organisation mit unternehmerisch denkenden Akteuren. Für den Wissensarbeiter bedeutet es mehr Souveränität. Sein Selbstverständnis wandelt sich vom Arbeitnehmer zum Lebensunternehmer.
Die gut ausgebildeten und kompetenten Leistungsträger werden mit ihrem Wissen strategischer operieren. Sie werden sich Projekte suchen, bei denen nicht nur der Mehrwert für das Unternehmen, sondern auch die eigene Lernkurve an jeder neuen Aufgabe hinterfragt wird.
Der Wissensarbeiter wird bei dem Unternehmen bleiben, wo der Mix aus ‚sich einbringen’ können und ‚sich aufschlauen’ können ausgewogen ist und wo er spürt, dass seine Führungskräfte auch um seinen persönlichen Wissenszugewinn bemüht sind. Die Bindung an das Unternehmen erfolgt damit künftig stärker über die Inhalte und die individuelle Befähigung als durch vertragliche oder monetäre Abhängigkeiten. Und sie kann stärker von Unterbrechungen gezeichnet sein als heute, weil es vielleicht schlau ist, seine Kompetenzen auch andernorts anzuwenden, dazuzulernen und ggf. für neue ansprechende Projekte zurück zu kommen.
Der strategisch denkende Wissensarbeiter wird sich auch außerhalb der Firma in Business Networks tummeln und für seine Arbeit interessante neue Aspekte oder Kompetenzpartner finden – die ihn zwar auch abwerben könnten, die er aber auch umgekehrt mit in die vernetzte Wertschöpfung seines Arbeitgebers integrieren kann!

Durch die Digitalisierung verändern sich nicht nur in den Medienunternehmen Strukturen wie auch Wertschöpfung. In welchem Wettbewerb stehen Unternehmen heute?

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob sich wirklich die Strukturen in den Medienunternehmen ändern. In vielen Medienhäusern herrschen immer noch Grabenkriege der Eitelkeiten, zum Beispiel zwischen der erfolgsgetriebenen Online-Redaktion und den Print-Edelfedern. Und selbst da, wo künstliche Gräben zugeschüttet werden, würde ich nicht gleich von struktureller Veränderung sprechen, weil häufig nur inhaltlich ähnliche Tätigkeiten endlich synergetisch zusammengeschaltet werden.
Aber eine längst fällige Anpassung an die Realwirtschaft ist noch kein Strukturwandel. Es hilft auch nicht, Buzz Words wie „Diversity“ mal eben anhand von ein paar Workshops den Mitarbeitern zur Kenntnis zu reichen, wie das gerade bei Tchibo und Otto passiert, ohne dass die Mitarbeiter auch neue Strukturen und Bewegungsrahmen erhalten, die ihnen Diversity auch wirklich als Arbeitsvorteil ermöglicht.
Veränderte Strukturen würden bedeuten, Hierarchien abzubauen, Routinen zu automatisieren und das unternehmerische Handeln intern in kundenorientierte Projekte zu übersetzen, die von interdisziplinären Teams gelöst werden.
Es würde bedeuten, den trägen Tanker, der in seiner sicheren Struktur so viele zum ‚sich Einnisten’ einlädt, in kleine dynamische Schnellboote zu zerschlagen, die in erweiterten Befugnisrahmen eigenständig und iterativ marktfähige Lösungen entwickeln.

In welchem Wettbewerb stehen Unternehmen heute? Warum schätzen Sie den digitalen Handel als einen der zentralen Veränderungstreiber ein?

Der Markt ist längst vernetzt! Die Daten, die über E- und mobile Commerce erfassbar sind, bilden endlich valide Umsätze und Zielgruppen ab. Alles wird messbar und überprüfbar und wir müssten längst ganz andere Dinge tun und ausdenken, als uns mit der eigenen Fertigungstiefe, dem eigenen Vorbeten von Qualitätsjournalismus, den eigenen Vorlieben der Programmzusammenstellung und dem routinierten Tagesgeschäft zu beschäftigen.
Gerade der Medienmarkt liefert ein Überangebot an Content. Wer da nicht die Nähe zum Kunden schnell in erfolgreiche Angebote verwandeln kann, arbeitet nicht zeitgemäß.
Entlang einer linearen Wertschöpfung mit hoher Fertigungstiefe werden keine Margen mehr erzielt. Daher stehen die Medienunternehmen gar nicht in erster Linie mit ihren bekannten Mitbewerbern in Konkurrenz, sondern eigentlich mit den großen Plattformen, die Customer Journeys valide tracken können. Die über reale Bedürfnismuster verfügen, die über die Nähe zum Kunden verfügen und diese über eine Vielzahl an Serviceleistungen monetarisieren. In diesen Partnerschaften rund um die Kundenerwartung liegen die Potenziale, Wertschöpfung zu betreiben. Die Angst der Branche, für Amazon, Twitter & Co. am Ende des Tages nur noch Zulieferer auf Abruf zu sein, erscheint mir nicht unbegründet.

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