J.K. Rowling über „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“, über ihre Zusammenarbeit mit dem Illustrator Jim Field und über ungleiche Sockenpaare „Eine magische Geschichte ist auch ohne Zauberstäbe möglich“

J.K.Rowling (c) Debra Hurford: „Es gibt bestimmt eine Menge Kinder, die das Buch schon selbst lesen können. Ich könnte mir allerdings auch interessante Gespräche zwischen jungen Zuhörern und Erwachsenen vorstellen, die ihnen das Buch vorlesen – über Dinge, die uns wichtig sind und darüber, dass Veränderung und Verlust zum Leben dazugehören, dass daraus aber trotzdem auch Wunderbares entstehen kann.“

J.K. Rowlings neues Kinderbuch Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein (Carlsen) kommt ohne Zauberstäbe aus. Es ist eine berührende Weihnachtsgeschichte über „wahre Freundschaft und den Mut, über sich selbst hinauszuwachsen“. Dies war Anlass für Fragen:

Gibt es denn noch neue Weihnachtsgeschichten zu erzählen?

J.K. Rowling: Ich wollte wirklich schon immer eine Weihnachtsgeschichte schreiben, habe mir damit also einen langgehegten Wunsch erfüllt! Es musste aber die richtige Geschichte sein, und schließlich habe ich sie dann gefunden.

Wenn Sie Jack als Person mit drei Wörtern beschreiben müssten, welche wären es? Und welche Wörter wären es für das Weihnachtsschwein?

Jack ist mutig, liebevoll und ein bisschen verloren, findet aber beim Abenteuer mit dem Weihnachtsschwein zu sich. Und das Weihnachtsschwein würde ich ganz genauso beschreiben.

Illustration: Jim Field / © J.K. Rowling 2021

War das Entwerfen der Handlung anders als bei der Harry Potter-Serie? 

Ich tüftele für mein Leben gern Geschichten aus, und schon bevor ich das erste Wort aufschrieb, wusste ich, was wann wo passieren würde, und wie. Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein ist eine magische Geschichte, aber anders als Harry Potter. Man betritt eine Welt, in der ganz eigene Gesetze gelten, und auch der Heiligabend hat etwas Magisches – aber Zauberstäbe und Zauberer oder Hexen gibt es diesmal nicht.

Und Jim Fields Illustrationen sind so, wie Sie sich die Gestalten und ihre Welt vorgestellt hatten?

Jims Bilder sind einfach perfekt. Es ist, als wäre er in meinen Kopf geschlüpft und hätte gezeichnet, was er dort sah! Bei einer bestimmten Illustration hat mir beim ersten Mal förmlich der Atem gestockt (aber welche das war, kann ich natürlich nicht verraten, ohne zu spoilern), weil eine meiner Lieblingsszenen darin so vollkommen getroffen wurde.

Durch Klick aufs Cover geht es zum Buch. Übersetzt aus dem Englischen hat Friedrich Pflüger

Wie läuft die Zusammenarbeit mit so einem Illustrator? 

Das lief über meine Lektorin Ruth, die mir Jims Entwürfe zugeschickt und dann meine Bemerkungen wieder an ihn weitergegeben hat. Weil er aber mit fast allen Zeichnungen gleich beim ersten Mal den entscheidenden Punkt getroffen hatte, habe ich dabei fast nur meine Begeisterung darüber ausgedrückt! Es war wunderschön, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er war für dieses Projekt wirklich der perfekte Illustrator.

Ist Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein auch eine Geschichte für kleine Kinder?

Es gibt bestimmt eine Menge Kinder, die das Buch schon selbst lesen können. Ich könnte mir allerdings auch interessante Gespräche zwischen jungen Zuhörern und Erwachsenen vorstellen, die ihnen das Buch vorlesen – über Dinge, die uns wichtig sind und darüber, dass Veränderung und Verlust zum Leben dazugehören, dass daraus aber trotzdem auch Wunderbares entstehen kann.

Ich wollte wirklich schon immer eine Weihnachtsgeschichte schreiben, habe mir damit also einen langgehegten Wunsch erfüllt!

Was hat Sie zu Ihrer Gchichte inspiriert?

Die Geschichte ist erfunden, die Grundidee kam mir aber durch ein echtes Spielzeug, oder genau genommen zwei Spielzeuge in den Sinn. Als mein Sohn David noch klein war, hatte er als liebstes Kuscheltier genau so ein Schwein wie das in der Geschichte, ohne das er nicht zu Bett gehen konnte. Es war aus weichem Frotteestoff und hatte Plastikbohnen im Bauch (das echte heißt allerdings nicht das Swein. Das habe ich mir ausgedacht). David versteckte sein Schwein ständig irgendwo, und deshalb ging es häufig später ins Bett, weil wir erst das Schwein suchen mussten. Irgendwann hatte ich solche Angst, David könnte es tatsächlich verlieren, dass ich für alle Fälle ein identisches Ersatzschwein kaufte. Eines Tages, da war David drei Jahre alt, fand er beim Stöbern in einem Schrank zufällig dieses Ersatzschwein. Er erklärte es zum Bruder seines Kuschelschweins und behielt es, wir haben beide bis heute.

Die Idee für die Geschichte liegt also in Ihrer Angst begründet, dass David sein geliebtes Schwein für immer verlieren könnte?

Ja, mit der Zeit machte ich mir mehr und mehr Gedanken darüber, was es bedeuten würde, ein Ersatzspielzeug zu sein und zu wissen, dass das Original mit all den daran geknüpften Gedanken und Erinnerungen immer unerreichbar wäre. Und so nahm das Land der Verlorenen allmählich Gestalt an.

Gehen bei Ihnen auch Dinge verloren?

Ich verliere ständig Sachen, das zählt zu den Eigenschaften, die mich am meisten an mir stören. Am allerschlimmsten war, als ich den Verlobungsring meiner Mutter verlor; noch heute macht es mich traurig, wenn ich daran denke.

Gibt es in Ihrer Familie besondere Weihnachtsbräuche?

Weihnachten läuft bei uns sehr traditionell ab. Früher hat sich der Weihnachtsmann immer mit einem Brief für den Whisky bedankt und für die Möhren, die wir für die Rentiere draußen bereitgelegt hatten, aber jetzt, wo meine beiden Jüngeren sechzehn und achtzehn sind, schreibt er nicht mehr.

Was war als Kind Ihr Lieblingsspielpielzeug?

Die Rolle des Schweins spielte bei mir ein großer weiß-rosa Teddybär mit blauen Augen, den mir meine Großeltern gekauft hatten. Ich nannte ihn Henry, nach einem der Eisenbahnzüge in der Kinderserie »Thomas, die kleine Lokomotive«. Ich habe ihn immer noch, so kahl, wie er an manchen Stellen ist, weil ich, als ich noch sehr klein war, immer an seinem Fell gezupft habe.

Was glauben Sie, warum sind Lieblingsspielzeuge und Kuscheltiere für Kinder (und Erwachsene) so wichtig?

Für Psychologen sind diese Dinge »Übergangsobjekte«. Sie können Kindern Trost spenden und wenn nötig auch mal die Eltern vertreten. Das ist allerdings ein sehr nüchterner Blick auf die Frage. Ich bin davon überzeugt, dass in Spielzeugen eine ganz bestimmte Magie wohnt; sie kommen zwar vorgefertigt in unser Leben, aber wir erschaffen sie nach unseren Vorstellungen neu, statten sie mit besonderen Eigenschaften aus und geben ihnen eine idealisierte Persönlichkeit. Wir kümmern uns um sie und sie kümmern sich um uns. Dieser speziellen Verbindung versuche ich mit der Geschichte auf den Grund zu gehen.

Wer ist ihre Lieblingsfigur im Land der Verlorenen, und warum?

Ich glaube, neben den beiden Schweinen mag ich Ehrgeiz, Kompass und Hoffnung am liebsten, aber ich liebe sie wirklich alle, selbst die bösen. Mit den fiesen Gestalten hat man beim Schreiben immer sehr viel Spaß.

Wenn Sie im Land der Verlorenen bleiben müssten, welchen Ort würden Sie sich aussuchen?

In der Stadt der Vermissten ist es zwar ziemlich gruselig, doch muss ich zugeben, dass mir ihre Schönheit sehr gefällt und die Merkwürdigkeit vieler Dinge, die dort leben. Wenn ich dauerhaft bleiben müsste, dann aber auf jeden Fall auf der Insel der Geliebten.

Warum gibt es im Land der Verlorenen keine Strümpfe?

Das ist eine sehr, sehr gute Frage. Einen einzelnen Strumpf zumindest hätte es dort geben müssen! Wahrscheinlich ist das Verlieren von Strümpfen bei mir so normal, dass ich sie mir nur noch als ungleiche Paare vorstellen kann.

Die Hoffnung spielt im Buch eine bedeutende Rolle. Welche Hoffnungen hegen Sie für das kommende Jahr?

Auf ein Ende der Pandemie. Dies war eine schlimme Zeit für uns alle, und ich hoffe und bete, dass der Verlust so vieler Menschenleben ein Ende nimmt.

Aus dem Englischen von Friedrich Pflüger

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