Marian Offman über sein Buch "Mandelbaum" (Volk Verlag) „Die Frage, ob eine deutsch-jüdische Existenz gelingen kann, beantwortet sich vielleicht für den Leser nach der Lektüre des Romans“

Marian Offman: „Der Roman hat autobiografische Züge in zweierlei Hinsicht. Die Gefängnisszenen sind Fiktion. Das Leben von Felix Mandelbaum, wie es in der Gefängniszelle vor seinem inneren Auge vorüberzieht, ähnelt in vielen Teilen dem des Autors. Es umfasst aber neben dem realen Leben auch seine Fantasien, in die er sich oft flüchtete, um das andere zu ertragen“ (c) privat

„Mandelbaum“ heißt der Romanerstling des Autors Marian Offman. Es ist der Name seines Helden, der in einer kargen Zelle die längst Nacht seines Lebens verbringt, nachdem er am Rande einer Demonstration von Rechtsextremen festgenommen wird. In seinem Roman, der im Volk Verlag erschienen ist, verwebt Offman Gegenwart und Vergangenheit zu einer Geschichte, die weit über das persönliche Schicksal seines Helden hinaus reicht. Anlass für Fragen:

Herr Offman, worum geht es in Ihrem Roman? 

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Marian Offman: Der jüdische Stadtrat Felix Mandelbaum demonstriert gegen eine Gruppe von Rassisten und Antisemiten. Es gibt einen Zusammenstoß in der Menschenmenge. Mandelbaums Kamera verletzt den Neonazi Adolf Hintermoser so schwer, dass dieser ins Koma fällt. Mandelbaum wird festgenommen und in eine Zelle im Polizeipräsidium gesteckt. Er fürchtet um sein Leben durch die Hand von rechten Polizisten oder Rechtsradikalen. Um wach zu bleiben, flüchtet er sich in Erinnerungen: Kindheit, Jugend, Studium, Familie und politischer Aufstieg in der jüdischen Gemeinde und im Münchner Rathaus.

Verstehen Sie das Buch als Beitrag zur aktuellen Diskussion um einen neuen Antisemitismus in Deutschland?

Felix Mandelbaum erlebt in allen Lebensphasen persönlich die Folgen von Antisemitismus. Und das hat natürlich autobiografische Züge. Besonders schlimm sind die subtilen Anmerkungen, das Ausgeschlossensein und oft in frühen Jahren der schmerzliche Versuch, sein Judentum zu verbergen. Das geht Mandelbaum im Gefängnis nicht aus dem Kopf und schürt dort auch seine Angst.

Wie ist die Idee dazu entstanden?

Die Idee, der Plot zum Buch entstand während längerer Stadtratssitzungen. Erfahren wir meist von Attacken der Antisemiten gegen Juden, habe ich im Roman die Situation umgekehrt. Der Jude Felix Mandelbaum könnte den Nazi Adolf Hintermoser erschlagen haben. Übrigens die Person, welche 2003 den Anschlag gegen die Grundsteinlegung für das jüdische Zentrum plante und deshalb einsaß. Mandelbaum fragt sich, ob das seine persönliche Rache an den Nazis für die Ermordung seiner Familie im Holocaust ist.

Ihr Buch hat also stark autobiografische Züge?

Der Roman hat autobiografische Züge in zweierlei Hinsicht. Die Gefängnisszenen sind Fiktion. Das Leben von Felix Mandelbaum, wie es in der Gefängniszelle vor seinem inneren Auge vorüberzieht, ähnelt in vielen Teilen dem des Autors. Es umfasst aber neben dem realen Leben auch seine Fantasien, in die er sich oft flüchtete, um das andere zu ertragen.

Sie selbst haben eine Festnahme erlebt. Hat diese Erfahrung Sie verändert?

Eine Festnahme selbst habe ich noch nicht erleben müssen. Aber vor einigen Jahren wurde ich von mehreren Polizeibeamten in Gewahrsam genommen. Ich musste der Polizei in einen Vernehmungsbus folgen – mein Ansinnen, nach Hause zu gehen, haben sie strikt abgelehnt – und wurde dort stundenlang zu einer Anzeige befragt, die ein Nazi gegen mich erstattet hatte. Das Verfahren wurde nach knapp einem Jahr eingestellt. Wie den Akten zu entnehmen war, haben sie recherchiert, ob ich schon mit Sprengstoff zu tun gehabt hätte.

Worauf kam es Ihnen in Ihrem Roman ganz besonders an? 

Das Kernthema meines Romans ist die Frage, ob nach der Schoa eine deutsch–jüdische Existenz überhaupt möglich ist. Die Szenen im Roman ranken sich immer wieder um diese Frage. Wie unter einem Brennglas stellt sie sich, wenn ein bekennender Jude in die deutsche politische Öffentlichkeit tritt.

Welche Leserschaft möchten Sie damit im Besonderen ansprechen?

Menschen, die sich für jüdisches Leben heute in Deutschland, auch unter dem Blickwinkel der Schoa, interessieren. Die mehr vom Judentum und dessen Religion erfahren wollen. Leser, die nach einem spannenden Roman mit gelegentlichem Tiefgang suchen. Zudem erfahren sie, wie es nicht selten in den Hinterzimmern der Politik zugeht.

Der Kreml führt zurzeit Krieg gegen die Ukraine und ihren jüdischstämmigen Präsidenten mit dem Argument, Nazis zu bekämpfen. Wie sehen Sie diese Situation?

Das ist absurd und bizarr. Ein völlig unglaubwürdiger Vorwand für einen mörderischen Feldzug. Da werden Tausende von Zivilisten und Kinder grundlos ermordet und in ukrainischer Erde in Massengräbern verscharrt. Diese große Demütigung wird sich über viele Generationen in den Seelen ukrainischer Menschen festsetzen.

Ohne zu relativieren, sehe ich Parallelen zum Holocaust. In meinem Buch versuche ich zu beschreiben, wie die Folgen des Genozids die Menschen über viele Generationen hinweg prägen. Ähnlich wird es den Ukrainern ergehen.

Fallen Ihnen drei Wörter ein, die das Buch gut beschreiben würden? 

Spannend, poetisch, einfühlsam. Hoffentlich.

Sie stellen selbst auf dem Buch die Frage „Kann eine deutsch-jüdische Existenz gelingen?“ Mögen Sie es uns verraten?

Ignatz Bubis hat kurz vor seinem Tod gesagt, er hätte nichts erreicht. Ich sehe das weniger negativ. Immerhin haben wir in München das jüdische Zentrum im Herzen der Stadt, das NS-Dokuzentrum und das jüdische Museum. Dort wird am 14. Juni auch die erste Lesung meines Buches stattfinden.

Die Frage, ob die deutsch-jüdische Existenz gelingen kann, beantwortet sich vielleicht für den Leser nach der Lektüre des Romans. Und wenn in ihm etwas Sympathie für die Höhen und Tiefen des Felix Mandelbaum und das Jüdische aufkeimt, wäre schon viel gewonnen.

Zur Person: Marian Offman, 1948 in München geboren, war über 30 Jahre im Vorstand der jüdischen Gemeinde. 2002 zog er in den Münchner Stadtrat ein, dem er bis 2020 angehörte. Der Sozialpolitiker war Mitglied im Kulturausschuss und in den Jurys für den Geschwister-Scholl-Preis und den Tukanpreis, engagierte sich im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, setzte sich für Geflüchtete ein und für eine Annäherung jüdischen und islamischen Lebens in seiner Heimatstadt. 2021 wurde er zum ersten interreligiösen Beauftragten berufen.

 

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