Susanne Abel über ihr neues Buch "Was ich nie gesagt habe" „Die zerstörerische Sprengkraft des Schweigens schwelt überall, doch Wahrheit bahnt sich ihren Weg“

Susanne AbelDebüt Stay away from Gretchen war auf Anhieb ein großer Erfolg. Jetzt erscheint am 15. Juni mit Was ich nie gesagt habe ihr zweiter Roman bei dtv. Ist so ein Überraschungserfolg eine Bürde beim Schreiben? Das war Anlass für unser heutiges Autorengespräch: 

Susanne Abel: „In Familien gibt es so viele Themen, die aus Scham oder auch Hilflosigkeit nicht angesprochen werden und Reproduktion ist sicher eines der Sensibelsten“ (c) Anja Schlamann

Das frage ich immer zuerst: Worum geht es in Ihrem Buch?  

Susanne Abel: Als ich Stay away from Gretchen schrieb, wollte ich schon auch auf die väterliche Linie meines Protagonisten Tom Monderath eingehen, habe aber festgestellt, dass das insgesamt zu komplex wird. Als er dann im „Gretchen“ einen DNA-Test machen ließ, weil er auf der Suche nach seiner Schwester war, geschah das, was am Schreiben das Wundervollste ist: Plötzlich tauchten da noch zwei Übereinstim­mungen auf, und weitere Familiengeheimnisse wollten ans Licht.

Das passierte einfach?

Ja, ohne dass ich es mir zuvor überlegt hatte. Und da kam mir die Idee zu „Was ich nie gesagt habe. Jetzt geht es um  ein Eingeständnis, das in ihrer Familie schlummert:  Als Tom von den Halbgeschwistern väterlicherseits erfährt und seinen Halbbruder Hank kennenlernt, muss er sich wohl oder übel mit der Beziehung zu seinem verstorbenen Vater Konrad auseinandersetzen. Seine demente Mutter Greta kann Tom nicht befragen. Mit seiner Freundin Jenny und Hank folgen sie den Spuren Konrads. Selbst noch fast ein Kind kämpfte er im Krieg und geriet in amerikanische Gefangenschaft, bevor er in den späten 40er-Jahren nach Heidelberg kommt. Dort verliebt er sich in Greta, nicht ahnend, dass ein Geheimnis aus der dunkelsten Zeit des Nationalsozialismus ihre gemeinsame Familie ein Leben lang begleiten wird.

Ich bin neugierig, heraus damit.

In Familien gibt es so viele Themen, die aus Scham oder auch Hilflosigkeit nicht angesprochen werden und Reproduktion ist sicher eines der Sensibelsten. Bei meiner historischen Recherche kamen mir so viele Ungeheuerlichkeiten zum Thema „Menschenzucht“ etc. unter, aber auch die Hybris mancher Ärzte, dass ich aber auch die positive Seite beleuchten wollte: Leben, das durch Samenspenden entsteht. Die Suche nach der Herkunft und den Wurzeln ist für die Kinder eine sehr spezielle und durch das Schweigen eine belastende Erfahrung.

Welcher Zielgruppe könnte eine Buchhändlerin Ihr Buch jetzt am besten verkaufen?

Bei „Stay away from Gretchen“ hatte ich meine erste Lesung vor Zeitzeugen. Da hat mich sehr gerührt, wie sie sich in den historischen Passagen wieder erkannt haben. Und viele Leserinnen und Leser haben mir dann danach auch immer wieder gesagt, wie sehr sie es schätzen, dass die recht schweren historischen Themen so spannend erzählt sind, und die Figuren sowie Themen einfach lange in Erinnerung bleiben.

Das war kalkuliert?

Ich habe die Form so gewählt, dass auch in „Was ich nie gesagt habe“ die historischen und gegenwärtigen Passagen nebeneinander laufen, um authentisch aus beiden Perspektiven erzählen zu können. Aber über das Wesentliche nicht reden zu können aus Angst, das Ge­sagte würde das brüchige Fundament ins Wanken bringen, zieht sich durch beide Zeitebenen. Die zerstörerische Sprengkraft des Schweigens schwelt überall, doch Wahrheit bahnt sich ihren Weg. So oder so!
Insofern ist das beste Argument für die Buchhändlerinnen und Buchhändler, dass im Text für jede und jeden etwas dabei ist, ob man gern historisch oder zeitgenössisch liest, Liebes- oder Familiengeschichten oder einfach einen spannenden Roman.

War der Erfolg vom „Gretchen“ beim Schreiben des zweiten Buchs eine Bürde? Stay away from Gretchen“ hat sich bis jetzt 230.000 mal verkauft.

Band zwei der Gretchen-Reihe: „Ich war entschlossen, Tom Monderaths väterliche Linie zu beschreiben, und das habe ich dann auch getan“

Mit diesem Erfolg hatte ich nicht gerechnet. Aber das „Gretchen“ war mir sehr wichtig. Der Stoff, die Recherche, die Figuren waren ein solches Herzensprojekt, dass ich ihnen eine große Leserschaft gewünscht habe. Deshalb war ich recht nervös, als nicht sofort zum Erscheinungstermin ein großes Presseecho startete. Aber dass sollte sich zum Glück bald ändern! Und wenn dann jemand wie Elke Heidenreich sagt, dass es „ein spannender Roman zu einem wichtigen, vergessenen Thema ist“, dann freue ich mich natürlich sehr, dass sie verstanden hat, was ich mitteilen wollte.

Es ist einfacher, wenn man sich verstanden fühlt?

Jetzt bin sehr viel ruhiger, da ich mich in meinem Stil und in der Konstruktion der Bücher bereits bestätigt fühle. Aber auch, weil es mir an Anliegen ist, über diese Themen zu schreiben. Ich war entschlossen, Tom Monderaths väterliche Linie zu beschreiben, und das habe ich dann auch getan.

„Gretchen“ ist in Corona Zeiten erschienen, was Lesungen im Buchhandel verhindert hat …

Ja, Gretchen ist erschienen, als der Handel geschlossen war, und es keine Lesungen und Veranstaltungen gab, aber der Handel hat sich in großartiger Weise für das Buch eingesetzt. Ich glaube, das war wichtig für den Erfolg von Gretchen. Ich weiß  von so vielen Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die das Buch ihren Kunden empfohlen haben …

… „Gretchen“ war ja auch unter den Nominierungen für das „Lieblingsbuch der Unabhängigen“.

Dafür bin ich dankbar. Inzwischen habe ich einige Lesungen nachgeholt und spüre, dass der Buchhandel ein wichtiger Ort für Begegnungen nicht nur direkt bei Lesungen, sondern auch für die Themen der Bücher ist.

Ein Beispiel?

Ich  habe dabei festgestellt, wieviel die Leute aus ihren Familiengeschichten zu erzählen haben. Bei den Begegnungen in den Buchhandlungen habe ich viel über meine Leserinnen und Leser gelernt, über ihre Herkunft und Flüchtlingsbewegungen. In vielen deutschen Familien kommen die Großeltern aus dem heutigen Osteuropa. Und gerade jetzt, da diese Generation im Verschwinden betroffen ist, ist es umso wichtiger, die Familiengeschichten noch einmal zu verorten.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

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