Das Sonntagsgespräch Diskussion: Prof. Christoph Bläsi über die zukünftige Rolle der Schulbuchverlage

Am 20. Januar haben sich die AG Bildungsmedien und das Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unter dem Titel „Schulbuch, Lernprogramm oder Youtube? Digitale Materialien in der Schule und die Rolle der Schulbuchverlage“  mit zentralen Fragen digitaler Bildungsmedien auseinandergesetzt. Es sollten dabei anhand konkreter Projekte nicht zuletzt die Möglichkeiten und natürlich auch Grenzen solcher Bildungsmedien ausgelotet werden. Wir sprachen mit einem der Veranstalter Prof. Christoph Bläsi, u.a Professor der Buchwissenschaft, über die Frage, wo sich die Schulbuchverlage in den zweifellos zukunftsträchtigen Entwicklungen sehen.

BuchMarkt: Insbesondere nach den angekündigten nennenswerten Investitionen in  die Bildung in Deutschland stellt sich die Frage, wie denn der aktuelle Stand der Diskussion ist. Konnten Sie da auf Ihrer Tagung Positionen klären?

Christoph Bläsi
Christoph Bläsi: „Es muss grundsätzlich klar sein, dass Inhalte immer wichtiger sind als Methoden und Medien!“

Prof. Christoph Bläsi: Wir haben zunächst auf jeden Fall gesehen, dass es ganz unterschiedliche Herangehensweisen an das digitale Lernen in der Schule gibt: Manche Projekte setzen direkt an neuen medialen Möglichkeiten und Herausforderungen im Unterricht an, andere kommen eher von komplexen Lernmodellen her. Zu solchen Herausforderungen im Unterricht gehört z.B. , dass man manche wichtigen Experimente in der Physik im Unterricht nicht machen kann, weil sie zu teuer oder zu gefährlich sind und deshalb eine Virtualisierung, bei der mit der Maus auf einem sehr realitätsnahen perspektivischen Abbild des Versuchsraums navigiert und dort auch Schalter bedient werden, eine willkommene Möglichkeit ist.

Ist man sich denn grundsätzlich darüber einig, dass die Digitalisierung des Schulunterrichts  eine gute Idee ist?

Nein, darüber ist man sich nicht einig – insbesondere gibt es keine empirische Basis für diese in der Form wahrscheinlich ohnehin zu grundsätzlichen Frage. Was aber unbestritten ist, ist, dass digitale Lernmedien „zeitgemäß und schülernah“ sind, wie es ein Referent ausdrückte, und dass es spezifische Vorteile dieser Medien gibt, auf die zu verzichten nicht sinnvoll erscheint.  Zu diesen zählen die Möglichkeit, besser herauszufinden, was die spezifischen Lernbedürfnisse einzelner Schüler sind (Diagnose) sowie die, mit diesen Medien dann auch individuellen Unterschieden in Lerntempo, Lernstil, etc. besser gerecht werden zu können (Differenzierung). Digitale Lernmedien erleichtern damit tendenziell Integration und Inklusion. Außerdem wurde auf der Tagung immer wieder betont, dass es nicht sozusagen um das papierlose Klassenzimmer geht, sondern darum, dass die digitalen Lernmedien zunächst einfach einmal den Möglichkeitsraum vergrößern, in dem Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler für spezifische Lernsituationen das geeignetste Medium auswählen können. Für die Strukturierung des ganzen Schuljahres auf ein Ziel hin kann das das Schulbuch sein, für das Einüben bestimmter Fertigkeiten eine digitale Situation. Natürlich ist es auch ein ernstzunehmender Gedanke, dass es gut sein könnte, in der Schule im Kontrast zur sonstigen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen gelegentlich netzfreie Räume und die damit ermöglichte Muße zu schaffen. Eine im Hinblick auf diese Frage übergeordnete Position fast aller Beteiligter war, dass wir zwar bei der Tagung richtigerweise auf digitale Lernmaterialien fokussiert waren, es aber grundsätzlich klar sein muss, dass Inhalte immer wichtiger sind als Methoden und Medien!

Insbesondere wenn man an die auf der Tagung ja auch vertretene Youtuberin mit Videos zur englischen Grammatik denkt, fragt man sich natürlich, was die Rolle der Schulbuchverlage sein könnte, wenn sich Lernmittel-Autoren jetzt über das Web auch direkt an Lerner wenden können –  haben Sie darüber auch diskutiert?

Das war sogar die Ausgangsfrage der Tagung unserer Arbeitsgruppe, in der neben z.B. Didaktikerinnen und Didaktikern, Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler auch Leute sind, die sich speziell mit medialen Bedingungen der Informationsübermittlung beschäftigen, z.B. ich als Buchwissenschaftler. Die Schulbuchverlage sehen sich hier mit sehr belastbaren Kontakten v.a. in die Lehrerschaft (diese arbeiten nicht zuletzt als Schulbuchautoren) und das oben schon erwähnte Augenmerk auf die Kohärenz und die vollständige Abdeckung des Materials, auf den Verbund verschiedener Medien sowie  die Anordnung in altersgemäßer Progression auf ein Ziel hin gut aufgestellt.  Und letztlich, das wurde betont, ist die lernzielkonforme und qualitätsgesicherte Integration von mit großem Aufwand und großem Engagement durch „die Crowd“ erstellte Lernmaterialien in ‚offizielle‘ Lernmaterialien überhaupt nicht ausgeschlossen!

Was bedeutet all das für die nächsten Jahre?

Ich denke, eine ernüchternde Einsicht ist die, dass wir mit Entscheidungen zur zumindest dosierten weiteren Einführung digitaler Lernmedien nicht so lange warten können, bis wir unter Berücksichtigung aller denkbaren Parameter (Schultyp, Fach, Alter,etc.) empirisch belastbar wissen, inwieweit ein weiter digitalisierter Unterricht wirklich sinnvoller ist als ein im Wesentlichen Schulbuch-basierter. Bleibt, v.a. an den Stellen, wo Digitales allem Anschein nach gut funktioniert und seine spezifischen Vorteile ausspielt, weiter innovativ und mutig auszuprobieren –  dafür sollte es deshalb auch Geld geben, empirische Bildungsforschung ersetzt solches spielerisches Erkunden nicht! In einer ausgewogenen und fehlertoleranten Kombination verschiedener Lernmedien, analoger wie digitaler, sollen diese jeweils das tun, was sie am besten können –  und auf der Grundlage dieser Erfahrungen sowie natürlich zunehmend fertig werdender empirischer Studien muss dann gesellschaftlich diskutiert werden, was die jeweils nächsten Schritte sein sollen.

Es geht um die Zukunft, wir haben nur unvollständiges Wissen und unterschiedliche Grundpositionen, können aber nicht warten, bis sich der Nebel lichtet –  ein typischer Fall für die Notwendigkeit breiter politisch-gesellschaftlicher Meinungsbildung auf der Grundlage von Veranstaltungen wie dieser.

In der vergangenen Woche sprachen wir mit Matthias Heinrich, der sagt: „Man darf Träume nie aufgeben!“

Die Fragen stellte Franziska Altepost

 

 

 

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