Pierrot Raschdorff über fehlende Vorbilder und veraltete Strukturen „Es führt kein Weg daran vorbei!“

Pierrot Raschdorff, geboren 1981, ist diplomierter Politikwissenschaftler und Mediator. In der Buchbranche war er als Senior Marketing Manager in der Edel-Verlagsgruppe und zuletzt als Werbeleiter beim Hörverlag tätig. Jetzt ist Raschdorff bei BMG als Senior Director Global Diversity, Equity & Inclusion weltweit für Diversitätsthemen innerhalb des Musik-Unternehmens zuständig. Er hält seit vielen Jahren Vorträge und Workshops zum Thema Diskriminierung und Rassismus und hat im letzten Jahr das Sachbuch Schwarz. Rot. Wir. (Mosaik) veröffentlicht. Wir haben mit ihm im Aktuellen Interview (März BuchMarkt) über fehlende Vorbilder und veraltete Strukturen gesprochen:

Mit „Schwarz. Rot. Wir.“ hast du deinen Beitrag zur Diversity-Debatte beigesteuert. Wie kam es dazu?

Pierrot Raschdorff: Der Anlass zum Buch war ein Artikel in der Zeit über implizite Assoziationstests und darüber, dass das Gehirn eben kein starrer Apparat ist – sondern wir gegen unsere unbewussten Vorurteile anarbeiten bzw. uns „umprogrammieren“ können. Das ist letztlich die Grundthese des Buches: dass wir, wenn wir andere Role Models haben bzw. mit Stereotypen brechen, wir gegen diese unbewussten Vorurteile arbeiten und diese revidieren können. Das Buch ist eine Reflektion darüber, wie ich eigentlich aufgewachsen bin – und dabei ist mir aufgefallen, dass vielfach entsprechende Vorbilder fehlten.

Wo fehlen denn die Vorbilder konkret?

Überall. Wenn man sich Kinderliteratur anschaut und untersucht, was da für Rollenbilder vorgegeben werden, fragt man sich: Woher kommt es, dass wir so denken, wie wir denken? Anhand meiner Sozialisierungsbiografie merke ich, dass bestimmte Rollenbilder immer wieder befördert werden, gegen die wir jetzt in der Identitätsdebatte ankämpfen.

Ich bin inzwischen Vater einer Tochter und merke: Es ist immer noch so und  fängt schon im Kindesalter an, dass wir – in Kinderbüchern, in Filmen etc. – mit Stereotypen konfrontiert werden, die nicht sonderlich divers sind. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, hier anzusetzen.

Gibt es nicht viel mehr Vielfalt heutzutage z.B. in der Kinderliteratur?

Bücher, in denen es wirklich vielfältig zugeht, muss man immer noch gezielt suchen. Zuckersüß ist ein Verlag, der in dem Bereich sehr viel macht. Auch bei Usborne finde ich immer wieder Titel, die von einer komplett diversen Gesellschaft erzählen. Leider sind das dann schlicht Übersetzungen englischer Titel. Bei den deutschen Verlagen muss man schon sehr genau hinschauen, da gibt es vielleicht mal einen Menschen mit türkischem Namen … aber Vielfalt ist insgesamt noch viel weniger selbstverständlich.

Woran kann das liegen? Die Gesellschaft ist ja hierzulande schon durchaus vielfältig …

Es geht sicher darum, sich anzuschauen, wer die Bücher eigentlich macht bzw. über das Programm entscheidet. Ein Grund für zu wenig Vielfältigkeit sind insofern die wenig vielfältigen Lektorate … aber das ist eben nur einer von vielen.

Wo Vorbilder fehlen, fehlen ggf. aber auch die Nachahmer … sprich: Gibt es  zu wenige Menschen mit migrantischem Background, die Literatur verfassen?

Das kann sein, aber man sucht offensichtlich auch nicht zwingend danach. Sicherlich gibt es insgesamt weniger, fair enough. Man könnte das aber natürlich auch ganz anders fördern und sich überlegen, wie wir solche Autorinnen und Autoren in diese Position kriegen …  aber ich glaube, insgesamt geht es der Branche noch zu gut.

Was heißt das?

Mir ist die schwierige wirtschaftliche Lage der Branche durchaus bewusst.Aber es scheint noch nicht genug Anlass zu geben, einen tatsächlichen Umbruch anzustoßen. Es stellen sich also die Fragen: Warum braucht es so lang? Warum gibt es noch so wenige vielfältige Kinderbücher? Warum tut man sich so schwer mit Themen wie Sensitivity Reading?

Und die Antwort wäre …?

Es sind noch zu viele alte Mächte am Werk, die die Hebel in der Hand haben. Es gibt offensichtlich noch nicht genügend Gründe, über die bisherigen Strukturen nachzudenken und echten Change voranzutreiben – denn es läuft ja noch …

Stichwort Sensitivity Reading: In diesem Monat hat sich bei der IG BellSa gezeigt, dass es da durchaus noch Diskussionsbedarf in der Branche gibt …

Ich war selber nicht vor Ort und kann die konkrete Situation daher nicht beurteilen. Aber prinzipiell ist Sensitivity Reading erst einmal gut und richtig. Inhalte aus einer anderen Perspektive auf z.B. Stereotypen hin zu überprüfen, kann dabei helfen, die eigene fehlende Reflektion zu bestimmten Themen zu überwinden. Natürlich soll und kann man über verschiedene Perspektiven und Identitäten schreiben. Aber es ist durchaus sinnvoll, wenn das dann nochmal von Betroffenen gegengelesen wird.

Inwiefern muss die Buchbranche sich und ihre Strukturen überdenken?

Vieles hat damit zu tun, dass Diversität auch beim Recruiting bisher noch keine Rolle spielt. Man macht das, was man immer macht … und bleibt unter sich. Es kommen ja auch erst ganz langsam mehr Frauen in die Führungspositionen der Verlage. Da tut sich zumindest ein bisschen was. Die Geschlechterfrage ist zwar nur ein Baustein innerhalb der Vielfältigkeitsdebatte, aber ein entscheidender.

Wo siehst du denn vielversprechende Perspektiven in der Branche?

Ich denke, dass mein ehemaliger Arbeitgeber Penguin Random House insgesamt auf einem guten Weg ist und allein aufgrund der Größe des Hauses die Chance hat, als eine Art Leuchtturm zu funktionieren. Wenn dort sowohl auf Mitarbeiter*innenseite, wie auch bei den Produkten bzw. Autor*innen, neue Maßstäbe im Bereich der Vielfältigkeit gesetzt werden, kann das einen starken Effekt in die gesamte Branche senden. Persönlich finde ich, dass vor allem Marco Jochum (Head of People & Culture bei PRH) diesbezüglich einen guten Job macht – das stimmt mich optimistisch.

Du hast die Autor*innenseite angesprochen. Da kommen doch inzwischen in vielen Verlagen bereits vielfältige Stimmen zu Wort …

Ja, ich sehe aber vor allem bei deutschen PoC bzw. BIPoC, dass diese hauptsächlich zu „ihren Themen“ – im Sinne von Diskriminierung – veröffentlichen. Da wird noch zu wenig mit Stereotypen gebrochen. Mir fällt z.B. im Krimi-Segment als Ausnahme nur Melanie Raabe ein. Das kann auch wieder an unbewussten Vorurteilen liegen. Muss nicht sein, aber ich würde das nicht komplett von der Hand weisen wollen.

Du plädierst in deinem Buch für mehr Dialog. Wie kann der funktionieren?

Auch wenn die Situation bei der diesjährigen IG BellSa unglücklich gelaufen ist, zeigt sich doch, dass sich bei den Verlagen etwas tut. Nicht umsonst stehen Themen dieser Art inzwischen regelmäßig auf der Tagesordnung. Letztes Jahr war ich selbst auf der IG BellSa als Speaker zu Gast – und habe ein sehr interessiertes und aufgeschlossenes Publikum vorgefunden. Es tut sich schon etwas. Es kommen auch immer wieder Verleger*innen auf mich zu, denen klar ist, dass sie sich bewegen müssen.

Und was sagst du denen?

Naja, es wird schnell deutlich, dass umso mehr man sich damit beschäftigt, das Thema Diversität viel größer ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es wird Geld kosten, sich in dem Bereich zu professionalisieren. Man kann das Thema nicht einfach „nebenher“ mitlaufen lassen. Es führt aber auch kein Weg mehr daran vorbei!

Was macht dir Hoffnung, dass sich bald etwas ändert?

Man darf nicht vergessen, dass Vielfalt bzw. gutes Diversitymanagement nicht nur Geld kostet, sondern letztlich für mehr Umsatz sorgen wird. Zumal man  nur so den Lese-Nachwuchs für sich gewinnen kann … die Jugend ist ja hypervielfältig. Man muss sich fragen, wie ein Programm für ein kosmopolitisches, internationales, vielfältiges Publikum aussehen muss. Sprechen wir diese Klientel überhaupt an – oder sind wir noch zu sehr einem elitären Denken verhaftet?

Die Fragen stellte Jörn Meyer

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