Wie reagiert das unabhängige Sortiment auf die Fusion von Thalia Mayersche und Osiander? Wir haben die beiden Vorsitzenden des IGUS-Sprecherkreises, Iris Hunscheid und Katrin Röttgen, gefragt „Es kann nicht sein, dass wir die Zeche zahlen!“

Die Gründung der Osiander Vertriebsgesellschaft von Thalia Mayersche
und Osiander hat für einige Unruhe in der Branche gesorgt. Was diese
„XXL-Partnerschaft“ für das Branchengefüge bedeutet und vor welchen
Herausforderungen das unabhängige Sortiment derzeit steht, haben wir
die beiden Vorsitzenden des IGUS-Sprecherkreises, Iris Hunscheid und
Katrin Röttgen, gefragt:

BuchMarkt: Im Oktober haben Osiander und Thalia Mayersche die Gründung der Osiander Vertriebsgesellschaft (OVG) bekanntgegeben, in der die Unternehmenihre Kompetenzen künftig bündeln wollen. Wie überraschend kam dieser Zusammenschluss für Sie?

Katrin Röttgen: »Viele Kolleg*innen bieten trotz der Arbeitsbelastung der letzten Monate einen erweiterten Service für die Vorweihnachtszeit an. Den sollen die Kunden eben auch nutzen können. Dafür wünsche ich uns allen weiter gutes Durchhalten und Nerven wie Drahtseile!« /
Katrin Röttgen ist Mitinhaberin der
Buchhandlung buchMEYER in Reinheim, die sie gemeinsam mit Sonja Reimann führt

Katrin Röttgen: Es war offensichtlich, dass die letzten Monate vor allem die
Filialisten mit ihren Großflächen in eine schwierige Lage gebracht haben. Dass es so schnell eine Veränderung in dieser Art gibt, hat mich dann doch überrascht.

Osiander wird zwar die eigenen Läden weiterhin unabhängig führen. Die Bereiche IT, Webshop, Logistik und auch Beschaffung werden aber zusammengelegt. Was bedeutet diese Allianz wohl für künftige Einkaufs- bzw. Konditionengespräche mit den Verlagen?

KR: Wir sehen es sehr kritisch, wenn durch einen solchen Zusammenschluss
eine Konzentration in diesem Maße entsteht. Diese Marktmacht werden die
Beteiligten in nachvollziehbarer Weise ausnutzen. Was das genau bedeutet, vor allem für die Verlage, wird sich zeigen. Es ist zu hoffen, dass die Verlage standhaft bleiben und sich genau überlegen, welchen Forderungen sie nachgeben. Wenn die gewährten Rabatte weiterhin einfach nur anders genannt (die berüchtigten „WKZ“) und damit die preisbindungsrechtlichen Höchstgrenzen überschritten werden, ist ein auskömmliches Wirtschaften in allen drei Sparten kaum noch möglich.

Begründet werden derlei Schritte gerne mit der „Konkurrenzfähigkeit gegenüber internationalen Playern und multinationalen Konzernen“ … Gemeint ist immer die Konkurrenz zu Amazon. Ein plausibes Argument für einen solchen Zusammenschluss?

Iris Hunscheid: »Ich denke, das unabhängige Sortiment hat seine Kund*innen, sich selbst, aber auch viele Handelspartner positiv überrascht. Wir sind so viel besser als unser verstaubtes „Bücherwurmmit Cordhose“-Image!« /Iris Hunscheid ist gemeinsam mit Veit Hoffmann geschäftsführende Gesellschafterin der Buchhandlung Jost GmbH in Bonn. Zusammen führen sie auch die Buchhandlung Hoffmann in Achim.

Iris Hunscheid: Aus der Sicht der OVG natürlich schon. Bisher galt Amazon als
größtes Schwergewicht im deutschen Buchhandel, dem schwer etwas entgegen zu setzen ist. Dass es dennoch möglich ist, etwas Großes und Erfolgreiches zu erreichen, wenn man sich zusammentut,hat ja schon die „Tolino-Allianz“ sehr erfolgreich gezeigt. Mit dem Schritt zur OVG erreichen Deutschlands größte Filialisten allerdings ein Gesamtumsatz- und Einkaufsvolumen, auf das die Kartellbehörden dann auch mal sehr genau draufschauen sollten.

Welche Auswirkungen hat diese neue Verbindung denn auf der anderen Seite für Sie und Ihre Kolleg*innen aus der IGUS, als den unabhängigen Sortimentsbuchhandel insgesamt?

IH: Das lässt sich schwer sagen; sicher ist aber, dass zukünftige Konditionengespräche auch für uns nicht leichter werden. Denn wenn die zwei größten Marktteilnehmer den Verlagen immer mehr abverlangen, wird womöglich für die vielen kleinen Handelspartner nicht mehr viel zum Verteilen übrig bleiben.

Im Gegenteil: an irgendeiner Stelle müssen die Verlage ja auch ihr Geld verdienen …

IH: Wenn wirklich stimmt, was man aus manchen Verlagshäusern hört, nämlich, dass Rendite überhaupt nur noch mit dem unabhängigen Sortiment zu erzielen
ist, dann haben wir ein Riesen-Problem in der Branche. Es kann nicht sein, dass
wir Unabhängigen die Zeche dafür zahlen, dass den Big Playern über viele Jahre
immer wieder nachgegeben wurde, während gleichzeitig keine Preissteigerung
unseres Produktes stattgefunden hat.

Welche Rolle kommt auch durch die OGV den Verbundgruppen, wie LG Buch, eBuch etc. künftig zu? Können die ein Gegengewicht darstellen?

KR: Verbundgruppen werden immer wichtiger. Die versäumte Anpassung der
Ladenpreise zwingt uns dazu, auf Grund des Kostendrucks in allen Bereichen zu
optimieren. Die konsequente Nutzung der Leistungen von Verbundgruppen ist ein Teil bei dieser Strategie. Ein weiterer Vorteil von Verbundgruppen ist es, die Individualität der Buchhandlung wahren zu können und nicht das eigene Profil zu
verlieren.

Stichwort „eigenes Profil“: Liegen in der Allianz der Filialisten eventuell auch Chancen für den unabhängigen Buchhandel, sich gegenüber den Kund*innen zu präsentieren? Profil und Vielfalt werden beim zentralen Einkauf kaum gegeben sein …

IH: Es gibt so viele tolle, unabhängige Kolleg*innen, bei denen man viele
Geheimtipps, die abseitigsten Titel und ungewöhnlichsten Verlage entdecken
kann! Und genauso gibt es auch in unseren Reihen einige, die sich „auf Nummer sicher“ an den Bestsellerlisten entlanghangeln. Das entscheidet ja jede von uns selbst. Um möglichst viel Individualität und Vielfalt abbilden und dabei wirtschaftlich agieren zu können, brauchen wir aber vor allem noch weitere Verbesserungen in der Logistik: Wenn ich all die tollen, ungewöhnlichen Titel
nicht gebündelt einkaufen und abrechnen kann, lohnt es sich für mich einfach
nicht, sie in meinem Laden zu zeigen.

2020 hat gezeigt, wie kreativ, flexibel vor allem aber auch erfolgreich der unabhängige Buchhandel auch unter Druck arbeiten kann. Hat sich die Sicht auf den unabhängigen Handel geändert?

IH: Ich denke, das unabhängige Sortiment hat in den ersten Monaten der Pandemie seine Kund*innen, sich selbst, aber auch viele Handelspartner
positiv überrascht. Wir sind so viel besser als unser verstaubtes „Bücherwurm
mit Cordhose“-Image! Die Sicht der Konsument*innen auf den unabhängigen Buchhandel hat sich auf jeden Fall geändert, viele von uns haben sogar neue KundInnen dazugewonnen, meist über unsere Online-Präsenzen. Darüber hinaus haben wir nicht nur wahnsinnigen Rückhalt bei unseren Kund*innen erfahren, sondern auch sehr viel Unterstützung von Verlagen erhalten. Denn wir waren
die, die weiter für Sichtbarkeit und Verfügbarkeit ihrer Produkte gesorgt haben.
Wie erfolgreich das am Ende des Jahres finanziell für uns alle war, wird sich zeigen; viele von uns konnten ihre Umsätze bisher halten oder sogar steigern, haben dafür aber auch sehr viel höhere Kosten in Kauf genommen.

Worauf kommt es in den nächsten Wochen des Weihnachtsgeschäfts vor allem an, damit das schwierige Jahr 2020 erfolgreich abgeschlossen werden kann?

KR: Eine Titelauswahl, die gut verkäuflich ist, ist erstmal das Wichtigste. Auch
wenn manche Verlage verständlicherweise ein paar Spitzentitel verschoben haben,
gibt es doch genug Potential für tolle Buchgeschenke. Ich hoffe darauf, dass es keinen zweiten Lockdown für den Einzelhandel gibt. Viele KollegInnen bieten
nämlich trotz der Arbeitsbelastung der letzten Monate einen erweiterten Service
für die Vorweihnachtszeit an. Den sollen die Kunden eben auch nutzen können.
Dafür wünsche ich uns allen weiter gutes Durchhalten und Nerven wie Drahtseile.
Und sollte es bei der einen oder anderen Buchhandlung nicht ganz klappen, die
Rabattstufe aus dem Vorjahr zu erreichen, lässt sich bestimmt aufgrund des besonderen Jahres eine faire Lösung für beide Seiten finden. Das haben einige
Verlage ja auch schon so angekündigt. Und dieses faire Miteinander bestimmt hoffentlich auch in Zukunft die Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Buchhandlungen.

Was muss der Handel selbst tun, wobei braucht er ggf. Unterstützung, um weiter erfolgreich am Markt zu sein?

KR: Zum einen: Das weiter ausbauen, was wir schon gut können und selbst in
der Hand haben, wie unsere Vernetzung vor Ort, die starke Kundenbindung und
Allianzen vor Ort und in der Branche nutzen. Zum anderen: Höhere Verkaufspreise über alle Produktgruppen und Genres – das ist nicht nur für uns, sondern für unsere ganze Branche existenziell.

Was sind mittelfristig die größten Herausforderungen für den unabhängigen Buchhandel?

IH: Gute Mitarbeiter*innen und begeisterten Nachwuchs zu finden, wird
immer schwieriger; was natürlich auch an den nicht gerade üppigen Gehältern in unserer Branche liegt. Auch Nachfolger*innen zu finden, selbst für gut funktionierende Buchhandlungen, ist kaum noch möglich. Da brauchen wir
dringend eine Imageverbesserung – und eben höhere Buchpreise.

Die Fragen stellte Jörn Meyer

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