"Sprachwitz und Provokation, Hang zur Groteske und ein entschiedener, aber völlig unangestrengter Feminismus" Françoise Cactus

Am 17. Februar erlag die durch die Band “Stereo Total” bekannte Musikerin Françoise Cactus ihrem Krebsleiden, heute wird sie beerdigt. Kaum eine Zeitung, kaum ein Sender ließ es sich nehmen, einen Nachruf auf sie zu veröffentlichen. Das Feuilleton gleich jeder Richtung neigte sich in Bewunderung und Trauer vor der witzigen und geistreichen Grande Dame der Berliner Off-Szene, die die Provokation ebenso liebte wie das Spiel mit den Worten. Das Geheimnis von Françoise Cactus lag in ihrer Klugheit und ihrer genuinen Freundlichkeit, meint die Literaturagentin Susanne Koppe, die an die Autorin und Freundin erinnert:

Autobigophonie, das erste Buch von Françoise Cactus, erzählt die Vagobandagen einer, die der französischen Provinz entfloh und nach einigen Zwischenstationen im Berlin der Achtziger Jahre landete. Es war die Zeit, als man nicht durchs Brandenburger Tor kommen, aber dafür David Bowie und Iggy Pop in Kreuzberger Clubs treffen konnte. In einem Biotop aus Indie Pop, Cheap Art und Kunst jeder Art scharte Françoise Cactus einen schillernden Freundeskreis um sich: So frech und provokant sowohl die Sängerin als auch die Literatin Françoise Cactus “die graue enge Welt der Spießer” aufs Korn nahm, so durch und durch charmant, freundlich und loyal war sie zu ihren Freunden, einer wilden Schar von Künstlern, Musikern, Underground-Heroes wie -Losern, Trans- und sonstwie Sexuellen. Und “normalen”, weniger glitzernden Menschen wie mir, die irgendwann das Glück hatten ihre Freundschaft erwerben zu dürfen.

Einen Tag nach dem Tod von Lady Di, im September 1997, hatte ich als Rotfuchs-Redakteurin im Rowohlt Verlag angefangen.  Hamburg war spannend, wollte entdeckt werden, und so landete ich auf der Spielzeit-Eröffnungsparty des Thalia Theaters. Im übervollen Foyer spielte eine Band mit singender Schlagzeugerin.

Du bist schön von hinten,
bitte geh doch weg …,

sang sie mit französischem Akzent und genau dem richtigen Maß an Girliehaftigkeit. Die Stimmung im Publikum war grandios, alle sangen mit:

Wie soll ich, wie soll ich, wie soll ich mich nach dir sehnen,
wenn du stets, wenn du stets, wenn du stets bei mir bist?

Nächster Song. Zum rhythmischen Klappern einer alten Schreibmaschine ging es herrlich schein-naiv weiter:

Wenn ich dich sehe, Komma,
denke ich, Doppelpunkt:
Der Junge macht mir Kummer,
Ich möchte Punkt, Punkt, Punkt …

Mein Kollege Ralf Schweikart und ich waren damals voller Pläne, wir wollten dem einst revolutionären, jetzt zahnlosen Rotfuchs wieder Biss geben, die coolsten Bücher schlechthin machen. Nach dem Konzert nahm ich meinen Mut zusammen, sprach die Sängerin mit den witzigen Texten an. Tatsächlich, so erzählte sie, hatte sie bereits einen Roman geschrieben und im Verlag ihres Freundes Martin Schmitz veröffentlicht. Sie gab mir das Buch mit, es hieß Autobigophonie und …

Françoise Cactus (r.) mit Holly-Jane Rahlens (l.) und Susanne Koppe (m.) bei einer Feier im Jahr 2004

… okay, ich muss mich kürzer fassen. Françoise war unkonventionell genug sich zu den Niederungen des in der literarischen Welt gering geschätzten Jugendbuchs zu beugen. Unsere Zusammenarbeit empfand ich von der Sekunde Null an als beglückend, viele Momente werde ich nie vergessen. Aus der ungebändigten Autobigophonie hatte Françoise eine Jugendversion gestrickt, die Abenteuer einer Provinzblume, ein wilder, frecher Spaß mit zahlreichen autobiographischen Bezügen. Nur, so professionell und engagiert Françoise auch in der Textarbeit war, der Einstieg ins Buch war holperig. Dann, unmittelbar vor Druckabgabe, ratterte das Faxgerät – wir befanden uns im prä-digitalem Zeitalter –, und der perfekte erste Romananfang tauchte auf: Sie war tittenlos, dünn und trotzdem arrogant. Tante Marlene nannte sie “die Erzherzogin”. Dabei hieß sie Mitzi.

In den wenigen Worten findet man fast alle Züge von Françoise Cactus Schreiben: Sprachwitz und Provokation, Hang zur Groteske und ein entschiedener, aber völlig unangestrengter Feminismus. „Ich bin schön, ihr wollt mich alle, ihr könnt mich alle, die Welt gehört mir, ich bin frei, frech, frisch, frivol”, ruft eine ihrer Heldinnen nahezu programmatisch.

Lesungen von Françoise Cactus waren ein großes Vergnügen. Oft kombinierte sie Lesen mit Mini-Konzerten, so auch während der Leipziger Buchmese in ”Ilses Erika”. Die Stimmung war ein Traum – nur leider ein zerplatzter Traum:  Bei Rowohlt herrschte mittlerweile McKinsey, und für das “Berater-Team” waren Avantgarde und Jugendbuch kein winning team. Innerlich hatte ich bereits meinen Hut genommen – und konnte in diesem Moment nicht anders als weinen. Françoise bekam das auf der Bühne mit, war gerührt – und verstand.

Als ich Rowohlt verließ, blieb sie mir treu, obwohl eine weniger illustrativ und kinderliterarisch orientierte Agentur ihr sicher eine andere literarische Bühne hätte bereiten können. Im Lauf der Jahre hörte ich noch viele, viele Stereo-Total-Konzerte, trank große Mengen Weißwein mit Françoise und war jedes Mal beglückt und fasziniert, wie sehr ihr Charme die verschiedensten Menschen in Bann zog: Ging man mit Françoise Cactus in ein Restaurant oder eine Bar, hatte man die Königin an der Seite.

Diese so geistreiche und liebenswürdige Königin lebte bis zum letzten Moment voll Verve ihren Freigeist und ihre Liebe: Zur Musik und Literatur, zu ihrem Partner und Mann Brezel Göring und zu ihren vielen Freunden und Fans. Nun ist sie von der Bühne gegangen und ich weine, wie damals in “Ilses Erika”. Bis ich mir die Tränen aus den Augen wische und denke: “Du bist schön von hinten – aber niemals weg!”

Heute, am 12. März 2021, wird Françoise Cactus in Berlin-Schöneberg beerdigt.


Wo kann man Françoise Cactus hören oder lesen?

Françoise Cactus hat im Rowohlt Verlag drei Bücher veröffentlicht.
Zwei davon kann man über Rowohlt Repertoire bestellen:
Abenteuer einer Provinzblume, Roman, und Neurosen zum Valentinstag, Kurzgeschichten. Die Neurosen wurden auch als Hörbuch eingelesen (roofmusic).

Im Martin Schmitz Verlag gibt es Autobigophonie sowohl als Hörspiel als auch als Buch, außerdem Wollita, ein Pamphlet gegen die BILD-Hetzkampagne gegen das angeblich pornographische Häkel-Kunstobjekt Wollita.

Viele der Songtexte von Françoise Cactus sind genial: provokant, charmant, verrückt, kämpferisch und frech. Alle Platten und CD’s sind bestellbar über den Handel und stereototal.de.

Große Empfehlung: Die monatlichen Radio-Sendungen von Françoise Cactus bei Radio Eins gibt es jetzt als Podcats. Yeah!
https://www.radioeins.de/archiv/podcast/francoise-cactus.html

Und, last but nut least: In den Liederbüchern von Franziska Biermann, Nils Kacirek und (Bd. 1 und 2) mir singt sie jeweils einen Song – einer lustiger und charmanter als der andere. (z.B. Am Weihnachtsbaume. Die 24 schönsten Weihnachtslieder, Liederbuch mit CD, Carlsen Verlag, Folgebände s. auch eddimusik.com)

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