Jutta Bummel, Inhaberin der Buchhandlung Eulenspiegel in Hochheim über das Leseförderungsprojekt "Lesetüte": „Für viele Kinder ist das Buch in der Lesetüte tatsächlich das erste eigene. Dem kommt natürlich eine große Bedeutung zu“

Jutta Bummel: „Die Reaktionen sind durchweg positiv. Was mich immer wieder am meisten berührt, das sind die Antworten der Zweitklässler auf die Frage, ob sie sich noch daran erinnern, was in ihren Tüten war. Es liegt ja immerhin ein ganzes Jahr dazwischen, in dem die Kinder viel erlebt haben, und trotzdem erzählen mir die Kinder das Buch in allen Details. Sie können sich alle an den Inhalt erinnern, manche sagen, es ist ihr Lieblingsbuch, sie haben es vielleicht drei- oder sogar viermal gelesen. Genau das wollen wir mit unserer Aktion erreichen“

Direkt beim Einstieg Lust aufs Lesen machen: Mit dem bundesweiten Leseförderungsprojekt „Lesetüte“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Verlage Arena und Oetinger werden Schulanfänger*innen ans Lesen herangeführt. Das Konzept: Die Blanko-Tüten werden von Erstklässler*innen bemalt, von Buchhändler*innen bestückt und den Neuankömmlingen zum Schuljahresbeginn überreicht. Enthalten sind ein Erstlesebuch der Verlage Arena oder Oetinger, ein Klinkenanhänger und ein Lesezeichen sowie ein Begleitschreiben zum Thema Lesen im Grundschulalter, das sich an die Eltern richtet. Der Börsenverein koordiniert die Aktion, die Durchführung übernehmen ortsansässige Buchhandlungen zusammen mit den Schulen vor Ort. Wir haben mit Jutta Bummel, Inhaberin der Buchhandlung Eulenspiegel in Hochheim und Erfinderin der Lesetüten, über die Aktion gesprochen.

BuchMarkt: Frau Bummel, warum braucht es in Ihren Augen ein Projekt wie die Lesetüten?

Jutta Bummel: Die Idee entstand 2009. Ausschlaggebend dafür waren damals mehrere Studien über das Vorleseverhalten von Eltern. Über 40% aller Eltern lesen ihren Kindern selten oder gar nicht vor. Und das bessert sich leider kaum. Dazu kommt, dass jedes fünfte Kind, das auf die weiterführende Schule wechselt, nicht sinnentnehmend lesen kann. So kamen wir auf die Idee, Kindern zum Schulanfang beziehungsweise kurz danach ein Buch zu schenken – mit dem Ziel, ihnen Lust aufs Lesen zu machen. Bei einer solche Aktion sollten die Kinder allerdings kreativ teilnehmen können und eingebunden werden. Warum also nicht die Kinder Lesetüten bemalen lassen, während der oder die Lehrer*in ihnen vorliest oder mit ihnen über Bücher spricht? Eine super Möglichkeit, gleich die Lieblings-Held*innen auf den Tüten zu verewigen. Und durch das Überreichen der Tüten an die Schulanfänger*innen kann dann, sofern gewünscht, auch eine Patenschaft entstehen. So beteiligen sich die Schüler*innen gleich zweimal an der Aktion: Sie bekommen die Tüten in der ersten Klasse, und überreichen sie, wenn sie in der zweiten Klasse sind.

Durch das Begleitschreiben in der Tüte werden auch die Eltern miteinbezogen. Das Vorlesen spielt eine wichtige Rolle bei der Aktion.

Ja, die Eltern sind der Schlüssel. In der Buchhandlung erlebe ich oft, dass Eltern zu ihren Kindern sagen: „Du kannst doch schon selber lesen, wieso soll ich dir das denn vorlesen?“ Aber selbst wenn Kinder schon lesen können, ist es ganz wichtig, dass Eltern nicht einfach im Grundschulalter mit dem Vorlesen aufhören. Solange das Kind den Wunsch hat, sollte man diesem auch nachkommen. Daher ist der Begleitbrief für die Eltern in der Lesetüte auch so wichtig. Er enthält nicht nur Tipps, wie sie ihre Kinder beim Lesenlernen begleiten können, sondern erklärt auch noch einmal über die Bedeutung des Vorlesens auf. In Erstlesebüchern ist der Text ja meist sehr runtergebrochen und viele Kinder sind oft anspruchsvollere Geschichten gewöhnt und verlieren dann die Lust am Lesen.

Außerdem habe ich gemerkt, dass für viele Kinder das Buch in der Lesetüte tatsächlich das erste eigene ist. Dem kommt dann natürlich eine große Bedeutung zu. Jedes Kind sollte eigene Bücher haben. Durch die regelmäßige Aktion bauen wir Buchhandlungen eine Verbindung zu Schulen auf – und darüber auch zu den Eltern.

Das Konzept: Die Blanko-Tüten werden von Erstklässler*innen bemalt, von Buchhändler*innen bestückt und den Neuankömmlingen zum Schuljahresbeginn überreicht. Enthalten sind ein Erstlesebuch der Verlage Arena oder Oetinger, ein Klinkenanhänger und ein Lesezeichen sowie ein Begleitschreiben zum Thema Lesen im Grundschulalter, das sich an die Eltern richtet

Normalerweise werden die „Lesetüten“ im Beisein der Buchhandlung überreicht, damit die Kinder direkt ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Buchhändler*innen aufbauen können. Durch Corona mussten flexible Lösungen gefunden werden – wie haben sie die Übergabe in den letzten zwei Jahren geregelt? Wer war alles bei der Übergabe dabei?

Wir hatten Glück, ich konnte mit Test und Maske trotz Corona beide Grundschulen besuchen, mit denen wir die Aktion seit 2009 durchführen. Normalerweise gehe ich zuvor auch in die zweiten Klassen und bedanke mich bei ihnen für ihre Kreativität beim Bemalen der Lesetüten und schenke ihnen ein Buch für die Klassenbibliothek zum Vorlesen in den Pausen. Dann gehe mit der gesamten zweiten Klasse in die erste Klasse, damit die Kinder ihre Tüten überreichen können. Meist wird dabei über das Buch in der Tüte oder über andere Bücher und Lieblingsbücher gesprochen, manchmal singen die Kinder auch gemeinsam ein Leselied, das ist immer sehr schön. Dieses Jahr war das so leider nicht möglich. Ich war nur in den ersten Klassen, habe die Tüten übergeben, Grüße ausgerichtet und vorgelesen. Aber die Freude war deshalb nicht geringer und ich bin froh, dass ich zumindest persönlich hingehen konnte.

Welche Motive zieren die Lesetüten? Eher Allgemeines wie eine Schultüte oder auch mal ein Kinderbuchheld, eine Kinderbuchheldin?

Das ist ganz bunt gemischt und hängt ein bisschen davon ab, wie die Lehrer*innen an die Sache herangehen. Eine der Schulen, die wir besuchen, ist eine Astrid-Lindgren-Schule, da finden wir häufig Pippi Langstrumpf auf den Tüten, da die Kinder damit vertraut sind oder auch die Olchis, Ritter und Kampfszenen. Da merkt man, es wurde im Unterricht darüber gesprochen, was man auf die Tüten malen könnte. Bei anderen sind Regenbogen drauf, Prinzessinnen oder einfach bunte, dicke Kreise, manchmal schreiben die Kinder auch Willkommens-Texte oder malen das ABC.

Wie reagieren die Kinder? Welche Rückmeldungen bekommen Sie, auch von den Eltern und den Lehrer*innen?

Die Reaktionen sind durchweg positiv. Was mich immer wieder am meisten berührt, das sind die Antworten der Zweitklässler auf die Frage, ob sie sich noch daran erinnern, was in ihren Tüten war. Es liegt ja immerhin ein ganzes Jahr dazwischen, in dem die Kinder viel erlebt haben, und trotzdem erzählen mir die Kinder das Buch in allen Details. Sie können sich alle an den Inhalt erinnern, manche sagen, es ist ihr Lieblingsbuch, sie haben es vielleicht drei- oder sogar viermal gelesen. Genau das wollen wir mit unserer Aktion erreichen. Für viele Kinder haben die Lesetüte und ihr Inhalt einen ganz besonderen Stellenwert. Auch, dass sie ihnen von Mitschüler*innen geschenkt wurde, zu denen sie eine Bindung aufbauen konnten, spielt dabei eine Rolle. Ich höre oft, „die kenne ich vom Sport, der ist mein Nachbar“ oder Ähnliches. Lehrer*innen und Eltern stehen ebenfalls hinter der Aktion. Insgesamt ist die Lesetüte häufig Gesprächsthema, die Leute sind sehr dankbar und finden die Aktion großartig.

Info:

  • Anmeldung vom 01.02. bis zum 03.03.2022 online unter boersenverein.de/lesetuete
  • Jede Lesetüte enthält ein Erstlesebuch (entweder von Arena oder von Oetinger) sowie einen Klinkenhänger.
  • Kosten: 27,50 € pro 25er VE für Mitglieder des Börsenvereins, 55,- € pro 25er VE für alle anderen Teilnehmer
  • Auslieferung der Materialien erfolgt Mitte Mai 2022

 

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