Das Sonntagsgespräch Gerhard Beckmann: „Es ist traurig, in der Buchbranche hat während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte ein beispielloser Schlendrian und Schludrian um sich gegriffen“

Über unseren Kolumnisten Gerhard Beckmann hat der Kulturkritiker Elmar Krekeler einmal geschrieben, er sei ein Verleger und Branchenjournalist, „der das Gras wachsen hören kann“. Im aktuellen BuchMarkt Juni-Heft wird deutlich, dass der inzwischen 83jährige sein Gehör nicht verloren hat und auch nicht sein Gespür und seine Empathie für unsere Branche. Die Missstände auf dem heutigen Buchmarkt treiben ihn umso mehr um. Und das war Anlass für unser heutiges Sonntagsgespräch.

Gerhard Beckmann: „Ich sehe die deutsche Buchbranche an einem kritischen Punkt. Ob sie überlebt oder letztendlich untergeht, hängt davon ab, ob und wie sie die Kernprobleme lösen wird“

Du hast Dich im Juni-Heft ziemlich aus dem Fenster gelehnt.

Gerhard Beckmann: Weil keiner so recht die wirklichen Themen der Branche aufgreift. Es ist traurig, in der Buchbranche hat während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte ein beispielloser Schlendrian und  Schludrian um sich gegriffen.

Das sind harte Vorwürfe …

… die nicht deutlich genug sein können. Ich sehe voraus einen Kahlschlag, der in Verlagskonzernen stattfinden könnte. Ich sehe einem möglichen Kollaps des Primus unter den Großfilialisten, der die Grenzen seines Geschäftsmodells erreicht haben dürfte. Ich befürchte ein Verschwinden von mittleren und kleinen Verlagen und viele zu erwartende Pleiten  und Schließungen bei selbständigen Buchhandlungen.

Aus Deiner Sicht sind die wesentliche Ursachen dafür die „verantwortungslos“ niedrigen Ladenpreise für Bücher.

Ich sage darum schon für die nahe Zukunft eine Radikalkur mit enormen Preissteigerungen voraus: Um vielleicht bis zu 45 Prozent für gebundene und bis zu 35 Prozent für Taschenbücher.    

Im Juniheft hast Du mit dem Beitrag zu diesem Problem der heutigen  Bücherpreise tatsächlich als erster so deutlich eine Bombe gezündet.

Das ganze Juniheft ist bombig, lieber Christian. Deine Redaktion um Jörn Meyer und Susanna Wengeler verdienent ein riesiges Kompliment, weil sie dem Heft mit gleich drei Beiträgen zu diesem Problem einen Schwerpunkt gegeben haben. So etwas hat es in der Branchenpresse so noch nicht gegeben. Ihr habt esüberhaupt erst zum Thema gemacht. Zu einem fundamentalen Branchenthema, endlich!

Das sagst Du nur als alter Freund und früher Nachbar hier bei mir Meerbusch.

Nein. Das zeigt der Blick ins Heft: Philip Seehausen – von der Bonner Stadtbuchhandlung am Paulusplatz – hat in seinem Interview  ausgeführt, dass viele immer noch geltenden Thesen von anno dazumal über den höheren  „Marktwert“ von Büchern mit niedrigem Ladenpreis einfach „überholt“ sind und auf irrigen Vorstellungen vom Kunden seitens der Verlage basieren, die ja die fixen Preise fixieren. Zum zweiten hat der solide Verlagsvertreter Michael Schikowski im Detail erläutert, warum der Kaufpreis – also der Geldwert  – so gut wie nichts mit dem „Buchwert“  eines Titels zu tun hat, um dessen willen man einen Titel in der Regel kauft und . Und ich, ich mache nur …

 … Du radikalisierst die ganze Sache.  Du machst aus dem Thema ein heißes Eisen, ein Politikum, einen volkswirtschaftlichen Skandal, ein brennend aktuelles Branchenpolitikum. Warum gehst Du nur so rabiat vor? Was hat dich dazu veranlasst? Das hättest du doch eigentlich kommentieren und erklären müssen!

Ganz recht. Das habe ich ja auch wollen. Aber dann ist dieser Kommentartext für Eure Begriffe und Erfahrungen viel zu lang geworden, um auf BuchMarkt-Online viele Leser zu finden. Und ich habe ihn zu spät abgeliefert, zu einem Zeitpunkt, dass Ihr in Meerbusch keine Zeit mehr hattet, ihn einzurichten. Ich bin wegen der schweren Erkrankung meiner Lebensgefährtin zu spät fertig geworden, die Ende April leider gestorben ist. Für Euch ist dann in letzter Minute die Online-Zeitschrift „CultureMag„ eingesprungen, weil es mir wichtig war, dass der Kommentar vor der Publikation meines Beitrags in Eurem Juniheft online ging.

Warum Dein Plan, die eingeführte Kolumne Beckmanns Meinung in veränderter Form wieder aufzubauen nehmen?

Ich habe es in sehr persönlicher Form an meinem Werdegang dargelegt, um meinen neuen radikalen Ansatz glaubhaft zu machen. Ich sehe die deutsche Buchbranche an einem kritischen Punkt. Ob sie überlebt oder letztendlich untergeht, hängt davon ab, ob und wie sie die Kernprobleme lösen wird, die meines Erachtens dringend zu lösen sind, die sie bisher aber nicht klar wahrnimmt oder wahrnehmen will, verdrängt oder verschweigt.

Und was hat das mit Deinem persönlichen und beruflichen Leben zu tun?

Ich bin – nach einer ersten Phase als Journalist – Ende der 1960er Jahre in die Verlagsbranche übergewechselt und  habe, als leitender Lektor bzw. Verlagsleiter und -geschäftsführer, in vier Ländern gearbeitet, in England, in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich, in unabhängigen mittleren Häusern sowie  drei Konzernen. Soll heißen: ich habe alle Veränderungen seit dem Ende der „guten alten Welt des Buches“   miterlebt, mit all ihren Neuansätzen zu einer modernen Professionalisierung und ihren  Verwerfungen, die auch zu den  Mordsproblemen von heute geführt haben.

Um so mehr, als Du durch Deine Frau Giuliana Broggi Zugang zu den führenden Verlags- und Konzernchefs in Italien, Frankreich und den USA hattest.

Sie war – sieben Jahre älter als ich – ein Star der internationalen Verlags- und Kulturwelt – und durch sie hatte auch ich Zugang persönlichen und gar freundschaftlichen Zugang zu ihnen großen Machern.

Seit dreißig Jahren bist Du jetzt als kritisch beobachtender Kultur-, Medien- und Branchenpublizist tätig.

Ja, fühle mich jetzt ein wenig aber auch als „Halbaußen“. Ich habe lernen müssen. Krisen wahrzunehmen, frühzeitig auf Krisen zu reagieren, mit Krisen zu leben.

Und als früherer „Insider“ setzt du Dich in zunehmendem Maße für den selbständigen, unabhängigen Buchhandel ein.

Weil ich seit den 1990er Jahren freundschaftlich, am meisten und am intensivsten mit herausragenden Buchhändlern kommuniziert  habe – so etwa mit Volker Hasenclever, Friedhelm Eggers, Heiner Hugendubel und dem leider Anfang des Jahres verstorbenen letzten großen rocher de bronze an Integrität unserer Branche, mit Thomas Bez von Umbreit. Ihrem Durchblick und ihrer Großzügigkeit verdanke ich  eine neue Einsicht in ein Marketing, wie ich es auf Verlagsseite seit längerem vermisse.

All das erklärt mir noch immer nicht, warum Du Dich jetzt plötzlich noch einmal von neuem voll persönlich engagierst?

Also – meine vor sechs Wochen  verstorbene Lebenspartnerin Ingrid Eska ist eine bedeutende Baukeramikerin gewesen, die maßlos unter einem Nieder- und sogar Untergang ihres Kunsthandwerks zu leiden hatte. „Eska“ – sie war eine schöpferische, mutige Einzelkämpferin – hat deren Verfall scharf beobachtet, thematisiert und, auch wenn sie sich damit immer isoliert und Feinde gemacht hat,  radikal kommentiert.  Und damit hat sie meine erhöhte Aufmerksamkeit für die Entwicklung meiner eigenen Branche geweckt und gefördert. Ich fühle mich ihrem Beispiel verpflichtet. Wozu auch gehört, dass ich das ihrer Werkstätten halber große Haus in einem abgelegenen, isolierten niederbayerischen Dorf verlassen werde und jetzt nach einer „städtischen“ Wohnung suche – um wieder in die aktivere persönliche Kommunikation mit der Branche treten zu können, die ich bei aller Kritik von Herzen liebe.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Kommentare (3)
  1. Ich kenne Herrn Beckmann von früher, aus AE-Zeiten (AutorenEdition bei C. Bertelsmann). Seine unverhohlene Meinung ist sehr wichtig.
    Jedoch das Schlupfloch PoD hat er nicht hinreichend berücksichtigt. Damit meine ich nicht die Riesendruckereien von BOD Norderstedt, die via Libri den Markt beherrschen, sondern die vielen kleinen, die mit Cluster-Printing auch für kleinere Verlage interessant sind. Hier wäre Kenntnis und Offenheit lokaler Buchhandlungen wichtig.

  2. Ich freue mich sehr, dass Herr Beckmann wieder am Start ist. Er war mir zu Anfangszeiten meiner Autorentätigkeit eine große Hilfe und Ermutigung. Lieber Herr Beckmann, auch wenn ich als kleiner Schreiberling mit Mini-Verlag nicht wirklich Einblick in diese große, geheimnisvolle Welt des Buchmarktes habe: Es ist schön, wieder von Ihnen zu lesen!

  3. Von Herzen schließe ich mich dem an. Es ist schön von dir zu lesen, lieber Gerhard, wunderbar, mit dir in Kontakt getreten zu sein.

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