„Die Zeichen der Zeit“: Ein Nachruf auf Kurt Weidemann

Kurt Weidemann
Foto: Dietmar Henneka

Vor einigen Tagen ist der Typograph Kurt Weidemann gestorben, im Alter von 88 Jahren im Elsass. Er hat nicht nur das Erscheinungsbild vieler Unternehmen geprägt, sondern auch dem BuchMarkt-Logo seine heutige Form gegeben. Seine Schülerin Gudrun Pawelke überschreibt ihren Nachruf: „Deutschlands bedeutendster Gestalter ist tot – seine Lettern aber leben“:

Jeder kennt ihn, doch kaum einer weiß, wer er war. Jeder kennt den Mercedes-Stern, die Logos der Deutschen Bahn, von Porsche oder Zeiss. Doch wer hat die Firmenzeichen gestaltet, die so wesentlich das Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland ausmachen? Kurt Weidemann. Einer der international wegweisenden Gestalter und Typografen des 20. Jahrhunderts starb am 30. März.
Ende der Achtziger Jahre zeichnete Weidemann den Mercedes-Stern neu. Was er vorfand, war eine Vielzahl unterschiedlicher »Stern-Versionen«, die Mercedes damals benutzte: auf jedem Medium sah der dreizackige Stern anders aus – es fehlte der Wiedererkennungswert. Weidemann nahm den dreidimensionalen Stern auf der Kühlerhaube als Vorbild und entwickelte aus dieser Ur-Form des Metall-Sterns eine universelle Version für alle zwei- und dreidimensionalen Anwendungen. Heute dreht sich auf jeder der weltweit mehreren Tausend Mercedes-Niederlassungen der gleiche Stern, wie der, der sich auf Radkappen oder in Prospekten findet.
Weidemann war Mitbegründer der Philosophie einer Corporate Identity, der Erste, der ein Unternehmensbild durchgängig mit einer eigens entwickelten Schriftfamilie formte: 1987 engagierte ihn Edzard Reuter, damals frisch gebackener Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, als Berater. 52 verschiedene Schriften waren zu der Zeit bei Daimler in Gebrauch. Um diese zu harmonisieren, Daimler-Benz visuell mit einer Stimme sprechen zu lassen und doch die Unterschiedlichkeit der Unternehmensbereiche sichtbar zu machen, entwickelte Kurt Weidemann die umfangreiche Schriftfamilie »Corporate ASE«. Sie war die erste Hausschrift, die drei verschiedene Schriftarten (Antiqua, Sans, Egyptienne – also eine Serifenschrift, eine Serifenlose und eine Serifenbetonte) so zusammenbrachte, dass man bei jedem einzelnen Schriftschnitt die Familienzugehörigkeit zur »Corporate« erkannte. Nur über die Typografie waren jetzt Daimler-Benz-Drucksachen als solche wiedererkennbar, man war also in der Lage, beim bloßen Lesen wahrzunehmen, von wem der Text stammte. Weidemanns Beispiel sollten unzählige Firmen folgen: Heute haben viele Unternehmen erkannt, wie identitätsstiftend eine maßgeschneiderte Hausschrift sein kann.
1994 fusionierten die defizitären Staatsbetriebe Bundesbahn und Reichsbahn zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, der Deutschen Bahn AG. Weidemann entwarf das neue DB-Logo des wiedervereinten Deutschlands, das klarer wirkt und eine erhöhte Erkennbarkeit sicher stellt, als seine Vorläufer. Seine Corporate-Identity-Entwicklung verband er auch hier mit Kosteneffizienz: Die Erneuerung des Logos bringt bis heute Kosteneinsparungen im Farbverbrauch, bei Stickabzeichen, in der Verkleinerung bei Außenkennzeichnung (300.000 Euro jährlich allein an Siebdruckfarbe).
Sicher waren es Weidemanns strategisches Denken, seine Überzeugungskraft und die Gabe, Vorstandsvorsitzenden auf Augenhöhe zu begegnen, die seinen visionären Ideen zum Durchbruch verhalfen. Es ging für ihn nicht um künstlerische Meisterschaft, sondern vielmehr um nachhaltige, zu Ende gedachte Unternehmenskommunikation. Er diente immer der Sache, also dem Leser oder Benutzer, und nicht der Selbstverwirklichung. Eine Haltung, die er auch in fast 50 Jahren seiner lehrenden Tätigkeit an drei Generationen Studenten weitergab.
Weidemanns Schaffen begegnet einem also nicht nur an jeder Straßenecke (er gestaltete Bücher für die Büchergilde Gutenberg, Klett, Propyläen, Thieme und Ullstein), vermutlich wird fast alles, was es heute an visueller Kommunikation in Deutschland gibt, ein wenig »Weidemann« sein. Man wird kaum einen bedeutenden Gestalter finden, der unbeeinflusst von ihm blieb. Jochen Rädeker, Vorstandssprecher des Art Directors Club, sagt über Kurt Weidemann: »Er war einer der ganz wenigen Weltstars des Designs. Es gibt kaum jemanden, vielleicht keinen, der die Design- und Kommunikationslandschaft in Deutschland in den letzten 60 Jahren so geprägt hat wie er.« Neben seinen Zeichen wird auch sein Appell bleiben: die Dinge hinterfragen, sich nicht mit dem nächstbesten zufrieden geben und: das Schneller – Weiter – Höher eintauschen durch Qualität, Inhalt und Haltung.
Gudrun Pawelke

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert