Ulrich Störiko-Blume über den spektakulären neuen Kinderbuchpreis der Zeitfracht Inhaber „Hier wurde eine große Chance vertan, etwas sinnvolles Neues anzustoßen“

Das Eigentümer-Ehepaar der Zeitfracht-Gruppe hat in dieser Woche einen spektakulären Kinderbuchpreis in Höhe von 100.000 Euro gestiftet – was in der Kinder- und Jugendbuchszene aber wenig Begeisterung ausgelöst hat. Warum deren Experten bedauern, hier sei eine große Chance vertan worden, erläutert in unserem heutigen Sonntagsgespräch Ulrich Störiko-Blume

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Kann es denn nicht gar nicht genug Auszeichnungen für gute Bücher geben, da es gar nicht genug gute Bücher geben kann?

Ulrich Störiko-Blume: Die Idee eines Kinderbuchpreises nach dem Motto „the winner takes it all“ ist getragen von der Vorstellung, dass man mit viel Geld viel Qualität erreichen kann. Gib einem Autor / einer Autorin Geld, dann wird schon was Tolles rauskommen. Es wäre sinnvoll gewesen, sich über eine solche – im Prinzip sehr erfreuliche Initiative – mit denjenigen beraten zu haben, die von diesem Geschäft etwas verstehen. Stattdessen ist man stolz darauf, den Preis ins Leben gerufen zu haben, „ohne vorher groß darüber gesprochen oder jemanden gefragt zu haben.“

Und jetzt ist die Kinderbuchzene beleidigt, weil sie nicht gefragt wurde?

Die »Generation Beleidigt« ist anderswo zu Hause. Ich kann nicht für die Szene sprechen, aber ich weiß, dass viele den Kopf schütteln, weil hier die große Chance vertan wurde, etwas sinnvolles Neues anzustoßen.

Wo setzt denn die Kritik an? 

Der von den Zeitfracht-Eigentümern gestiftete „Deutsche Kinderbuchpreis“ verkündet ein hohes Ziel, dem er aus drei Gründen nicht gerecht werden kann.

Und welche Gründe sind das?

Zum einen tut man den Kindern keinen Gefallen: Warum sollten sie sich von einer 32-köpfigen Kinderjury von 6- bis 10-Jährigen vertreten fühlen (die niemals repräsentativ sein kann – egal wie sie zustandekommt)? Ja, man kann und soll mit Kindern Kinderbücher beurteilen; eine schöne, hochinteressante Arbeit. Am besten in jedem Kindergarten, in jeder Grundschule, in jeder Bibliothek. Wie man so etwas von lokal bis zur Bundesebene organisiert, zeigt der Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels.

Und Grund Nummer zwei? 

Man tut auch den Autoren keinen Gefallen mit dem Preis. Es soll „ein wirtschaftlicher Anreiz für die Autor*innen geschaffen werden, damit wirklich das beste Kinderbuch des Jahres entsteht“. Wie soll das funktionieren, wenn die möglichen Preisbücher zwischen dem 1. Juni 2020 und dem 31. Mai 2021 bereits publiziert sein sollen? Da müsste ja immerhin schon ein Verlag einen „wirtschaftlichen Anreiz“ durch einen Verlagsvertrag gesetzt haben. Und kennt man gute Kinderbuchautoren, die der wirtschaftliche Anreiz zu literarischen Bestleistungen motiviert hat?

Sie hatten noch einen dritten Vorbehalt? 

Auch den Buchhandlungen tut man keinen Gefallen, denn man hat sich offenbar keine Mühe gegeben, auf dem weiten Feld der möglichen literarischen Auszeichnungen eine Lücke zu finden, die es wert wäre, gefüllt zu werden. Üblicherweise werden hier mit viel Arbeits-, Lese- und Denkeinsatz bei knappen finanziellen Mitteln von kundigen Menschen Literaturpreise verliehen, die glaubwürdig sind und eine Wirkung entfalten.

Diejenigen, die sich für bestehende Preise engagieren, ob als Preisstifter, Jurymitglieder oder Buchhändler, müssen sich düpiert fühlen.

Deswegen  fällt es schwer, die Meldung nicht für einen verspäteten Aprilscherz zu halten, denn das Preisbuch soll tatsächlich „über den Wolken unterwegs“ sein und später „ins All geschossen werden“. Als hätten wir nicht heute schon genug Sorgen wegen des vielen Weltraumschrotts …

… und zu wenig Mittel für sinnvoll konstruierte Kinderbuchpreise?

Wenn man etwas Neues schaffen will, muss man unerwartete Wege gehen,

… bisher geht das oft nach der Methode „Wir bilden einen Arbeitskreis, und in drei Jahren haben wir herausgefunden, warum wir uns nicht einig sind.“ Und wenn jetzt eine neue Initiative kommt, dann passt das auch nicht?

Aber es gibt einen Börsenverein, der vermutlich bereit wäre, nach dem erfolgreichen „Deutschen Buchpreis“ und dem hoffnungsvoll gestarteten „Deutschen Sachbuchpreis“ auch einen „Deutschen Kinderbuchpreis“ zu konzipieren und zu etablieren. Und es gibt viele Köpfe in der Branche, die mit Herz und Hirn, mit Erfahrung und Energie dabei sein würden, neue Formen der Förderung insbesondere von Nachwuchs-Autoren zu erproben. Die Zeitfracht-Eigner könnten für solche Aktivitäten ein willkommener und unverdächtiger Sponsor sein.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Ulrich Störiko-Blume

Ulrich Störiko-Blume betreibt die ProjektAgentur in München, die seit 2015 Manuskripte an Kinder- und Jugendbuchverlage vermittelt. Seine Kenntnisse und Erfahrungen hat er als Lektor und Verlagsleiter in bekannten Kinder- und Jugendbuchverlagen sowie in einschlägigen Verbänden der Branche gesammelt. Er hält Vorträge, schreibt Artikel in Fachzeitschriften und wirkt als Dozent am Zentrum für Buchwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Juni erscheint sein Buch »Kinder- und Jugendbuchverlage – Macher, Märkte, Medien« in der Reihe buch & medien im Bramann Verlag.

Kommentare (1)
  1. Nicht zu vergessen: Es gibt den Deutschen Jugendliteraturpreis, der sich zum Ziel gesetzt hat, auch in diesem Rahmen das beste Kinderbuch eines Jahrgangs zu küren. Wobei das Preisgeld zwischen utor:in, Illustrator:in und gegebenfalls Übersetzer:in geteilt werden. Und die vier Kinder- und Jugendbuchstipendien des Deutschen Literaturfonds nicht zu vergessen. Braucht es da wirklich noch einen Deutschen Kinderbuchpreis des Börsenvereins?

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