Das Autorengespräch zum Wochenende Ist Tingeln gehen die Zukunft der Schriftstellerei, Frau Clark?

Jeden Freitag hier am Nachmittag ein Autorengespräch, heute mit Janet Clark. Sie  startete nach ihrem Wirtschaftsstudium als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Europäischen Parlament in Brüssel. Von dort zog es sie nach England, wo sie erst an der Universität, dann in der Privatwirtschaft arbeitete und die heute weltgrößte Onlinedruckerei mitaufbaute. Nach ihrem Umzug nach Deutschland folgten weitere Topmanagementpositionen, bevor sie ihr Hobby zum Beruf machte: 2011 erschien ihr erster Roman im Heyne Verlag. Inzwischen gehört sie zu den bekanntesten deutschen Autorinnen im Jugendbuch und im Spannungsbereich und setzt sich als Präsidentin der Autorenvereinigung Mörderische Schwestern e.V. und als Gründungsmitglied des Netzwerkes Autorenrechte für die Rechte von Autoren und Autorinnen ein.

In ihrem neuesten Buch Black Memory (Heyne) setzt sie auf den Wissenschaftsthriller. Anlass für uns, die Autorin nach besonderen Trends in der Kriminalliteratur, ihrem neuen Thriller und der explosiven Mischung aus dem Quäntchen Glück und gelungenem Marketing zu befragen:

BuchMarkt: Frau Clark, Sie sind Präsidentin der „Mörderischen Schwestern“, der größten Vereinigung von Krimi-Autorinnen in Europa. Warum ist eigentlich seit einiger Zeit alles Krimi?

Janet Clark: „Manche Autoren werden gefeiert wie Popstars, andere müssen Tingeln gehen“

Janet Clark: Im Krimi ist Gut und Böse klar zu unterscheiden und am Ende gewinnt in der Regel das Gute. In einer Gesellschaft, die immer unübersichtlicher wird, hat diese klare Abgrenzung etwas beruhigendes. Allerdings funktioniert das nur, wenn ein Grundvertrauen in die staatliche Ordnung gegeben, und die im Krimi beschriebene Wiederherstellung der Ordnung nachvollziehbar ist. Der Anstieg der Kriminalliteratur liegt natürlich auch an dem aggressiven Marketing, mit dem Verlage einen Trend zum Hype hochpushen sowie der daraus hervorgegangenen immensen Vielfalt, die die heutige Krimilandschaft bietet: es wird jede Nische und jeder Geschmack, und damit auch der Leser bedient, der niemals zu Agatha Christie oder John Grisham gegriffen hätte.

Sehen Sie Veränderungen, gibt es besondere Trends in der Kriminalliteratur?

Derzeit sind die Sci-Fi/Wissenschafts-Thriller  auf dem Vormarsch. In Anbetracht des rasanten Wandels der Welt durch die kaum noch nachvollziehbare technologische Entwicklung ist das nicht verwunderlich. Mögliche Konsequenzen des Wandels werden in der (Spannungs-)Literatur thematisiert und verarbeitet, schließlich ist sie ein hervorragendes Medium, um Tabus zu brechen, Gefahren zu beleuchten und gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Serienkiller und alkoholisierte Kommissare treten m.E. zurück. Gleichzeitig konnten sich mit Gone Girl und Girl on the Train Heldinnen etablieren, die keine reinen Sympathieträgerinnen, und damit schwierig als Identifikationsfigur sind.

Sie selbst setzen in Ihrem neuesten Werk Black Memory auf den Wissenschaftsthriller. Gab es dafür einen besonderen Anlass?

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Ich wollte wissen, wie und was Zellen miteinander kommunizieren. Diese Fragen hatte sich mir nach meiner dritten Schwangerschaft, einer Hochrisikoschwangerschaft, gestellt. Während der Schwangerschaft hatte ich meine wachsende Angst um das ungeborene Baby meditativ verarbeitet. Nach kurzer Zeit fragte mich mein Mann, warum ich von dem Fötus in der weiblichen Form sprach. Erst da wurde mir bewusst, dass ich immer ein Bild vor Augen hatte: Meinen Vater, der mit einem blonden, blauäugigen Mädchen durch einen Park läuft. Meine Söhne sind braun-bzw. schwarzhaarig, ich bin braunhaarig, wir alle haben braune Augen. Ich bekam eine gesunde Tochter. Sie ist blond und blauäugig. Zufall?

Und? Haben Sie’s herausgefunden?

Ja. Es war kein Zufall. Es gibt eine wissenschaftliche Erklärung. Um diese zu finden, musste ich mich auf einen monatelangen Streifzug durch Zellforschung, Genforschung, Gehirnforschung und Quantenphysik begeben. Und dabei bin ich über viele hochspannende Themen gestolpert und zu der Erkenntnis gelangt, dass vieles, das heute als Fakt gilt, durch die enormen Fortschritte in der Quantenphsysik und die neuen technologischen Möglichkeiten wieder auf dem Prüfstand steht. Die Erforschung des Menschen ist bei weitem nicht abgeschlossen und die Möglichkeiten, die sich aus der Genforschung ergebenen sind erschreckend. Ich wollte mit dem Thriller Interesse wecken und aufzeigen, wie wichtig verantwortungsvoller Umgang mit wissenschaftlichem Fortschritt für unsere Gesellschaft ist.

Vor Ihrer Karriere als Schriftstellerin waren Sie Geschäftsführerin und Marketingchefin. Beeinflusst Sie das bei der Auswahl der Stoffe?

In erster Linie werden meine Bücher von Ereignissen inspiriert, die mich selbst nachhaltig beschäftigen und eine gesellschaftliche Relevanz haben. Das sind i.d.R. Themen, die bereits in der Luft liegen, aber die Masse noch nicht erreicht haben. Wenn ich Glück habe und ein Projekt schnell angehen kann, gehöre ich zu den ersten, die das Thema aufgegriffen haben und entsprechende Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings hat sich die Lage im Buchmarkt in den letzten Jahren durch das Preisdumping und die Flut an Billig-Novitäten und Flatratemodellen zum Negativen verändert. Selbst eine spannende, überdurchschnittlich gut umgesetzte Geschichte hat ohne Bestsellermarketing kaum noch eine Chance, im Buchhandel flächendeckend auszuliegen.

Man muss also Bestseller machen, weil es anders nicht mehr geht?

Bestseller allein reicht nicht mehr, Verlage brauchen Hyperseller. Dabei verlässt ein Verlag sich am liebsten auf Spiegelbestsellerautoren oder bereits im Ausland bewährte Lizenzen, denn der Marketingaufwand ist immens, um einen Titel durchzusetzen. In Folge ist es für Verlage so wichtig wie nie, das Gefühl zu haben, der beworbene Titel trifft absolut den Nerv der Leser. Daher habe ich mich für mein neues Jugendbuch im Vorfeld intensiv mit meiner Zielgruppe auseinandergesetzt. Ich wollte verstehen, was sie mitreißt und etwas schreiben, mit dem ich ihre Leserherzen erobern kann. Denn letztlich schreibe ich nicht für mich, sondern für meine Leser und dazu muss ich sie und ihre Vorlieben und Wünsche ernst nehmen.

Ist das die Zukunft der Schriftstellerei? Tingeln gehen? Werden Autoren die neuen Popstars?

Ich denke, in gewisser Weise ist das bereits die Gegenwart. Manche Autoren werden gefeiert wie Popstars, andere müssen Tingeln gehen, ob von Blog zu Bücherforum in der Hoffnung auf positive Rezensionen, die möglichst weit gestreut werden oder von Bibliothek zu Buchladen, mit der Bitte um eine oftmals unbezahlte und fast immer unterbezahlte Lesung. Und das ganze in dem Wissen, dass selbst das ausdauerndste Tingeln und die täglichen Facebook-, Twitter-und Instagramposts in der Regel maximal zu Verkaufszahlen im niedrigen fünfstelligen Bereich führen.

Das klingt einigermaßen desillusionierend: Die erfolgreiche Schriftstellerkarriere als Mischung aus Marketing und Glück. Wo bleibt denn da der Glaube an den Stoff?

Dass zur erfolgreichen Schriftstellerkarriere auch immer ein Quäntchen Glück gehört, ist kein Geheimnis.  Aber natürlich muss ein erfolgreicher Autor sein Handwerk beherrschen. Leser sind kritisch – ist das Buch schlecht geschrieben, wird der Hype auch trotz ausgeklügeltem Bestsellermarketing ausbleiben – denn der kann nur entstehen, wenn Präsentation und Inhalt eine perfekte Symbiose ergeben. Daher ist der Inhalt fundamental – nicht die Kopie eines Bestsellerstoffes ist erfolgreich (naja, vielleicht die ersten fünf), sondern die Weiterentwicklung.

Und wie haben Sie das gemacht? Haben Sie auch auf Altbewährtes gesetzt und ihrem Stoff dann den genialen Dreh verpasst?

Bei meinem neuen Wissenschaftsthriller Black Memory leidet die Heldin an Amnesie. Das ist wahrlich nichts Neues. Betrachtet man das Buch aber in seiner Gesamtheit, dann ist es ein völlig neuer Ansatz. Black Memory ist der erste Thriller, der sich ernsthaft mit der Pathologie des Gedächtnisses befasst. Der aktuelle Wissenschaftsstreit wird auf ein für den Laien verständliches Niveau heruntergebrochen und mit einem spannungsgetriebenen Plot verschmolzen. Die Amnesie ist dabei essentieller Teil der Komposition: Der Leser spürt durch die Erzählführung die Auswirkung des Gedächtnisverlusts und wird so von der Geschichte gefesselt.

Klingt sehr theoretisch…

Die Erzählweise in Kombination mit dem ungewöhnlichen Thema belohnen die Leser bislang mit enormer Begeisterung. Und man muss einen solchen Unterhaltungsroman ja auch nicht als wissenschaftliche Lektüre oder als literarisches Experiment lesen, sondern kann es so machen, wie die allermeisten und auch ich immer wieder: Man lässt sich auf die Story ein und hat für ein paar Stunden oder Tage ein aufregendes Leseerlebnis.

 

Die Fragen stellte Franziska Altepost

In der vergangenen Woche sprachen wir mit Jan Schomburg über „das Licht und die Geräusche“ (dtv)

 

 

 

 

 

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