Das Sonntagsgespräch Kerstin Hoffmann: „Prinzip kostenlos“ heißt nicht „Buch zu verschenken!“

Kommunikationsberaterin Kerstin Hoffmann (Foto l.) zeigt in ihrem Ratgeber „Prinzip kostenlos. Wissen verschenken – Aufmerksamkeit steigern – Kunden gewinnen“ (Wiley-VCH), wie Unternehmen, Berater und Dienstleister ihre Umsätze erhöhen, indem sie ihr Wissen verschenken. Wir sprachen mit ihr darüber, was das „Prinzip kostenlos“ für die Buchbranche bedeutet.

Was bedeutet Ihr Buch für den Buchmarkt? Soll er seine Inhalte kostenlos hergeben?

Kerstin Hoffmann

Kerstin Hoffmann: Jeder, dessen Geschäftsmodell sich auf Dinge stützt, die im Internet frei verfügbar und teilbar sind, hat heute ein Problem. Die Autoren oft noch mehr – oder zumindest früher – als die Verlage. Wenn alle Inhalte online verfügbar sind, wird es zum einen immer schwieriger, diese exklusiv und gegen Geld zu vermarkten. Provokant gefragt: Warum sollte jemand für ein Buch zahlen, das er kostenlos herunterladen kann? Zum anderen gerät es zunehmend zu einem Ding der Unmöglichkeit, diese Inhalte überhaupt noch gegen unkontrollierte Weiterverbreitung zu schützen. Nur: Wir werden das nicht ändern, so ist eben die Entwicklung. Und deswegen werden sich notgedrungen die Geschäftsmodelle ändern müssen.

Inwiefern?

Ich bin sehr vorsichtig mit Prognosen oder Patentlösungen. Aber der Punkt ist: Wir müssen uns davon verabschieden, dass man auf Inhalte noch den Daumen halten könnte. Dürrenmatt schreibt in Die Physiker: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Das gilt auch für Wissen: Was einmal gewusst wurde, ist heute im Internet frei verfügbar und eben auch frei teilbar, wie nie zuvor. Wenn ich es nicht publiziere, tut es jemand anderes. Das führt natürlich zu diesem großen Paradigmenwechsel, in dem sich die Verlage und der Buchmarkt derzeit befinden – und nicht nur sie. Solange Wissen an materielle Träger gebunden war, musste man diese erwerben, um es zu bekommen. Andere Formen des kostenlosen Kopierens waren extrem aufwändig, etwa mit dem Fotokopierer in der Bibliothek, und auch nicht ganz billig. Das ist heute anders. Immer mehr Menschen erwarten, dass sie alles erhalten, ohne zu bezahlen.

Wer bezahlt also heute noch für Bücher, egal ob in digitaler oder gedruckter Form?

Gute Frage. Je näher die Ebenen aneinanderliegen, desto schwieriger wird es. Natürlich ist ein Buch ein komplexes Produkt, an dem viele mitgewirkt haben, nicht nur materiell. Es geht auch um redaktionelle Leistungen, Selektion, Lektorat. Manchmal denke ich, wir kehren fast zu mittelalterlichen Zuständen zurück: Das, was Geld kostet, ist eben die aufwändige Produktion. Das war in den Skriptorien das Abschreiben. Aber das, was ich kaufe, ist eben heute – im Vergleich zu Beratung oder Dienstleistung oder auch dem von Hand abgeschriebenen Buch – schnell kopierbar, übertragbar. Auch die Leistung der Selektion, Bewertung, Verarbeitung wird einmal erbracht und steckt dann in diesem teilbaren Produkt. Viele Menschen sind durchaus bereit, dafür zu bezahlen – aber eben nicht alle, und etliche vor allem dann nicht, wenn sie es auch gratis haben können.

Kann die Buchbranche von der Musikbranche lernen?

Es gibt viele Beispiele von mehr oder weniger gelungenen Versuchen, Teilbares zu schützen und zugleich Geschütztes zu verbreiten: Die Musikbranche, die Filmindustrie, Verlage oder die Softwarehersteller – sie alle leiden darunter und sie alle versuchen, ihren Weg zwischen restriktivem Umgang und neuen Strategien zu entwickeln. Vieles davon ist aber einfach der Versuch, den Fluss mit den Händen aufzuhalten. Oder, wie es in dem Buch Kann man denn davon leben? (Haas, Silvia/Holzinger, Peter; Kindle Edition 2011) steht: “When the winds of change are blowing, some people are building shelters, others are building windmills.”

Leicht gesagt und schwer getan!

Sie sagen es, und ich will das Problem gar nicht herunterspielen. Niemand kann sagen, wie es ausgehen wird. Sicher ist nur, dass wir uns mitten in einem dramatischen Wandel befinden. Die Musikindustrie vermeldet immer mal wieder tapfer, dass kostenlos angebotene Titel dazu führen, dass ein Album dann eben doch gekauft wird. Es gibt Modelle wie Spotify, die nach dem Freemium-Prinzip arbeiten: Kostenlos (free) ist die Basisleistung. Komfortablere Funktionen kosten Geld. Aber das sind dann die Funktionen, nicht die Musik selbst.

Bands schaffen den Wechsel, wenn sie Musik verschenken und viel Geld für Live-Auftritte kassieren. Aber dafür muss man schon ziemlich bekannt sein. Ich bezweifle, dass das für die Buchbranche in gleichem Ausmaß funktioniert. Außer man ist vielleicht Paulo Coelho, beziehungsweise dessen Verleger. Aber selbst da habe ich keine Insider-Informationen, wie gut sich das auszahlt. Fakt ist, wie schon gesagt: Die gesamte Buchbranche kommt gar nicht umhin, über neue Modelle nachzudenken, einfach weil die bewährten wahrscheinlich auf Dauer nicht mehr funktionieren. Ich sage „wahrscheinlich“, weil ich eben auch keine Hellseherin bin. Niemand weiß wirklich, wie sich das entwickeln wird.

Haben Sie denn irgendeine Idee, wie das in der Buchbranche aussehen könnte?

Wenn das Teilbare überall kostenlos erhältlich ist, bleibt den Produzenten gar nichts anderes übrig als zu überlegen, wie sie Unteilbares schaffen, das sich verkauft. Ganz ähnlich, wie ich es in meinem Buch beschreibe, kann es vielleicht auch für Autoren und Verlage funktionieren. In irgendeiner Form müssen sie den Wechsel der Ebenen schaffen. Für die Zielgruppe meines Buches ist die Situation ja wegen dieses Wechsels recht komfortabel: Sie können eben ihre Inhalte verschenken, weil sie ihr Können verkaufen.

Ein Beispiel für den Buchsektor ist die Autorin und Publizistin Kathrin Passig, die ich für Prinzip kostenlos interviewt habe. Sie sagt: „Früher waren Inhalte das rare Gut. Heute ist es der Live-Auftritt. Vortragshonorare machen jetzt schon einen großen, weiter steigenden Teil meines Einkommens aus.“

Geht das denn so einfach, mit diesem Ebenenwechsel wirklich Geld zu verdienen?

Natürlich nicht. Wir werden mit Inhalten förmlich überschwemmt. Je mehr publiziert ist, und je mehr hochwertiges Wissen frei verfügbar ist, desto schwieriger ist es, überhaupt Aufmerksamkeit zu erzielen. Dass es aber geht, habe ich selbst ausprobiert und in vielen Fällen erlebt. Wie das gelingen kann, wie man diesen Plan strategisch verwirklicht, was man dazu bedenken muss und braucht, davon eben handelt mein Buch.

… das ja auch nicht kostenlos zu haben ist…

… dessen Titel ja auch nicht lautet: „Buch zu verschenken“. Ich habe mir tatsächlich mit Erscheinen meines Buches auch schon einige Male anhören müssen, es sei paradox, dass es Prinzip kostenlos heißt, aber Geld kostet. Ein Facebook-Kontakt schrieb sogar: „Du wirst Dich jeden Tag dafür rechtfertigen müssen, warum Du free predigst, aber nicht lebst.“ Das ist natürlich Quatsch. Ich lebe das Prinzip in jeder Hinsicht. Ich verteile sehr viel sehr hochwertigen Content in meinem Blog. Auch um das Buch herum habe ich ein ganzes Universum von kostenfreien Inhalten aufgebaut, die auch Nicht-Lesern nützen. Das, was am Buch kostet, sind die Zusatzleistungen, die nicht kostenfrei sein können. Und da sind das Papier und der Druck noch das Wenigste. Es haben ja viele Menschen daran mitgewirkt, dass das Buch jetzt vorliegt. Menschen, die ganz normal ihren Lebensunterhalt verdienen – wie die „Kosten-Anprangerer“ übrigens auch.

Wie würden Sie denn damit umgehen, wenn jemand Ihr Buch kostenlos ins Netz stellt?

Ich würde mich wahrscheinlich sehr ärgern. Ich würde dagegen vorgehen – oder wohl eher der Verlag, der ja die Rechte hat. Aber mich würde es nicht existenziell bedrohen, weil ich nicht vom Bücher-Schreiben lebe. Letztlich ist das eine Form der Querfinanzierung, die wohl in Zukunft noch mehr als bisher wird stattfinden müssen. Das haben wir ja im Journalismus auch schon. Viele freie Journalisten können es sich gar nicht mehr leisten, nicht auch PR zu machen, weil sie vom Verkauf von Content alleine nicht mehr leben können.

Aber Berater oder Dienstleister – die Zielgruppe meines Buches ebenso wie ich selbst – haben eben genau nicht das Problem, dass sie von Inhalten leben müssen. Sie können alles verschenken, was sie wissen. So zeigen sie, wie gut sie fachlich sind. Und verkaufen dadurch das, was sie können. Natürlich muss das geteilte Wissen einen Nutzen für den Empfänger haben, einen Wert in sich tragen. Sonst geht die Rechnung nicht auf. Aber wir haben eben diesen klaren Ebenenwechsel: Das eine verschenken, das andere verkaufen.

Wo verläuft denn da genau die Grenze?

Die ist sehr individuell. Auch „Prinzip kostenlos“ heißt eben ohnehin nicht, dass alles „für lau“ unter das Volk geschmissen wird. Sondern es gibt eine klare Grenze zwischen dem kostenfreien und dem kostenpflichtigen Angebot. Und diese Grenze bestimmt der Anbieter. Ob und wie er damit erfolgreich ist, entscheidet dann natürlich der Markt. Das hängt auch davon ab, wie ehrlich und transparent er agiert. Denn einerseits muss das kostenlose Angebot dem Empfänger einen echten Mehrwert bieten. Andererseits muss noch etwas übrigbleiben, was dann Geld kostet. Wenn man es gut plant und strategisch umsetzt, geht die Rechnung auf. Sorgfalt gehört eben in jeder Branche dazu.

Mehr Informationen und viel kostenloses Bonusmaterial gibt es auf www.prinzip-kostenlos.de

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