Das Sonntagsgespräch Klaus-W. Bramann über den Wandel der Buchbranche

Klaus-W. Bramann wird 60 und feiert zudem 30 Jahre als Dozent an den Schulen des Deutschen Buchhandels und 15jähriges Bestehen der Edition Buchhandel.

Das haben wir uns zum Anlass genommen, um ihn nach seinen Erfahrungen und den Veränderungen in diesen Jahren im Buchhandel zu fragen; am Ende des Gesprächs gibt es dazu ein Geschenk.

Morgen werden Sie 60 Jahre. Worauf schauen Sie gerne zurück?

Klaus-W. Bramann:
„Betriebswirte sehen Personal
vorrangig als Kostenfaktor.“

Auf Erlebnisse als Lehrender, auf Erfahrungen mit Schülern, denen ich etwas beibringen und erklären durfte. Meine Arbeit erklärte ich immer nur dann für beendet, wenn ich das Gefühl hatte, dazu beigetragen zu haben, das „pädagogische Gefälle“ abzubauen.
Aus Erfahrungen mit Schülern sind inzwischen viele Erfahrungen mit Seminarteilnehmern geworden, und im Rahmen zunehmender Beratungstätigkeit auch Erfahrungen mit Inhabern. Immer fühle ich mich dann wohl, wenn ich auf Augenhöhe mit anderen Menschen zu tun habe und etwas bewirken kann.

Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Auf die „Edition Buchhandel“. Als ich vor 15 Jahren mit meiner Reihe anfing, sagte mir Herr Bez, es sei schon merkwürdig, dass die Buchbranche, deren Passion Bücher sind, selbst wenig gute Fachliteratur vorzuweisen habe. Es sei wie im Schneidereigewerbe, da würden die Schneider auch keine gut sitzenden Anzüge tragen.
Stolz bin ich insbesondere darauf, dass im Frühjahr eine völlig neu bearbeitete Auflage von Wirtschaftsunternehmen Sortiment herauskommt, die ich gemeinsam mit Peter Cremer, Bildungsgangleiter Buchhandel am Joseph-DuMont-Berufskolleg in Köln, schreibe. Wir sind von den Ausführungen derart überzeugt, dass wir einen neuen Untertitel gewählt haben: Der Buchhandel in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Seit 30 Jahren arbeiten Sie nun in der Branche und haben manche Veränderungsprozesse in Ihren Büchern erklärt, reflektiert und auch schriftstellerisch begleitet. Welches waren Ihrer Meinung nach die entscheidenden Veränderungen?

Eine Frage, die eigentlich eine sehr lange Antwort erfordert. Aber ich bemühe mich um eine kurze. Der Strukturwandel lässt sich auf drei Phänomene zurückführen: auf das Entstehen von Filialunternehmen, auf Großflächen in 1A-Lagen und auf die Kapitalisierung des Buchhandels.

Nun, so kurz wollte ich es denn auch nicht haben. Geht es vielleicht doch ein wenig ausführlicher?

Ich probier’s mal. 1990 erschien meines Wissens die erste fundierte Untersuchung zum Thema „Strukturwandel“. Die BBE-Unternehmensberatung hat sie veröffentlicht und darin ein partielles Ende des mittelständischen Buchhandels vorhergesagt: ein Ende des Buchhandels mit Inhabern, die in ihren eigenen Läden arbeiten und das alleinige unternehmerische Risiko tragen.
Bemerkenswert ist das weitsichtige BBE-Fazit. Denn es wurde eine zunehmende Konkurrenz in Form von Großflächenbuchhandlungen, Ketten- und Filialunternehmen prognostiziert, die zwar neue Käuferschichten bedienen können, für ihren Unternehmenserfolg jedoch mehr Kapital benötigen sowie mehr Kompetenz in Sachen Marketing und Betriebsführung.

Diese Entwicklung ist doch genau so eingetreten. Oder sehen Sie das anders?

Nein. Die Prognose war genau. Allerdings bezeichnet das Wort „Polarisierung“ den aktuellen Zustand der Branche genauer: das Aufsplitten der Branche in „Große“ und „Kleine“. Die Top 2 besitzen im Buchhandel rund 30 Prozent Marktanteil, die Top 10 rund 40 Prozent und die Top 100 wohl rund 50 Prozent Marktanteil. Die übrigen (geschätzten) 3.500 Buchhandlungen teilen sich den Rest. Das sind zwar noch immer nicht die Relationen, wie sie in der Verlagswelt vorherrschen; sie sind aber beredter Ausdruck einer sich wandelnden Branche. Wobei bei den „Großen“ Veränderungen auf fast allen Ebenen vonstatten gingen.

Welche Maßnahmen fielen Ihnen dabei besonders auf?

Das marketingspezifische und betriebswirtschaftliche Know-how wurde in Form von BWL-Managern „eingekauft“, die relativ schnell zu Entscheidungsträgern aufstiegen – und nun in nicht wenigen Unternehmen das Sagen haben. Mit mitunter fatalen Konsequenzen. Denn sie kennen häufig nur ihren eigenen begrenzten BWL-Zahlenhorizont und haben oftmals keine Vorstellung von dem „Berufsalltag“ der in der Branche Tätigen. Sie orientieren sich an Benchmarks anderer Branchen und denken in Kategorien, die nicht buchhandelsaffin sind. Denn ist es ein Zufall, dass die LUG im Buchhandel seit 30 Jahren zwischen 4 und 6 liegt? Und ist es ein Zufall, dass die Eigenkapitalrendite selten 3 Prozent übersteigt? Warum sollten also neue Normen etabliert werden?
Hinzu kommt, dass Betriebswirte Personal vorrangig als Kostenfaktor sehen, den es kleinzuhalten gilt. Auf der Strecke bleibt langjähriges Wissen, da erfahrene Mitarbeiter mehr Geld kosten und durch unverbrauchte, billigere aber auch unerfahrene Mitarbeiter ausgetauscht werden. Darüber hinaus verkennen die ökonomischen Hardliner, dass das, was den Buchhandel in meinen Augen ausmacht, nun einmal kostenintensiv ist.

Was macht denn den Buchhandel in Ihren Augen aus?

Ich umschreibe die Buch- und Medienbranche seit geraumer Zeit mit der Formulierung „differenzierte, kulturelle Dienstleistung“. Damit bekenne ich mich gleichzeitig als Anhänger des Vielgestaltigen und Kundenorientierten in unserer Medienbranche. Buchhändler leben von Produkten, die in ihrer Mehrzahl nur als kleinteilig bezeichnet werden können. Buchhändler verstehen sich als Problem-Löser für Kundenwünsche und als Dienstleister im Besorgungsgeschäft. Dazu kommt, dass Buchhändler und Verleger sich im weitesten Sinne auch immer als Teil der Kulturbranche verstehen.

Gilt das nicht gleichermaßen für die „Großen“ und die „Kleinen“?

Lassen Sie mich ausweichend antworten. Ich glaube, es wäre eine lohnenswerte Aufgabe, einmal der Verwendung des Wortes „Kultur“ in den offiziellen Verlautbarungen und den Selbstdarstellungen der „Großen“ nachzugehen. Und dann die Anzahl der Treffer mit der Anzahl der Verwendungen des Wortes „Buchindustrie“ zu vergleichen. Aber es ist für die Branche wahrscheinlich besser, wenn eine derartige Untersuchung nie stattfinden wird. Sonst würde wieder einmal über die Preisbindung diskutiert. Denn die Preisbindung ist nun einmal nicht dazu da, günstige Rahmenbedingungen für die „Buchindustrie“ oder für „große Einheiten“ zu schaffen, sondern um das Kulturgut Buch zu schützen.
Manchmal wünsche ich mir, Lessings „Ringparabel“ könnte für den Buchhandel neu geschrieben werden.

Wo sehen Sie denn den Bezug zur „Ringparabel“?

Wirtschaftsunternehmen Sortiment
erscheint in neuer Auflage

Im „Nathan“ ging es bei den drei Ringen um die wahre Religion. Im Buchhandel müsste es um den richtigen Betriebstyp gehen. Den gibt es aber in objektiver Hinsicht nicht, weil unterschiedliche Betriebstypen für unterschiedliche Märkte konzipiert worden sind; Vergleiche also immer nur partiell stattfinden können. Also muss es einen anderen Orientierungspunkt geben. Ich würde den Ring denjenigen Firmen zusprechen, denen es gelingt, die Begeisterung für Kunden und Produkte mit der Leidenschaft für die eigenen Mitarbeiter zu verbinden. In diesem Zusammenhang sind für mich alle Betriebe unheimlich, in denen man an Personalkosten spart, um teure Flächen zu bezahlen oder hoch angesetzte Gewinnmargen zu finanzieren.

Wie stehen Sie eigentlich zur Digitalisierung?

Ich denke, hier zeigt sich die Kapitalisierung des Buchhandels besonders deutlich. Vor der Rendite- und Abschöpfungsphase muss erst einmal, wie bei jedem Produktlebenszyklus, viel Geld für Konzeption, Marketing und Vertrieb in die Hand genommen werden. Und da bei technologieorientierten Produkten die Entwicklungs- und Einführungsphase verhältnismäßig lang ist, geht es auch um viel Geld. Kein Wunder, dass nur die großen Unternehmen unserer „Kulturbranche“ in diese Geschäftsfelder investieren und Branchenfremde in Gestalt von Amazon, Apple, Google und Sony dominieren. Vor allem Apples Einfluss auf die Preisgestaltung ärgert mich maßlos.

Wieso? Nimmt Apple etwa Einfluss auf die Preisgestaltung der Verlage?

Anscheinend schon. Denn wenn man sich in bestimmten Preisgrenzen bewegt, müssen es schon 9er-Preise in der zweiten Dezimalstelle hinter dem Komma sein. Auch wenn Fachverlage, wie der meinige, auf diesen Schwellenpreis überhaupt keinen Wert legen. Natürlich bleibt es Verlagen unbenommen, sich diesem Diktat nicht zu beugen. Aber dann haben sie auch keinen Zugriff auf die Apple-Klientel. Und dass diese nicht auf einen kleinen Kreis von Technik-Ästheten beschränkt ist, zeigt sich nicht nur daran, dass iStore-Gutscheine in Lebensmittel- und Drogeriemärkten erhältlich sind.

Liegen Ihre Bücher als E-Book vor?

Meine Bücher liegen zu einem nicht geringen Teil auch als E-Book vor – werden aber sehr selten als E-Book gekauft. Für mich eine erstaunliche Erkenntnis, da meine Zielgruppe ja Menschen sind, die in der Medienbranche arbeiten.
Digitale Produkte sind nun einmal da. Und jede Firma sollte ihre Produkte, wenn es denn einen Sinn ergibt, auch daraufhin ausrichten. Aber ich sehe eher die Verlage auf der Gewinnerseite als die Sortimenter, die mit schlechten Konditionen (Vermittlungsprovisionen) bei E-Books abgespeist werden, E-Book-Reader ohne Rabatt erwerben sollen etc.

Es scheint mir, als stehen Sie immer auf der Seite derjenigen, die schlechter wegkommen?

Das ist in der Tat so. Glimmer, Glanz und Gloria, Selbstbeweihräucherungskampagnen, Claqueure und eine nivellierende PR-wie-haben-wir das-doch-alles-wunderbar-erreicht-Sprache gehörten noch nie zu meiner Welt. Ich habe meine Wurzeln eher woanders – dort, wo man Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten benennen darf, wenn man sie diagnostiziert.

Und Sie scheinen ein atypischer Berater zu sein …

Ja, ich denke, das bin ich auch. Zum einen unterscheidet mich ein fehlendes BWL-Studium von den meisten anderen Beratern. Zum anderen besitzt Empathie für mich den größten Stellenwert. Mir geht es nie darum, irgendwelche „Sollbruchstellen“ zu implementieren, die dann zwangsläufig weitere Beratungen erforderlich machen. Die von mir betreuten Firmen sind genauso Einzelkämpfer wie ich – und sie kämpfen um genauso viel Gewinn vor Steuern wie ich. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache. Das verbindet. Auch emotional. Ich verstehe mich als ein Independent für Independents.

Sie sprechen Ihre Beratungstätigkeit an, aber Sie leiten keine ERFA-Gruppe?

Für mich ist dies aktuell nicht das geeignete „Format“, um einmal modernes Vokabular zu verwenden. Einige „meiner“ Firmen sagen mir, »Lieber zweimal im Jahr ein Besuch von Ihnen zur Besprechung unserer konkreten Probleme als ERFA-Tagungen, die auch Geld kosten.« Aber ich kann mir durchaus in nächster Zeit eine ERFA-Gruppe vorstellen, die Buchhandlungen im Jahr 1 oder Jahr 2 nach ihrer Gründung zusammenführt.
Ansonsten schätze ich fall- oder projektbezogene Zweier-Gespräche und praktiziere lieber von mir so genannte „Impulsberatungen“. Ich schätze die „kleinen Einheiten“. Vor großem Publikum, auch wenn es „nur“ Schulklassen waren, habe ich lange genug gewirkt.

Beratungstätigkeit, Verlag – wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Ein streng abgrenzbares Arbeitsgebiet hatte ich vielleicht früher einmal. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt war ich Berufsschullehrer und Seminarleiter, Dozent und Autor. Warum also nicht auch Dozent und Verleger, Lektor und Marketingexperte, Berater für Buchhandlungen und Verlage?
Bereits als ich mich 1999 selbstständig gemacht habe, stellte ich nicht nur ein „abenteuerliches“ Unternehmensziel auf – ich wollte Marktführer in einem schrumpfenden Marktsegment werden –, sondern hatte auch meinen Ertrag nur recht vage von Augen: der Verlag sollte zu 70 Prozent meine Existenz sichern, die restlichen 50 Prozent (das pflege ich immer noch scherzhaft zu sagen) müsse ich mir schon woanders verdienen. Mischkalkulation oder ein breit aufgestelltes Portfolio ist mir also nicht fremd. Dies gelingt mittels eines guten Terminkalenders. Hauptsache: das, was ich mache, mache ich gern.

Gibt es Projekte für die Zukunft?

Neue Reihe: CAMPUSBasics

Gut, dass Sie danach fragen. Denn die sind mir wichtiger als alle Rückblicke. Als Verleger möchte ich in den nächsten Jahren eine neue Buchreihe am Markt etablieren. Sie heißt CAMPUSBasics und ist für die modularisierten Studiengänge rund um Bücher und Medien konzipiert. Ferner möchte ich weiterhin schöne Einzeltitel mache, so wie Warum Bücher? von Michael Schikowski. In fünf Jahren werden Peter Cremer und ich dann gemeinsam in den Ring steigen und »eckige Runden drehen«, um es mit den Worten Wolf Biemanns zu sagen; wir wollen für sinnvolle und aufklärerische Bücher „rocken“. Die auf meiner Homepage stehende Trias „Writing – Publishing – Selling“ wird mich also hoffentlich noch einige Jahre begleiten.
Als Berater wünsche ich mir weiterhin viele spannende Beratungen, die mich und die Inhaber fordern. Denn ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, die ihre individuelle Kreativität einbringen und mit mir an die Grenzen des jeweils Machbaren gehen.

Eine letzte Frage: 60. Geburtstag, 30 Jahre Dozent an den Schulen des Deutschen Buchhandels, 15 Jahre Edition Buchhandel … In diesem Jahr gibt es ja gleich mehrere Jubiläen zu feiern.

Ja. Und sie sollen auch alle unterschiedlich gefeiert werden. Der 60. Geburtstag im Kreis der Familie, für die Mitarbeiter des mediacampus werde ich ein Kuchenbüffet spendieren und die Edition Buchhandel ist für mich weiterhin ständige Arbeit. Gleich vier Neuauflagen für größere Werke stehen an. Da sind konzentriertes Arbeiten und gutes Textlektorat angesagt. Das war die Basis meines bescheidenen Erfolgs. Und es wäre fahrlässig, wenn ich dies vergessen würde. Tradition, sofern man bei einer Zeitspanne von 15 Jahren überhaupt von einer solchen sprechen mag, ist eben nicht, um Gustav Mahler zu zitieren, »die Anbetung der Asche«, sondern »die Weitergabe des Feuers«.

Ach, und das noch:

Damit sich alle Branchenteilnehmer einen Eindruck von der Qualität der Edition Buchhandel machen können, erhält jeder, der sich im Februar 2014 bei mir per Mail info@bramann.de auf dieses ›Sonntagsgespräch‹ hin meldet, von mir einen Heinold-Titel geschenkt. Die Buchhändler erhalten Bücher und Büchermacher, und die Mitarbeiter in Verlagen Bücher und Buchhändler. Schließlich sitzen wir ja alle in einem Boot.

Dr. Klaus-W. Bramann ist ausgebildeter Buchhändler, promovierte in Germanistik und ist Verleger mit Schwerpunkt auf Fachliteratur für Buchhandel und Verlag. Außerdem arbeitet er als „Independent für Independents“ in der Firmenberatung.

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