Jan Weitendorf sendet eine Botschaft an alle Buchhändler: „Lasst Geld nicht die Bestsellerlisten regieren!“

Sein Flaggschiff Atrium noch deutlicher ins Bewusstsein des Handels bringen. Das ist ein Ziel von W1-Verleger Jan Weitendorf von Hacht. Aber ihn ärgert die „Wettbewerbsverzerrung durch die Großen“. Wir sprachen im aktuellen Oktober-BuchMarkt mit dem Geschäftsführer über sein ungutes Gefühl dahingehend, er findet: „Der Handel erkennt in bestimmten Bereichen nicht die Wünsche der Leser… und wir befinden uns im Verdrängungswettbewerb“.

Jan Weitendorf: „Liebe Buchhändler, seid offen für neue Programme und verschließt euch nicht vor neuen Bestsellern, indem ihr immer nur den altbekannten Platz erinräumt. Auch die Kunden haben Lust auf Neues!“

 

BuchMarkt: Herr Weitendorf, Sie machen in den letzten Wochen deutlich: Atrium, das Flaggschiff Ihrer neu formierten W 1-Gruppe, soll stärker ins Bewusstsein des Handels rücken.

Jan Weitendorf von Hacht: Ja, Atrium soll nicht nur Bestseller-Einkäufer. Sondern auch Bestseller-Verkäufer werden!

Das hört sich verhalten an…

 … weil es uns zwar sehr erfolgreich gelingt,internationale Bestsellerautoren für Atrium zu gewinnen. Aber jetzt muss auch der Handel die damit verbundenen Chancen erkennen und das ganze Verkaufspotenzial unserer Autoren voll ausschöpfen.

Was meinen Sie damit?

 Nehmen wir Atrium-Autoren wie Mark Billingham, Federico Axat oder Donato Carrisi, die sich in ihren Heimatländern im sechsstelligen Bereich verkaufen – ich glaube, da bin ich mir mit vielen Kollegen einig: Nicht nur wir spüren, dass viele potentielle Bestseller vom Handel nicht ausreichend wahrgenommen werden.

Ist das ein Wunder im einem überbesetzten Markt?

 Das Problem sehe ich woanders: Ohne teure WKZ-Maßnahmen ist es kaum noch zu schaffen, vom Handel wahrgenommen zu werden. Der Buchhändler vertraut den großen Anbietern. Die Budgets werden nach „Erfahrung“ verteilt, was die Vielfalt einschränkt.Die Fülle der Neuerscheinungen verstopft den Weg für qualitativ anspruchsvolle Bestseller. Der Kunde verliert die Orientierung – verheißungsvolle Titel entpuppen sich als inhaltslose Massenware.

Und worauf führen Sie das zurück?

 Ich glaube, die Wahrnehmung selbst der unabhängigen Buchhändler beschränkt sich immer häufiger auf die von den großen Verlagen mit sechsstelligen Summen gepushten Titel.

Geld regiert also die Bestsellerlisten?

 Ja, das sehe ich so. Zumindest beeinflusst der immer mehr von den Ketten geforderte WKZ die Bestsellerlisten bei den Filialisten (z.B. „Buch des Monats“). Nur hohe WKZ-Aufwände garantieren eine Präsentation in Größenordnungen, die einen Titel in der Masse des Angebotes abheben. Der Buchhändler vertraut den großen Anbietern – Budgets werden nach „Erfahrung“ verteilt – was die Vielfalt einschränkt.

 Meinen Sie mit „Buchhandel“ die Ketten oder die unabhängigen Läden?

 Ja, da gibt es natürlich erhebliche Unterschiede. Während bei den Ketten die Endkunden durch Stapel-Präsentationen verführt werden und die Buchhändler der Filialisten immer weniger zu aktiven Informationsgesprächen kommen, wird der Buchhändler dort immer mehr zum Handlanger der Zentralläger, die über WKZ-Angebote von den finanziell starken Verlagen gefüttert werden.

Und ohne WKZ …

… können wir konzernunabhängigen Verlage eher im unabhängigen Buchhandel reüssieren. Dennoch hat auch der unabhängige Buchhandel insofern das gleiche Problem, als sich dessen „Agieren“ häufig auf die Empfehlung des bereits „zuvor erfolgreichen“ und „bekannten“ Titel beschränkt oder aber auch an Bestsellerlisten orientiert, die auch durch die gesteuerten Verkäufe der Filialisten erheblich beeinflusst werden. Unsere Bestseller werden vom Handel zwar wahrgenommen – wir bekommen begeisterte Zuschriften von Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die belegen, dass Titel ohne große WKZ-Aufwände ihren Weg in den Handel finden können – aber diese Wahrnehmung reicht noch nicht aus.

Meine These wäre, dass die Verlage verlernt haben, die VerkäuferInnen zu begeistern. Die wissen oft weniger als die Kunden, weil die „klassische“ Handelswerbung via Börsenblatt heute nicht mehr nötig erscheint.

Wir schaffen es durchaus, die Verkäuferinnen zu begeistern, aber stärkere Gewichtung des Endkundenmarketings hat tatsächlich dazu geführt, dass die Kunden häufig besser informiert sind als die Buchhändler selbst. Das führt zu Frust auf der Buchhändlerseite und führt zu weniger Beratung im „guten Sinne“. Wir bieten z.B.verschiedene Titel bei den Leserunden von LovelyBooks an.

Viele Testleser bewerben sich dort für unsere Bücher – teilweise in enormen Mengen, wie z.B. bei den Titeln Die Stadt der verbotenen Träume oder Die Banner von Haven, die im Atrium-Imprint Arctis erscheinen – interessant dabei ist, dass der Hype, der von den Lesern entfacht wird, sich überhaupt nicht mit den Bestellzahlen des Handels deckt.

Was heißt?

 … dass der Handel in bestimmten Bereichen die Leserwünsche nicht zu erkennen scheint. Werbekampagnen und die gekauften Flächen der großen Verlagsgruppen werden viel stärker gewichtet als die Praxiserfahrungender kleinen Verlage. Bestimmte Titel wie z.B. Die Banner von Haven haben wir verschoben, um diesem Titel weitere Aufmerksamkeit zu verschaffen, die ihm aus unserer Sicht und aus Sicht der Teilnehmer an den Leserunden von LovelyBooks gebührt.

 Aber kann diese Art des Darwinismus die Lösung sein?

 Wir befinden uns im Verdrängungswettbewerb. So, wie es zurzeit aussieht, wird es wohl um „Survival of the Richest“ gehen.

Was also tun?

Atrium hält mit guten Inhalten dagegen,und wir hoffen, dass wir so die Vielfalt im Angebot aufrecht halten können. Im nächsten Frühjahr wird bei Atrium mit 64 der nächste Bestseller kommen, der in Japan in sechs Tagen 900.000mal über die Ladentheke ging. Ein Krimi der Extraklasse, an dem der Autor zehn Jahre geschrieben hat und der zugleich die Geschichte des modernen Japan erzählt.

 Ihre Botschaft also hier und jetzt?

 Liebe Buchhändler, seid offen für neue Programme und verschließt euch nicht vor neuen Bestsellern, indem ihr immer nur den altbekannten Platz einräumt. Auch die Kunden haben Lust auf Neues!

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz (ab Seite 46)

In der vergangenen Woche sprachen wir mit Julia Eisele über ihr erstes halbe Jahr als Geschäftsführerin des neu gegründeten Eisele Verlags

 

 

Kommentare (3)
  1. Lieber Herr Weitendorf, die Rechnung „Das Buch verkauft sich nicht, also ist der Buchhändler schuld“ stimmt so einfach nicht. Es ist weder den Verlagen noch dem Handel (und auch nicht den Autoren) damit gedient, sich gegenseitig die „Schuld“ an mangelnden Verkäufen zuzuschieben, anstatt gemeinsam Lösungen und Wege zu suchen … Überdies bin ich bei der Lektüre des Interviews über Ihre eigenwillige Benutzung des Wortes „Bestseller“ gestolpert. Der Duden definiert das Wort Bestseller als „Ware (vor allem Buch), die überdurchschnittlich gut verkauft wird“ – dabei bemängeln Sie ja gerade die mangelnden Bestellzahlen Ihrer Bücher … Mit freundlichem Gruß!

  2. „Ich glaube, die Wahrnehmung selbst der unabhängigen Buchhändler beschränkt sich immer häufiger auf die von den großen Verlagen mit sechsstelligen Summen gepushten Titel.“ Darüber ärgere ich mich auch sehr. Meine Auswanderer-Krimis hatten und haben im traditionellen Buchhandel keine Chance, d.h. die Buchhändler haben kein Interesse, weil die Bücher nicht in einem namhaften Verlag erschienen sind. In Bibliotheken sind sie allerdings ständig ausgeliehen, also bilde ich mir ein, dass sie auch im Buchladen auf Interesse stoßen würden.

  3. Die Analyse von Hrn. Weitendorf ist leider sehr zutreffend. Ein Einzelschicksal beschreibt er hier allerdings nicht. Unser Verlag, der Belle Époque Verlag, bringt Werke von Selfpublishern heraus, die als eBook in Deutschland in fünf- bis sechsstelligen Stückzahlen verkauft wurden. Also auch hier ein klarer Beweis, dass der Buchhandlungs-Kunde diese Titel kaufen würde, wenn man sie auslegen würde. Aber auch nach unserer Beobachtung klammert sich der Handel an die großen Verlagsnamen und erhofft sich davon die Rettung vor Big A.

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