Das Sonntagsgespräch Ludwig Könemann schlägt Thalia vor, sämtliche Läden zu verschenken

„Mehr Plüsch, 
mehr Kompetenz?“ So heißt das Interview im aktuellen BuchMarkt Juli-Heft, in dem Ludwig Könemann Thalia vorschlägt, sämtliche Läden zu verschenken. Bis es soweit ist, möchte 
er selbst lieber nicht mehr liefern.

Dieses Gespräch mit BuchMarkt-Herausgeber Christian von Zittwitz wiederholen wir heute aus aktuellem Anlass (Thalia in Dortmund wird nach wenig mehr als zwei Jahren wieder geschlossen) noch einmal als Sonntagsgespräch – aber auch, damit auch buchmarkt.de-User mit über seine Thesen diskutieren können, die das Heft nicht beziehen.

Ludwig, Du kündigst so einfach einem Deiner größten Abnehmer?

Ludwig Könemann:
Das Management von
Thalia agiert buchfremd

Ludwig Könemann:: Erstens, wir kündigen nicht die Belieferung, das dürften wir gar nicht. Wir haben Thalia aber mitgeteilt, dass wir Thalia einfach nichts mehr anbieten.

Thalia ist einer Deiner größten Abnehmer …

Das ist verschmerzbar. Thalia macht seit geraumer Zeit durch sein buchfremdes Management negativste Werbung für das Buch, für die Verlage, für andere Buchhandlungen. Thalia und insbesondere das Thalia Management schadet der gesamten Buchbranche. Wenn meine Reaktion uns und/oder unserem Markt nutzen würde, dann fände ich das natürlich prima.

Also ist das nur ein PR-Gag von Dir?

Thalia entwickelt sich schon seit geraumer Zeit zu einem Ärgernis. Man hat mit finanziellem Polster, aber sonst eher ahnungslos, die buchhändlerischen Innenstadtflächen übernommen, entweder durch Kauf oder durch Eröffnung von neuen Flächen die wahrscheinlich niemand brauchte. Dann hat man diesen Flächen das Buch entzogen, per Dekret aus der Geschäftsleitung. Kein Sortiment, kein Bestand, besser Stofftiere.

Ketten haben weltweit ihre Probleme.

Ja,Thalia ist kein Einzelfall, Borders, Waterstones, Akademien Bokhandel – der Schwachsinn ist immer gleich. Immer mehr Flächen, immer weniger Bücher. Der Kunde begreift und kauft im Internet, weil man hier kaufen kann, was man will. Nur er kauft eben nicht bei Borders online oder Thalia online. Warum wohl?

Thalia sieht das Problem selbst sehr deutlich …

… aber reagiert falsch. Diesen Missstand habe ich der Thalia-Geschäftsführung deutlich mitgeteilt. Darauf habe ich die Antwort eines „Direktor commercial“ erhalten, dass man mit Reduktion im Buchangebot auf etwa 60-70 Prozent Buchanteil mehr Kompetenz gewinnen will. Also: Mehr Plüsch = Mehr Kompetenz im Buch. Und da habe ich mir gesagt, den Blödsinn machst Du besser nicht mehr mit, zumindest nicht aktiv.

Was soll er Dir denn anderes schreiben? Das sind wirtschaftliche Überlegungen.

Meinst Du Überlegungen oder Unterlegungen? Überlegung hat etwas mit überlegen sein zu tun. Früher war unsere Buchhandelslandschaft geprägt durch Unternehmertum, kantige Platzhirsche mit Visionen. Mit der Verkettung oder Konzentration im Markt haben die Manager übernommen, die Bachelor und die Master (in den USA nennt man sie auch „the Suits – die Anzüge“). Und je mehr die Buchbranche schwächelt, sich unterlegen gibt, unterlegen diese Managements die Unterlegenheit des Buches. Am Ende siegt die „self-fulfilling Prophecy“. Schließlich wurde die Unterlegenheit des Buches ja schon im Vorfeld sauber unterlegt, der stationäre Innenstadtbuchhandel ist bald ganz tot.

Geht das etwas genauer mit der Diagnose?

Die Seuche kommt aus den Hochschulen. Ein Virus verbreitet sich aus theoretischem Halbwissen und „Economical Correctness“ bei gleichzeitiger vollständiger Ignoranz der Praxis und des Kunden. Erste Symptome dieser gefährlichen Krankheit wirken harmlos. Schlagworte wie eben Kompetenz etc. treten vermehrt auf. Es folgen Strategie-Meetings mit Power Point-Expertisen, der Patient kann sich auf einmal nur noch im Querformat äußern. Umsatz und Ergebnis weichen marktopportunen Benchmarks. In der Medizin spricht man von Tumor Markern. Buchbestand wird zum obszönen Wort. Der Patient verweigert sich der Tatsache, dass Bücher letztendlich der Treibstoff für den Umsatz sind. In seinem Wahn kostet Lager Geld. Man stelle sich vor, eine Buchhandlung mit 50 Titeln pro m² würde eine höhere Miete zahlen als eine Buchhandlung mit fünf Titeln pro m²! Irgendwann beginnt der Hungerstreik. Der Patient verweigert die Aufnahme von Nahrung, von Büchern. In der Spätphase übernimmt eine Armada von körperschaftseigenen Abwehrkräften (ich meine die Buying Committees, Space Manager oder eben Commercial Direktoren) die systematisierte Ablehnung von Buchbestand. Am Ende werden dann kalorienreiche Bücher durch kalorienarme Nonbooks ersetzt. Man könnte von einer Buchlemie sprechen.

Das heißt dann …

… die Buchkäufer wenden sich von den geschundenen, abgemagerten Körpern ab und erfreuen sich den üppigen Vollsortimentsformen z.B. bei Amazon. Dort gibt es viel Auswahl und deshalb viele Kunden. Der Patient deliriert nun völlig. Nicht das fehlende Buch, also das ausgehungerte Sortiment ist schuld, sondern das Buch an sich.

Die Folge?

Die Letalität, wie wir international gesehen haben, ist hoch. Der Leichnam wird beerdigt. Die Buchfläche ist für immer verloren. Eine Schocktherapie ist der vollkommende Entzug der Nahrung durch den behandelnden Verlag. Meine Botschaft ist deshalb: Wenn Ihr keine Bücher braucht, orientieren wir uns als Verlag anders, und das kommunizieren wir auch.

Was Du jetzt getan hast. Meinst Du, die Botschaft kommt an?

Vielleicht hat es ja eine heilsame Wirkung. Und es soll auch ganz eigennützig uns helfen. In der Medizin kann der Körper schadende Organe durchaus transplantieren oder einfach darauf verzichten.

Du suchst also bewusst die Öffentlichkeit?

Ich mache einen Punkt, der besagt: Du weißt heute, dass Ketten vom Markt verschwinden, die ihr Unternehmertum und buchhändlerisches Know-how durch blinden universitären Managementfirlefanz ersetzen. Uns Verlagen fehlen deshalb die Flächen, dazu leiden auch wir an der Wirkung der negativen Schlagzeilen über den Buchhandel, die aber nur die Großen meinen.

Gilt das auch für Deutschland? Du hast den weltweiten Überblick.

Das weiß ich noch nicht. Thalia hat seine großen Läden meist in den Innenstädten. Die Ketten in Amerika und anderswo haben (hatten) ihre Läden meist in den Malls. Es interessiert keinen, wenn in Malls Läden verschwinden.

Der deutsche Markt ist Innenstadt-geprägt.

Und Thalia ist heute größter Dominator der Innenstadt. Thalia hat auf zentrales Management dieser Innenstadtfilialen gesetzt, bei gleichzeitiger Ausdünnung der buchhändlerischen Beratung in den Filialen.

Der Artikel „Haus der traurigen Bücher“ auf Spiegel Online ging auch in diese Richtung.

Dieser Artikel erschien ein paar Tage nach meiner, sagen wir mal, Absage an Thalia. Dieser Artikel war gut gemeint, ebenso wie meine Reaktion. Im Prinzip sagte er nur: Ihr habt die Flächen, jetzt macht doch etwas daraus.

Du machst aber auch Nonbooks …

Dann spreche ich jetzt als Saulus: Ja, auch wir reagieren auf den Handel.Wenn wir heute ein DIN-A4-Notizbuch mit Linien mit 192 Seiten produzieren für einen LVK von 12,95 Euro, sagt das Management der Zentralen: Das ist günstig. Hat das Buch aber Inhalt und kostet 7,95 Euro ist es zu teuer. Sorry, aber das ist idiotisch. Genau das sagt der Artikel, der (Ketten-) Buchhandel verramscht die Ware Buch.

An dieser Entwicklung bist Du doch mit schuld – es gibt doch kaum noch eine Buchhandlung, die eine ernstzunehmende Kunstbuchabteilung hat.

Bitte? Wir haben das Kunstbuch und den hochwertigen Bildband populär gemacht, sowohl bei Taschen und bei Könemann.Wir haben höchst seriöse Longseller produziert, Kunstmonographien, Epochenbände, aber auch Culinaria. Diese Bände haben im deutschen Buchhandel teilweise einige Hunderttausend, teilweise über eine Million Exemplare verkauft. Und sie verkaufen sich noch heute, 15, 20 oder 25 Jahre später. Das waren verlegerische Großprojekte die funktionierten, weil sie ihren Platz im Handel fanden. Nur: Heute scheitern sie an den Zentralkomitees mit der banalen Ablehnung „No Art please“.

Bei all Deiner Schelte klingt hier auch Deine eigene Geschichte durch?

Der Könemann Verlag hat 2001 eine der größten Insolvenzen der Verlagsgeschichte hingelegt, mit dem bis heute erfolgreichsten internationalen Modernen Antiquariat der Welt. Mein Fehler war es, die „Suits“ in das Unternehmen zu lassen, in Form von Geld, in Form von Banken. Die haben dann ihre Kumpels ins Boot geholt, die Unternehmensberater. Und dann hatte eine Bank, die IKB in Düsseldorf – alle wissen heute, was wir von ihr zu halten haben – ein notleidendes Lager in Holland, dessen Logistik kurz nach unserem Einzug zusammengebrochen ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten mich die Bankmanager (heute arbeiten die alle irgendwo anders, gerne in der Unternehmensberatung) schon völlig entmachtet.

Du hast daraus gelernt?

Kurz gesagt: Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, der größte Feind des Managers ist der unternehmerische Geist, und umgekehrt. Und der größte Feind des Buches ist das Management. Fremdgeld zu bekommen, ohne den Management-Irrsinn hereinzulassen, scheint derzeit unrealistisch. Also müssen Verlage und Buchhändler nach Alternativen suchen, wie sie ohne die „Suits“ auskommen.

Wie sollte es Deiner Meinung nach funktionieren? Und wie funktioniert es nicht?

17 verschiedene Bauernhof-Editionen für 4,95 Euro neben 17 Stofftieren für 6,95 Euro oder Banalisierung des Buchhandels funktionieren nicht. Die Douglas-Inhaber sind doch eigentlich Profis des Einzelhandels. Schokolade geht mit 1.000 Produkten, Parfum geht mit vielleicht 2.000 Produkten. Bücher brauchen mindestens 200.000 Produkte. Allein bei Amazon bewegen sich etwa 200.000 Produkte mindestens einmal am Tag.
Thalia könnte Markt zurückgewinnen bei Vervierfachung des Artikelangebots, Verdreifachung des buchhändlerischen Know-hows in den Filialen, Verdoppelung des Bestandes und Halbierung des Zentralmanagements.

Und Deinen Rat wird Thalia befolgen?

Wahrscheinlich nicht. Das Problem für Thalia könnte aber teuer werden: Borders oder Angus & Robertson wickeln über Insolvenz ab. Das hat zu mindestens keine Folgekosten. Das regelt der Verwalter. Bei aufzulösenden Buchhandlungen kann es aber richtig teuer werden.Vielleicht ist es am besten, wenn Thalia die Filialen verschenkt, vielleicht mit etwas Bestand und einer gewissen Mietfrei-Zusage der Vermieter. Hoffentlich gibt es die unternehmerischen Buchhändler dann noch, die das Präsent annehmen. Dem Buchhandel und der Innenstadt könnte es guttun … und der Mutter Douglas auch.

Ludwig Könemann ist nach seiner spektakulären Insolvenz mit neuem Verlagskonzept auf Provisionsbasis wieder da: Mit seiner Firma Frechmann KolónGmbH bringt er es von Köln aus jährlich auf etwa 100 Novitäten (von denen es allerdings nur zehn Prozent ins Zentrallager von Thalia schaffen) und einen Provisionsumsatz von rund 25 Mio. Euro.

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