Das Sonntagsgespräch René Wagner über mögliche Folgen des unterschiedlichen Mehrwertsteuer-Satzes bei Hörbüchern

René Wagner

Ab dem 1. Januar 2015 gilt für Hörbücher der ermäßigte Mehrwertsteuersatz – eine Entscheidung des Bundestages, die in der Branche einerseits für Erleichterung, andererseits für Kopfschütteln gesorgt hat. Während man sich über die lange überfällige Anerkennung des Mediums als Kulturgut und nebenbei auch über „mehr Luft zum Kalkulieren“ freut, so sehr ärgert man sich über die Trennung zwischen Lesungen, die dann mit 7 % besteuert werden, sowie inszenierten Lesungen, Features und Hörspielen, die von der Ermäßigung ausgenommen sind. Darüber hinaus werden auch die als Dienstleistung geltenden Hörbuch-Downloads weiterhin mit 19 % besteuert.

René Wagner ist 1. Vorsitzender des gemeinnützigen Netzwerks Hörspiel-Gemeinschaft e.V., in dem gut 100 Mitglieder organisiert sind, darunter auch mehrere Händler und etwa 50 kleine bis große Verlage (http://www.hoerspiel-gemeinschaft.de). Wir sprachen mit ihm über mögliche Folgen der Mehrwertsteuer-Änderung.

BuchMarkt: Indirekt zementiert die Mehrwertsteuer-Änderung, dass Hörspiele nicht zu den schützenswerten Kulturgütern gehören. Was sagen Ihre Mitglieder dazu?

Die Reaktion auf die Nachricht war großes Unverständnis und teilweise schon fast Resignation. Seit Jahren sind es die Hörspielproduzenten gewöhnt, gegen widrige Umstände die Fahne für ihr Medium hochzuhalten, mit ungleich höheren Produktionskosten zu leben und dazu noch gegen Vorurteile kämpfen zu müssen, auch aus dem Handel: Hörspiele sind mitnichten nur etwas für Kinder oder Nerds. Wer sich allein die Vielfalt anschaut und anhört, die innerhalb unseres Netzwerks entsteht – von den klassischen Hörbuchverlagen, die auch Hörspiele veröffentlichen, gar nicht erst zu reden –, für den steht außer Frage, dass es gerade die Königsklasse unter den Hörbüchern ist, die als Kulturgut geschützt werden sollte.

Natürlich ändert sich für Hörspielproduzenten erstmal nichts, weil die Ermäßigung für sie nicht zum Tragen kommt. Doch ab dem 1. Januar wird der Druck weiter zunehmen, weil der ohnehin viel größere Anteil der Lesungen es nun auf dem Markt noch einfacher haben wird.

Die Entscheidung, Hörspiele von der Änderung auszunehmen, liegt vielleicht auch daran, dass bisher immer noch keine allgemeingültige Definition des Gattungsbegriffs vorliegt. Viele unterscheiden zwischen „Hörbüchern“ und „Hörspielen“.

Das ist die Krux an der Sache! Das Finanzministerium orientiert sich an einem Nebensatz der „Empfehlung“ von EuGH-Generalanwalt Paolo Mengozzi vom 14. Mai, wonach nur reine Lesungen von Büchern ermäßigt werden sollten. Aber nicht nur Hörspiele, wo die Abgrenzung klar ist, sondern vor allem inszenierte Lesungen, Features, Biografien mit Musik, inszenierte Lyrik und viele Produktionen mehr haben dann ein Problem. Nach welcher Logik soll das alles außen vor bleiben? Denken Sie auch an die vielen, vielen Kinderhörbücher, die als Lesung ausgewiesen sind und trotzdem häufig Geräusche und Musik enthalten.

Diese unglaubliche Vielfalt der Umsetzungsformen von Literatur macht „das Hörbuch“ ganz allgemein aus. Eine Händlerin, die bei uns Mitglied ist, meinte spontan zum Beschluss des Bundestages: „Ich mag mir einfach nicht vorstellen, dass die so bescheuert sind und wir innerhalb einer klar umgrenzten Warengruppe bald mit zwei verschiedenen Mehrwertsteuersätzen arbeiten sollen.“

Man könnte fast meinen, dass Kreativität im Umgang mit dem gesprochenen Wort demnächst steuerlich bestraft wird. Und nachdem aus Kostengründen sowieso schon immer weniger Hörspiele produziert werden, könnte nun also auch die eine oder andere inszenierte Lesung gestrichen werden. Das aber würde die Gleichstellung von Hörbüchern als Kulturgut ad absurdum führen.

Speziell auf den Handel bezogen: Wird die Mehrwertsteuer-Änderung das Verhältnis der beiden Fassungen „Lesung“ und „Hörspiel“ bei den Sortimentern verändern?

Der Handel führt die im Preis enthaltene Mehrwertsteuer ans Finanzamt ab, weshalb sich keine monetären Vorteile durch die Änderung ergeben, außer wenn die Reduktion in attraktiveren Endkundenpreisen bei reinen Lesungen resultiert, was den Umsatz ankurbeln könnte. Andererseits kommt viel Arbeit auf die Händler zu, da tausende Produkte umgestellt werden müssen, neu ausgepreist, Lagerwerte korrigiert werden müssen. Und diese Umstellung soll mitten im Weihnachtsgeschäft realisiert werden, in einer Zeit, die für den Handel überlebenswichtig ist. Fatal wäre es, wenn manche Händler den Hörbuchanteil insgesamt reduzieren würden, um sich die Umstellungsarbeit zu ersparen.

Da ergeben sich also viele Fragen für Händler, die Hörbücher im Sortiment führen – weshalb ich es sehr begrüße, dass der Börsenverein die Problematik erkannt hat und bereits an einem Papier mit konkreten Handlungsempfehlungen arbeitet. Beim Justiziariat hieß es, man habe die Frankfurter Buchmesse als geplanten Veröffentlichungszeitpunkt im Auge.

Werden Hörspiele durch die Mehrwertsteuer-Änderung im Verhältnis zu Lesungen teurer?

Das nicht, weil die Steuer auf Hörspiele ja gleich bleibt. Aber der Preisdruck auf die Produzenten wird stärker werden, weil sich im Regal das ohnehin aufwendigere und damit teurere Hörspiel gegen die günstigere und nun auch noch steuerlich begünstigte Lesung beweisen muss.

Die Gattung der Hörspiele hat Liebhaber, die nicht wegen des Preises zu einer anderen Fassung greifen würden, ähnlich wie ein Theaterliebhaber nicht wegen des Preises zum TV-Junkie wird. Aber als Geschenk im Weihnachtsgeschäft – und das ist beim Hörbuch im Handel noch immer ein großer Umsatzanteil – könnte der Preis schon entscheidend sein.

Wird das steuerlich nicht begünstigte Hörspiel für den Handel nicht trotzdem unattraktiver?

Die steuerrelevante Definition von Hörspiel enthält wie gesagt vieles, was eigentlich eine Lesung ist und z.B. Musik nur zur Trennung von Kapiteln oder als Klangbeispiele nutzt. Das ist ja für den Buchhändler bei der Umstellung zum 1. Januar das Problem, dass nicht alle Lesungen die Voraussetzungen für die Steuerreduktion erfüllen und man seine Produkte schon sehr gut kennen muss, um alles richtig zu machen.

Hörspiele sitzen also steuerlich im gleichen Boot wie viele Lesungen. Wir erwarten aber, dass in Zukunft Verlage sehr genau überlegen werden, ob sie für manche Stilelemente die höhere Steuer in Kauf nehmen. Damit wird auf lange Sicht gesehen der Anteil der 7%-Hörbücher im Handel zunehmen – was aber zu Ungunsten der Hörspiele sehr traurig wäre, weil gerade diese eine einzigartige Kunstform mit 90-jähriger Tradition darstellen. So sehr ich reine Lesungen schätze, so sind es doch die Hörspiele, die es ganz besonders als Kulturgut zu schützen gilt.

Ist die Ausnahme der Hörbuch-Downloads von der Steuerreduktion eine Chance für Lesungen und Hörspielen im stationären Handel?

Der Download ist für akustische Literatur genausowenig aufzuhalten wie seinerzeit der Umstieg von Kassette auf CDs. Außerdem sind die Preise der virtuellen Ware gegenüber der CD durch Abo- und Streaming-Angebote schon so niedrig, dass die zwei Steuersätze eine Differenz im Cent-Bereich ergeben. Das ist kein Vergleich zum Mehraufwand, der sich durch Produktion, Vertrieb, Lagerung und Versand von Hörbüchern und Hörspielen auf CD im Vergleich zum Download ergibt. Da kann auch die Steuerreduktion keinen konkurrenzfähigen Preis machen.

Einige Branchengrößen organisieren ihre Downloads sowieso vom Ausland aus, wo der Steuersatz für das gesamte Hörbuchgenre inklusive Hörspiele noch weit unterhalb der 7 % liegt.

Die Chancen für den stationären Handel werden deshalb wohl auch in Zukunft das Thema Hörbuch als Geschenk und die Bedienung der Sammler unter den Hörspielfreunden sein, die ihre Serie als CD begonnen haben und nun auch weiterhin als CD ins Regal stellen wollen.

Sehen die Vereinsmitglieder aus dem Buchhandel die Steuerreduktion als Chance?

Zunächst kommt auf die Kollegen eine Menge Arbeit zu, und es darf bezweifelt werden, dass dieser Aufwand durch einen eventuellen Umsatzanstieg aufgrund einer ohnehin noch unsicheren Preisreduktion wieder hereinkommt.

Zudem gibt es noch ein anderes Problem: Die Kollegen aus Österreich sehen der Senkung mit gemischten Gefühlen entgegen, weil dort der Steuersatz sogar bei 20 % stehen bleibt und sich die Titel dort gegenüber den Preisen in Deutschland für den Endkunden scheinbar verteuern. Andererseits sprechen wir beim Durchschnittspreis eines Hörbuchs von einer steuerlichen Begünstigung von zirka 1,70 Euro. Nachdem man sich ja Hörbücher nicht täglich kauft, ist die Entlastung des Familienbudgets wahrscheinlich nicht der neue Kaufanreiz. Und genau bei den Taschengeld-finanzierten Kindertiteln und den oft gekauften Hörspielserien zieht der Steuervorteil ja sowieso nicht.

Wie schätzen die Vereinsmitglieder aus dem Buchhandel die Preisentwicklung bei den steuerreduzierten Hörbüchern ein?

Auch wenn der Preisdruck auf die Hörbuchproduzenten groß ist, glaubt zumindest mein Vorstandskollege Günter Rubik vom Hörbuchversender AUDIAMO, dass der Steuervorteil im Preiskampf – beim Hörbuch gibt es ja keine Preisbindung – relativ schnell vom Handel an den Endkunden weitergegeben wird. Und das, obwohl ja viele Verlage angekündigt haben, die Preise nicht senken zu können, und es begrüßen, jetzt mehr Luft zum Kalkulieren zu haben.

Wenn aber die meisten Verlage die Endkundenpreise beibehalten, so wäre das eine Anhebung des Nettopreises und damit des Händler-Einkaufspreises. Und zumindest die „Big Player“ werden das sehr ungern sehen. Es wird also ein spannender Herbst werden.

Die Fragen stellte Cornelia Camen.

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