Sandra Schüssel, Leiterin des Geschäftsbereichs MVB Labs und mitverantwortlich für die Entwicklung von VLB-TIX zur aktuellen Diskussion über die digitale Vorschau Sandra Schüssel: „Nein, es geht nicht um die Abschaffung des gedruckten Buches. Es geht um seine Promotion“

Sandra Schüssel: “Jeder kann die Funktionen von VLB-TIX wählen, die für ihn passend sind“ (c) Petra Gass

Seit Random House kürzlich den Buchhandel darüber informiert hat, dass die Verlagsgruppe ab Herbst 2019 auf die gedruckte Vorschau verzichtet und stattdessen ihre Neuerscheinungen über VLB-TIX, das digitale Vorschausystem der MVB, ankündigen wird, diskutiert die Branche über die Entscheidung. Mit Sandra Schüssel, die als Leiterin des Geschäftsbereichs MVB Labs die Entwicklung von VLB-TIX verantwortet, haben wir über die aktuellen Reaktionen gesprochen:

Der Verzicht auf die gedruckte Vorschau und das klare Bekenntnis von Random House und Hugendubel zu VLB-TIX sorgen für viel Wirbel in der Branche. Wie nehmen Sie die Diskussion wahr?

Sandra Schüssel:  Ich bin in jeder Hinsicht froh über die aktuelle Debatte, an der sich neben Buchhändlern und Verlagsmitarbeitern auch die Vertreter beteiligen. Weiterentwicklung lebt vom Austausch, und diesen haben Random House, Hugendubel und Thalia mit ihren Entscheidungen und Statements definitiv beflügelt. Natürlich verfolgen wir die Äußerungen der Branchenteilnehmer sehr genau, denn so können wir noch mehr über die Anwender lernen.

Die Reaktion ist schon heftig….

Dass ein so großer Veränderungsprozess unterschiedliche Reaktionen auslöst, ist verständlich und wir sind darauf eingestellt. Den Skeptikern empfehlen wir, die Dinge nicht ausschließlich schwarz-weiß zu sehen, sondern das System einfach mal in kleinen Schritten auszuprobieren. Man muss ja nicht gleich seinen Novitäteneinkauf komplett umstellen –  selbst bei Random House findet der Wechsel auf die digitale Vorschau nicht sofort, sondern erst im Herbst 2019 statt.

Der Nutzen scheint immer noch nicht allen klar.

Dabei  kann VLB-TIX schon bei Teilaufgaben die Buchhändler gut unterstützen, zum Beispiel bei der verlagsübergreifenden Suche nach Neuerscheinungen, bei der Vorbereitung  von individuellen Thementischen oder bei der Erstellung von Empfehlungskatalogen für Stammkunden. Es gibt viele Möglichkeiten, die digitale Vorschau in den eigenen Arbeitsalltag einzubinden. Und dabei ist die Nutzung für Buchhändler kostenlos- Insgesamt haben die aktuellen Ankündigungen zu einem ordentlichen Anstieg der Registrierungen geführt, so dass wir uns nun in großen Schritten auf 10.000 angemeldete Nutzer bei VLB-TIX zu bewegen. Von den mehreren hundert Neuregistrierungen stammt der Großteil übrigens aus dem Buchhandel.

Trotz des Zulaufs bemängeln Kritiker fehlende Funktionen. Was ist dran?

Hier gibt es eine ganze Reihe von Rückmeldungen. Vieles, was nachgefragt wird, ist bereits im System vorhanden. Dennoch sind die Meldungen hilfreich, da sie zu Optimierungen beitragen können. Aktuelles Beispiel: Eine Buchhändlerin hat eine verlagsübergreifende thematische Suchfunktion vermisst. Diese ist von Anfang an in sehr detaillierter Form im System vorhanden, allerdings vielleicht noch nicht gut genug auffindbar.

Grundsätzlich prüfen wir jede Anfrage und jeden Einzelfall. Viele Dinge, die derzeit gefordert werden, haben wir dabei schon in der Entwicklungs-Pipeline. Etwa die Darstellung von Aktionen und Themen-Specials, die weitere Detaillierung der Bestellfunktionalitäten und die weitere Optimierung der Ladezeiten.

Immer wieder hört man den Vorwurf, dass Ihre digitale Vorschau an den Bedürfnissen der Buchhändler vorbei entwickelt wurde und Anforderungen nicht umgesetzt werden. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Von Anfang an haben wir VLB-TIX im engen und intensiven Austausch mit Branchenteilnehmern entwickelt. In der Task Force Metadatenbank, der Geburtszelle von VLB-TIX, waren große und kleine Sortimente, unabhängige Verlage und Konzernverlage sowie die Barsortimente gleichermaßen vertreten. Bei der agilen Produktentwicklung haben wir die Informations- und Austauschformate für neue, bestehende und potentielle Nutzer kontinuierlich ausgebaut: gemeinsame Kommunikationstools, regelmäßige Kundentreffen, Webinare und Schulungen, umfassende Präsenz bei Branchenveranstaltungen sowie Newsletter und zweiwöchentliche Infoseiten (Advertorials) im Börsenblatt – um nur Einiges zu nennen. Man muss bedenken, dass dies auch alles im wirtschaftlich sinnvollen Rahmen organisiert werden muss. Wir sind nicht Google, sondern ein Team von wenigen, sehr engagierten Leuten.

Dieses haben wir übrigens im Frühjahr erweitert. Unsere neue Kollegin Rahel Trotta unterstützt Sortimenter bei der Einführung der digitalen Vorschau. Sie berät interessierte Erstanwender zur technischen Integration von Bestell- und Warenwirtschaftssystemen sowie zur bestmöglichen Gestaltung von effizienten Prozessen für die Sichtung und Bestellung von Neuerscheinungen.

Parallel zu unseren eigenen Bemühungen haben sich inzwischen in Berlin, Frankfurt, München, Hamburg und Stuttgart VLB-TIX-Stammtische gegründet, die von Branchenteilnehmern eigeninitiativ geleitet werden. Das ist bemerkenswert! Oft sind es ein Buchhändler und ein Verlag oder Vertreter, die sich zusammentun. Diese Woche in Stuttgart waren es knapp zwanzig Teilnehmer aus allen Bereichen, die so direkt miteinander ins Gespräch gekommen sind und ihre Erfahrungen mit VLB-TIX ungefiltert austauschen konnten. Von unserem Team ist meistens jemand dabei, so dass wir Anregungen und Wünsche aus erster Hand erhalten und nach Möglichkeit bei der weiteren Systementwicklung berücksichtigen können.

Wie entscheiden Sie, was wichtig ist und wie moderieren Sie die Entscheidungsfindung?

Bei der Umsetzung orientieren wir uns am größtmöglichen Kundennutzen. Betrifft der Wunsch nur einzelne Teilnehmer oder sind viele daran interessiert? Es gibt auch immer wieder Dinge, die von unterschiedlichen Markteilnehmern sehr unterschiedlich bewertet werden. Beispielsweise die Budgetfunktion. Für die einen wichtig, für die anderen ein verzichtbares Feature.

Ist die Lage unklar, besprechen wir solche Dinge immer im monatlichen  Online-Kundentreffen, zu dem jeder Nutzer von VLB-TIX herzlich eingeladen ist. Ebenso sind die Diskussionen bei den VLB-TIX-Stammtischen wichtig, um direkt von Vertretern und den Kollegen aus den Verlagen und Buchhandlungen Rückmeldungen zu Themen und Planungen zu erhalten. Auch die Rückmeldungen aus den Interessensgruppen des Börsenvereins beziehen wir in die Entscheidungsfindung ein. Zudem berät uns ein Lenkungsbeirat aus Vertretern der gesamten Branche zu den strategischen Leitlinien.

Gute Beispiel für die so zustande gekommenen Systemverbesserungen sind die neue Ordnerstruktur, der Offline-Modus, der Arbeiten ohne Internetverbindung ermöglicht, sowie die allgemeine Verbesserung der Ladezeiten. Auch die Möglichkeit eines Vorab-Exports für Vertreter aus den Dispolisten konnten wir auf diesem Weg umsetzen.

Kleine und große Verlage jeglicher Ausrichtung sowie unabhängige Buchhandlungen und Filialisten haben teilweise ganz unterschiedliche Interessen. Kann VLB-TIX diese überhaupt zusammenführen?

Unser System  ist offen genug, um alle diese Nutzergruppen und ihre Bedürfnisse sehr gut zu bedienen. Jeder kann die Funktionen von VLB-TIX wählen, die für ihn passend sind. Für einen kleineren Buchhändler kann es interessant sein, sich Ordner für verschiedene Vorschauen anzulegen und diese mit seinen Kollegen zu teilen. Man kann gemeinsame Dispolisten anlegen oder sich über die Notizfunktion untereinander austauschen. Ein Großbuchhändler wird sich darüber hinaus mit der Filialstruktur beschäftigen, die er in VLB-TIX detailliert anlegen kann.

Manchmal hören wir das Argument, kleine Verlage und ihre Programme wären in VLB-TIX benachteiligt. Das ist nicht der Fall. Jeder Titel eines Premiumverlags, egal ob groß oder klein, hat den gleichen Platz in der Suchergebnisliste und die gleichen Ausstattungsmöglichkeiten auf der Titeldetailseite. Ich denke, das System macht den Zugang zu Novitäten viel egalitärer. Sucht ein Nutzer nach einem Schlagwort oder in einer Warengruppe, ist die Chance sehr groß, dass er Titel eines kleinen Verlags entdeckt, die er bei der alleinigen Nutzung von gedruckten Vorschauen nicht gesehen hätte.

Was ist mit den (freien) Vertretern? Auch aus ihren Reihen kommt laute Kritik. Sind die Sorgen berechtigt?

Ich messe den Einschätzungen der Verlagsvertreter sehr viel Gewicht bei. Wer kennt beide Seiten, den Buchhandel und den Verlag, so gut wie sie? Wir wären schlecht beraten, wenn wir dieses Wissen nicht nutzen würden. Deshalb arbeiten wir mit vielen Verlagsvertretern bereits intensiv zusammen. Zum Beispiel wird der Stuttgarter Stammtisch von einem Verlagsvertreter in Kooperation mit einer Buchhandlung geleitet. Ich würde mir noch sehr viel mehr konstruktiven Austausch dieser Art wünschen und kann nur sagen: Bitte kommen Sie auf uns zu!

Sehr schade finde ich, dass wir immer wieder mit Totschlag-Argumenten konfrontiert werden, mit denen wir nicht konstruktiv vorankommen. Beispielsweise, dass wir als Printbranche mit VLB-TIX nun Print abschaffen wollen. Nein, es geht nicht um die Abschaffung des gedruckten Buches. Es geht um seine Promotion. Genauso wie eine digitale Warenwirtschaft nicht das gedruckte Buch abschafft.

Auch der direkte Vergleich Print vs. Digital ist nicht zielführend. Natürlich ist ein Bildschirm oder Tablet nicht mit einem Printprodukt zu vergleichen, jedes Medium hat Vor- und Nachteile und ganz eigene Kriterien der Aufmerksamkeitssteuerung. Wenn bemängelt wird, dass man bei Surfen Scrollen muss – was kann man darauf sinnvoll antworten? Ich würde mir vielmehr einen Dialog wünschen, wie man im digitalen Raum optimale Produktpräsentationen ermöglicht. Und das sehr gerne mit den Vertretern, die hier genau wissen, was sie beim Kunden brauchen und was nicht.

Dass Prozesse anfangs etwas länger dauern, bis sie dann eingespielt sind, ist auch klar. Wir können das alle gemeinsam beschleunigen, wenn wir sachlich zusammenarbeiten.

Welche Weiterentwicklungen stehen als nächstes auf Ihrer Agenda?

Aktuell arbeiten wir an der Darstellung von Aktionspaketen mit festen Mengen, wie sie auch in den gedruckten Vorschauen zu finden sind. Im zweiten Schritt entwickeln wir auf Wunsch unserer Nutzer Themen-Specials und -tische, die frei bestückbar sind. Das Arbeiten in VLB-TIX bietet viele Möglichkeiten der Novitäten- und Backlist-Auswahl jenseits der starren Grenzen einer gedruckten Vorschau. Sowohl Verlage als auch Buchhändler sollen sich sehr einfach Thementische zusammenstellen können. Mit einer entsprechenden Verschlagwortung und einem Kalender mit Terminen wie Schulanfang oder Weihnachten, könnte man sich so sehr schnell Inspiration für die eigene Buchhandlung holen.

Weiterhin verfeinern wir das Bestellwesen und die Austauschmöglichkeiten zwischen Vertreter und Buchhändler. Es geht hier um kleine, aber feine Justierungen, wie etwa die individuellen Einstellungsmöglichkeiten bei der Filialanzeige oder den Austausch von Dispolisten mit Vertretern schon vor der Bestellung. Außerdem führen wir in den nächsten Wochen neue Features für Marketingverbünde ein. Der Buchhändler kann dann sehen, wenn ein Titel im Katalog seines Marketingverbunds gelistet ist und kann danach filtern. Auch die Performance, also die Ladezeiten, verbessern wir kontinuierlich weiter.

Es gibt also viel zu tun, und wir freuen uns über jeden Querdenker und Weiterdenker, der oder die Lust hat, mitzutun.

Nächste Veranstaltungen:

  • In der Schweiz ist das Team von VLB-TIX beim Partnertreffen des Buchzentrums am 28. und 29.05.2018 mit einer Diskussionsrunde und einer Vertreterschulung vor Ort.
  • In Österreich stellt MVB-Geschäftsführer Ronald Schild im Rahmen der Jahrestagung des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels vom 06. bis 08.06.2018 in Bad Aussee aktuelle Entwicklungen zu VLB-TIX vor.
  • Webinare: vlbtix.de/webinare
  • Stammtische: vlbtix.de/stammtische
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