Sven Clever über herausfordernde Entwicklungen im Umweltrecht, wie der Erich Schmidt Verlag damit umgeht und welche Chancen die digitale Transformation birgt „Wir wollen uns nicht passiv treiben lassen, sondern beständig zu den First Movern gehören – immer klar fokussiert auf die Bedürfnisse des Marktes“

Sven Clever: „Was schließlich bestehen bleibt, ist das grundsätzliche Bedürfnis, Medieninhalte zu konsumieren. Was sich dagegen ändert, ist die Art und Weise, wie diese Inhalte konsumiert werden. Dies gilt erst recht für den Fachmedienmarkt. Hier geht es schließlich nicht um „Luxusinhalte“ im Rahmen der Freizeitgestaltung. Hier geht es um Inhalte, die unverzichtbar sind für Ausbildung und berufliche Praxis“

Die aktuellen Entwicklungen machen das Umweltrecht zu einem der herausforderndsten Rechtsgebiete
unserer Zeit. Sven Clever, der das Lektorat Energie- und Umweltrecht beim Erich Schmidt Verlag verantwortet, erklärt, wie der Fachmedienmarkt sich generell verändert hat, wie der Erich Schmidt Verlag mit den anstehenden Herausforderungen umgeht und welche Chancen die digitale Transformation birgt:

Wie sind Sie in Sachen Umweltrecht als Verlag aufgestellt?

Sven Clever: In der Tat ist das Umweltrecht sehr anspruchsvoll, da es nicht nur sehr komplex und weit verzweigt ist, sondern auch von einer sehr hohen Dynamik geprägt ist. Dabei ist es noch relativ jung. Der Erich Schmidt Verlag war aber bereits sehr früh mit entsprechenden Publikationen vertreten und gehört somit zu den First Movern auf dem deutschen Buchmarkt. So erschien schon 1962 unter der Leitung von Dr. Wolfgang Burhenne, dem Geschäftsführer der u.a. mit Umweltbelangen betrauten „Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft“ (IPA), das Loseblattwerk Umweltrecht – damals noch unter dem Titel Raum und Natur, weil der Umweltbegriff in der heutigen Form schlechterdings noch gar nicht existierte.

Als sich das Umweltrecht immer weiter ausdifferenzierte, erweiterte der Verlag entsprechend sein Angebot: Sukzessive kamen Werke zu den sich neu ausbildenden Untergebieten des Umweltrechts hinzu, so etwa Publikationen zum Natur- und Landschaftsschutzrecht, zum Wasserrecht, zum Immissionsschutzrecht und zum Abfallrecht. Mittlerweile unterhält der Verlag ein umfangreiches Portfolio an Journals, Büchern und Loseblattwerken, das fortlaufend und nah am Puls der Zeit erweitert und verdichtet wird. Unsere renommierte Reihe der Berliner Kommentare behandelt etwa die jeweils führenden Gesetze der umweltrechtlichen Untergebiete, wie beispielsweise das Bundesnaturschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz, das Bundes-Immissionsschutzgesetz oder – im Falle des Abfallrechts – das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Hinzu kommen Grundlagenwerke wie die Grundzüge des Umweltrechts oder jüngst Umweltrecht in der Praxis.

Am Beispiel des Abfallrechts zeigt sich auch besonders gut, wie sich selbst ein Unterrechtsgebiet nochmals in zahlreiche Gesetze, Verordnungen und sonstiges Regelwerk auffächert. So ist unser Loseblattwerk Recht der Abfall- und Kreislaufwirtschaft mittlerweile auf über 10.000 Seiten – verteilt auf sechs Ordner – angewachsen und behandelt alle relevanten Vorschriften; praxisnah kommentiert und regelmäßig aktualisiert.

Am Abfallrecht lässt sich aber auch eine andere Herausforderung sehr gut illustrieren, der wir uns mit unserem Programmangebot widmen.

Was sind die besonderen Herausforderungen des Umweltrechts?

Generell zeichnet sich das Umweltrecht durch eine besondere Interdisziplinarität aus, der sich die Praxis, mithin auch wir uns als Fachverlag stellen müssen. Aufgrund seiner Zielrichtung ist das Umweltrecht insbesondere technisch-naturwissenschaftlich geprägt, aber auch ökonomische Fragestellungen sind sehr relevant. Zudem sind gerade in der unternehmerischen Praxis oftmals Nichtjuristen mit rechtlichen Fragestellungen befasst. Der Erich Schmidt Verlag berücksichtigt diesen Umstand. Dies zeigt sich – um wieder das Abfallrecht zu bemühen – an Klassikern wie unserem Journal Müll und Abfall, das monatlich seit nunmehr über 50 Jahren die gesamte Abfallwirtschaft mit Beiträgen versorgt, die sowohl technische, ökologische, wirtschaftliche als auch rechtliche Aspekte berücksichtigen. Eine ähnlich große Bandbreite an Themen bedient unser Müll-Handbuch, das bereits seit 1963 als Loseblattwerk auf dem Markt ist und mittlerweile über 7000 Seiten umfasst.

Jüngst erschienen sind die Grundzüge des Abfallrechts, die sowohl Juristen als auch Nichtjuristen eine gut verständlich und praxisnahe Einführung in die Materie bieten, sowie Der Abfallbeauftragte, ein Leitfaden für Praktiker in der Abfallwirtschaft. Demnächst wird auch unser interdisziplinäres Handbuch Kreislaufwirtschaft erscheinen, das in mehr als 30 instruktiven Beiträge die Materie aus rechtlicher, wirtschaftlicher und technisch-naturwissenschaftlicher Sicht beleuchtet – praxisnah unterlegt mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Übersichten und Beispielen.

Aktuell beherrschen vor allem die Themen Energieversorgung, Energiewende und Klimaschutz die mediale Berichterstattung. Hat der Erich Schmidt Verlag hierzu auch Werke im Angebot?

Auch hier sind wir stark vertreten. Dabei ist es zum Verständnis wichtig, dass das Energierecht ein Hybrid ist und sich wiederum in die Bereiche Energieumweltrecht und Energiewirtschaftsrecht aufsplittet, wobei die Trennungen mitunter unscharf sind. Wir sind in dieser Hinsicht pragmatisch orientiert, d.h. wir gehen letztendlich vom Informationsbedarf der Praxis aus.

In der Pipeline befinden sich etwa Neuauflagen unserer Berliner Kommentare zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und zum Energiewirtschaftsgesetz. Aber auch mehrere Neuerscheinungen zu Gesetzen, die im Rahmen der aktuellen Gesetzgebungsmaßnahmen beschlossen werden, sind in Vorbereitung. Zudem informiert unser Journal ER EnergieRecht seit nunmehr zehn Jahren nicht nur über aktuelle Entwicklungen, sondern enthält auch Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten und Spezialisten. Dieses Journal befasst sich aber nicht nur mit dem klassischen Energiewirtschafts- und Energieumweltrecht, sondern behandelte von Anfang an ebenso das Klimaschutzrecht, das sich in jüngerer Zeit zu einem eigenständigen Rechtsgebiet mit neuen Gesetzen wie dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) oder dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) weiterentwickelt hat. Dabei kommt – wie generell im Umweltrecht – der Umstand hinzu, dass auch der europäische Gesetzgeber und die einzelnen Bundesländer eigene Vorschriften erlassen haben. In diesem Regelungsdschungel den Überblick zu behalten, fällt natürlich selbst einem Experten schwer. Deshalb erschien Anfang 2021 mit dem „Gesamtkommentar Klimaschutzrecht“ ein Werk, das wichtige Gesetze gebündelt in einem handlichen Band erläutert. In der nun vorliegenden zweiten Auflage von April 2022 sind dies das EU-Klimagesetz, das Bundes-Klimaschutzgesetz, das Klimaschutzgesetz NRW, das BEHG und das einschlägige Steuerrecht. Ungewöhnlich für einen juristischen Kommentar ist, dass das Werk zusätzlich angereichert ist mit eigenständigen Beiträgen zu wichtigen Themen wie etwa der Wasserstoffwirtschaft. Aber auch in dieser Hinsicht sind wir einen pragmatischen Weg eingeschlagen; denn das Klimaschutzrecht beinhaltet  zahlreiche interdisziplinäre Querschnittsthemen, die in der Praxis korrekt eingeordnet werden müssen, und die wir auf diese Weise übersichtlich adressieren.

Flankierend steht auch hier ein instruktives Grundzüge-Buch zu Seite, um dem Anfänger einen gut verständlichen Zugang zu dieser komplexen und sehr dynamischen Materie zu bieten. Speziell zum BEHG ist zudem ein eigenständiger Berliner Kommentar erschienen, der vor allem die juristische Praxis bedient.

Wo Sie von hoher Dynamik sprechen: Auch der Fachmedienmarkt hat sich verändert. Bekommt der Erich Schmidt Verlag dies ebenso zu spüren?

Die Digitalisierung bzw. digitale Transformation ist das beherrschende Thema unserer Zeit. Gerade in der Medienlandschaft wurde dieser Entwicklung lange Jahre mit Argwohn betrachtet und machte viele Marktakteure zu Getriebenen. Bei den Umwälzungen in der Musik- und Filmbranche wurden oft nur die negativen Folgen gesehen; so wurden Raubkopien für das Wegbrechen ganzer Geschäftsfelder verantwortlich gemacht.  Dabei birgt die digitale Transformation doch auch ungeheure Chancen. Das Entstehen etwa von Streaming-Diensten wäre ohne neue digitale Techniken gar nicht möglich gewesen. Was schließlich bestehen bleibt, ist das grundsätzliche Bedürfnis, Medieninhalte zu konsumieren. Was sich dagegen ändert, ist die Art und Weise, wie diese Inhalte konsumiert werden. Dies gilt erst recht für den Fachmedienmarkt. Hier geht es schließlich nicht um „Luxusinhalte“ im Rahmen der Freizeitgestaltung. Hier geht es um Inhalte, die unverzichtbar sind für Ausbildung und berufliche Praxis.

Denn unabhängig von der Branche, der Fachdisziplin und dem eigenen Ausbildungsstand: Wer wichtige berufliche oder persönliche Fragen nicht nach Hörensagen oder kurzen Internetrecherchen entscheiden will, wird gerne auf das verlässliche Wissen versierter Autorinnen und Autoren setzen, die auf die Beantwortung genau dieser Fragen spezialisiert sind. Dies entsprecht letztendlich der Leitlinie unseres Hauses: „Auf Wissen vertrauen“.

Wie geht der Erich Schmidt Verlag hiermit um?

Wie eingangs bereits geschildert, bietet der Erich Schmidt Verlag ein reichhaltiges Angebot an Journals, Fachbüchern und Loseblattwerken an. Letztendlich geht es aber nicht um die Produktgattungen, sondern es sind die Fachinhalte, die die Leserschaft interessieren. Und diese Inhalte wollen wir den jeweils aktuellen Konsumgewohnheiten entsprechend optimal zugänglich machen. Im Zuge dessen bieten wir viele unserer Publikationen auch elektronisch in Form von eJournals bzw. eBooks an. Hinzu kommt ein im konsequenten Aufbau befindliches Angebot an Datenbanken. Doch wir verharren nicht dabei. Wir wollen uns nicht passiv treiben lassen, sondern beständig zu den First Movern gehören – immer klar fokussiert auf die Bedürfnisse des Marktes. Gerade das Umweltrecht fordert innovative Lösungen, Inhalte optimal zu adressieren, geradezu heraus. So sind zuletzt einige Neuerscheinungen als hybride Produkte auf den Markt gekommen.

Was verstehen Sie unter hybriden Produkten?

Das sind in unserem Fall klassisch gedruckte Publikationen, die über einen eigenständigen Add-on-Dienst verfügen, der das Werk optimal – und im Bedarfsfall praktisch in Echtzeit – erweitert. Einige unserer Werke im Umweltrecht verfügten bereits seit Jahren über einen Online-Zugang zu einer ständig aktualisierten Vorschriftendatenbank. Damit stehen nicht nur wichtige Normen im Volltext zu Verfügung; über einen Fassungsvergleich können auch frühere Fassungen komfortabel mit dem aktuellen Stand vergleichen werden. Gerade in einem stark dynamischen Rechtsgebiet mit zahlreichen Regelungen – zumal auf völkerrechtlicher, EU-, Bundes- und Landesebene – und einer hohen Zahl an Änderungen ist dies für die Praxis ganz besonders von Interesse. Nehmen Sie nur das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Dieses wird nicht nur regelmäßig novelliert, was sich neuerdings auch in seinem amtlichen Titel niederschlägt (dem EEG 2021 folgt bald schon das EEG 2023). Es wird davon unabhängig auch regelmäßig kleineren Änderungen unterzogen. Da verlieren selbst Expertinnen und Experten schnell den Überblick. Ein Feature wie die genannte Vorschriftendatenbank ist da ein sehr instruktives und komfortables Feature. Und angesichts der gegenwärtigen politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ist gerade für das Energie- und Klimaschutzrecht zu erwarten, dass die gesetzgeberische „Fließbandarbeit“ eher noch an Taktung zunehmen wird.

Diese hohe Dynamik hat aber auch zur Konsequenz, dass Fachinformationen immer schneller veralten bzw. anwachsen. Auch in dieser Hinsicht können hybride Produkte ein gutes Mittel sein, um die Qualitäten einer physischen Publikation mit den Vorzügen eines elektronischen Dienstes miteinander zu verknüpfen. Ein Treiber war vor allem der sog. Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021, im Zuge dessen auch das Bundes-Klimaschutzgesetz wesentliche Änderungen erfuhr. In der zuletzt erschienen Neuauflage des „Gesamtkommentar Klimaschutzrecht“ sind an verschiedenen Stellen im Werk nun QR-Codes abgebildet. Über diese können – ohne großen Medienbruch – komfortabel über ein Smartphone oder Tablet spezifische elektronische Zusatzinhalte abgerufen werden. So etwa auch die erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die in der amtlichen Fassung bereits mehr als 100 Seiten einnimmt und auf die im Buch dann direkt referenziert werden kann. Ein besonderer Charme ist, dass auf diese Weise ggf. auch neue Entwicklungen (die sich vor Drucklegung bereits abzeichneten, aber nicht mehr berücksichtigt werden konnte) im Nachgang noch dargestellt werden können. Im Buch selbst wird auch darauf hingewiesen, zusammen einem spezifischen QR-Code.

Bei unserem Berliner Kommentar BEHG führen wir dies gerade durch. Hier werden die aktuellen Entwicklungen online aufgegriffen und entsprechende „Updates“ zugänglich gemacht. Dies sind im Falle des BEHGs nicht wenige Änderungen: die Anpassung des Gesetzesziel (Treibhausgasneutralität 2045 statt vorher 2050), die Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Kohle und Abfälle, die zwangsläufige Anpassung von weiteren Regelungen wegen Einbeziehung neuer Brennstoffe, die Einfügung und Ergänzungen zur neuen BEHV sowie neue Abschnitte 4 (Einführung von Caps) und 5 (finanzielle Kompensation).

Unsere gemeinsame Herausforderung als Verlag und Autorenschaft besteht also im Zeitalter des digitalen Wandels vor allem darin, diese unterschiedlichen medialen Möglichkeiten mit den Präferenzen unserer Leserinnen und Leser zusammenzubringen, um mit passgenauen Medienangeboten bisherige und neue Leserkreise zu überzeugen. Und dieser Herausforderung stellen wir uns auch in Zukunft.

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