Das Autorengespräch Thomas Heerma van Voss über seinen Roman „Stern geht“

Immer freitags hier um 14 Uhr ein Autorengespräch: Heute mit Thomas Heerma van Voss über seinen Roman Stern geht (Schöffling & Co.).

Thomas Heerma van Voss, 1990 geboren, studierte in London und Amsterdam. Er entstammt einer Intellektuellen- und Künstlerfamilie. Seit 2009 schreibt er Romane, teils auch zusammen mit seinem Bruder Daan, ebenfalls Schriftsteller. Ihr gemeinsamer Krimi Ultimatum erscheint 2017 bei Schöffling & Co.

Thomas Heerma van Voss
Thomas Heerma van Voss

In den Niederlanden gilt Thomas Heerma van Voss als eines der größten literarischen Talente seiner Generation, so bezeichnete ihn A.F.Th. van der Heijden, der sonst nicht für überschwengliches Lob bekannt ist.

sternStern geht ist Ihr zweiter Roman, und es ist das erste Ihrer Werke, das im Rahmen des flämisch-niederländischen Gastlandauftrittes auf der Frankfurter Buchmesse übersetzt wurde. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dieser Übersetzung?

Thomas Heerma van Voss: Die Niederlande sind ein sogenannter kleiner Sprachraum. Übersetzungen eröffnen einem niederländischen Autor sozusagen das Tor in die Welt.

Stern geht ist ein bewegend melancholisches Buch über einen, man muss schon fast sagen: Verlierer. Warum haben Sie in ihren jungen Jahren ein solches Thema gewählt?

Ich wollte über einen Mann schreiben, der gute Absichten hat, jedoch unfähig ist, seine Gefühle und (intimsten) Gedanken zu zeigen; einen Mann, der nicht als Verlierer geboren, nicht schlecht ist, sondern nur nicht zurechtkommt mit den Veränderungen in seinem Leben. Sein Leben als Grundschullehrer war für eine lange Zeit okay, weil alles beim Alten blieb. Im Roman erzähle ich, wie sich die beiden grundlegenden Konstanten seines Lebens verändern: Er wird in Frührente geschickt, sein Sohn verlässt das Haus; und Stern ist überfordert. Um dieses Gefühl ging es mir. Aber es hat mich Jahre gekostet, die richtige Form für die Geschichte zu finden. Die erste Fassung des Buches war etwa doppelt so lang…

Wo kam das Thema her?

Angefangen hat das mit verschiedenen, voneinander unabhängigen Erfahrungen. Meiner Zeit in London, wo ich studiert habe, zum Beispiel. Aber am wichtigsten war ein Besuch in meiner alten Schule. Ich bin dort ganz zufällig vorbeigegangen und sah dieselbe Lehrerin, die mich 15 Jahre zuvor unterrichtete, in demselben Klassenzimmer. Und sie erzählte den 7- oder 8-jährigen Schülern immer noch die gleichen Geschichten und machte die gleichen Witze wie seither vermutlich jedes Jahr. Ich dachte: Solange sie ihre Schüler unterrichten kann, wird sie nicht wirklich älter. Und dann dachte ich plötzlich: Aber was passiert, wenn eine Person wie sie nicht mehr arbeitet? Das ist die Frage, mit der die Geschichte beginnt. Später verknüpfte ich das mit der Adoptions- und der Londonthematik. Ich wollte auf alle Fälle ein Buch über jemanden nicht aus meiner Generation schreiben. Keine aufgehübschte Tagebuchprosa oder eben ein verkappt-autobiographisches Werk.

Also nichts Autobiographisches?

Stern geht ist natürlich nicht autobiographisch, aber doch sehr persönlich. Und das Lebensgefühl, das Stern hat, ist von meinem eigenen nicht sehr unterschieden.

Ihr Held geht nach London auf der Suche nach der großen Freiheit, stattdessen geht er emotional verloren. Ihre Zeit dort war hoffentlich besser?

Manchmal war es ganz schön beängstigend. Ich war gerade mal 18 Jahre alt und hatte nicht wirklich Ahnung vom Leben. Außerdem war ich auch noch sehr schüchtern. Aber ich liebte die Stadt und fühlte mich mit der Zeit auch heimisch dort. Also ja, meine Zeit dort war besser als Sterns. Aber gelegentlich habe ich das Gefühl des Verlorenseins dort erlebt.

Welchen „Fehler“ macht Stern? Warum kann er nicht glücklich werden?

Wie gesagt: Er erträgt Veränderung nicht. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das als Fehler bezeichnen würde oder nicht doch eher als Mangel an Sozialkompetenz. Er kann nicht glücklich sein, weil er andauernd denkt, etwas falsch zu machen oder die Kontrolle zu verlieren oder dass andere Leute etwas gegen ihn im Schilde führen. Er versucht selbst dann noch, Kontrolle zu behalten, wenn ihm alles aus den Händen geglitten ist, bei seiner Zwangspensionierung oder das Erwachsenwerden seines Sohnes Bram.

Gerade von seinem Sohn Bram erwartet Stern, genau so zu sein, wie er ihn sich vorstellt. Ist Stern geht auch eine Geschichte von Respekt und Missverständnissen?

Genau. Es geht um die Unfähigkeit, einander zu verstehen. Aber auch, das gehört irgendwie zusammen, um Hoffnungen. Stern hofft wirklich, dass Bram die Person wird, die er sich für ihn vorgestellt hat. Und ist überzeugt, so würde Bram beliebt und glücklich. Dabei kommt er nicht mit der Realität zurecht: Damit, dass Bram nicht ist wie er selbst, sondern auch einen eigenen Willen hat und eigene, andere Hoffnungen für sich. Und damit, dass sie einander nicht glücklich machen können.

Also ein Buch über große Desillusionen?

Ja und nein. Ich hoffe, dass der Leser Stern irgendwie sympathisch, aber auch verstörend findet und letztlich doch mit ihm mitempfindet. Stern ist passiver, ein ganz lethargischer Mensch, den man manchmal am Schlafittchen packen möchte und wachrütteln. Es gibt Szenen, in den Stern quälend träge ist, rundum irritierend. Ich wollte eine Person, die sowohl Sympathie und Empathie (wegen seiner Lethargie) erweckt – um den Leser nicht gleichgültig zu lassen.

In den größten niederländischen Tageszeitungen, Volkskrant und NRC Handelsblad, waren Sie das literarische Talent des Jahres 2015, die Literaturzeitschrift Magazin nannte Sie den besten Schriftsteller, der nach 1980 geboren wurde, A.F.Th. „eins der größten Talente des Landes“. Was ist danach in den Niederlanden passiert?

Es war schon ein bisschen komisch, dieser plötzliche Erfolg, nachdem ich schon Jahre geschrieben habe. Was sich konkret verändert hat, war die Möglichkeit, meinen Debütroman De Allestafel wieder aufzulegen: zuerst war das recht mühselig, und dann bekam ich auch recht schnell einen Vertrag über meinen Erzählungsband – zuerst hatte der Verlag auf diese Idee eher skeptisch reagiert. Vieles ist leichter geworden damit – und nun bin ich gespannt, wie Stern geht von den deutschen Lesern aufgenommen wird.

Sie waren auf Lesereise in Deutschland. Wie war’s?

Sehr schön, sehr interessant. Und ich habe einen neuen Begriff gelernt: Helikoptereltern. Diesen Begriff kennen wir in den Niederlanden nicht, aber er beschreibt ganz gut das Verhalten meiner Hauptfigur Stern…

Letzte Wochen sprachen wir mit Greta Taubert über ihr Buch Im Club der Zeitmillionäre (Eichborn).

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