Geheimnisse eines Agenten, Teil 9 Thomas Montasser: „Der Mann, der zuwenig wusste“

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über die Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs – heute geht es  um ein vertracktes Problemfeld bi der Titelfindung.

Thomas Montasser: „Da schießen wir es lieber gleich selber ein kleines bisschen ab, oder? Dann taucht es nicht auf dem Radar der Shitstormer auf und die suchen sich ein anderes Ziel“

Wenn man „Geheimnisse eines Agenten“ liest, möchte man natürlich gelegentlich auch mal ein echtes Geheimnis erfahren. Hier also eines aus der täglichen Praxis, verbunden mit dem Aufruf, Vorschläge zu machen! Denn es geht um ein durchaus vertracktes Problem:

Nicht zum ersten Mal fällt ein belletristisches Werk der vorauseilenden Selbstzensur eines Verlags zum Opfer. Ich erinnere sehr gut einen Fall, in dem ein Sklavenhalter im 19. Jahrhundert in der wörtlichen Rede das sogenannte N-Wort benutzt – übrigens in einem Jugendbuch, das vollkommen antirassistisch angelegt ist. Die Folge war, dass es einen Shitstorm gab, und zwar weil durch diese Nutzung der Begriff weiterverbreitet würde. Eine heikle Problematik: Soll man den Sklavenhalter politisch korrekt sprechen lassen? Oder soll man ihn (und damit das Thema Sklavenhaltung) lieber streichen, statt ein Scheusal ahistorisch aufzuhübschen? Dem Buch hat die vielfache „klare Nichtkaufempfehlung“ definitiv geschadet. Ob sie der Sache nützlich war, und sei es, weil sie die Diskussion weiter belebt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Fest steht, dass kein halbwegs kultivierter Mensch heute noch dieses Wort in den Mund nimmt.

Womit wir zur Gegenwart kommen. Vor wenigen Monaten haben wir Verträge für ein Kinderbuch mit dem Arbeitstitel „Die drei Desperados“ abgeschlossen. Darin geht es um ein paar Kinder im Grundschulalter, die sich ein paar elend heiße und unendlich langweilige Sommertage mittels Fantasie und Wasserpistolen spannend machen. Gegenwart. Deutschland. Die Kids haben sich selbst Namen wie „Wilder Stier“ und „Laute Lotte“ gegeben.

Dann, unvermittelt, ein Anruf der Lektorin: „Wir brauchen aber einen anderen Titel.“

„Wieso jetzt? Der ist doch super!“

„Wegen der Cowboys.“

„Hä? In dem ganzen Buch kommt kein Cowboy vor.“

„Aber man denkt an Cowboys. Wegen Desperados.“

Vielleicht tut man das. Mir würden auch noch die Desperate Housewifes einfallen. Aber lassen wir das. Vielleicht auch ganz gut, wenn wir den Titel ändern. Denn ob der Nachwuchs mit dem Wort „Desperados“ wirklich so viel anfangen kann? Trotzdem die Frage:

„Und was macht das, wenn man diese Assoziation hat?“

„Naja, Cowboy geht natürlich gar nicht. Wegen In …“ Sie sagte nicht wegen der Indigenen, sondern benutzte das I-Wort. Sie hätte sicher das N-Wort nicht benutzt, auch das Z-Wort wäre ihr nicht über die Lippen gekommen. Beim I-Wort ist sie vielleicht – wie der größte Teil der hiesigen Bevölkerung – noch nicht ganz so sensibel. Weiß aber, dass es eine Community gibt, die da schon weiter ist.

„Sie wissen aber schon, dass die indigene amerikanische Bevölkerung in dem Buch auch nicht vorkommt. Auch nicht als Besuch.“

Wir mussten noch eine Weile diskutieren. Aus den „Drei kleinen Desperados“ wurden die „Drei kleinen Halunken“. Auch nett. Kann man machen.

Das heißt: Kann man nicht machen. Denn: „Halunken klingt jetzt irgendwie so altmodisch. Da müssen wir nochmal ran.“

Aha. Halunken geht also doch nicht. Auch wenn es nicht diskriminierend ist. „Und bei der Gelegenheit müssen wir unbedingt noch über Wilder Stier und Laute Lotte nachdenken, ja?“

„Echt jetzt? Aber die sind doch gesetzt!“

„Naja, eigentlich nicht. Man muss da unweigerlich an In … denken. Wegen der Art, wie die Namen gemacht sind. Sie wissen schon. Sitting Bull und so.“

„Ja, aber das haben die Indigenen doch selber so gehandhabt, oder? Ich meine: Ist das was, was die weißen Völkermörder erfunden haben?“

„Das weiß ich jetzt auch nicht. Aber wir wollen uns da nicht in die Nesseln setzen. Wegen sowas. Das lohnt sich doch gar nicht. Es ist doch so ein schöner Kinderroman! Das können Sie auch nicht wollen.“

Niemand will das. Ein Buch, in dem ein paar harmlose Kids aus Langeweile harmlosen, aber vergnüglichen Spaß machen, abschießen lassen, weil irgendjemand seine Assoziationsketten nicht in den Griff bekommt. Da schießen wir es lieber gleich selber ein kleines bisschen ab, oder? Dann taucht es nicht auf dem Radar der Shitstormer auf und die suchen sich ein anderes Ziel.

Wie die Geschichte ausging? Das steht noch nicht fest. Im Moment suchen alle einen Titel, mit dem man garantiert niemandem zu nahe tritt, idealerweise geschlechterneutral und natürlich genial. Falls Sie Ideen haben, immer her damit! Denn im Moment fühlt sich der Agent intellektuell etwas überfordert, eben als: Der Mann, der zu wenig wusste.

Zuletzt schrieb Thomas Montasser übers Kämpfen und Siegen, um Gier und Neid, um Jagen und Erlegen.

Kommentare (2)
  1. Respekt, dass es Thomas Montasser gelingt, diesen „Wir-wollen-alles-richtig-machen-und-niemand-darf-beleidigt-sein“-Krampf mit Humor zu schildern. Tatsächlich steckt dahinter ein sanfter, aber vergifteter Kulturkampf, weil manches gut gemeint, aber schlecht verstanden wird. Wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet in den Kinderbuchverlagen die selbstermächtigten Erzieher der Nation breitmachen?

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