Geheimnisse eines Agenten Nr. 13 Thomas Montasser: „Mr und Mrs Smith“

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs – heute geht es um die Frage: „Denken Sie auch, dass Frauen im Verlagswesen benachteiligt werden?“

Thomas Montasser: „Es gibt schlechtere Gründe ein Manuskript abzulehnen, als ein misogynes Frauenbild“ (c) R. Williams

Die Frauen in meiner Familie haben mich an den Weihnachtstagen genötigt, eine Serie nach Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ anzusehen, in der zusammengefasst eine Anzahl nichtsnutziger, blasierter Männer, die sich was darauf einbilden, geboren worden zu sein, von einer Anzahl sinnlos begeisterter junger und ebenso nichtsnutziger Frauen angehimmelt werden. Zwei Folgen habe ich durchgehalten, vermutlich vor allem aus phänomenologischen Gründen: Was bringt Frauen im 21. Jahrhundert dazu, sich für eine korsett- und vatermörderbewehrte Klassengesellschaft zu interessieren, in der es außer Problemen, die auf Konvention und Einbildung beruhen, keine Probleme zu geben scheint?

Ich weiß, der Erfolg, dessen sich die – im Übrigen ja hinreißen geschriebenen – Romane von Ms Austen erfreuen, spricht gegen mich. Und das Geschlechterthema ist nicht neu, sondern wird nicht nur uns, es wird noch viele Generationen beschäftigen. Ich nehme an, es wird auch immer wieder überraschend sein – vor allem für das jeweils andere Geschlecht. Mich überrascht zum Beispiel, dass mir in meinem Kurs an der LMU immer wieder die Frage gestellt wird: „Denken Sie auch, dass Frauen im Verlagswesen benachteiligt werden?“

Das fragen die Studentinnen wirklich jedesmal! Und ich frage jedesmal zurück: „Und von wem?“ Denn ich blicke in diesem Kurs ausschließlich in weibliche Gesichter. Seit Jahren! Längst sind ehemalige Studentinnen von mir Verlags- und Programmleiterinnen, deren Arbeit ich bewundere und die es mir keineswegs immer leicht machen. Genau wie ihre Kolleginnen aus der Presse, dem Marketing, dem Vertrieb oder der Geschäftsführung. In den Verlagen habe ich nur selten mit Männern zu tun, aber ständig mit Frauen.

Vielleicht hat das auch ein wenig dazu geführt, dass sich der inhaltliche Output der Verlage verändert hat. Besonders die weibliche Selbstermächtigungsliteratur hat ja eine geradezu explosive Blüte erlebt, an der ich als Agent übrigens eifrig und mit Freuden mitgewirkt habe: Überall erobern in den Romanen Frauen die Welt, zeigen es den Männern, lassen sich nicht nur nicht unterkriegen, sondern definieren das Spiel neu. Sie sind moderne Heldinnen, egal, ob sie als Ärztin, Journalistin, Hebamme, Stewardess, Gerichtsmedizinerin oder Leiterin eines Ponygestüts dem angeblichen starken Geschlecht zeigen, wo der Hammer wirklich hängt. Da sind wir heute sehr viel weiter als zu Ms Austens Zeiten. Wir arbeiten mit Konflikt, sozialer Spannung, lebensnahen Figuren und Motiven, kurz mit Relevanz! Nein, Frauen beherrschen längst die Verlage und sind längst auch die besseren Hauptfiguren.

Hätte ich so vor einem Jahr noch unterschrieben. Aber dann kam Colleen Hoover. Und der Nobelpreis für Annie Ernaux. Und auf einmal war „Fifty Shades of Grey“ kein Ausnahmephänomen mehr. Wohin man guckt, Frauen, die sich gerne mies behandeln lassen – bisschen missbrauchen hier, bisschen misshandeln da, bisschen erniedrigen dort – und sich nichts sehnlicher wünschen, als dass der Macker sie ganz bald wieder ganz lieb hat. Hallo? Geht’s noch?

Frauen, was ist passiert? Dafür seid Ihr doch nicht an die Macht in den Verlagen gekommen! Ich finde ja nicht, dass man jedes Buch maximal woke machen muss und dass klassische Romantik mit all ihren schönen Klischees auf den Müllhaufen der Kulturgeschichte gehören. Wir müssen auch gewiss nicht aus dem Marquis de Sade eine Marquise machen, die es nun den Männern zeigt. Aber es wäre doch toll, wenn all die kämpferischen, selbstbewussten Frauen, die inzwischen überall in den Verlagen Entscheidungen treffen, sich konsequenter gegen Rollenmuster entschieden, die schon falsch waren, als sie noch zeitgemäß waren. Es gibt schlechtere Gründe ein Manuskript abzulehnen, als ein misogynes Frauenbild.

Soviel zu Mrs Smith. Über Mr Smith sprechen wir ein andermal.

Zuletzt schrieb Thomas Montasser über Literatur „als Ware, die immer gebraucht wird“.

Kommentare (2)
  1. Ganz ähnliche Erfahrungen, als ich noch Psychologie unterrichtete: 90% Studentinnen im Fachbereich, die natürlich gegen alle Schlechtigkeiten der Welt waren, also auch gegen Diskriminierung, Belästigungen und all die Ungerechtigkeiten. Fragte man nach eigenen Erfahrungen, kam nie, aber auch wirklich nie ein Beispiel…
    MB

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