Das Sonntagsgespräch Thomas Vogel: Warum das Buch bleibt

Thomas Vogel lebt und schreibt in Tübingen, wo er als Honorarprofessor am Seminar für Allgemeine Rhetorik Kreatives Schreiben unterrichtet.

Seit dieser Woche gibt es seinen neuen Roman „Hinter den Dingen“, der wie alle seine vielbeachteten Romane bei Klöpfer & Meyer erschienen ist. Es geht darum um die Flut der Erinnerungen, sein persönliches „Musée sentimental“, um die Dinge, die den Blick für die Erinnerung schärfen, ihn auf die Wegmarken des Lebens lenken. Im „Nachspann“ seines Buch beschwört er ausdrücklich die Zukunft des Buches – was Anlass war für unser heutiges Sonntagsgespräch.

Thomas Vogel

BuchMarkt: Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, als glaubten nur noch wenige Menschen an die Zukunft des Buchs. In Ihrem neuen Buch „Hinter den Dingen“ zeigen Sie sich dagegen eher hoffnungsvoll.

Thomas Vogel: Ich habs im Nachspann meines Romans geschrieben: „Das Buch bleibt. Es nährt. Und ist so wichtig wie die Biene. „Bücher sind Bienen, die lebenzeugenden Blütenstaub von einem Geist zum andern tragen“, schrieb der amerikanische Lyriker James Russell Lowell. Ich glaube, er hat Recht.“

Den Bienen ging es ja in letzter Zeit nicht immer gut, wie man weiß…

Dem Buch auch nicht. Die Konkurrenz wird immer bedrohlicher, Hörbuch, E-Book, Internet, Fernsehen, womöglich auch ein neuer Analphabetismus…

Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer ersten Äußerung?

Das Leben ist voller Widersprüche. Aber Spaß beiseite: So viel Buch und allgemeines Lesen wie im 20. Jahrhundert hat es noch nie in der Geschichte der Menschheit gegeben. In früheren Zeiten war Literatur eine Sache der Mündlichkeit. Deswegen aber nicht weniger Literatur. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass das Buch eben immer wieder neue Konkurrenz bekommt, aber es wird sein wie bei der Ernährung: neben all dem Fastfood gibt es eben auch die gute Küche. Wie so oft: Trotz aller Turbulenzen, trotz aller Pendelausschlägen in die eine oder andere Seite, die Menschen besinnen sich immer wieder eines Besseren, in diesem Fall: sie werden ein Buch in die Hand nehmen und lesen, und sich freuen, dass jedes Buch anders riecht, sich anders anfühlt, dass man mit der Hand Seite für Seite umblättern kann. Und wir werden auch nach wie vor ein Buch, dass uns wichtig ist, selber besitzen wollen, als Objekt, als ein Ding, hinter dem sich eine Geschichte verbirgt.

Das war jetzt aber eine galante Überleitung zu Ihrem neuen Roman. Was steckt denn „Hinter den Dingen“?

Dahinter stecken Geschichten. Jeder von uns hat solche Dinge, die daheim rumliegen, die vielleicht schon ein Leben lang treue Wegbegleiter sind, mit denen uns eine Geschichte verbindet, in den allermeisten Fällen eine Begegnung mit Menschen. Solchen Spuren geht der Erzähler in diesem Roman nach. Er erinnert sich an die Schulzeit ebenso wie an das Studium, wir begegnen bei dieser Spurensuche einem Überlebenden des Holocaust, dem eine

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kleine Mundharmonika in Auschwitz das Leben gerettet hat, lernen den Besitzer einer Modeboutique in Südfrankreich kennen, begleiten einen Historiker in Israel oder lernen den legendären Sänger und Dichter Leonard Cohen von einer ganz anderen Seite kennen. Und immer wieder geht es „hinter den Dingen“ um das Wort. Und deshalb eben auch immer wieder um das Buch, dem immer noch einzigartigen „Gefäß“ für Worte und Geschichten, für das, was uns hält, was bleibt, was wir in die Zukunft hinüberretten wollen.

Das klingt nach einem sehr persönlichen Buch. Ist es autobiografisch?

Dass es autobiografische Elemente enthält kann und will ich gar nicht leugnen. Aber es ist ein Roman, wie auch außen drauf steht. Oder, ganz klassisch formuliert, es ist eben „Dichtung und Wahrheit“.

Sie zitieren Ludwig Feuerbach: „Es geht uns mit Büchern wie mit den Menschen. Wir machen zwar viele Bekanntschaften, aber nur wenige erwählen wir zu unseren Freunden.“

Ludwig Feuerbach hat Recht! Ich habe aus Büchern zitiert, die mir ganz besonders ans Herz gewachsen sind, die mir eben zu ständigen Begleitern wurden. So Ernst Blochs „Spuren“, wo der Satz steht: „Wie nun? Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst“, ein Satz wie ein Motto fürs ganze Leben.

Was muss man aus Ihrer Sicht noch lesen?

Muss ich noch einmal die Bibel erwähnen? Wer sich nicht in sie hineinvertieft, immer wieder einmal, ist selber schuld. Von Albert Camus sollte man alles lesen, was er geschrieben hat. Aber ganz besonders ans Herz gewachsen sind mir – aus gutem Grund – die poetischen Essaybänden „Noces à Tipasa“ (erschienen 1938) und „L’été“ (erschienen 1954), aus denen ich zitiert habe.

Sie sind aber auch ein Fan von Woody Allen…

Ja, der natürlich. Dankbar denke ich darüber hinaus noch an so manche Dichter und Denker wunderbarer Gedanken. Stellvertretend seien wenigstens ein paar namentlich genannt: Gioconda Belli, Hans Blumenberg, Leonard Cohen, Bill Cosby, Hilde Domin, Bob Dylan, Robert Gernhardt, das habe ich im Nachspann meines Romans erwähnt. Da steht dann auch das, was uns zu unserem Gespräch zusammengebracht hat, ich wiederhole es noch einmal:

„Das Buch bleibt. Es nährt. Und ist so wichtig wie die Biene. „Bücher sind Bienen, die lebenzeugenden Blütenstaub von einem Geist zum andern tragen“, schrieb der amerikanische Lyriker James Russell Lowell. Auch er hat Recht.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

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