Das Sonntagsgespräch Tom Kraushaar: „It’s the economy, stupid!“

Klett-Cotta hat sich in den vergangenen Jahren zum prägenden Verlag für Sachbücher über wirtschaftliche Themen entwickelt. Im Rahmen des kommenden Internationalen Literaturfestival Berlin lädt der Verlag einige seiner prominentesten Autoren zu einem Symposium (12./13. September) ein.

Ein Gespräch mit Verleger Tom Kraushaar über Sachbücher und Ökonomie.

Klett-Cotta hat in den letzten Jahren eine große Bedeutung im Bereich des Wirtschaftssachbuchs erlangt. Wie kam es dazu?

Tom Kraushaar (c) Albrecht Fuchs

Das erste von Michael Zöllner und mir verantwortete Klett-Cotta Programm erschien im Herbst 2008. Der Lehman-Brothers-Crash, die anschließende Finanz- und Wirtschaftskrise und schließlich die Eurokrise haben seitdem die öffentlichen Diskurse geprägt. Es war klar, dass wir die Gegenwart ohne Kenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge nicht verstehen können. Darauf wollten wir als Verlag reagieren.

Zuletzt scheinen andere Themen, etwa die Krise im Nahen Osten oder etwa das Aufkommen rechtspopulistischer Strömungen, den öffentlichen Diskurs zu überlagern.

„It’s the economy, stupid“, um mal Bill Clinton zu zitieren. Den gesellschaftlichen, politischen, ja gar militärischen Spannungen unserer Zeit liegen ökonomische Bedingungen zu Grunde. Es ist keinesfalls abwegig, die von Ihnen benannten Konflikte als Folgen wachsender ökonomischer und politischer Ungleichheit zu betrachten. Auf jeden Fall ist es sehr hilfreich, ökonomische Zusammenhänge zu verstehen, um die Konflikte und Lösungsansätze einordnen zu können. Nicht zuletzt würde es unseren öffentlichen Debatten gut tun, wenn wir uns die Mühe machten, die wirtschaftlichen Hintergründe zu verstehen. Stattdessen werden als Erklärung eher religiöse oder ethnische Differenzen herangeführt, das überdeckt die eigentlichen Probleme.

Sie sprechen das Thema Ungleichheit an. Das soeben bei Ihnen erschienen Werk des britischen Ökonomen Anthony Atkinson mit dem Titel Ungleichheit. Was wir dagegen tun können geht davon aus, dass die soziale und ökonomische Ungleichheit in den letzten Jahren extrem gewachsen ist. Es gibt liberale oder konservative Ökonomen, die bereits diese Grundannahme in Frage stellen.

Atkinson ist der Urvater der modernen Ungleichheitsforschung. In seinem Buch beschreibt er, was Ungleichheit eigentlich ist, erklärt, warum wir sie bekämpfen sollten und mit welchen sehr konkreten Mitteln dies gelingen kann. Er erläutert auch, dass unterschiedliche Methoden und Daten zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen können. Anders gesagt: Bei einem so komplexen Sachverhalt wie der ökonomischen Ungleichheit, kann man sich je nach politischem Ziel sein Ergebnis zurechtrechnen. Das macht es aber für den einzelnen Bürger, der diese Dinge verstehen sollte, um mitreden zu können, umso wichtiger, sich tiefgehender mit Wirtschaft zu beschäftigen, als es ihm Fernsehnachrichten oder Zeitungen anbieten.

Das Buch Schulden. Die ersten 5000 Jahre des anarchistischen Ethnologen und Occupy-Aktivisten David Graeber hat vor einigen Jahren für Furore gesorgt. Nun präsentiert er beim Berliner Symposium sein jüngstes Werk Bürokratie. Die Utopie der Regeln. Er bringt seinen ökonomischen Lehrer Michael Hudson mit, dessen große Finanzkapitalismuskritik „Der Sektor“ im November erscheint. Ist Klett-Cotta zu einem kapitalismuskritischen Verlag geworden?

Seit mindestens 25 Jahren ist der Kapitalismus das weltweit dominierende Wirtschaftssystem. Wirtschaft zu hinterfragen heißt, den Kapitalismus zu hinterfragen. Aber die Kapitalismuskritik hat sich weiterentwickelt, mit den Klassenkampf-Thesen der Linken aus den 70er und 80er Jahren hat sie heute nicht viel gemein. Graeber und Hudson sind in der Tat radikale Kapitalismuskritiker, aber gleichzeitig sind sie entschiedene Verfechter der freien Marktwirtschaft. Graeber zeigt in „Bürokratie“, wie der Kapitalismus Machtzentren hervorgebracht hat, die das Funktionieren eines freien und gerechten Marktes behindern, und Hudson zeigt auf schockierende Art und Weise, wie der Finanzsektor die reale Wirtschaft an die Grenzen ihrer Existenz getrieben hat. Die Radikalität dieser beiden Denker besteht auch und vor allem darin, dass sie uns aus Denkzwängen befreien, die uns ein Leben im Spätkapitalismus auferlegt hat.

Also doch Kapitalismuskritik pur?

Ich denke, dass nichts zurzeit mehr Aufmerksamkeit ernten würde als ein kluges und fundiertes Werk über den Nutzen und Wert des Kapitalismus. Aber diese Bücher sind doch sehr rar gesät. Ein in jeder Hinsicht herausragendes Werk, das immerhin den Fokus darauf legt, welchen Beitrag unsere Wirtschaftsordnung für den Fortschritt der Menschen gebracht hat, ist „Der Große Ausbruch“ von Angus Deaton. Das Buch erscheint zwar erst im kommenden Januar, aber seitdem der Autor für dieses Werk im vergangenen Jahr den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, warten viele auf die deutsche Ausgabe. Um das Warten zu verkürzen, haben wir auch ihn zum Symposium eingeladen.

Es ist auffällig, dass diese Autoren, Atkinson, Deaton, Hudson und Graeber, alle aus dem angelsächsischen Raum kommen.

Zum einen ist Klett-Cotta, gerade im historischen Sachbuch, seit Langem sehr stark in der angelsächsischen Szene verwurzelt. Zum anderen finden dort zurzeit einfach die aufregendsten und wichtigsten Debatten statt. Auch das Werk des Franzosen Thomas Piketty verdankt seine wesentlichen Impulse dem Denken seines Lehrers Anthony Atkinson. Ich sehe auch keinen Nachteil in der angelsächsischen Perspektive. Nicht in alle Volkswirtschaften haben die gleichen Probleme, aber der Gegenstand der Bücher ist letztlich immer die globale Wirtschaft.

Und lohnen sich die Wirtschaftsbücher denn auch unternehmerisch für den Verlag?

Allerdings. Für die schnelle und oberflächliche Information haben längst andere Medien die Leitfunktion übernommen. Bücher müssen in die Tiefe gehen. Das große, intellektuelle Sachbuch hat in den letzten Jahren an Bedeutung im Handel gewonnen. Nicht zuletzt auch, weil die Reform der Bestsellerlisten mehr Sichtbarkeit für relativ hochpreisige Hardcover geschaffen hat. Davon profitiert ein Verlag wie Klett-Cotta, bei dem das anspruchsvolle und intellektuelle Sachbuch schon immer beheimatet war, ganz besonders.

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