Fachbuchspezial: Markus Sauerwald über Auswirkungen der Rohstoffkrise „Verlage müssen digital und nachhaltig werden, wer das erkennt, der wird die großartigen Chancen erkennen“

Markus J. Sauerwald leitet seit 2007 den RWS Verlag Kommunikationsforum. Er hat die Umwandlung eines klassischen Fachverlags zu einem digital aufgestellten Fachinformationsdienstleister aktiv gestaltet und umgesetzt

Was wird aus Büchern, wenn Papier zur Mangelware wird? Wo bleiben die Verlage, Druckereien und Buchbinder? Stirbt ein Teil unserer Kultur? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich Markus Sauerwald für uns in unserem RWS-Special (im aktuellen Dezember-BuchMarkt) auseinandergesetzt. Der Verleger des RWS Verlags in Köln erklärt u.a., wie dieser Wandel aktiv mitgestaltet und somit positiv umgesetzt werden kann:

I Die Rohstoffkrise

Was wird aus Büchern, wenn Papier zur Mangelware wird? Wo bleiben die Verlage, Druckereien und Buchbinder? Stirbt ein Teil unserer Kultur?

Eine Rohstoffkrise dieses Ausmaßes hätte ich mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können. Dass Lieferketten gestört sind und Fachkräfte fehlen, hat sich mit dem Mangel von Zellstoff zu einem veritablen Problem entwickelt.

Als mich im Sommer die Druckdatei für einen großen Kommentar zu einem populären Gesetz erreicht, scheint alles seinen üblichen Verlauf zu nehmen. Ich leite die Datei per Mail an unseren langjährigen Druckdienstleister weiter. Bald erscheint das Buchprojekt im Workflow-Dialog, über den ich den weiteren Weg Schritt für Schritt verfolgen kann. Ich erteile Freigabe für Buchblock, Bezug und Umschlag, grüne Häkchen quittieren den Fortschritt, einen Tag später sehe ich ein Auslieferungsdatum im entsprechenden Informationsfeld. Früher sprach ich viel mit meinem Sachbearbeiter, doch im Laufe der Zeit hat der Konzentrationsprozess im Druckbereich zu einer zunehmenden Digitalisierung des Fertigungsprozesses geführt. Mit dem feststehenden Auslieferungsdatum läuft unser Marketing an.

Mit der Druckdatei erreichen auch spezielle Datenbankformate des Buchs die Betreiber zweier kommerzieller Datenbanken. Sie durchlaufen dort Prüfprozesse, nach zwei Tagen steht das Werk online. Andernorts werden die gedruckten Bücher produziert – so denke ich.

In der Regel vergehen zwischen Onlinestellung und Auslieferung der gedruckten Bücher zwei, längstens drei Wochen. Für diese kurze Zeit, in der Neuerscheinung oder -auflage nur online zugänglich sind, haben wir im letzten Jahr die Kampagne »Schneller als gedruckt« ins Leben gerufen. Wir machen vor Erscheinen der Bücher auf ihre Verfügbarkeit im Netz aufmerksam. Diesmal vergehen zwei Monate, bis ich ein erstes Belegexemplar in Händen halte. Was ist passiert? Zunächst fehlt es am Papier, dann die Farbe, dann an Ersatzteilen, dann am Personal, vermutlich alles zugleich in irgendeiner Kombination. Am Ende erblickt das 2.000-seitige Werk mit sechswöchiger Verspätung das Licht der Welt, rund zwei Monate nach online-Stellung.

II Die Krise als Transformationstreiber?

Die Rohstoff-/Lieferketten-/Fachkräfte-Krise 2021 ist nach der Pandemie zu Beginn des Jahres 2020 und dem Beginn des neuen Arbeitens fern vom gewohnten Arbeitsplatz im Heimbüro, die zweite schwerwiegende Krise, die uns gesellschaftlich und in allen Lebensbereichen trifft. Oder ist sie – im besten Sinne – ein Innovationstreiber?

Die Pandemie unterband mit dem »Zwang« zum Home-Office den Zugang zu bisherigen Arbeitsinfrastrukturen, zum Beispiel den Bibliotheken und dem Zeitschriftenumlauf. In den Wochen danach wurden digitale Zugänge entdeckt, eingerichtet oder erstmals angeboten. Mit der Papierkrise verstärkt sich dieser Prozess, denn nun steht den digitalen Produkten – nicht unbedingt zugleich ein analoges Pendant, das Buch, zur Seite. Noch zugespitzter: Verteuert sich die Produktion wegen der steigenden Kosten, wird das Produkt Buch zum Luxusartikel.

III Verlage ohne Bücher?

Was wird jetzt aus unseren Zeitschriften, Büchern, Loseblattwerken? Gedruckte Produkte, wie wir Sie kennen, werden teurer. Die Auflagen sinken, außerordentlich ausgestattete Bücher, wenn sie spezielles Papier und Drucktechniken erfordern, werden zu einer Kostbarkeit. Verlage werden als Medienunternehmen zukünftig nicht allein über körperliche Werke der Literatur, Kunst oder Wissenschaft wahrgenommen werden. Das Buch als eine in sich abgeschlossene Sammlung von Text dient nicht länger als zur Schau gestellte Kompetenz desjenigen, der Sie auf dem Schreibtisch und in Regalen präsentiert. Druckwerke scheinen durch die Entkörperlichung in einer digitalen Sammlung ihren Wert zu verlieren. Damit auch die Verlage, die die verkörperte Information produzierten?

Ich meine nein! Ist das Wesentliche nicht die im Text enthaltene Information? Stellt sich nicht eher die Frage, ob sich bestimmte Information besser vom Papier oder von einem elektronischen Display aufnehmbar sind? Spielt bei der Beurteilung nicht auch eine Rolle, wie flüchtig diese Information ist und ob das Gelesene elektronisch »weiterverarbeitet« wird, etwa durch Übernahme in einen Schriftsatz? Kommen damit die digitalen Formen, in denen die Informationen zu uns gelangen, unserer heutigen Arbeitsweise gar entgegen? Erfährt das Druckwerk nicht vor allem dann seinen besonderen Wert, wenn es auf die Haptik, Ästhetik oder um den gewünschten digitalfreien Rückzug zur Lektüre geht, wie etwa bei Kunstkatalogen oder Gebetbüchern? Liegt in der Papierkrise nicht eine Chance, je nach Gegenstand und Zweck des zu transportierenden Wissens der analogen oder digitalen Form den Vorzug zu geben?

Verlage müssen digital und nachhaltig werden, wer das erkennt, der wird die großartigen Chancen erkennen, die sich in unserer moderne Informationswelt bieten und die passende Form wählen.

 

 

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